Januar 2008                                        www.hermann-mensing.de      

mensing literatur
 

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zum letzten Eintrag

Di 1.01.2008   16:49

Gerade aufgestanden bleibt als erste Erkenntnis des neuen Jahres festzuhalten, dass der Deutsche nicht mehr der Böse ist, der in Agentenfilmen oder sonstwo sein Unwesen treibt. Es ist jetzt der Russe. Der Russe gehört einer kriminellen Vereinigung an (deren Namen ich leider vergessen habe), seine Zugehörigkeit zu diesem mafiösen Geschwür zeigt er durch Tätowierungen an bestimmten Körperstellen, und der Chef des Vereins ist Armin-Müller Stahl.

Wieso und warum gerade er, wissen die Götter, ich mag ihn nicht, ich finde, er spielt alles immer gleich, und es hätte mich kein bisschen gewundert, wenn er plötzlich seine Blechflöten, die er als Taxifahrer in Night on earth gespielt hat, ausgepackt hätte.

Hat er aber nicht. Stattdessen hat er so getan, als wäre er ein Restaurantbesitzer, Vater eines aus dem Ruder gelaufenen Sohnes, in Wirklichkeit aber war er der mächtige Pate und Drahtzieher alles durch Russen verursachten Bösen in London.

Muse M. hatte gesagt, sie wolle den Film sehen, insofern wasche ich meine Hände in Unschuld. Muse M. hatte gesagt, dieses Silvester wolle sie nicht zu Hause sein, so wie letztes Jahr, denn dann fiele ihr bestimmt wieder alles möglich ein, woran sie nie im Leben denken wolle.

Also gut, hatte Herr M. gesagt, dann schauen wir uns eben diesen Film an, schließlich spielte einer von Muse M.'s Liebingsschauspielern mit, der offenbar Böseste Böse, in Wirklichkeit aber Undercover Agent der Polizei. Schon recht bald war klar, dass dieser Film nicht mein Lieblingsfilm würde. Es gab einige recht beeindruckende Morde, zwei durch Kehleaufschneiden, zwei durch Erstechen, wobei erstaunlich war, wie lange böse Russen mit einem Messer in der Brust noch weiterleben, ehe man sie durch den finalen Messerstich ins linke Auge endgültig ins Jenseits befördert.

Gegen 22 Uhr war das Stechen vorüber und wir wussten, gut, jetzt bleiben noch zwei Stunden bis zum Jahreswechsel. Unser Plan: langsam die Stadt durchqueren und nach Hause laufen, in der Regel dauert das etwa zwei Stunden.

Unterwegs blieben wir eine Weile in einem Restaurant, aßen und tranken Kleinigkeiten, erreichten kurz vor Mitternacht den Domplatz und erlebten dort Dantes Inferno. Schon seit Jahren treffen sich dort um Mitternacht alle Jugendlichen, die noch laufen können, um ihr Feuerwerk abzubrennen.

Heute nacht aber war es um den Jahreswechsel schon so neblig, dass die meisten Raketen schnell im Dunst verschwanden. Wir standen mit dem Rücken zu einer Hauswand geschützt, küssten uns um Mitternacht, tranken ein Schlückchen des mitgebrachten Single Malt, ließen die dichten Schwaden verpufften Schwarzpulvers an uns vorüberziehen und die Horden partygeiler junger Leute, eh wir uns langsam auf den Weg machten.

Der schönste Spaziergang seit Jahren, aber das wussten wir da ja noch nicht. Allerdings wussten wir, dass der Nebel ungewöhnlich dicht war und immer dichter wurde, sodass die Navigation teilweise schwer fiel. Immer am Rand des Weges entlang, hieß das.

Irgendwo unterwegs hielten wir an und tranken auf unsere Toten der letzten Jahre. Da kam einiges zusammen, Opa Fritzens Jägerflachmann wurde leerer und leerer, wir voller und voller. Was schließlich dazu führte, dass wir in stiller Abgeschiedenheit, umhüllt vom Nebel, Lieder des berühmten deutschen Unterhaltungskünstlers Mickie Krause sangen und gegen drei Uhr erschöpft und ziemlich glücklich unsere Wohnung erreichten.

PS.:

An einer Stelle unsere Wanderung waren plötzlich keine Horizonte mehr da, sodass Herr M. die Orientierung verlor und umfiel. Das war aber nicht weiter schlimm, denn kurz vorher war Muse M. schon Ähnliches widerfahren. Navigation in dichtestem Nebel ist nicht einfach. Wir wissen jetzt, wie mutig der Pilot sein muss, der durch Wolken fliegt. Am Besten, er schaut stur auf seine Instrumente, die ihm anzeigen, wie er in der Luft liegt, ansonsten wäre er schnell ein toter Pilot. Leider hatten wir keine Instrumente dabei, daher diese leichten Irritationen.

 

Mi 2.01.08   9:47

Das Kreuz schmerzt ein wenig, aber das hat nicht mit biblischem Alter, sondern damit zu tun, dass die Schuhe, die ich in der Silvesternacht trug, nicht die besten sind. Ansonsten ist nach wie vor alles ruhig, das neue Jahr behält sich Katastrophen noch vor, was ich sehr rücksichtsvoll finde. Katastrophen andernorts nehme ich, störrisch wie ich bin, nicht mehr wahr.

