August 2016                      www.hermann-mensing.de      

    

mensing literatur
 

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zum letzten eintrag

Fr 2.09.16

Leider ist mir der August durch einen dummen Fehler beim Hochladen in den Tiefen der bits & bites verschwunden.
Ich werde versuchen, ihn anhand meiner Aufzeichnungen zu rekonstruieren.


Mo 1.8.16

Manche sagen, ein Rentner habe immer Ferien. Aber der Rentner ist nur ein Teil meiner Existenz. Der andere ist Schriftsteller und hat nie Ferien, nicht einmal, wenn er einen Mittagsschlaf macht. Er ist umtriebig bis zur Selbstverleugnung. Er ist neugierig, und selbst, wenn er das Tango Sommerferienprogramm gebucht hat, so wie ich, hat er keine Ferien. Er trainiert die Technik der fundamentalen Bewegungsabläufe des "caminar". Er übt die Dynamik und Rhythmik des Tango. Heute beschäftigt er sich mit den vier Grandes: Sacada, Gancho, Volleo und Barrida, das sind Figuren, die er demnächst bei Milongas tanzen will. Ein Schriftsteller kann Monate, sogar Jahre im Zweifel verbringen und nicht ein Wort schreiben, das ändert nichts, er bleibt, was er immer war. Er versucht, mit seiner Kunst da anzusetzen, wo die Wissenschaft keine Antworten mehr hat. Er hantiert mit Worten, die sowohl dieses als auch jenes bedeuten können, und um die Sache noch zu komplizieren, kann er sich nie sicher sein. Sicherheit ist geradezu kontraproduktiv. Er wünscht sich Erfolg, hat aber gelernt, dass Erfolg anders zu definieren ist als Ruhm, Ehre und Geld auf dem Konto. Erfolg für den Schriftsteller ist das geschriebene Wort. Erfolg ist, dass er tut, was er tut. Das ist nicht einfach, aber es ist selbst gewählt, und selbst gewähltes Schicksal ist Erfolg.


Do 4.8.16

es regnet
überall schüsse
hungernde
not
wind streicht
die sorgenfalten nicht glatt
schreien
kann er nicht übertönen
gesänge verstummen
schwerter sind geschmiedet
verräter und sieger
sieger und verräter
dazwischen die großen und kleinen
die männer und frauen
das ist ein trubel
das ist kein vergnügen
dieses schlachten bringt bares
und schafft wieder platz


Fr 5.8.16

Heute wieder nicht angefangen. Warum nicht? fragt der Mann. Ich bin zu faul, sage ich. Nein, sagt er. Faul bist du nicht. Ach, sage ich, dann bin ich vielleicht enttäuscht? Niemand bekommt, was er will, sagt er. Alle sind enttäuscht. Also gut, sage ich, ich bin also nicht enttäuscht, ich bin geradezu glücklich, vorausgesetzt, ich blende die Welt aus. Das geht nicht, sagt er, die Welt lässt sich nicht ausblenden, die Welt ist der Ort aller Ereignisse, ergo aller Enttäuschung, die Welt ist der Ort allen Glücks und allen Unglücks. Hast du dir das jetzt selbst ausgedacht? frage ich. Er lacht. Nein, sagt er, alles ist ausgedacht, alles ausgelebt, das einzige, was einer tun kann, ist sich beständig neu zu erfinden. Sich neu zu denken .... Halt! rufe ich. Wenn alles längst getan ist, wie kann sich einer dann neu erfinden? Er kauft sich eine Hose, sagt der Mann, ein Jacket, irgendetwas, Hauptsache, er kauft sich etwas, denn das ist der einzig verbliebene Raum der Selbstfindung. Hier, hast du Geld. Danke, sage ich. Aber ich nehme kein Geld für nichts. Protestant? fragt er. Ja, sage ich. Wird wohl so sein. Konfirmation, aber danach war Schluss.


