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New York

Da war ich nun. Michaels Zimmer lag im Souterrain. Brooklyn. Hinterm Haus ein handtuchgroßes Grundstück, ein schmaler Gang, Tennisplätze, dahinter senkte sich das Land und schien sich in unüberschaubaren Gleisanlagen und Industrieansiedlungen zu verlieren. So sieht es in meiner Erinnerung aus. Ich war in der Nacht angekommen. Michaels Vater hatte mich vom Flughafen abgeholt. Michaels Zimmer wäre für die Zeit meines Aufenthaltes mein Zimmer. Mein Zimmer plus Jetlag. Der erste Jetlag meines Lebens. Hinzu kam, dass mir langsam bewusst wurde, dass ich mein Zuhause verlassen hatte. All die Großmäuler, die anfangs begeistert waren von der Idee, eine Weltreise zu machen, hatten im letzten Augenblick ihren Schwanz eingezogen. So war mir nichts anderes geblieben, als mich in Frankfurt allein in ein Flugzeug zu setzen.
Michaels Zimmer also. Das Foto seiner Bar Mitzwa über einem Vertiko. Das Foto mit obligatorischen Baseball-Handschuh. In einer Ecke des Zimmers Michaels Fotolabor. Sein Schreibtisch. In der untersten Schublade sein Dope. Er hatte mir genau beschrieben, wo ich es fände. Ringsum heulte New York. Ich war dreiundzwanzig. Dies war die erste Station meiner Reise. Es war furchterregend. Am nächsten Tag, ein Sonntag, das hatte mir Michaels Mutter verraten, käme die Verwandtschaft zu Kaffee und Kuchen. Sie wollten wohl sehen, wie so ein kleiner Deutscher aussieht, mit dem sich der Sohn der Familie angefreundet hatte. New York im Juni 1972. Ich blieb vierzehn Tage. Ich eroberte eine Jüdin aus Queens. Ein, zwei, drei Tage lang waren wir ein Paar, zogen nachts kreuz und quer durch New York, dann lernte ich John kennen, der nach San Diego fuhr und schloss mich ihm an.

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