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zum letzten eintrag


Sa 2.12.23 12:28 grau und kalt

Die Sonne schien, ich machte mir Kaffee, holte mein Tablett, um die Süddeutsche zu lesen und stieg wieder ins Bett. Beim zweiten Kaffee begann es sich zuzuziehen, und jetzt sieht es nach Schnee aus. Da ich seit acht Wochen manchmal bis in den Abend an einem Roman sitze, kommt mein Alltag zu kurz. Wenn es eben geht, mache ich täglich eine kleine Tour mit dem Rad, um an die Luft zu kommen, hab aber kaum ein Auge für das, was um mich geschieht. Das ist ein schade. Heute abend tanze ich Tango.


So 3.12.23 23:15 schöner Tag, jetzt schneit's ein wenig

Hätte ich mitgekriegt, wo sie einstieg, wäre es vielleicht möglich gewesen, das Leid und Entsetzen zu verorten, das ihr Gesicht prägte. Diese ins Nichts gehenden Blicke leicht geröteter Augen, das Zusammenbeißen der Lippen, die Wellen der Verzweiflung in jedem Gesichtsmuskel und die Mühe, nicht die Fassung zu verlieren. Sie stand plötzlich da, mittelgroß, kräftig, rotbrauner Annorak, Jeans, rundes, westfälisches Gesicht, eigentlich ein gesundes Gesicht, dunkelblonde Haare streng zu einem Zopf gebunden, millimetergroßer, goldener Ohrstecker im rechten Ohr, stand da mit rotem Koffer, hielt sich mühsam an der Haltestange, obwohl vor ihr zwei Plätze zwei waren. In Fahrtrichtung saß ich, neben mir eine alte Dame, die mich schüchtern gegrüßt hatte. Setzen Sie sich doch, wollte ich sagen, aber traute mich nicht. Sie wollte nicht hier sein. Niemand sollte sie sehen. Aber sie musste ja heim. Uni-Klinik, dachte ich. Zwei Stationen vorher. Uni-Klinik? Schließlich setzte sie sich. Ist doch bequemer so, nich? sagte ich. Die alte Dame lächelte, die Frau sagte nichts. Eine Mutter mit zwei Kindern stieg zu, eines ein Mädchen, das zwei Reihen vor mir saß und durch die Lücke zwischen Sitz und Fenster zu mir herüber lächelte. Ich lächelte zurück. Ich zog meine Mütze über die Augen und wieder hoch. Sie machte mir große Ohren. Die Mutter sagt: ach, hattse wieder einen. Ja, wir flirten, sage ich. Alle lächelten. Nur der Frau mit dem roten Koffer merkte man nichts an.


Mo 4.12.23 22:42 grau, es liegt Schnee

ich trage eine mütze
bin nicht der nikolaus
ich liebe schwarze witze
und geh nicht außer haus

verharre auf dem sofa
genieße sicherheit
schwappt erst die große welle
herein bin ich bereit


Di 5.12.23 17:16 grau feucht

Gleich nach dem Frühstück habe ich den Rechner in die Küche geholt und begonnen, "Das grüne Kleid" zu redigieren, ein Roman, den ich zwischengelagert hatte. Sie knetete währenddessen Teig und buk Plätzchen: Heidesand, Florentiner und Berliner Brot. Kurz nach Mittag durfte ich das erste probieren. Gegen drei hatte ich die ersten zwei Kapitel (44 Seiten) redigiert. Ich druckte sie aus, kaufte online eine Briefmarke, denn im Dorf gibt's nirgendwo welche, ging zu Karl Brintrup, kaufte einen Umschlag, beschriftete ihn, schob den Text rein, klebte den Umschlag zu und steckte in einen der zwei Briefkästen, die es hier noch gibt. Nun ist er unterwegs an eine Münchener Agentur. Es wird also wieder gehofft. Man darf Daumen drücken und Kerzen aufstellen.