Sa 6.8.16

Wunder geschehen gern im Verborgenen, so dass die Mehrheit der verunsicherten Menschen sie kaum als solche begreifen kann, weil das Furchtbare viel lauter daherkommt als das Wunderbare. Mir ist gegen alle Erwartungen nun doch ein Wunder begegnet, eines von sehr persönlicher Art, was nicht untypisch ist, denn die anderen sogenannten Welt- oder blauen Wunder geschehen häufig anderswo und scheren sich einen feuchten Kehricht um den Einzelnen. Mein Wunder hat mich nicht weiträumig umfahren, sondern dort abgeholt, wo man gern abgeholt wird, wenn man sich im Supermarkt der weltbewegenden Gefühle völlig verrannt hat und glaubt, dass nichts mehr zu hoffen bleibt. Stimmt aber nicht, ruft da das Wunder, und dann sitzt man da und staunt und denkt, mein lieber Mann, und das mit 67, und dann weiß man, es kann jederzeit wieder geschehen, nichts ist verloren, die Welt ist ein großartiger Ort.


So 7.8.16

Langsam sickert der Tango in mein System und fühlt sich dort wohl.
Mich freut das, denn auch ich fühle mich mit dem Tango wohl.
Also, auf eine lange Freundschaft.


daily joyce

Guterhaltene fette Gentleman-Leiche, Feinschmecker, unschätzbar für Obstgarten. Glänzendes Geschäft. Für Leichnahm von William Wilkinson, Rechnungs- und Bücherrevisor, erst kürzlich verstorben, erlauben wir uns drei Pfund dreizehn-sechs. Dankend erhalten zu haben bescheinigt.


die nacht zieht schleier übern grund,
der mond nimmt zu, die luft wird spitz,
nach schwülen tropen ist ihr muttermund
schon offen für den herbst, ich ritz
mir verse in das schwarze grün,
erfinde namen für sein ungestüm,
für pracht, genuss, großzügigkeit,
die schönen schuhe und das allerschönste kleid,
noch aber ist es sommer und mein meer
schwappt hin und her und her.


Mo 8.08.16

Die Mondsichel hatte sich im Mais verhakt, und wusste nicht mehr ein noch aus. Im Westen war es längst dunkel. Dort hatte schon ein Geraune begonnen, wo denn der Mond bleibe. Da, wo er sich verhakt hatte, gab es Geraune, was los sei, der Mond stehe auf der Stelle. Da war guter Rat teuer.


daily joyce

Mr. Dedalus starrte von der leeren Feuerstelle in Ned Lamberts juxendes Gesicht und fragte es säuerlich: Bei Christi Todespein, macht einem das nicht Sodbrennen im Arsch?


Di 9.08.16

daily joyce

Die Maul und Klauenseuche! schrie der Chefredakteur in beleidigendem Hohn. Großes Nationalistentreffen in Borris-in-Ossory! So ein Quatsch! Die Öffentlichkeit verarschen heißt das! Geben Sie Ihnen Pfeffer! Bringen Sie uns alle mit rein, verdamm und zugenäht! Vater, Sohn und Heiligen Geist, die ganze Blasmusik.

Sah einen toten Sperling, tags drauf eine Schwalbe, beide auf dem Rücken liegend am Straßenrand. Eine Rauchschwalbe, dachte ich, bin aber nicht sicher. Und, dachte ich, fallen sie vom Himmel, wenn ihre Zeit gekommen ist? Oder warten sie auf einem Ast in stiller Vorahnung, dass gleich alles vorbei ist? Unser Wellensittich KarliKarli zeigte so etwas von Vorahnung, ein, zwei Stunden bevor er tot von der Stange fiel. Er ließ sich plötzlich anfassen, was er all die Jahre vorher nicht erlaubt hatte. Er wirkte zerzaust, geradezu aufgewühlt. Also, Ornithologen im Publikum, wie stirbt ein Vogel? Wahrscheinlich wie alle sterben, der eine hier, der andere dort.


Do 11.08.


daily joyce

Verringerte Finger erweisen sich als zu prickelnd für fröhliche alte Frauenzimmer.
Anne popelt, Flo pupt - doch kann man's verübeln.

Frau H. sagt, dass man gegen Tränensäcke am Besten Hämhorroidensalbe nimmt.


