Februar 2018                      www.hermann-mensing.de      

mensing literatur 

Bücher von Hermann Mensing bei: Amazon.de  

zum letzten eintrag



Do 1.02.18 23:48

gestrichen.

Romananfänge (mehr)


Sa 3.02.18 23:19

Wir trafen uns auf dem Markt, als die Sonne noch schien und tranken Kaffee. Sie wollte Fisch essen, aber die Schlange der Wartenden vorm Fischwagen war sehr sehr lang, die bei den Reibeplätzchen auch, und jetzt wusste sie nicht mehr so recht, was sie wollte, nur dass sie nicht anstehen und warten wollte, wusste sie, und irgendetwas zu Essen, aber was und wo? Auf dem Weg zur Röstbar machten wir bei Oxfam Station. Ich kaufte mir Winterschuhe und ließ sie sofort an. Vor der Röstbar aß ich ein Stück Kalte Schnauze und sie ein Ciabattabrot. Dann fuhren wir zur Kunstakademie. Die Malerei war wie jedes Jahr nicht aufregend, aber die Perfomances und Interaktionen bei vielen Projekten haben mir gefallen. Es war ein unterhaltsamer Rundgang. Mir gefällt, wenn Kunst unterhält.


So 4.02.18 10:36

Wenn das kommt, was ich sehe, versinkt die Erde gleich unter Schnee. Noch ist sie gepflegt weiß. Dies wird ein wunderbarer Tag. Ich werde mich warm halten (Sofa, Oberbett), ich werde dafür sorgen, dass ich weder verhungere noch verdurste, drei Romane sind angelesen, ein Film noch nicht zuende geschaut, vielleicht gelingt sogar ein Satz, der viele andere erübrigt, man weiß nie, alles kann geschehen, niemand wird Widerworte geben oder kritisieren, dass ich dieses so und nicht so tue, heute leb' ich allein und ich liebe es.


Mo 6.02.18 12:40 bewölkt, um die 3 Grad

Hunde und ihre Besitzer ähneln sich oft. Ich nehme an, das beginnt schon bei der Auswahl des Tieres. Ob es darüberhinaus eine Art Mimikry auf beiden Seiten gibt, weiß ich nicht. Aber erstaunlich ist es schon, wie sehr manchmal Herr und Hund zueinander passen. Letztens kutschierte ich ein amerikanisches Ehepaar. Die beiden waren in den sechziger Jahren ausgewandert und lebten in Florida. Natürlich verrät Kleidung eine Menge über die Herkunft eines Menschen, aber auch die Gesichtszüge der beiden schienen mir amerikanisch. Was ist nun amerikanisch? Ich weiß es nicht, oder ich kann es nicht beschreiben, es wird wohl so sein, wie es bei allen Urteilen ist, die man fällt, Urteile, die von tiefsitzenden Vorurteilen geprägt sind. Ich hätte sie für Amerikaner gehalten. Ich traue mir auch zu, Holländer auf große Entfernung erkennen zu können. Polen und Russen auch, Russlanddeutsche auf Kilometer. Mich hält man oft für einen Niederländer, was nicht verwunderlich ist, schließlich habe ich eine niederländische Oma und bin an der Grenze sozialisiert. Die Frage hinter all diesen angeblichen Zugehörigkeiten ist, ob sich ein Menschn, der auswandert, egal wohin, über Jahrzehnte nicht nur die Sprache erlernt (worüber der seine Muttersprache oft verliert) sondern auch an die Mimik und Gestik des anderen Volkes. Ich nehme an, dass vermeintliche Ähnlichkeiten darauf basieren.



Di 7.02.18 15:20 bewölkt 4 Grad

Nicht inspiriert und zu faul zur Arbeit.

22:06

Alte Männer mit Hunden gehen spazieren. Manche schauen nicht einmal auf, wenn ich guten Tag sage. Einem folgte eine Art Schäferhund mit Dackelbeinen. Als er auf gleicher Höhe mit mir war, brach er seitwärts aus und rannte davon, wobei er mich anstarrte, als hätte er von mir nichts Gutes zu erwarten. Ich fotografierte rote Bänke unter einer Eiche und Koniferen. Kaum ein Garten ohne Koniferen. Man kann sie in jede Form schneiden. Überall waren Kettensägen zu hören. Man rüstet für den Frühling und beseitigt die Schäden nach dem Sturm der vorletzten Woche. Ich laufe herum wie vor den Kopf geschlagen. Ich habe soviel geschrieben und weiß trotzdem nichts.