Mi 6.12.23 12:18 grau und feucht

schau doch, da, der geile schlitten
und inmitten schöner frauen
spielt st. niklaus jingle bell


14:33

zu hoch
ist das tief
das den himmel verdunkelt
zu trocken das feuchte land
geradezu lang
ist das kurze lied
das vor ewigkeiten begann
zu dunkel die helle
die sonne schlingt nacht
der tatort verschwindet
aus sieben wird acht
aus niedrig wird hoch
aus hoch wird ein tief
ein bleiben will gehen
die eile blieb stehen
verliebt und verschlief


Fr 8.12.23 18:58 grau/feucht

Zentralfriedhof. 12:15. G. wird beerdigt. Alle sind da, versprechen, sich bei anderer Gelegenheit bald einmal zu treffen, aber dann wird es doch wieder die nächste Beerdigung.


Sa 9.12.23 16:11 sonnig bis eins, jetzt grau und feucht

Als ich im Juni 72 in New York landete, holten Michaels Eltern (polnischstämmige, säkulare Juden) mich vom Kennedy Airport ab. Ich wohnte vierzehn Tage bei ihnen in Brooklyn. Michael hatte ich erst drei vorher Wochen kennengelernt. Ich war vierundzwanzig. Ich hatte nur einen Plan. Ich wollte die Welt sehen. Weitere Pläne hatte ich nicht. Ich habe viele Metropolen gesehen, Städte, die meine Vorstellungen sprengten. In der Regel kannte ich die Sprache nicht, in Japan nicht einmal die Schriftzeichen. Trotzdem habe ich mich zurechtgefunden. Heute um sechs bin ich von einem New York Traum erwacht. Ich träume in unregelmäßigen Abständen von New York. Ich laufe dann immer an irgendeiner Straße entlang. Manchmal hat sie tiefe Wagenspuren, als wäre sie aus einem anderen Jahrhundert. Die Menschen scheinen von tiefer Armut. Die Stadt geht in Land über. Trotzdem bin ich mitten in New York, ich weiß das, finde aber keinen Weg nach Manhattan. Manchmal sehe ich es, komme aber nicht hin. Heute früh stand ich in einem Aufzug, der in irrwitziger Geschwindigkeit an der Fassade des Empire State Buildung hochfuhr. Ein Metallkäfig mit Gittertür. Der Liftboy weigerte sich, sie zu schließen. Es schien, als genösse er meine Furcht. Es wird wohl das Alter sein, dass mir mein Leben zunehmend wie ein Traum vorkommt.


16:51

Mit den Enkel auf dem Eis am Germania Campus. Die beiden Großen, mit denen ich schon einmal auf dem Eis war, hatten das Fahren nicht verlernt. Dem Zweitjüngsten, zum ersten Mal auf Kufen, blieb das Eis fremd. Der Jüngste ging mutig drauflos. Ich war mit Abstand der Älteste auf dem Eis. Ich hatte überlegt, ob ich nicht langsam zu alt würde, ich hab es vorsichtig angehen lassen, fühlte mich aber vom ersten Schritt an sicher. Es war nur etwas zu voll. Timingmäßig waren wir goldrichtig. Als wir kamen, schien noch die Sonne, als wir aufbrachen, fing es an, leicht zu regnen.


23:00

zu mittag eines
nicht fernen tages
werden menschen
aus ihren häusern treten
sich auf straßen setzen
und schweigen
die polizisten werden sie schlagen
die soldaten werden auf sie schiessen
aber es werden zu viele sein
zu viele straßen zu viele länder
auf allen kontinenten
in den palästen und goldenen bunkern
wird panik herrschen
denn seit die menschen schwiegen
zerfielen die zahlen zu staub
blieben flugzeuge am boden
schiffe vor anker und züge im bahnhof
ein stille fiel über die welt
wie sie noch niemand erlebt hatte
der hass starb
das töten hörte auf
und die liebe hatte sich durchgesetzt


Mo 11.12.23 18:09 grau

Ich habe vom Tag kaum etwas mitbekommen. Die Erklältung, die seit vier Tagen im Haus war, hat jetzt mich angesprungen, und da habe ich beschlossen, im Bett zu bleiben. Habe mich mit allem umgeben, was man braucht, um das Bett nicht verlassen zu müssen. Kopfkissen gestapelt, dass sie meinen Rücken stabilisieren, um bequem lesen zu können. Boombox, falls ich Musik hören will, denn hin und wieder benötige ich Lesepausen. Ich lese Imre Kertész: Roman eines Schicksallosen. Ansonsten das übliche Raunen der Gespenster: Schriftsteller, du? Das war nicht lachen. Am 22.12 um 4:57 ist Wintersonnenwende. Trotzdem bin ich so entsetzt und ratlos wie lange nicht.