Fr 12.08.16

Ich muss spülen, der Tisch steht voller Frühstücksgeschirr. Und wenn dann gespült ist, ist Zeit für den Mittagsschlaf. Unglaublich, was alles zu erledigen ist an einem normalen Sommertag. Überhaupt: kaum auszuhalten dieses Wetter. Wunderbarstes Grau von hier bis Timbuktu, Marl-Sinsen und Recklinghausen. Trotzdem, man darf den Mut nicht fahren lassen, denn es könnte alles viel schlimmer kommen. Man stelle sich bloß vor, der AFD gelänge der Durchmarsch in regierungsfähige Nähe, was dann los wäre, was dann alles aufgeschwemmt würde, dagegen ist Grau geradezu beruhigend, der Himmel wäre dann nur noch Braun, überall Sprechdurchfall und schlechter Geruch, und wer anders denkt, wird nach altem Brauch bedroht und zusammengeschlagen. Nein, nein, noch ist alles gut, die anderen sterben für uns, damit Öl fließt und schweres Gerät von Krauss-Maffay verkauft werden kann, damit es weiter Bumm macht, da, wo der Muselmann hockt, dem macht das nichts, der hat Allah und Allah wird schon wissen, wozu das gut ist. Ich muss spülen, ich muss Mittagsschlafen, ich muss die Welt nicht mehr verstehen. 67 Jahre habe ich es versucht, jetzt will ich nicht mehr. Ich will nur noch Fahrradfahren, Salsa und Tango tanzen, ich will moderat essen und ausgiebig lieben, zwischendurch kiffen, und wenn dann noch Zeit bleibt, will ich sterben.


Nicht ein Einfall, sagte Schröder. Nicht einer, und das schon seit Jahren.
Das macht nichts, sagte Radunski.
Kleiner Mann, der Radunski. Lange von niemandem ernst genommen, bis er diesen Einfall hatte, der ihn über Nacht reich gemacht hatte.
Das sagst du, sagte Schröder. Du hattest immerhin einen.
Ach, der war auch nur geklaut, sagte Radunski und erkläre kurz.
Aaaah, sagte Schröder, das lässt hoffen.


Sa 13.08.16

Kaum steht ein großer Kran in der Nachbarschaft, haben ihn Krähen schon zum Schlafplatz gemacht.


Als ich noch mit betagten Autos zum Meer fuhr, stand eine Frage immer ganz vorn: hält die Karre? Jetzt habe ich kein Auto mehr. Die letzten Male fuhr ich mit dem Mietwagen. Da spielte diese Frage keine Rolle. Morgen nun steige ich in den Zug. Das ist höchst komfortabel. Ich werde mit Niederländern reisen und vielleicht ins Gespräch kommen. In jedem Fall aber werde ich das Land von einer anderen Perspektive sehen, Flüsse und Landschaften queren, selbst geschmierte Brote essen oder Zeitung lesen, vielleicht mache ich mir Notizen, als wäre ich in einem selbstfahrenden Tesla unterwegs, aber nicht halb so gefährlich.

Es könnte höchstens einer mit Schlachtermesser auftauchen und Allahu Akbar rufen, dem würde ich Bescheid stoßen, da kann er drauf an, aber das ist so unwahrscheinlich wie sonst was, nur ein Gehirn gewaschener Mensch tut so etwas, viele gibt es davon nicht, und solchen muss man Bescheid stoßen. Gott ist tatsächlich groß, aber er ist kein Idiot. Ich habe einen Rucksack, einen Schlafsack, ich habe eine Luftmatratze, ich habe online ein Ticket gebucht, meine Ankunft ist avisiert: 13:37.Spätestens um 16:00 wird das Meer sich mir in seiner ganzen Schönheit zeigen und ich werde berührt sein. Drei Tage Nordsee. Drei Tage wie ein Kind in die Wellen rennen. Vorher die Zähne rausnehmen, damit ich sie beim bodysurfen nicht verliere. Man sagt, das Wetter werde gut. Mein Sohn ist da, meine Schwiegertochter, meine drei Enkel. Ich freue mich sehr.


So 14:08.16

Auf dem Bahnsteig in Enschede findet sich kein Hinweis zu Reiseziel und Abfahrt. Vor der Sperre, die den digitalen Ausdruck meines Online-Tickets scannt und mich einlässt, schon. Bisschen verwirrend. Aber dann bekomme ich Auskunft von einer uniformierten Bahnangestellten und steige ein. Sitze oben.

Hengelo:
Blonder Teenager mit Babyspeck streicht unablässig auf einem Smartphone herum, der linke Fuß (Nike-Schuhe) ist in ständiger Bewegung. Restless Legs Syndrom.

Amsterdam Centraal:
Bei fahrendem Zug pinkeln, dabei den Klodeckel nicht treffen. Das ist nicht einfach, aber es geht.