Möchte aber noch eine kleine Beobachtung nachschieben, die ich in der letzten Stunden des alten Jahres machen durfte. Der Chef des Restaurants, in dem Muse M. und ich, nachdem wir Bruccetta und Hühnersuppe gegessen hatten und zahlen wollten, versuchte, die Rolle seiner Registrierkasse auswechseln.

Ein auf den ersten Blick modernes Gerät mit Touchscreen, die Innereien aber mechanisch wie eh und je, sprich: man muss den Beginn einer Papierrolle in zwei eng übereinanderliegende Metallschlitze einführen. Was, wie sich nun zeigte, nicht einfach war.

Der Chef, ein Mann meines Alters, klein, schwarzer Haarkranz um Glatze, etwas dick, Araber, schätze ich, hatte die Abdeckung der Kasse hochgeklappt und sich, da das Einfädeln des etwa zehn Zentimeter breiten Papierstreifens nicht gelang, ein Kartoffelschälmesser zu Hilfe genommen, mit dem er zunehmend unwirscher werdend in der Maschine herumstocherte.

Und stocherte. Und stocherte.

Nun werden Sie fragen, wo die Pointe bleibt, aber wie es im Leben oft so geht, die Pointe blieb aus oder ist mager, denn es gab nichts weiter zu sehen als diesen hilflos stochernden Mann und seine Tochter, eine sehr hübsche junge Mutter, deren Kind hinterm Vorhang der Küche im Kinderwagen saß und hin und wieder freudig quietschte, die darauf wartete, dass Vater endlich fertig wird, damit sie bei uns kassieren konnte. Mehr nicht, aber auch nicht weniger. Das ganze hätte, bei YouTube als geheim gefilmtes Video eingestellt, sicher einige Freude verbreitet, uns jedenfalls hat es gefreut und ich hoffe, Sie auch.

Sonne. Frotz. Ein neues Jahr.

12:53

Und diese Geschichte im Bunten Hund. (lesen)

 

Do 3.01.08   10:28

Wie erwartet haben schon hunderte auf die Veröffentlichung meiner Drachengeschichte in der Zeitschrift Der Bunte Hund reagiert. Alle wedeln mit Schecks und langfristigen Verträgen, manche sprechen von Verfilmung, ich aber winke abwartend ab, denn, sage ich mir, wo so viel auf einmal kommt, kommt sicher noch mehr.

Daher sitze ich also lieber weiter vor meiner elektronisch mit der Welt verbundenen kleinen, wundervollen Schreib- und Gedächtnismaschine und versuche, meinen Roman, den ich in den letzten Tagen des alten Jahres bei Seite 104 beiseite gelegt hatte, um die Festlichkeiten in gebührendem Rahmen zu begehen, weiter zu treiben.

Als ich gestern abend so trommelnd neben Herrn Knauz hockte und mich freute, dass es eben dieser Bassist und nicht der erwartete, Bass spielende Physiotherapeut war, dachte ich, den Rest der Geschichte als Tagebucheintrag in der lang vermissten schwarzen Kladde zu schreiben, quasi als Fazit dessen, was bisher geschehen ist, aber heute früh, mit grauem, windigen, nach Schnee riechendem Wetter, scheint es doch sinnvoller, die Handlung voran zu treiben, statt retrospektiv alles in trockene Tücher zu bringen.

Nach der Session stand plötzlich dieser hochgewachsene Mann vor mir und sagte: Hallo Hermann, wie geht es dir? Ich schaute auf und versuchte mich an seinen Namen zu erinnern. Der wollte mir aber partout nicht einfallen, und so rettete ich mich in Erinnerungen, die signalisierten, dass ich sehr wohl wusste, wer er ist: ehemals Mitglied des Free Dada Orchesters, seit geraumer Zeit Sommermigrant auf der angesagtesten deutschen Ostseeinsel (S. aus K. auch als Insel der Impulsgestörten bekannt), wo er Silberschmuck dreht und versucht, seinen Schnitt zu machen. Später fiel mir sein Name ein, da ging ich noch mal zu ihm, schlug ihm auf die Schulter, nannte ihn und wünschte alles Gute.

Die Session war, wie Sessions so sind, jemand sang, und von allen Sängerinnen, die ich über die letzten hundert Jahres meines selbstlosen Einsatzes als Schlagzeugamateur gehört habe, gab es kaum eine, die mich nachhaltig berührt hätte. Schlimm wird es vor allem immer dann, wenn Scat-Improvisationen geboten werden.

Aber nun, wer lästert, sollte es besser machen können, und das kann ich nicht.

Ich kann überhaupt nichts, ich habe außer Schreibmaschineschreiben mit zehn Fingern blind nichts gelernt, schreibe düstere Geschichten und sollte mich im Hinblick auf die zu erwartenden Erfolge dieses neuen Jahres besser erschießen, aber den Gefallen tue ich niemandem.

Ich halte durch.
Ich schreibe, bis ich tot umfalle.
Meine Verdauung ist gut und regelmäßig, und auch die übrigen Vitalfunktionen (bis auf kleine Unregelmäßigkeiten hier und da) sind in Ordnung.

Also: weht der Schnee dir ins Gesicht, weiche nicht....

16:44

Hörprobe der ersten Seiten des Romans, an dem ich augenblicklich arbeite....(hier)

 

Fr 4.01.08   10:40

Ich war gewarnt. Der angedachte Versuch, den Quellcode meiner 1241 auf meinem Rechner schlummernden www.hermann-mensing.de Dateien dahingehend zu modifizieren, dass die Links am Ende einer Datei zurück zur Startseite führen, und nicht mehr - wie bisher - nur den Mainframe zeigen, wäre nicht ungefährlich, hatte mein ältester Sohn gesagt, zumindest aber sei der Befehl irreversibel.