Fr 9.02.18 11:45 klar, frostig

Die Gestalt war schwarz, schlank und hochgewachsen. Sie glich einer Hand mit gestrecktem Zeigefinger und rannte, als sei sie auf der Flucht vor einem Hornissenschwarm. Sie vollführte aberwitzige Wendungen, machte Sprünge und trug einen Elefant Huckepack. Der hielt den Kopf zurückgelegt und den Rüssel in die Luft gereckt. Die Gestalt irrlichterte von links nach rechts und von rechts nach links, bestimmt war das ein Feitstanz. Der Elefant schien es zu genießen.


12:53

Seit einer Woche diese seltsamen Schlafstörungen. Eindeutig, dass ich nicht loslassen kann, dass ich mit dem heraufziehenden kleinen Bruder des Todes kämpfe. Statt mich ihm zu ergeben, will ich ihn kontrollieren, will mir zuschauen, wie ich einschlafe, will sagen können, schau, ich schlafe ein, aber das lässt der kleine Bruder nicht zu. Der kleine Bruder arbeitet diskret, er will keine Zeugen, und so kommt es, dass ich immer an der Schwelle zum Schlaf zusammenschrecke, dass mein Herz zu poltern beginnt, Stress, ruft das System, was baust du da für einen Bockmist, lass geschehen, was ganz natürlich geschieht, jede Nacht, schon seit fast 69 Jahren, jeden Abend. Ich weiß, es ist manchmal nicht einfach, manchmal schläft man tief wie ein Kind, dann flach und jederzeit bereit, die Augen zu öffnen, um nachzuschauen, ob die Welt noch existiert. Aber ja, natürlich existiert sie noch, auch wenn wir sie in einen Zustand versetzt haben, der uns in schlechtestem Licht stehen lässt, aber ja, sie existiert, und noch ist es mit dem Tod nicht so weit. Noch hast du nur mit dem kleinen Bruder zu tun, und der will nichts Böses. Nimm bloss keine Tabletten. Wenn es nicht geht, wenn du den kleinen Bruder unbedingt bekämpfen musst, steh auf, lies eine Weile, höre Musik, du musst morgens nirgendwohin, du hast keine Verpflichtungen, also mein Lieber. Es wird schon. Es wird vergehen. Alles vergeht.


22:16

Mir ist kalt. Die Welt soll weggehen. Die Träume sollen kommen. Hauptsache, die Welt ist weg. Wenn sie zurückkommt, werde ich frühstücken. Aber dazu muss ich erst einmal ins Bett gehen, und dafür ist es noch zu früh. Ich habe zu lesen, zu trinken habe ich nichts, aber wie gesagt, mir ist kalt. Die Heizung ist warm, trotzdem ist mir kalt. Kaum, dass mal zwei Tage Winter herrscht mit wundervoller Sonne nach monatelanger Dunkelheit, ist mir kalt. Man kann es mir einfach nicht recht machen. Ich erinnere, wie ich durch Indien gestolpert bin und immer dachte, Scheiße, ist das heiß hier. Wieso regnet es ständig so furchtbar? Und in Südamerika. Wo ich gedacht habe, hier oben in den Anden kann keine Sau atmen. Und unten am Meer war alles vermüllt und verdreckt. Die Welt soll weggehen oder anders werden. Oder andersrum: wir sollen weggehen, damit die Welt ihre Ruhe hat. So ist das. Freitagabend. Mir ist kalt. Ich roll mich jetzt in eine Decke. Ich söffe jetzt Whiskey, hab' aber keinen. Also mach ich mir Nachttee mit Hanf. Auch lecker.


