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Frankfurt

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Herr M., Sie waren auf der Buchmesse. Hat es Ihnen gefallen? Nein. Aber man hört, dass Sie erfolgreich waren. Stimmt. Trotzdem hat es Ihnen nicht gefallen? Nein. Warum? Weil ich ein Dichter bin. Hat man Sie schlecht behandelt? Im Gegenteil. Aber Sie haben sich nicht wohl gefühlt? Nein. Wo fühlen Dichter sich wohl? Ich weiß es nicht. Ich fühle mich zu Hause wohl. Nirgendwo sonst? Doch. Aber nicht auf Buchmessen. Stimmt es, dass Sie eitel sind? Sehr eitel. Kann man auf so einer Messe nicht in Eitelkeit baden? Natürlich, das habe ich auch getan. Hat Ihnen das keinen Spaß gemacht? Doch, sehr. Könnten Sie sich nicht vorstellen, täglich im Mittelpunkt zu stehen und sich zu genießen? Ich kann mir alles vorstellen. Wenn Sie den Tag auf der Messer Revue passieren lassen, was hat ihnen am meisten gefallen? Das Schreiten auf den Personenförderbändern. Warum? Weil es ein fliegendes Schreiten ist. Raum greifend. Weil es wundervoll wäre, immer so unterwegs zu sein. Ich würde nie mehr etwas anderes tun wollen. Von ihrer Frau wissen wir, Sie hätten an diesem Tag viel geflirtet .Stimmt das? Ja. Und ihre Frau nimmt das hin? Flirten ist schön. Flirten ist kein Verbrechen. Und ich habe nicht gelogen. Herr M., Sie sind jetzt 51 Jahre alt. Haben Sie nicht manchmal das Gefühl, alt zu werden? Doch, jeden Tag. Und fürchten Sie nicht, sich lächerlich zu machen? Doch. Und womit? Mit schlechter Literatur. Was ist schlechte Literatur? Die meiste. Ihre nicht? Meine nicht. Das wissen Sie? Ich weiß gar nichts.

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Ich staunte, als Vati aus New York schrieb, dass die Spitzen der höchsten Häuser der Stadt in den Wolken verschwänden. Ich war sieben Jahre und verstand plötzlich, was ein Wolkenkratzer tut. Freitag gegen 18:00 gab es in Frankfurt ähnliches zu sehen. Ein feuchtes Gebrüll ringsum, alles in Eile, nur ich nicht. Ich versuchte, mich im Gewühl zu verankern, um nicht fortzulaufen, nicht einer dieser panischen Attacken nachzugeben, die mich vor fünf Jahren ohne Vorwarnung dreimal überfallen hatten, so dass ich mein Leben nur retten konnte, indem ich mich herum riss und fort rannte. Als ob man weglaufen könnte!!! - Im Bahnhof trank ich einen Aquavit, danach war mir besser. Der nächste Zug, um nach Hause zu kommen, verließ die Stadt um 19:02: eine S-Bahn bis Mainz, umsteigen und weiter im ICc nach Essen, umsteigen: Ankunft in Münster um 23:48. Die S-Bahn war rappelvoll. Ich erkämpfe mir einen Stehplatz im ersten Waggon, lehnte mich an die Stirnwand und hoffte, einer der Klappsitze rechts neben mir würde möglichst bald frei. Dazwischen hockte eine junge Frau. Als in Niederrath ein Platz frei wurde, fragte ich sie: wie halten wir es jetzt, geht es nach Schönheit oder nach Alter? Nach Alter, sagte sie. Ich setzte mich und erwiderte, daß ich Schönheit klaglos akzeptiert hätte. Dann eben Schönheit und Alter, schlug sie vor. In Mainz stieg ich aus. Beim Einsteigen in den IC sah ich sie wieder. Sie stand hinter mir. Also reisen wir jetzt zusammen? fragte ich. Sie nickte. Und so saßen wir bis Köln beieinander und redeten. Sie zeigte mir Bücher, wunderschöne kleine, selbst gebundene Bücher. Ein ABC zu Zeichnungen ihres dreijährigen Sohnes. ein Kochbuch auch. Sie sagte, die Resonanz auf der Messe sei gut gewesen. Du Mont wäre interessiert. Hak nach, riet ich. Und dann machten wir ein Geschäft: ich versprach, ihr ein Hörspiel zu schicken. Sie versprach mir eines dieser Bücher. Als sie in Köln ausstieg, hatte ich mich gefangen.

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