www.hermann-mensing.de

Hermann Mensing

Die Nikolausfalle

Den ersten Nikolaus des Jahres hatte Tuxe gesehen, als er kurz nach den Sommerferien im Wohnzimmerschrank Zeichenkarton suchte. Er war aus Schokolade. Übrig geblieben vom letzten Jahr. Beste Schokolade übrigens, ein Geschenk von Tante Änne, die immer nur Bestes verschenkte.

Es dauerte keine Minute, bis Tuxe ihn aufgegessen hatte.

Danach vergaß er ihn auf der Stelle. 

Den zweiten Nikolaus sah er, als er mit Mama und Papa in die Herbstferien fuhr, auf eine Insel in Holland.

Kuck kuck kuck, rief er, aber eh Papa einen Blick zur Seite werfen konnte, war der Nikolaus längst im Rückspiegel verschwunden. Ein prächtiger Nikolaus, mindestens drei Meter groß, wohl aus Holz. Ernst aber nicht unfreundlich blickend stand er am Eingang einer Gärtnerei.

Der dritte Nikolaus tauchte Ende Oktober auf.

In Tuxes Heimatstadt war Kirmes, die letzte im Jahr. Tuxe und Papa saßen in einem Floß der Wasserrutsche. Kurz vor der Stelle, wo es steil in die Tiefe geht, hat man einen prächtigen Blick über den Kirmesplatz und die Stadt.

Es bleiben einem höchsten zwei Sekunden dafür, aber die reichten: am Horizont sah Tuxe einen aufgeplusterten Nikolaus. Er war so prächtig, dass Tuxe sogar das Schreien vergaß, als das Floß mit Papa und ihm den Wasserfall hinabrauschte. Tuxes Mund stand weit offen, aber nicht mal beim Abbremsen kriegte er einen Pieps raus. Das Wasser spritzte zu allen Seiten, Mama stand irgendwo da hinten zwischen tausend Köpfen, sein großer Bruder stand auch da, beide winkten wie toll, aber Tuxe sah sie nicht wirklich.

Was er sah, war dieser Nikolaus in den Wolken.

Am Ausgang der Wasserrutsche wurden Fotos verkauft, die ein Automat genau an der Stelle machte, wo es abwärts ging.

Papa kaufte eines. Tuxe studierte es ganz genau. Wie immer auf Fotos fand er sich reichlich bescheuert, aber eines war höchst interessant: er konnte den Nikolaus sehen. Er spiegelte sich in seinen Pupillen.

Tuxe behielt das für sich. Nikoläuse die am Horizont in den Wolken auftauchen, sollte man besser für sich behalten. Die andern würden doch bloß blöde Fragen stellen.

An diesem Nachmittag begann für Tuxe die Weihnachtszeit. Ein bisschen früh, zugegeben, aber so war es nun mal.

Alle anderen Nikoläuse hatte er längst vergessen.

Den in den Wolken vergaß er nicht.

Nicht, dass er glaubte, es wäre ein wirklicher Nikolaus gewesen - nein, einen wirklichen Nikolaus hatte noch niemand gesehen. Die, die man jedes Jahr um die gleiche Zeit sah,  waren allesamt nachgemacht.

Auf einem Betriebsfest in Papas Firma hatte einer sogar einmal Papas Schuhe angehabt. Sie alle trugen rotweiße Mützen und angeklebte Bärte, sie verstellten ihre Stimmen und sagten dämliche Sachen. Etwa: ich habe gehört, dass du manchmal in der Nase popelst. Das ist nicht nett! Das sollst du nicht. Wofür gibt es denn Papiertaschentücher.

Als ob ein richtiger Nikolaus es nötig hätte, so einen Blödsinn zu reden. Lächerlich so was! Diese nachgemachten Nikoläuse kamen nur wegen der ganz kleinen Kinder. Ganz kleine Kinder konnten nämlich noch nicht begreifen, dass wirkliche Nikoläuse unsichtbar bleiben mussten. 

Wirkliche Nikoläuse kommen über Nacht.

Wie sie aussehen, weiß niemand...

Den Rest der Geschichte findet ihr in:

Weihnachtszeit, Zauberzeit, Ueberreuter Verlag, Wien, 1998