Mo 12.02.18 sonnig, kalt

Als ich da so auf dem Kutschbock saß, eine Decke um die Schultern, zwei Paar Handschuhe übereinander, eine Regenhose, eine Regenjacke, drei Schichten Textilien darunter, eine Mütze, ein Schal, der Prinzipalmarkt zu meinen Füßen, muss es die alte Dame erbarmt haben. Trotz Blindenabzeichens kann es mit ihrer Sehkraft so schlimm noch nicht gewesen sein, denn sie blieb stehen, kramte in ihrer Handtasche, kam dann zu mir und reichte mir einen Hustenbonbon. Ein Bömsken, sagte sie, damit Sie sich nicht erkälten. LSD! - Oh, sagte ich. Das ist nett. Das nehme ich gern. - Ich habe die immer dabei, wegen meiner Behinderung, wenn mir mal jemand hilft. Letztens im Bus, da habe ich dem Busfahrer zwei Bömsken gegeben, ein LSD, ein Viagra. Und wissen Sie, was der gesagt hat? Ach, hat er gesagt, nehmen sie das LSD zurück und geben mir ein zweites Viagra.

Es waren vier oder fünf junge Frauen, nicht verkleidet. Nur eine trug eine rote Perücke, und führte einen Hund an der Leine. Eine diese fetten, plattgesichtigen, ewig schnaufenden Bulldoggen. Dieser Hund allerdings eine Atrappe. Er bestand aus einer auf Rädern laufenden Apfelsinenkiste, an deren Fronseite eine dickes Kissen mit dem Gesicht einer Bulldogge befestigt war. Wenn Karneval sich so äußert, mag ich ihn sehr.


Mi 14.02.18 10:46 sonnig, kalt

Nach gefühlten Ewigkeiten die Sonne zu sehen, hebt die Stimmung enorm. Ich war mit dem Rad unterwegs. Zuerst habe ich der Schwiegertochter Blumen gekauft. Als ich sie vorm Laden sortierte, schaute eine ältere Frau mich lange schweigend an. Warum sie so kritisch schaue, fragte ich, sie solle ruhig sagen, was sie sagen wolle. Sie fing an, von Blumen aus Supermärkten zu erzählen, die nie lange hielten. Manchmal doch, sagte ich, schließlich hatte ich Bio-Fair-Trade Rosen gekauft. Als ich ihr noch erzählte, für wen, kamen wir über Enkel und Karneval ins Gespräch. Ihr Fazit war, dass wir, also sie und ich, wir "alten Leute", eh nicht mehr mitreden könnten. Ich zuckte innerlich, denn ich fühle mich nicht als "alte Leute". Leider war die Schwiegertochter nicht zuhause, ich musste die Blumen hinter den Türgriff klemmen und fuhr weiter, um einen Freund auf der neurologischen Station im Krankenhaus zu besuchen. Ein Arzt war im Zimmer, und untersuchte einen Bettnachbarn. Der sollte in Dreierschritten von Hundert herunterzählen. Der Patient: 100. 97. 94. 88. Gut, sagte der Arzt. Bei den Sechserschritten tat er nur einen und hörte dann auf. Wir gingen in die Cafeteria. Schlechter Kaffee und eine Frikadelle. Abends mit dem Rad in der Stadt, um ein Konzert des Saxophonisten Jan Klare im Landesmuseum zu hören. Sehr stimmiges Konzert. Präzise schwingend, humorvoll, vier Meister ihres Faches. Ich hatte Leica und Stativ mitgenommen, saß in der ersten Reihe, aber das Licht war schwach, so dass es viel Bildrauschen gibt. Ich will dennoch nicht mit Blitz fotografieren. Bildrauschen ist unschön, Bewegungsunschärfen mag ich. Immerhin, eine handvoll Fotos sind gut. Heimweg unter Sternenhimmel. Tiefschlaf. Nach den verunglückten Nächten der letzten und vorletzten Woche, nach denen ich befürchtet hatte, ich entwickele eine Schlafstörung, endlich wieder Tiefschlaf. Heute früh von Udo Lindenberg geträumt. Er glich dem britischen Sänger Sheeran, er redete viel und wirkte dement. Duschen. Frühstück. Das Leben des Rentners ist ungezwungen und lustig, unendlich traurig manchmal, das auch, ja, ja.


Do 15.02.18 12:20 regnerisch, 2 Grad

Kaum habe ich das Fasten begonnen, schlägt das Wetter um. Typisch. Der Herr, für den und dessen Sohn ich es ja hauptsächlich tue, denn in vierzig Tagen nageln sie ihn wie jedes Jahr wieder ans Kreuz, der Herr also scheint weder Rücksicht auf seinen Sohn noch auf seine Schafe zu nehmen, deren Zustand sich erfahrungsgemäß mit Wetterwechseln rapide verschlechtert.