Er lautete: Suche im Quellcode alle mainframe.htm Anweisungen und ersetzte sie durch index.htm.

Vielleicht wäre es vernünftig, vorher eine Kopie des gesamten Verzeichnisses anzulegen, hatte er geraten, allerdings sei es ja auch möglich, die Verzeichnisse vom Server zurück zu holen. Ich solle jedoch vorher erst einmal ausprobieren, ob der Befehl die erwünschten Ergebnisse brächte, eh ich die modifizierten Dateien auf den Server schicke.

Ich erteilte also den angedachten Befehl, der Rechner rechnete und ich rechnete mir aus, wieviel Zeit es mich kosten würde, händisch Datei für Datei zu verändern. Dann hatte der Rechner zuende gerechnet. Ich rief Dateien auf, die noch aus der Frühzeit meines Lebens im Web datieren, und siehe da, die Befehle waren korrekt ausgeführt, die Links leiteten zur index.htm.

Erfreut jagte ich das gesamte Verzeichnis auf meinen Server, der, wie ich weiß, irgendwo in Duisburg steht und - gut gekühlt und leise summend - seine mir gänzlich unverständliche Arbeit tut. Das heißt, ganz unverständlich ist sie mir nicht, liegt seiner Arbeit doch ein gewisses buchhalterisches Element zugrunde, das besagt, wo links etwas steht, muss es rechts eine Entsprechung geben.

Nach etwa dreißig Minuten waren alle Dateien transferiert. Ich rief meine Webseite auf, alles funktionierte. Allgemeines Frohlocken. Als ich dann aber den Ordner, der das Verzeichnis auf meinem Rechner birgt, öffnen wollte, ich hatte ihn Frameweb genannt, sagte mein Rechner, ein so genanntes Verzeichnis sei nicht vorhanden.

Das also hatte mein Sohn mit "im Falle, dass du es abschießt" gemeint.
Ich hatte es abgeschossen. Versenkt.

Kurzer, gefährlicher Bluthochdruck, dann aber die simple Erkenntnis, dass ich ja alle Daten vom Server zurück auf meinen Rechner transferieren könnte. Gesagt, getan. Zum Glück verfüge ich über einen Breitband DSL Anschluss, der das recht flott erledigt, und so war ich nach weiteren dreißig Minuten erschöpft aber glücklich.

Alles scheint zu funktionieren.

Den Abend verbrachte ich mit Rubber Soul, Revolver und dem White Album der Beatles. Erscheinungsdaten: 1965, 1966, 1968. Erstaunlich, welche Wandlung die Band in diesen drei Jahren durchgemacht hat. Eindeutige Erkenntnis: Rubber Soul ist mein Lieblingsalbum. Es klingt warm und rund, es groovt gehörig, mein Beerdigungslied ist drauf (In my life), und es hat nach vierzig Jahren noch nichts von seiner Kraft und Schönheit eingebüßt.

So. Heute wird Korrektur gelesen.

 

Sa 5.01.08   13:16

Es fing gut an. Die freundliche junge Frau mit der süßen Lücke zwischen den Schneidezähnen saß an der Kasse, schaute mich und meinen jüngsten Sohn an, erkannte die Zusammengehörigkeit, zog ihre Schlüsse und bot an, uns zum Studentenpreis einzulassen. Danke, sagte ich. Sie lächelte freundlich. Natürlich, wir kennen uns, aber das hätte sie nicht tun müssen.

Also nochmal: Danke.

Die Band, derentwegen wir gekommen waren, Twotoneclub, eine franzakkische Ska-Kapelle aus Belfort (Jura), begann wenig später ihr erstes Set. Der Westfale ist gern reserviert, wenn ihm etwas geboten wird, das er nicht kennt, aber diese Reserviertheit löste sich schnell, nach einer halben Stunde knickte der Club kollektiv zu den schnellen Offbeats dieser weißen Variante des Reggae in den Kniekehlen ein, was für ältere Herren wie mich eine erhöhte Belastung der Kreuzbänder bedeutet, die aber spielten mit, denn besagter Herr hat schon immer gern getanzt, und so hätte man ihn gestern abend gut zweieinhalb Stunden wippen sehen können, wippend vor einer hart arbeitenden Band, die großen Spaß verbreitete und jubelnde Zuschauer zurückließ.

 

Mo 7.01.08   12:26

Wind pfeift, als wäre es schon wieder so weit, aber das täuscht, der Frühling ist noch fern.
Muse M. liegt mit einer schweren Erkältung im Bett, Meister M. korrigiert seinen Roman und meldet, dass Wolfgang Tischer, Inhaber des www.literaturcafe.de am 1. und 2. Februar im nightsky-studio M.'s Roman Zuversicht süße Lüge sprechen wird, der dann als Hörbuch im Literaturcafe präsentiert wird. Ein non-profit Unternehmen, allerdings mit der unverhohlenen Hoffnung, dass jemand aufmerksam wird und sagt: Ja. Das wollen wir.

17:29

Habe korrigiert, hänge bei Seite 110, das Ende nähert sich.

 

Di 8.01.08   13:45

Leicht wie ein Dreivierteltakt
haucht ein Wort aus weiter Ferne
wäre gern ein großes Wort
oh, so gern, so gerne... (1987)

17:56

Der Roman Gustav der Gedankenleser ist fertig. Er hat 123 Seiten und ist höllisch spannend.
Aber wahrscheinlich bin ich wieder der Einzige, der das findet.
Die Verwerter werden wahrscheinlich denken, schon wieder so eine düstere Nummer.