Castricum:
Pommes, Capuccino, Kinder mit softeisverschmierten Gesichtern.
Urlaubsmodus. Sonnig, frischer Wind. Eigenes, kleines Zelt. Julius rennt mir am Bahnsteig in die Arme.


Mo. 15.08.16

Die nachbarschaftlichen Beziehung auf dem Zeltplatz entwickeln sich. Die dicke tätowierte Frau und Mann Mann mit Pferdeschwanz, zwei Kinder, Holger und Antje, Jan und Sandras Bekannte, die blonden Raucherinnen, die früh morgens husten und später ihren Kinder Stöcke spitzen. Der Kontakt begann, als Holger eine Teleskopstange nicht ausfahren konnte. Jeder versuchte es, die blonde Raucherin aber hatte eine Zange, mit der funktionierte es. Das Schlafen im Zelt ist gewöhnunsbedürftig, wird aber funktkionieren. Es ist mild und sonnig. Die Wolken kommen aus Nord-Nord-Ost

Arbeite alles ein, was du weißt. Dass das Löwengebrüll nach Amerika zieht. Dass die Kiefern nicht singen. Dass das Meer manchmal abwesend ist und dann wiederkehrt. Dass der Fisch an Land ging und Laufen lernte. Dass die Banane zur Not eine Schusswaffe simuliert. Was du weißt? Dass es so viele Familiennamen wie Menschen gibt und noch mehr. Dass heute Montag ist und der Sonntag vorüber. Dass dir schwarzer Kaffee nicht schmeckt. Dass du Vögle, die zum Sonnenaufgang krakeelten, erschießen möchtest. Dass deine Seele ein Wanderer ist. Kein Verlass drauf. Dass du annimmst, dass das Leder weder Vergangenheit noch Zukunft hat. Dass das Wort Macht hat. Dass Krieg normal ist und unausrottbar. Was du nicht weißt: ob der Italiener stolz ist, dass es überall Pizza gibt. Und auch, ob du morgen noch lebst. Du gehst jedoch davon aus. Du bist Optimist. Allerdingst weißt du auch, dass Geld spurlos verschwindet. Und Frauen? Darüber kannst du nichts Verlässliches sagen. Und die Welt. Darüber auch nicht. Ansonsten bist du Prophet. Ja, creme das Gesicht, geh ans Meere und schwimme, bis du versinkst. Alles ist Käse. Und das Unmögliche ist das Reizvollste.


Die 16.08.16

Sonnenbrand.
Schon um sieben im Meer. Nachmittags noch einmal.
Man weiß nicht recht, ob es Gewitter gibt, der Wind weht ablandig aus Nordost, die Wolken sind grau, aber wie nicht selten am Meer, wenn Wolken am Horizont abweisend und nichts Gutes verkündend aussehen, reißén sie beim Näherkommen auf, so dass es ein mild-sonniger Nachmittag wird. Alle sind am Strand, die Großen, die Kleinen und ganz Kleinen. Als die Kleinen und ganz Kleinen ein wenig ungehalten werden, verstecke mich hinter einem großen Baumwolltuch und mache Tiergeräusche. Auf der anderen Seite des Tuches stehen vier Kinder und kreischen, wenn ich das Tuch herablasse. Oder ich setze die Kinder eines nach dem anderen auf ein großes Handtuch und schleife sie über den Strand. Das ist anstrengend, verbreitet aber allergrößte Freude und macht glücklich.

Levi erklärt er mir die Welt.





Milan und Levi käbbeln





Frühmorgens liegt das Meer unbewegt, Männer, die schwere Gabelstapler über den Strand steuern, auf denen Liegen gestapelt sind, Hunde, die unschuldig schauend in den Sand kacken, Jogger mit digitalem Gerät am Oberarm, Schatzsucher mit Minensuchgeräten, in beachtlichem Winkel Nasen in den Himmel bohrende Großraumflugzeuge, die flirrend im Blau zu fernen Zielen auf der anderen Seite des Ozeans verschwinden, brüllend. Die Mitarbeiter des Strandrestaurants bereiten den Tag vor. Ich gehr hinunter zum Wasser, das Handtuch über die Schulter gelegt, entledigr mich meiner Kleidung, steige in die Badeshort und laufe ins Wasser. Es ist frisch. Ich atme tief. Ich tauche ein und schwimme, gewiegt von der Dünung. Ich bin glücklich. Endlich ist die Welt eindeutig und schön. Auf dem Heimweg grüßt ein Fremder. Goeden Morgen, Mijnheer, sagt er.