Da sitze ich also, wegen der Geisselungen morgens, mittags und abens dünn gekleidet, die Füße größtenteils in Eiswasser, die Wohnung voller Gras, Pralinen und besten Schnäpsen, damit die Versuchung größer wird und ich mich besiegen kann.

Erster Tag also dieses gewaltigen Unternehmens. Ich rechne damit, dass sich meine Lebenszeit von augenblicklich 96 Jahren auf mindest 100 bis 105 verlängert, möglich auch, dass ich gegen Ostern endlich fliegen kann.

Also, meine Damen und Herren, Tag Eins liegt hinter mir. Gerade habe ich eine Schwarzwälder Kirschtorte gekauft und noch in der Konditorei vernichtet, was zwar zu Mißbilligung führte, aber ich hatte sie bezahlt und den Boden gesäubert. Man muss zeigen, wofür man einsteht, Zivilcourage, liebe Mitbürger und Mitbürgerinnen, das stünde uns allen gut an, also nehmen Sie sich ein Beispiel an mir.

21:48

freundlicher rächer
retter
zärtlicher bösewicht
und erlöser

macht hausbesuche

und nimmt immer wen mit
wenn er geht


Fr 16.02.18 11:35 freundlich, 2 Grad

Dritter Tag seit Fastenbeginn, das streng genommen gar kein Fasten ist. Fasten wäre vollständige Darmentleerung mittels verschiedener Salze, Schlucken eines meterlangen Tuches, das, wenn es mich nach zwei Tagen auf natürlichem Wege verließe, an beiden Ausgängen ergriffen würde, um es hin und her zu ziehen, gesehen in Indien bei einem dieser Straßengurus, die dort in Anlagen hocken, mit Kühen meditieren und posaunengroße Chillums rauchen, ohne zu husten. Das wäre Fasten, viel Flüssigkeit, ernsthaftes Enthalten, während der Dichter M. nichts weiter tut, als seine Genüsse ein klein wenig einzuschränken. Kein THC, kein Alkohol, keine Süßigkeiten, das ist Kinderkram und gesund.

Keine Frauen wäre heilsam, aber erst, wenn die Haut vor Verlangern flattert und das Resthaar vor Erregung aufrecht steht, ist der gewünschte Effekt des Verzichts erreicht, erst dann nähert sich der Fastende der Läuterung, so aber (M. lacht) werden die vierzig Tage wohl kaum mehr bewirken, dass ich die Süßigkeiten, das THC und den Rotwein, alles, was ich nicht zu mir nehme, dennoch kaufe und beiseite lege, um sie zum Ende der vierzig Tage innerhalb kürzester Zeit zu konsumieren. Dann sollen Sie mal sehen, wie der Kreislauf hochfährt und die Assoziationen den Himmel streichen, dass es eine Pracht ist. Bis dahin aber werde ich mich bescheiden an das halten, was uns die Mystiker seit tausenden von Jahren preditigen: Klappe halten, dann kann ich auch nichts reintun.

22:52

Auf dem Markt gibt nicht nur das beste Brot Münsters, sondern auch Rumkugeln und zur Hälfte mit einer Schokoladenlasur bestrichene, runde Dinkelplätzchen, und die sprachen zu mir. Ich würde sie doch sonst so gern essen, sagten sie, was denn los wäre, ob ich den Verstand verloren hätte wegen der Einsamkeit, dem Zustand der Welt und meiner Unfähigkeit, dem Leben Sinn zu geben, wie alle anderen Leute. Laut und immer lauter riefen sie, so dass ich sie noch hören konnte, als ich am Gemüseladen des Iraners vorbeihastete, den ich schon lange nicht einmal mehr grüße, weil er immer mehr abwiegt, als man haben will, und nun seinen Laden aufgeben muss. Zuhause dachte ich, ich mache es wie der Zeitungsbote, der zwei- dreimal am Tag in den Supermarkt geht, und sich zwei Flaschen Billigbier und einen Flachmann 30% igen Weinbrand zu 99 Cent kauft, Goldbrand, glaube ich, heißt er, so mache ich das mit den Süßigkeiten, dem THC und dem Wein, aber dann habe ich mich am Riemen gerissen, die Forelle gebraten, gegessen und den Rest des Tages mit Lesen und Klavierspielen verbracht.