 

Mi 9.01.08   12:53

Ich sage immer Andreas zu ihm, aber so heißt er gar nicht. Das liegt daran, dass ich ihn nur alle paar Monate treffe. Immer auf Sessions wie gestern, als ich die zweifelhafte Ehre hat, Piepsmaus, die, die immer vom Venushügel bis zum unteren Rippenbogen frei liegt, bei Summertime begleiten zu müssen.

Dazu ein quäkender Sopransaxophonist, eine Bassklarinette und ein Bassist, der zwar jung ist und gut aussieht, der ein Brett spielt, das beeindruckt, aber nur zwei Stücke kann, und die auch nicht.

Andreas erzählt mir auf meine Feststellung, dass wir uns lange nicht gesehen hätten, dass er gerade einen sechsmonatigen Entzug hinter sich habe. Entzug? sage ich, denn mir war nie irgendetwas an ihm aufgefallen, das auf eine Sucht hingedeutet hätte.

Alk! sagt er. Alk? sage ich.

Er nickt.
Morgens einen Kasten Bier kaufen und durchsaufen, sagt er, zehn Tage, bis die Bauchspeicheldrüse nicht mehr mitmacht und die Nieren abzuschmieren drohen.

Wieso?

Ich denke, es hat mit der schweren Neurodermitis zu tun, die ihn plagt, die er mit Cortison bekämpft, aber eigentlich ist das viel besser geworden, vor zwei drei Jahren noch sahen seine Hände übel aus.

Und wieso? frage ich, denn wir verstehen uns gut.

In ein paar Sätzen umreißt er seine Geschichte:

Abitur. Lehre als Industriekaufmann. Währenddessen als Saxophonist in verschiedenen Bands. Viel trinken nach Gigs. Nach der Lehre denkt er, vielleicht wäre es vernünftig, Betriebswirtschaft zu studieren. Er beginnt, kommt aber mit der selbst einzuteilenden Zeit nicht zurecht (in den 90ern), verschludert das Studium, macht eine Umschulung zum Informatikkaufmann, ist seitdem arbeitslos, ist jetzt Anfang Vierzig und hat keine Perspektive.

Auch an meinem Tisch eine leidende Endvierzigerin. Blond. Puterhals.
So viel Leiden in einem Gesicht ist kaum auszuhalten.
Als ich nach meinem Set an den Tisch zurückkehre, sagt sie, das war gut.
Gut? sage ich. Das war der hinterletzte Mist.
Und das war es auch. Es wäre schön, mal wieder mit Musikern zu spielen, die mich mitreißen. Dann wäre ich selbst auch besser. Aber so wie es gestern war, war es gruselig.

 

Do 10.01.08   11:32

Herr M. hat einen Roman beendet.
Der hängt nun zum Trocknen auf der Leine und Herr M. muss sich etwas einfallen lassen, damit das arme Dier (so nennt man den Blues in Westfalen) nicht unterm Sofa hervorkriecht.

Also hat er gestern abend seinen absoluten Lieblingsfilm in den Videorekorder geschoben (ja, solche Geräte gibt es noch und sie funktionieren) und schon beim Vorspann begonnen zu weinen.

Das Weinen ging in Lachen über und wieder in Weinen usw.
Wieso gerade Notting Hill derart reinhaut bei ihm, darüber darf spekuliert werden.
Frau M. glaubt, es liegt an der Intelligenz, dem Humor, der Präzision der Geschichte, der Charaktere, des Ganzen eben.

Ja, ja, schniefte Herr M., hast du noch ein Tempo....

Außerdem bekämpft er das arme Dier mit idiotischen Tätigkeiten: etwa mit dem Durchforsten all seiner Aufzeichnungen im Web nach toten oder nicht mehr funktionierenden Links.
Drei Jahre stehen noch aus, heute oder morgen wird er damit fertig sein.

Zwei Lesungen verkauft.
Ein Belegexemplar von Der Bunte Hund ist gekommen. Herr M. ist zufrieden.

17:59

Das Web ist durchforstet. Die Wege sind gefegt.

 

Fr 11.01.08   9:43

Da Wahrheit in unendlichen Variationen für Wahrheit gehalten wird, scheint es schwer bis unmöglich, sie zu dokumentieren. Philosophen, Schriftsteller und Historiker aller Zeiten haben sich daran versucht, aber ich glaube nicht, dass sie ihr nahe gekommen sind.

Ihre Ergebnisse drücken sich immer in Sprache aus.
Spracherwerb, Sprache und mit ihr einhergehende Wahrnehmung der Welt ist subjektiv.

Nähe zur Wahrheit kann ich allein den Naturwissenschaftlen attestieren.
Aber auch die muss sich eingestehen, dass sich das beobachtete Objekt unter Beobachtung immer anders verhält, als das unbeobachtete.

Dennoch: die auf Beobachtungen der Naturwissenschaft fußenden Erkenntnisse haben zu funktionierenden Ergebnissen geführt, sind also wahr...!!!???

Also verbeugt sich der Schreibende und gesteht, dass er nichts weiter tun kann, als seine Leser zu unterhalten. Alle Kunst ist Unterhaltung. Besser und schlechter, je nachdem.