Herr M. muss nachdenken.
Auch, wenn man es nicht auf den ersten Blick bemerkt, Herr M. ist glücklich.





So 19.08

Stagediven ist eine Kunst, die nur funktioniert, wenn das Publikum mitspielt, sonst endet es mit Verletzungen, die man sich beim Aufprall unweigerlich zuzieht. Albert Early Bird und die Working Worms hatten einen feinen Set auf dem Schnabeltier-Festival gespielt, zum ersten Mal seit dreizehn Monaten waren sie wieder aufgetreten, hatten vorher nicht geprobt, sich dennoch an das meiste erinnert, hatten zudem einen guten Sound und diesmal sogar Menschen überzeugt, die vorher der Ansicht waren, ihre Musik wäre langweilig, was sie allerdings nie war, sondern mit den Hörgewohnheiten mancher Zuhörer zu tun hat. Nach zwei Zugaben verstieg sich Herr M. aka Albert Early Bird in die Idee, nach dem gemeinsamen Verbeugen am Bühnenrand so etwas wie eine gemilderte Version des Stagedivens auszuprobieren. Sofort formierten sich kräftige Männer, die bereit waren, ihn und die Working Worms aufzufangen. Drei Männer, zwei davon kräftig, lassen sich also noch vorn fallen, landen auf hochgereckten Händen, aber sogleich wird klar, dass da einiges an Gewicht zwischen Himmel und Erde hängt. So in der Schwebe erscheint die Idee jetzt nicht mehr so großartig, wie anfangs gedacht, dennoch gelingt es dem Publikum, die Bandmitglieder sicher zur Erde zu bringen, sodass Herr M. und die Working Worms nun behaupten können, zumindest einmal im Leben von der Bühne ins Publikum gesprungen zu sein.


daily joyce

Der ungeborene Sohn schädigt die Schönheit: geboren bringt er Schmerz, zieht Liebe ab, vermehrt die Sorgen. Er ist ein männliches Wesen: sein Wachsen ist seines Vaters Niedergang, seine Jugend des Vaters Neid, sein Freund des Vaters Feind.


Do 25.08.16

Der Papst liebt Andrea Berg, aber nicht der aus Rom, der bevorzugt Tango und Iron Maiden. Der Papst, den ich meine, ist Literaturpapst für die Provinz, einer mit solidem Wissen, er tanzt gern, erzählt Zoten und mischt Milch - mit Fruchteis. Wegen der Lederkleidung? habe ich gefragt, nein, hat er gesagt, nichts Sexuelles, ich mag ihre Lieder, was mir unbegreiflich ist, aber der Papst liebt sie wegen der schönen Texte. Das hätte ich nicht gedacht. Er schreibt nämlich auch, jeder Papst tut das mehr oder weniger heimlich, er schreibt Texte mit Über- und Unterbau, die niemand außer ihm und ein paar anderen Groß- und Kleinpäpsten versteht, was diese in ihrem Gefühl stärkt, über den Dingen zu stehen. Aber eigentlich ist der Papst gar nicht so einer, er ist ein freundlicher, humorvoller Mann.

Und war es nicht ein wundervoller Tag heute?


Sa 27.08.16

Irgendwie muss es sich ja zeigen, und wenn es sich schweißtreibend äußerst, triefend geradezu bei den gegenwärtigen Temperaturen, dann ist es eben das Alter, das da an mir herabfließt, obwohl ich ruhe. Da treibt es Mineralien hinaus, da legt es auf kurzem Wege vom Sofa zur Küche die Intention brach, mit der ich losging, um etwas zu holen, aber was, was hatte ich holen wollen, ach, ja, gut, nun weiß ich es wieder, das Phänomen der kurzzeitigen Leere ist bekannt und kommt auch in jungen Jahren vor, nichts Beunruhigendes also, dennoch ist Vorsicht geboten, und noch einmal werde ich nicht aufstehen und losgehen. Heute abend nämlich ist Tango. Früher, im letzten Jahrtausend, war das mal ein Aufruf zum Überdiesträngeschlangen, was ist, ist Tango, rief man sich zu, machte sich auf den Weg, und tat, was man nicht lassen wollte. Das schöne am Alter ist ja, dass man eine Geschichte hat, die man aufblättern kann wie ein Buch, um staunend nachzulesen, was man getan hat, was man nicht hätten tun sollen, obwohl (wieder dieses obwohl) man nichts zu bereuen hat, je ne regrette rien, sagt man, die goldenen Zeiten waren nie so golden, wie man sie sich trinkt, aber dennoch strahlend. Strahlend ist auch die Gegenwart, denn heute Abend werde ich Tango tanzen, die Nacht im caminar verstreichen und all das ausprobieren, was ich in den letzten Wochen gelernt habe. Der Himmel ist mit mir, ich bin ein Glückskind, ich weiß, was Unglück ist, ich liebe das Leben, denn sonst habe ich nichts. Keine Aktie, keine Immobilie, nur dieses Leben und den Genuß, der mir hin und wieder die Lenden streicht und den Kopf verdreht. Ich liebe meinen Kopf. Ich liebe meine Lenden. Und ich vergöttere den Augenblick, denn der würzt das Leben. Wer den Augenblick einer wie auch immer gerarteten Zukunft opfert, ist fast schon tot, ich aber lebe. Und sollte ich heute noch sterben, wäre es auch gut.