Mi 13.12.23 11:07 grau

ich sitz im trockenen
habe kaffee und frisches brot
nicht weit von hier
ist nichts von alledem
nur tod

22:45

"Das grüne Kleid" habe ich um etwa fast vierzig Seiten gekürzt, und darüber den "Zeitmillionär", an dem ich seit Ende Oktober arbeite, beiseite gelegt. Jetzt werde ich das "Kleid" an Verlage schicken. Morgen mache ich Urlaub. Ich fahr in die Stadt, für zwei meiner vier Enkel was kaufen. Anfang nächster Woche geht es mit dem "Zeitmilllionär" weiter. Darauf freue ich mich. Die Arbeit stärkt mein Selbstwertgefühl. Am Samstag werde ich die Dunkelheit der Tage und das schlechte Wetter wegtanzen.


Do 14.12.23 15:56 grau

Als ich die Rolltreppen bei Karstadt hochfuhr, hatte ich weiche Knie. Die Erkältung hängt mir noch nach. Zuhause sah ich einen Post von Dietrich Grönemeyer, der mit Corona im Bett liegt und sich fragt, wie das denn nun alles sein kann, trotz vierter Impfung, und da dachte ich, shit, zog mir den Mantel an, ging zur Apotheke und kaufte mir einen Test. Auf dem Rückweg kam ich am Kindergarten vorbei. Davotr ist ein kleiner Parkplatz, und mitten drauf eine Pfütze. Ein kleiner Junge im Ganzkörperanzug lief schnurstracks auf diese Pfütze zu und trampelte darin herum. Was macht Pfützen so attraktiv, dachte ich. Was treibt kleine Kinder in jede Pfütze? Das Rätsel bleibt ungelöst. Zuhause machte ich den Test. Ich war ein bisschen aufgeregt, als ich die Lösung auf den Teststreifen kippte, aber das Ergebnis ist positiv. Ich habe also kein Corona. Drei Kreuze. Kann ich also gleich in Ruhe mit den Jungs Musik machen.


Fr 15.12.23 15:17 grau

Das Land trieft vor Nässe. Trotzdem stehen hier und da noch Pilze, neblige Trichterlinge sah ich und rotbraune, die ich nicht identifizieren konnte.


Sa 16.12.23 17.56 grau

Es ist so duster, dass es mich gruselt. Kopf hoch, nur noch ein paar Tage, dann geht es wieder aufwärts, aufwärts, abwärts aufwärts. Ein Stadtteilauto wartet, damit ich es zum Tanzen fahre. Tango mit Jackie Brown und Baby Miller.


So 17.12.23 14:44 grau

Man kann nur warten.

21:31

Man hat gewartet. Man hat Klavier gespielt. Man hat Kaffee getrunken und Heidesand gegessen. Dann hat man gegessen. Drei Gänge. Suppe. Hauptgericht. Nachspeise. Wein und Dayquirie. Man hat gespült. Man verdaut. Bald wird man schlafen gehen.


Mo 18.12.23 14:08 grau

Grau ist eine wärmende Farbe. Grau ist trostlos und tröstend. Grau ist grauenhaft. Dem Grauen entkomme ich nur mit Arbeit. Das für vier Wochen unterbrochene Projekt, das täglich seinen Namen wechselt, wird ab heute wieder Mittelpunkt meiner Tage. Mein Pult steht im Wohnzimmer, ich sehe, was ich seit vierzig Jahren sehe, ich habe darüber nicht den Verstand verloren, ich schreibe einen Roman, der "Bestseller" heißt. Ich rufe in den dunklen Wald. Die Geister stehen mir bei. Mehr ist nicht zu sagen an diesem Montag. Das Fest kann kommen, wohler wäre mir, wenn es vorüber wäre. Heute Abend werde ich im Hot Jazz auf einer Session spielen. Die Vögel sind versorgt. Kate Bush singt The man with the child in his eyes. Das bin ich. Nie erwachsen geworden. Keinen Funken Vernunft. Ich nenne das ein schönes Leben. Morgen buche ich eine Reise nach Gomera.