 

Sa 12.01.08   12:07

Das, was der Schwede (glaube ich) Knut nennt, heißt hier: die Feuerwehr kommt, schellt und fragt, ob ein Baum zu entsorgen sei. Natürlich. Er steht auf dem Balkon und wartet schon. Gegen eine Spende wird er auf den Anhänger eines von einem Landwirt kostenlos zur Verfügung gestellten Treckers geworfen und aus ist, Feierabend mit Heiligabend und Tannengrün, trauriger letzter Akt der jährlichen Abholzung von millionen unschuldiger Nordmanntannen, das heißt, ich kenne noch eine Familie, die eine ärmliche Fichte mit Lametta schmückt, eine im Umkreis von tausend Kilometern, eine so ärmliche Fichte, dass man fast glaubt, man sei in Bethlehem, aber das ist eine andere Geschichte, all den übrigen, strenggläubigen Christen dieses zufiefst religiösen Landes muss schon der Nordmann das Fest ausrichten.

Das also geschah heute morgen, während Herr M., der nach einwöchiger, aufopfernder Pflege seiner schwer von einer Bronchitis niedergeworfenen Muse nun endlich auch erste Anzeichen einer aufziehenden Infektion zeigt, die ihn wahrscheinlich pünktlich zu seiner ersten Lesung vor 5000 entfesselten Sechstklässlern am 17. 01. in Duisburg flach auf die Matte hauen wird.

Herr M. saß in der Küche, als die Feuerwehr vorfuhr. Es schellte. Frau M. öffnete, beantwortete die zu erwartende Frage mit Ja und gab ein wenig Geld. Herr M., noch im Morgenmantel, schritt hinaus auf den Balkon und beförderte den Baum mit gekonntem Weitwurf auf den Gehsteig.

Soll der Fuß mit dranbleiben? fragte der den Baum in Empfang nehmende Feuerwehrmann.

Nach dieser geglückten Pointe, liebe Freunde der Literatur, kehrt Herr M. dorthin zurück, wo er eine unruhige Nacht verbrachte, in den Morgenstunden zusätzlich gewürzt durch den (Sie wissen schon) periodisch auftretenden Lalala....

16:26

Unter zwei Lagen Daunen schwitzt man Geschichten aus. Auch schön.

 

Mo 14.01.08   11:39

Wegen Krankheit vorübergehend geschlossen.

 

Di 15.01.08   10:06

Antibiotika, Ströme Schweiß, paketweise Tempos, Vitamin C.-Schocks.
Donnerstag muss Mensing fit sein, hilft nichts.

Mensing liest in der Aula
NRZ 12.01.2008 / Lokalausgabe

Lesen verbindet. Deshalb ist die Erziehung zum Lesen von besonderer Bedeutung. Eine Facette auf dem Weg dorthin ist der Leseabend am Mercator-Gymnasiums, zu dem seit einigen Jahren auch ein "richtiger Buchautor" eingeladen wird. Etwa 100 Schülerinnen und Schüler warten schon mit Spannung auf den 17. Januar. Dann nämlich kommt um 19 Uhr der Kinderbuchautor Hermann Mensing zu ihnen und liest aus seinem Roman "Sackgasse 13" vor. Und der hat es in sich. Auf einer Halloween-Fete wird im Keller plötzlich eine Riesenspinne gesichtet! Die Gäste halten das Insekt für eine Attrappe und sind begeistert. Für Tim und seine Schwester, die gerade mit ihrer Familie in die alte verwitterte Villa in der Sackgasse 13 gezogen sind und in der es angeblich spukt, besteht allerdings kein Zweifel: Die Spinne ist echt! Außerdem bemerkt Tim dunkle Schatten an den Wänden. Gruselgefühle sind vorprogrammiert. Damit sich die Sechstklässler auf diesen Abend richtig vorbereiten, gibt es ab 18 Uhr ein gemeinsames Abendessen.

23:03

Ausgeschwitzt, weggeschlafen...
Übern Berg?

 

Mi 16.01.08   11:51

Hat sich was, online buchen bei der Deutschen Bahn. Trotz korrekter Anmeldung, akkuraten Einloggens und Ausführens aller notwendigen Schritte blieb ich gestern jeweils bei Schritt 4 hängen und wurde nicht weitergeleitet. Was blieb, als heute zum Reisebüro meines Vertrauens zu fahren und dort ein Ticket zu kaufen.

Nicht weiter schlimm, würde man denken, aber drei, vier Tage in der Horizontalen verbracht zehren an der Form, ich schwitzte, meine Kniee waren weich und jetzt bin ich froh, in die Horizontale zurückkehren zu können, in der ich bis morgen verbleibe, hoffend, dass ich meine Lesung halbwegs inspiriert über die Bühne bringe.

14:36

Man könnte auch sagen: die letzten Tage waren eine kleine Reise in die Zukunft.

18:45

Wenn es morgen wie heute ist, lasse ich mich fit spritzen, basta. Schließlich bin ich Profi.

 

Do 17.01.08   10:37

Was früher Winterschlussverkauf hieß, heißt heute Sale und findet ganzjährig statt. Der Kunde ist König. Wenig königlich fühlte Kunde M. sich gestern, als er wider besseres Wissen nach Erstehen einer DB Karte noch in ein Kaufhaus seiner Wahl schritt, um das Angebot tragbarer Hosen zu prüfen.

Er fand eine, die ihm gefiel, aber schon beim Ausziehen der Schuhe spürte er den Tattergreis das System attackierend, vom Schweiß und von weichen Knieen war schon die Rede, nicht aber von dem, was rund um seine Umkleidkabine sonst noch geschah.