Sa 17.02.18 14:36 leicht bewölkt, auch sonnig, 9,4 Grad vorm Küchenfenster

Kaum beginne ich einmal etwas amitioniert pseudo-religiöses, disst mich die Presse. Wer ernsthaft vorhat, bis Karfreitag auf Alkohol, Zucker oder Fleisch (was ist mit Fleisch, verdammt, Fleisch habe ich ganz vergessen) zu verzichten und sich mit derart Selbstverständlichem brüstet, dem ist offenbar entgangen, dass die Selbstdisziplin am Teller eine neue Bewusstseinsstufe erreicht hat. So die SZ. Natürlich nennt sie mich nicht beim Namen, aber sie meint mich, ohne Zweifel, sie macht mich lächerlich, weil ich nicht zu echten Opfern bereit bin. Echte Opfer, das hieße Clean Eating, und Clean Eating, für alle, die an ihrer Ernährung irre werden, scheint der neue Trend. Ich als halbherziger Feierabendfaster stehe vor der gesellschaftlichen Ächtung. Was also muss ich noch tun, um einen Essensplan gegen den Weltekel zu verwirklichen. Entsagen? Nur rohes Obst und Gemüse? Keine Laktorse, kein Weizen, kein Koffein, kein Protein, kein dies, kein das? Am Arsch, liebe Vegetarier und Veganer. Nur, damit du es weißt, Süddeutsche Zeitung, ich hatte heute früh ein Müsli mit zerstoßenen Haselnüssen, Weintrauben und Rosinen, auf dem Markt aß ich einen Matjeshering und eine Müslistange, zum späten Nachmittag plane ich Salat und Kartoffelpuffer. Das soll's dann gewesen sein. Kein Dope. Kein Alkohol. Nichts Süßes. Ich fühle mich gut. Der Genuß des Verzichts ist subtil. Ich kann ihn nur empfehlen.


Mo 19.02.18 18:43 4 Grad

12:30 Die Sonne schafft es noch nicht, aber immerhin, sie versucht es. Links neben Escada ist ein Geldautomat. Zwischen Escada und Automat sitzt eine etwa 40jährige Bettlerin mit dem Rücken zur Wand auf dem Bürgersteig. Sie trägt keine Handschuhe, hat einen Schal um den Kopf gewickelt, ansonsten aber scheint sie der Kälte ausgesetzt. Auf ihrem Schild stand zu Anfang: Ich brauche zum Leben, später: Ich habe Hunger. Sie bewegt sich so gut wie nicht. Hin und wieder treffen sich unsere Blicke. Sie zuckt dann weg.

14:00 Ein Taxi mit Dortmunder Kennzeichen hält vor Escada. Der Fahrer steigt aus, öffnete seinem Fahrgast die Tür, und hilft ihm heraus. Dann nimmt er einen Pelzmantel von der Rückbank. Sein Fahrgast ist eine silbergraue Frau Mitte bis Ende Siebzig, schlank, mit strahlend blauer Bluse und einem vanillefarbenen Rock. Sie lässt sich den Mantel geben, legt ihn sich über den Arm und betritt Escada. Ich drehe eine kleine Kutschenrunde und besorge mir einen Kaffee am Domplatz. Als ich zum Prinzipalmarkt zurückkehre, ist die Bettlerin nicht mehr da. Gibt es in Dortmund kein Escada? Wo ist die Bettlerin?


Di 20.02.18 10:50 sonnig, 0 Grad

Neuerdings esse ich Eier von mir bekannten Hühnern. Ich sehe sie immer auf der großen Wiese an der Aa, wie sie da herumgehen und picken, ihr soziales Miteinander leben und bei Bedarf in transportablen, täglich an anderer Stelle auf der leicht abschüssigen Wiese stehenden beiden Hühnerstallwagen verschwinden. Wagen mit Sonnenkollektoren obenauf, vierzigtausend Euro das Stück, sagt der Bauer, da muss man viele Eier verkaufen. Moin, sage ich ich. Die Hühner gackern freundlich, braunrote Hühner. Die Eier sind groß, die Dotter ist sonnenblumengelb, sie schmecken hervorragend. Das Leben meint es gut mit mir und mit ihnen.


Mi 21.02.18 11:04 sonnig 3,5 Grad

Im Haus wurden Legionellen festgestellt. Der Heizungsmonteur erhöht die Durchlauftemperatur im Kessel.