So 28.08.16

Mein Herz schlägt schnell und laut. Es dröhnt in den Ohren. Dann hört es auf. Ich ziehe an meiner Zigarette. Man kann also rauchen, wenn man tot ist, denke ich, man merkt das Sterben nicht mal, es dröhnt nicht mehr in den Ohren, das ist alles, doch dann, als ich mich schon abgefunden habe und finde, ein wenig weißes Licht wäre nicht schlecht gewesen, beginnt es wieder zu hämmern, und ich bemerke, dass in der Nachbarschaft eine Party wummert.

14:13

hinten ist da, wo der arsch ist,
und ein arsch schafft es nie nach vorn.
vorn ist da, wo die sekunde millionen erwirtschaftet,
logisch, dass man den arsch da nicht ran lässt.
wäre ich vorn, ich ließe das auch nicht zu,
als arsch aber,
der es nie zu irgendetwas bringen wird,
fordere ich das sofortige ende aller tätigkeiten,
die sich gegen die überwältigende mehrheit
der menschheit wenden, aller, absolut aller tätigkeiten.
ich fordere die justiz auf, verfahren zu eröffnen
und die verantwortlichen zu bestrafen,
egal ob großmacht, schlepper oder scheich,
alle müssen vor ein ordentliches gericht,
und alles muss zurückgezahlt werden,
sonst wird nie frieden.
hinten, wo der arsch ist, ist es dunkel.
ich sehe nirgendwo licht.


Di 30:08.16

daily joyce

Blazes Boylan blickte in den Ausschnitt ihrer Bluse. Netter junger Backfisch. Er zog eine rote Nelke aus dem großen Stilglas. - Die für mich? fragte er galant. Das blonde Mädchen musterte ihn von der Seite, lässig gkeleidet, Schlips ein bisschen schief, und errötete. - Ja, Sir, sagt sie. Sie bückte sich durchtrieben und zählte erneut dicke Birnen und errötende Pfirsische. Blazes Boylan blickte mit größerem Wohlgefallen in ihre Bluse, den Stengel der roten Blumen zwischen seinen lächelnden Zähnen. - Darf ich vielleicht mal ein Wort mit Ihrem Telefon reden, Fräuleinchen, fragte er spitzbübisch.

Schreiben hülfe. Würde helfen, sagt man, er zieht hülfe vor. Hülfe vereint Würde und Hilfe. Schreiben also, aber so weit ist er noch lange nicht. Seit fünfzig Jahren hält dieser Zustand an, unterbrochen vom Schreiben, um gleich darauf wieder in eine Unzahl von Übersprungshandlungen zu münden. Bisschen dies. Schlagzeug. Bisschen das. Klavier. Bloß nicht das Herz verlieren, denn da, wo er zuhause war, verlor niemand sein Herz, wenngleich sie ihn liebten. Also überspringen.

Zwei schwarze Kompostsäcke bis an den Rand mit lange nicht mehr getragener Kleidung in Contrainer füllen, deren Besitzer auch den Ärmsten in Afrika noch den Beutel schneiden. Rhythm Killer online. Fixing a hole online. Essen muss er nichts mehr. Hat er schon. Verabredung zum Tanzen gemacht. Eine graue Insel schiebt sich über die Sonne, silbernes Licht.


Mi 31.08

Ich nehme das Leben persönlich.