Dort nämlich saßen Frauen seines Alters aufwärts und dirigierten lustlose Männer. Probier diese mal, sagten sie und die Männer fügten sich klaglos. Nein, die ist nicht gut, ich hol mal eine andere. Hätten Sie die auch in 58.

Die meisten Männer hassen Bekleidungsgeschäfte. Noch mehr hassen sie das Anprobieren mehrerer Textilien in Folge, aber mit einer Frau im Nacken, die gesagt hat, es ist Sale, du brauchst eine neue Hose, finden die wenigsten einen Ausrede und akzeptieren schnell deren Wahl um bloß wieder wegzukommen. Schließlich ist eine Hose eine Hose, mehr nicht.

Ich stand also halb aus- und noch nicht wieder angekleidet schwankend in meiner nach Fußschweiß riechenden Kabine, hörte, wie sich die Lustlosigkeit in den Nachbarkabinen in Stöhnen und Brummen Ausdruck verschaffte und fürchtete für Momente, den Notarzt rufen zu müssen.

Ich setzte mich, schaltete auf langsam, verwarf den Hosenkauf, verzweifelt auch deshalb, weil sich trotz Fleischabstinenz seit November bisher keine Reduzierung meines Körperfettes an bestimmten Stellen feststellen ließ, fragte mich, ob dieser Fußgeruch tatsächlich mein eigener sei, denn zu Hause nehme ich ihn nie wahr, oder ob es sich nicht eher um einen der Umkleidungskabine immanenten Geruch handelte, der sich dort über die Jahre festgesetzt hat, um den Umkleidenden zu beleidigen oder womöglich auch noch zum Schuhkauf zu drängen.

Antwort fand ich keine, wohl aber den Ausgang, und von dort den Weg ins heimische Bett, das ich heute der Not gehorchend verlassen werde, um mich von einer Regionalbahn nach Duisburg transportieren zu lassen, wo ich, wie Sie bereits wissen, lesen werde.

Sollten also die Schlagzeilen morgen verkünden, Kinderbuchautor M. kippt bei Lesung um, hat das nichts mit Drogenmissbrauch zu tun, sondern mit der Abhängigkeit des Freiberuflers, sich für jeden Euro zu jeder Zeit an jedem Ort zum Affen machen zu müssen. Aber so ist das, er ist auch nicht mehr als Mitglied einer Solidargemeinschaft Lohnabhängiger, mit dem Unterschied, das seiner unregelmäßig fließt, falls überhaupt.

 

Fr 18.01.08   00:13

Ich weiß, dass ich auf den Punkt zehn Minuten benötige, um von Roxel zum Bahnhof Bösensell zu fahren, von dem ich heute meine Reise nach Duisburg antrat, ich hätte also um 16:25 losfahren können und wäre immer noch zehn Minuten vor der Zeit dort gewesen, aber so ticke ich nicht.

Ich fahre um 16:15 los, um anschließend 20 Minuten auf einem windigen Bahnsteig zu warten, wo mich innerhalb von Sekunden Zeit der Blues anspringt. Während ich im Nichts sitze und warte, kommt ein arabisch aussehender junger Mann und fragt freundlich, ob ich ihm zwanzig Euro wechseln könne.

Ohne nachzuschauen sage ich, tut mir Leid, nein. Er bedankt sich höflich und ich sehe, dass er den Bahnsteig verlässt, um in der Bahnhofskneipe nachzufragen. Da schäme ich mich schon, denn wenn ich mein Portemonnaie nicht aus der Tasche ziehe, weil in meinem Hinterkopf einer sagt Araber/Türke: haut dir eins über die Rübe, klaut dein Geld, wie soll das erst in einer westfälischen Bahnhofskneipe sein?

Als er zurückkehrt, habe ich in meinem Portemonnaie nachgeschaut. Ich hätte wechseln können und sage ihm das auch, aber jetzt ist es zu spät. Ich bin mir auf den Leim gegangen. Abscheulich, Herr Mensing, Sie kleiner mieser Rassist.

Und dann kommt der Zug, ich steige ein und muss pissen. Aber pissen Sie mal in einer Toilette der Regionalbahn. Sie würden denken, sie wären sonstwo. Es stinkt nach Urin und Fäkalien, der Boden ist feucht und Sie möchten gar nicht darüber nachdenken, was das ist.

Sitze im obersten Stock dieser Bahn und schaue auf die aus- und zusteigenden Menschen im Ruhrgebiet. Der Blues ist jetzt so stark, dass er nichts mehr gut sein lässt. Es dunkelt, alles ist schäbig, die Menschen sind schlecht angezogen, sie schauen griesgrämig drein, sogar, die sich küssen, und ich frage mich, wieso ich eigentlich hier bin, wohin ich fahre und was das denn werden soll, gleich in Duisburg.

Dann bin ich da. Kriege noch eine kleine Stadtrundfahrt, erkenne die Wannheimer Straße wieder, an der das Marienhospital lag, in dem ich 1971 drei Monate Zivildienst leistete, komme an, betrete das Gymnasium, Schüler toben herum, wir gehen in die Aula, eine seltsam altmodische Aula mit einem wunderbaren Steinway Flügel, der völlig verstimmt ist, der Blues fragt, wie man so ein Instrument vernachlässigen kann, dann öffnen sich die Türen und hundert Kinder stürmen herein.