Do 22.02.18 11:01 sonnig 3 Grad

Halbaffen mit geistes- und naturwissenschaftlichem Hintergrund haben über Jahrtausende bewiesen, wie man Gebeine gestapelt und Kontinente verwüstet. In Ermangelung gesunden Verstandes ziehen sie es vor, Großkotzen zuzuhören, die unglaubliche Geldmengen bewegen, um sie auf den Mars zu bringen, damit sie dort weitermachen können. Glückwunsch.


So 25. 02.18 22:26

Seit ich siebzehn, achtzehn war, bin ich die N35 Richtung Zwolle und von dort weiter Richtung Leeuwarden und Nordsee fast einmal jährlich gefahren. Eine Landstraße, ein Bahnübergang, an dem mir die Kupplung des DKW meiner damaligen Freundin aus Versehen entglitt, sodass er sich mit der Motorhaube unter die heruntergeklappte Schranke schob, während der Zug einen halben Meter entfernt vorbei fuhr, ein Metzger in Marienheem, der frühmorgens, wenn wir auf dem Weg nach Ameland waren (die Kinder unter Schlafsäcken auf der Rückbank, keine Kindersitze wie heute) mit einer weißen Schürze durch die hell erleuchtete Metzgerei lief, eine Stimmung, wie in einem Gemälde von Edward Hopper, der Sallandse Heuvelrug bei Nijverdal, wo wir immer anhalten wollten, aber nie angehalten haben, die flachen feuchten Wiesen und vereinzelten Höfe, das Auf Wienerschnitzel Reklameschild eines Restaurants mitten im Nirgendwo, damals. Heute ist das alles verdichtet. Den Metzger gibt es nicht mehr, Nijverdal hat, seit ich vor 9 Jahren das letzte Mal dort war, eine hochmoderne Umgehung mit nagelneuem Bahnhof und Tunnel erhalten. Auf den Wiesen der kleinen Städte wachsen architektonisch hochmoderne Gewerbegebiete. Die Holländer sind aufgeschlossener als wir.

Zwolle lag immer nur am Weg, diesmal war es das Ziel. Eine Stadt mit Bebauung aus dem 16. und 17. Jahrhundert, Giebelhäuser, Gassen, Kanäle, Hausboote, Reste eines Befestigungswalles. Am Grooten Markt stehen die Kirchen und nicht weit davon ist das Museum Fundatie, ein ehemaliges Gerichtsgebäude, 1931 in klassizistischem Stil mit monumentalem Eingang, gleichschenkligem Giebel und Säulen errichtet, dem ein Architekt 2013 eine eiförmige Struktur aufs Dach gesetzt hat, das einem erst einmal Hören und Sehen vergeht. Bis in den Juni kann man dort Bilder von Neo Rauch aus den Jahren 1993 bis 2017 sehen, eines pro Jahr.

Ich kannte Neo Rauch aus dem Feuilleton. Ich wusste, er ist aus Leipzig, also Leipziger Schule, DDR, er ist in den 90ern plötzlich zu großem Ruhm gelangt, er malt figurativ. Ich vermutete sozialistischen Realismus, diesen an den Realismus der Nazimalerei erinnernden Stil. Aber gleich das erste Bild, Dromos, das der Ausstellung den Namen gibt, belehrte mich eines Besseren: abstrakte Malerei in seltsam geduckten Farben, fast monochrom. Danach dann äußerst farbige Bilder, bis auf wenige durchgehend große und allergrößte Formate. Alle in einer Farbigkeit, die seltsam zurückgehalten wirkt, so als läge ein Schleier darüber, der sie daran hindert, sich zu entfalten. Dennoch leuchten manche. Sie zeigen traumartige Szenen mit Personal aus vergangenen Zeiten, aber auch Bilder, die Skizzen für große, architektonsiche Entwürfe sein könnten. Wiederkehrendes, gebogene Stäbe, Baumruinen, drohende Horizonte, alles rätselhaft, bedrückend und immer auch latent bedrohend. Rauch sagt, er arbeite an der Wiederverzauberung der Welt. Seine Bilder werden auf mehreren Ebenen in dieser eiförmigen Struktur präsentiert, die zur Stadtseite durchbrochen einen Blick über die Dächer freigibt.