Di 19.12.23 11:39 grau feucht

Komm wir gehen uns erschießen. Ideal's Lied passt zum Wetter. Nur sind leider keine Waffen im Haus, die werden in den bekannten Kriegsgebieten benötigt, wo sich unschuldige Menschen auf höheren Befehl gegenseitig massakrieren, während die Befehlshaber heroische Reden halten. Das tun sie seit Menschengedenken, und seitdem steht die Frage im Raum, wieso diese unschuldigen Menschen nicht einfach nein sagen. Was wollten die Herrschenden denn tun, wenn alle Nein sagten? Nichts könnten sie tun. Aber bis dahin wird weiter geschossen. Werden Bomben geworfen. Zischen Raketen. Wird verunglimpft, entmenschlicht, wird das Eigene über alles Andere gestellt, und wer sagt, dass er das nicht unterstützt, wird abgemahnt. Wird in diese Ecke gestellt oder jene, Hauptsache, man diskreditiert ihn. Unabhängiges Denken ist nicht gewünscht.


16:50

Der Mann hat eine Reise gebucht. Nun muss er ruhen. Und wie er da so sitzt, während die Dunkelheit längst alles einhüllt, träumt er von hohen Bergen und wildem Wald, von steilsten Klippen und schmalen Pfaden. Vielleicht wird er sogar schwimmen, wenngleich der Atlantik ein gefährliches Meer ist. Aber es gibt ja einen Pool. Und es gibt eine Terrasse, auf der man sitzen, sich sonnen und auf die Berge schauen kann. Und es gibt Zeit genug, herumzugehen und zu fahren. Zwei Wochen wird der Mann den Winter hinter sich lassen. Das hat er nur einmal vorher getan, das ist lange her. Den Januar muss er noch überstehen. Gleich Anfang Februar fliegt er fort. Er freut sich, aber es braucht noch ein paar Tage, eh es begriffen und ins System integriert ist.


18:42

ich baue mir ein haus
schlafe im himmelbett
ich packe träume aus
und kleide mich adrett
ich hab eine meise
ein rotkehlchen kommt auch
ich lebe laut und leise
und traue meinem bauch
ich bin so maßlos traurig
so glücklich ist mein los
ich finde die welt schaurig
am fluss erscheint ein floß


Mi 20.12.23 23:18 grau feucht

es geht dir gut
sie sagen
dass du leuchtest
du bist ein feuer für die welt
du seist ein schirm
ein fahrrad auf dem hof
ein atemzug
ein kuss mit widmung
und ein überfluss
ein teufelsbratz
mit schlabberlatz
du sprühst
du isst konfekt
du liebst dich
und hast ein chance
du nutzt sie
du bist elegance

23:24

sie sagen
dass du leuchtest
seist ein feuer für die welt
ein schirm
ein fahrrad auf dem hof
ein atemzug
ein kuss mit widmung
und ein überfluss
ein teufelsbratz
mit schlabberlatz
du sprühst
du isst konfekt
du liebst dich
und hast ein chance
du nutzt sie
du bist elegance


Do 21.12.23 00:39 feucht, stürmisch

du leuchtest
bist ein feuer
ein schirm
ein fahrrad auf dem hof
ein atemzug
ein kuss mit widmung
ein überfluss
ein teufelsbratz
ein schlabberlatz
du sprühst
du isst konfekt
du liebst dich
du hast ein chance
du nutzt sie
du bist elegance