Wenn ich nicht wüsste, dass dies ein Gymnasium ist, würde ich auf Hauptschule tippen, ich stehe auf der Bühne, ich beginne, der Blues ist weg und ich bin nicht mehr krank, im Gegenteil, ich bin furzgesund, ich lebe, was mehr kann ich sagen.

1:16

frage zur nacht:

aber ist es denn recht, dass ich, obwohl ich derart privat lebe, mich öffentlich bekannt zu machen suche? und ist es recht, dass ich der welt, in der das geschniegelte und gebügelte so viel ansehen und einfluß hat, simple hervorbringungen der natur im rohzustand verbreite? und einer recht schwächlichen natur obendrein?

essays: michel de montaigne

11:05

Am HBF Duisburg gestern gegen 21 Uhr auf die Schnelle die beste Currywurst der Stadt verzehrt. Dabei fiel mir beim Beugen über die Pappschale eins meiner Kapuzenbändchen (heißen die so) in die rote Sauce. Ich fluchte, rechts neben mir wartete ein eher rundlicher Mann meines Alters auf Pommes. Da haben Sie morgen auch noch watt, sagte er.

Ja. Heute ist es gewiss. Ich bin übern Berg.

 

Sa 19.01.08   11:38

100 aufgekratzte Kinder, die einen langen Tag hinter sich haben.
Vor ihnen ein "richtiger Buchautor", der versucht, das Beste zu geben.

Die Aula ist etwa zwanzig Meter lang und zehn Meter breit. Links und rechts sind Fenster. Das Podest, auf dem ich stehe, liegt gegenüber der eigentlichen Bühne. Sie hat einen nachtblauen Vorhang. Die Decke der Aula ist hoch. Unter der Decke sind dem Grundriss folgend milchglasverkleidete, rechteckige Neonlampen. Sie lassen sich weder dämmen noch in einzelnen Elementen herunter schalten. Also ist es hell und nicht gemütlich. Knapp die Hälfte der Aula wird von Stuhlreihen ausgefüllt, in der andere Hälfte stehen, symmetrisch geordnet, grauweiße Resopaltische.

In Reihe Drei rechts von mir sitzt die Bushido Fraktion, vier nette Jungs, leider ein bisschen unruhig, vor allem der eine. Nachdem ich etwa eine halbe Stunde gelesen hatte, dudelte das Handy eben dieses Jungen. Ich warf ihn raus. Danach herrschte gespannte Aufmerksamkeit. Geht doch, dachte ich, muss man immer erst jemanden rausschmeißen, damit die anderen ungestört zuhören können.

Eine schöne Lesung, sehr anstrengend, aber schön. Lebendig.

16:53

Im Traum vorletzte Nacht rief meine Mutter an. Sie ist im April 2003 gestorben. Sie fragte, wie es mir gehe, ich sagte gut. Fragen konnte ich sie nichts. Trotzdem: ein schöner, ein beruhigender Traum.

 

So 20.01.08   12:14

Es hat etwas, wenn man von einer Erkältung gedrängt taglang das Bett hütet, schläft, dämmert, die Vitalfunktionen auf Minimum laufen und weiß, dass man nichts tun kann, als warten, bis es vorüber ist, wie im richtigen Leben.

In den kurzen Pausen, die man sich in der Vertikalen gönnt, besser, in Sofaecken unter Decken, heiße Zitrone auf dem Tisch, Grog und bergeweise Mandarinen, in diesen Schlaf- und Dämmerpausen kann man Dinge tun, die man lange nicht mehr getan hat.

Vinyl hören etwa, denn schließlich existiert der Plattenspieler noch, Vinyl hören also und feststellen, wie gut Vinyl klingt, sieht man mal von Kratzern ab oder Sprüngen, die dreißig Jahren geduldig darauf gewartet haben, endlich wieder einmal eine Nadel aus der Rille zu werfen, genauso, wie man sich daran erinnert.

Vinyl hören und entdecken, dass es Musik gibt, die mühelos dreißig, vierzig Jahre übersteht und andere, die das nicht tut. Und manchmal, wenn einem die Atemwege eng werden und die Stirnhöhlen voller Rotz sind, fragt man sich, wie das eigentlich gehen kann, wie sich die Musik in all den Jahren, die man sie nicht gespielt hat, gefühlt haben mag, da unten im Regal zwischen all den anderen Platten, und man erinnert sich, dass es eine Zeit gegeben hat, in der man glaubte, bestimmte Platten auf Flohmärkten abstoßen zu müssen und plötzlich weiß man, dass das dumm war, dass man das nie hätte tun sollen, denn schließlich manipulieren solche Verkäufe das Bild, das man von sich entworfen hat und noch täglich entwirft, macht es unvollständig, ja, schlimmer, verschleiert, dass man fehlbar ist, dass man Platten gekauft hat, die nichts mehr waren als Hype und jugendliche Verblendung.

Gehört habe ich Little Feat, Joan Armatrading, Joni Mitchell, Lowel George, Nick Lowe, Peter Gabriel.

Wenn ich nicht Musik gehört habe, habe ich gelesen. Bücher aus unserer Bibliothek. Bücher wieder lesen ist etwas wundervolles, denn eigentlich kennt man sie ja, hat sie aber trotzdem fast vergessen und gerät, wenn man sie wieder liest, in einen Taumel von Vermutungen, die sich entweder bewahrheiten oder einem klar machen, dass man tatsächlich vergessen hat.