21:01

Der Bus hält. Der Fahrer ist schwarz, schokoladenbraun eher, ein Afrikaner also, aber Afrika ist groß und die Verwirrung, wie wer zu nennen ist noch viel größer. Ein dunkelhäutiger Fahrer also. Sein Bus ist bis auf den letzten Platz besetzt. Ich sage Guten Tag, was ist los? Schule zuende, antwortet er lächelnd. Ich habe keine Lust, zu stehen und schlage mich nach hinten durch. Gleich neben der letzten Tür finde ich einen Platz. Auf der Rückbank sitzen zwei schwarze Jungs, zwei weiße, ein schwarzes Mädchen mit Schleier, ein weißes ohne. Einer der weißen Jungs (alle von der Sekundarschule, erfahre ich von meinem arabischen Nachbarn) hat eine kleine Boombox. HipHop dröhnt und die beiden schwarzen Jungs tun das, was sie aus Videos kennen, sie fuchteln mit den Armen, sagen yo, rappen mit und sind bester Laune. Ringsum zwei, drei westfälische Eingeborene, die übrigen sind Eingeborene mit "Migrationshintergrund". Grauenhaftes Wort. Schwarze Jungs, halbschwarze, braune, die meisten aus arabischen Ländern, zwei drei Roma oder Rumänen, jedenfalls vom Balkan. Man feixt. Man redet abwechselnd Deutsch und Arabisch, man boxt sich, man wischt auf dem Smartphone herum, und ich muss an früher denken. Wenn wir von der Schule kamen und mit dem Zug heimfuhren, ließen wir uns von niemandem etwas sagen. Manchmal lagen wir in den Gepäcknetzen. Kurz vor Münster geht mir die Musik doch sehr auf den Geist. Ich drehe mich also um, schaue den weißen Jungen mit der Boombox an, sage, pssst, machst du's ein bisschen leiser, okay? Er nickt, stellt die Boombox ab und schiebt sich Kopfhörer in die Muscheln.


Di 27.092.18 15:12 sonnig, kalt

Dann und wann feine Schneeflocken. Allzu windig ist es nicht, aber ich werde's gleich sehen, wenn ich mit dem Rad in die Stadt fahre. Ich helfe dem jüngsten Sohn ein Zimmer anzustreichen. Andiamo.


20:14

Nicht, dass der Mini Cooper sich geweigert hätte, uns in die beschaulich schöne Stadt Zwolle zu bringen, nein, nein, er hat es ohne Murren getan. Er lag auf der Straße wie ein Brett, man musste Gas geben und bremsen, mehr nicht. Er ähnelt seinem britischen Urahn. BMW hat ihn nur ein wenig größer gemacht. Innen aber wirkt er konfus. Vom Lenkrad zu zwei Dritteln verdeckt ist eine runde Anzeige, die zwei weitere runde Anzeigen birgt: ein Tacho und ein Drehzahlmesser. Eine halbe Unterarmlänge rechts davon ist eine größere, ebenfalls runde Anzeige. Darin drei weitere runde Anzeigen: Tankfüllung, Temperatur und Druck in Bar, wofür auch immer. Darunter ist ein Radio. Unterm Radio aufgereiht zwei (oder drei?) Reihen schlecht erreichbarer Knöpfe. Die Kippschalter für die Seitenfenster befinden sich in der untersten Reihe rechts und links außen. Was es mit den matt silbernen, höckerähnlichen Knöpfen links und rechts des Mittelholmes des Lenkrades auf sich hat, habe ich nicht herausfinden können. Ich muss aber zugeben, dass ich mich ein wenig gescheut habe, denn man weiß nie wirklich, was passiert, wenn man auf Knöpfe drückt, die man nicht kennt. Ich hatte das Auto ja nur gemietet, da bleibt einem einiges verborgen. Bei frühlingshafter, milder Witterung hätte man das Modell in ein Cabriolet verwandeln können, aber es war saukalt, und so haben wir es auf den Frühling verschoben, der morgen oder in vier Wochen anfängt, wer weiß. Alles in allem wirkt der Mini Cooper wie ein Matchbox Auto für Sammler.


Mi 28.02.18 13:17 wechselnd bewölkt, eiskalt

Der Tipp kam aus der Zeitung. Kälte nutzen und Kühlschrank abtauen. Gute Idee. Ist schon in Arbeit.