14:53

Land unter. Wohin man schaut. Wiesen, Felder, Bäche. Auch am kürzesten Tag des Jahres ist es grau. Vielleicht nutze ich die nächste, kaum drei Minuten anhaltende Aufheiterung für ein Lied. Ich geh Tauben vergiften im Park. Vielleicht putze ich Silber oder das Klo, sortiere meine Vorurteile und schmeiße Stühle durchs Fenster. Dass ich Mörder Mörder und Genozid Genozid nennen darf, außer bei denen, die per biblischem Diktat über allen von den Völkern beschlossenen Vereinbarungen und Gesetzen stehen, pisst mich an. Die markigen Verlautbarungen jenes Präsidenten über die Fortführung des Krieges bis zum totalen Sieg erinnern mich unangenehm an den Führer meines Landes, das eine Weile dasselbe glaubte. Bei aller Sympathie für die dort lebenden Menschen gleich welche Ethnie und Religion, bin ich mir sicher, dass sich das Land gerade ein Massengrab schaufelt, dem damals so wenige entkommen konnten. Nennt man Ironie, Dummheit, Hybris oder ist es die Neuauflage des alten Fluches mit hochexplosiven Mitteln? Meine Aprilia hatte zu kämpfen, als ich vorhin nach Tilbeck fuhr, um Kaffee zu kaufen. Der Urlaub auf Gomera hat sich zerschlagen, der uns mögliche Termin war ausgebucht. Jetzt steht Dissens im Haus, und wir werden neu denken müssen. Warum nicht nach Eilat. Da ist es schön warm.


Fr 22.12.23 15:03 grau feucht

dein lippenbekenntnis
hat viele verwirrt
deine körpersprache
hat dich entlarvt
warmherzige einsamkeit
hast du gefiert
als lebtest du auf einer warft
umtost von der see
von winden zerzaust
dir ist nie
nichts genug
man liebt dich
hör zu
denn mir graust
wenn du dir nicht endlich
vergiebst

15:26

dein lippenbekenntnis
hat viele verwirrt
deine körpersprache
hat dich entlarvt
warmherzige einsamkeit
hast du gefiert
als lebtest du auf einer warft
umtost von der see
von winden zerzaust
nienienie
ist dir nichts genug
man liebt dich
hör zu
und mir graust
wenn du dir nicht endlich
vergiebst



17:19

Die Renaturierungen der Aa liegen ein paar Jahre zurück, jetzt greifen sie. An machen Stellen ist die Aa so breit wie die Weser bei Holzminden. Flösse all das Wasser in die Stadt, gäbe es Überflutungen. Als Diener des Matriachats habe ich den Einzelhandelskrieg unbeschadet überstanden, die Stadt mit der Aprilia gekreuzt, Lücken genutzt und Rückstaus umkurvt und die Weinvorräte aufgestockt. Eh ich losfuhr, hatte ich gesagt, so Gott will, bin ich in einer halben Stunde zurück. Ganz so schnell ging es nicht, aber Gott war bei mir. In der letzten Kurve rechts ins Kösters Kämpken, fünfzig Meter vorm Stall meines italienischen Pferdes, lagen Äste und Blätte. Sein Hinterteil rutschte links weg, aber ich konnte es fangen.


Sa 23.12.23 grau, feucht

warmherzige einsamkeit
hast du gefiert
als lebtest du auf einer warft
umtost von der see
von winden zerzaust
nienienie
ist dir nichts genug
man liebt dich
und mir graust
wenn du dir nicht endlich
vergiebst


So 24.12.23 00:35

War in drei Kaufhäusern, um eine Halogenlampe zu kaufen. Im ersten fand ich keinen Verkäufer. Als ich ihn fand, sah ich gleich, dass er genau so wenig wusste wie ich. Er empfahl mich weiter, wo man sofort abwinkte und mich zu Saturn schickte, dort schließlich riet man mir den Baumarkt. Die Stadt (feucht, grau) war für einen Samstag vor Heiligabend erstaunlich leer. Mittags kam die Schwester zu Besuch. Hosen wurden gekürzt, Kaffee getrunken, bisschen Klavier gespielt, bisschen gearbeitet, aber nicht ernsthaft, zu viel fremdes im Kopf, zuviel Grau, das führt leicht dazu, dass ich meinen eigenen Text nicht verstehe. Wobei - eigentlich reicht es, wenn er klingt. Wer unbedingt Sinn braucht, darf sich gern ein Haus draus bauen. Lecker gegessen, dann vorsichtiges Herantasten an Fincas auf Mallorca. Nach gut anderthalb Stunden war klar, dass es Port de Soller oder Valledemossa wird.

13:11




Mo 25.12.23 13:46 grau feucht

der nebelgraue trichterling
hat nasse füsse
seine nase tropft
er wächst in einem hexenring
ein specht klopft
auf der trauerweide singt ein trost
der himmel schleift sein eingeweide
von süd-südwest nach nord-nordost
so trostlos alles eine freude
der weihnachtswhisky
hängt dir noch im knie
du bist fast glücklich und dir scheinen
die schönsten träume vis-a-vis
da wird ein berg sein
serpentinen und ein meer
da werden zwei sein
und das leben ist nicht schwer


Mi 27.12.23 13:36 grau


22:41

Der eine ist Musiker, der andere Künstler. Ich liebe beide, aber es scheint, nach dem Künstler habe ich nun auch den Musiker verloren. Nicht, dass sie tot wären, nein, wir haben uns nur voneinander entfernt, und wenn ich's recht bedenke, waren die Unterschiede zwischen uns von Anfang an unüberbrückbar. Das schmerzt, aber ich werde drüber wegkommen. Ich bin auch darüber weggekommen, dass mich jemand einen ekligen Antisemiten genannt hat. Ich bin in einem Alter, in dem man abhakt. In dunklen Stunden schaue ich mir Nottinghill an. Das passiert zwei, dreimal im Jahr und besänftigt mich.


Fr 29.12.23 11:58 grau

Der Hot Jazz Club war voll junger Menschen, nicht das abgehangene Fleisch üblicher Jazz-Sessions. Entsprechend jung waren die Musiker. Statt My favourite things zum hundertsten Mal zu spielen, improvisierten sie über Grooves, funkiges Zeug. Ich hatte viel Freude beim Spielen und noch mehr Freude hatte ich, dass ich mit fünfzig Jahre jüngeren Menschen Musik machen kann und wir uns verstehen.


Sa 30.12.23 14:55 grau, wenngleich sonnig am Morgen

n schluck dalwhinnie
ist übrig
n paar stunden noch
für das alte jahr
geschätzte 25 jahre
für den alten mann
positive vibrations
yeah
der rattenschwanz
hängt überm kalender
in port soller erwarten sie uns
und in porto christo
die mandeln werden blühen
orangen werden uns vor die füße fallen
we're younger than ever
the same procedure
as last year wie gehabt
bis auf den projektierten sturm
auf die verlagshäuser der republik
ich schieb was ins rohr
und den rest machen die götter


16:41

Ich war acht, als die Feuerwehrkapelle auf der Pergola am Stadtparkteich spielte. Ich schlich mich zur großen Pauke, die Kalli spielte. Sie war fast so groß wie ich. Kalli spielte die Eins und die Drei. Darf ich auch mal? Kalli nickte und gab mir den Paukenschlegel. Massives Holz mit einem Filzschlegel groß wie eine Pampelmuse. Ich schlug zu und war infiziert. Bis zu meinem ersten eigenen Schlagzeug vergingen fast 20 Jahre. Seitdem spiele ich. Ich bin kein ausgefuchster Techniker, aber wenn ich zuschlage, schwingt es. Ich halte es mit Duke Ellington. It don't mean a thing, if it ain't got that swing. Das gilt auch für mein Schreiben. Ich habe dieses Jahr mit Romanen Clemes J. Setz und Lutz Seiler verbracht. Dicke Bücher, weiß Gott keine Page-turner, aber lesenswert. Jetzt ist mir nach Leichterem. Mal sehn, was das nächste Jahr bringt. Das Leben ist schön und zum Glück endlich.


22:52

Manchmal bestätigt uns das, was wir versuchen, nicht weniger als das, was wir erreichen.


So 31.12.23 9:33 grau

sollte dieses jahr
noch was passieren
geh mich wech
ich werd es ignonieren


21:06

das herz sprüht
lebensfreude ist ein zauberwort
der wandel blüht
die zuversicht ist heut mein lieblingsort
ich ringe ringel rein
ich tanze mir das sein
ich bin beglückt