Ich habe Haruki Murakami "Die gefährliche Geliebte" gelesen und rate jedem, der im täglichen Wirrwarr glaubt, er sei allein mit seinen Zweifeln und Anfechtungen, dasselbe zu tun. Wenn wir uns Februar für eine Woche auf Ameland vergraben, wird Murakami dabei sein. Darauf freue ich mich sehr.

Den Rest des Sonntags werde ich unter grauem Himmel verbummeln.

17:50

Wie sie...

Neue Kamera Pentax optio E40: Portrait ohne Blitz

 

Mo 21.01.08   10:51

Scheiße geschissen gesund. Beim Wäscheaufhängen Schweißausbrüche. Also langsam, Herr Mensing, schön langsam. Eine Woche kommt sie, eine Woche bleibt sie, eine Woche geht sie, heißt die goldene Regel der Erklältungskrankheiten. Ich bin in der dritten Woche.

 

Di 22.01.08  14:49

Die Glocken von St. Pantaleon sagen, dass jemand begraben wird.
Nach diesen Regentagen einsachtzig tief in aufgeweichtem Boden.
Gibt Schöneres.

17:41

Im Verstehen technischer Vorgänge bin ich bei Dampfmaschine und Ottomotor stehengeblieben.
Was danach kam, bediene ich, ohne je Einzelheiten des Systems erklären zu können.
Ich begnüge mich mit: es funktioniert oder es funktioniert nicht.
Tritt Letzteres ein, müssen Spezialisten ran.

Heute habe ich mich mit dem Bedienungsanleitung (160 Seiten) meiner neuen Kamera vertraut gemacht.
Ich war nie Fotograf, schon meine Minolta Spiegelreflex (1968) hat mich in Bezug auf das Zusammenspiel von Schärfe, Tiefenschärfe, Blende etc. überfordert, aber ich hatte immer einen recht guten Blick für das Motiv.

Mein neuer Apparat passt in eine Handfläche und kann Dinge, von der meine Minolta nicht einmal träumen durfte.

Daher verneige mich in Ehrfurcht vor dem Einfallsreichtum japanischer Ingenieure und werde letztlich das tun, was ich immer tue: ich stelle auf Automatic und hoffe, dass es gut wird.

 

Mi 23.01.08   9:11

Flute das Haus mit Musik. Bin der einzig Überlebende hier.

Sechs Wohneinheiten, vier davon für Familien, zwei Appartments.
Wo beginnen?

Bei der Familie links unten?
Die lebt hier nicht mehr. Zwar ist die Wohnung (Eigentum) eingerichtet und könnte jederzeit wiederbelebt werden, aber die junge Frau leidet unter Zwangsneurosen, die es ihr unmöglich machten, es mit ihrem Mann und den mittlerweile zwei Kindern dort auszuhalten.

Also zog ihr Mann vor etwa drei Jahren in eine eigene, kleinere Wohnung. Sie blieb zurück. Nachts hörte man sie manchmal weinen. Tagsüber war sie vorlaut. Falls man sie hörte, denn vor Mittag war sie kaum auf den Beinen. Seit nun zwei Jahren ist auch sie fort. Ist in die Wohnung ihres Mannes gezogen. Dort leben sie, ein paar Straßen entfernt. Hin und wieder sehe ich den mittlerweile achtjährigen Ältesten allein durchs Dorf flitzen. Hin und wieder sehe ich sie in einer Traube etwa gleichaltriger junger Frauen, die das einzige Café am Ort in eine Kindertagesstätte verwandeln und dort den Nachmittag vertrödeln.

Beide, Mann und Frau, sind Anfang Dreißig. Er arbeitet, aber wie das funktioniert mit zwei zu unterhaltenden Wohnungen, ist mir ein Rätsel. Treffe ich ihn und frage, wie es denn geht mit diesem ungewohnten Lebensentwurf, sagt er: gut, aber das glaube ich nicht. Vor einer Weile, wir hatten einen Wasserschaden, traf ich ihn im Keller. Die Herkunft des auslaufenden Wassers war unklar. Als ich ihn bat, doch einmal in seiner Wohnung nachzuschauen, sagte er, die dürfe er nicht betreten, das habe sie ihm verboten.

Unten Mitte wird von einem Geophysiker bewohnt. Der lebt seit zwanzig Jahren in einer Fernbeziehung zu einer Madegassin, die sich in Hamburg mit Putzjobs über Wasser hält. Ein-, zweimal im Jahr taucht sie mit den Kindern ihrer ermordeten Tochter, die bei ihr leben, in der Wohnung des Geophysikers auf. Dann wird madegassisch gekocht, dass es weit und breit ungewohnt riecht, dann wird die Wohnung geputzt, eine Wohnung, die selbst Menschen, deren Primat nicht Ordnung und Sauberkeit ist, den Atem rauben kann. Ein Loch, das nie gelüftet wird. Eine Höhle, in der sich alles stapelt, was über fünfundzwanzig Jahre nicht weggeworfen wurde.

Die Wohnung über uns ist Schlafplatz für drei IT Spezialisten aus dem Oldenburgischen. Die gehen früh aus dem Haus und kehren spät zurück, hin und wieder treffe ich den ein oder anderen, alle haben Familie, alle strecken sich nach der Decke eines Arbeitsmarktes, der keine Rücksichten auf Heimat und Familie nimmt, seit drei oder vier Jahren schlafen die drei dort oben, eine Ehe ist darüber schon zerbrochen.

Oben Mitte ist ein Reservat für die Auswilderung eines jungen Mannes Anfang 20, der nicht einmal seine Wäsche selbst waschen kann. Tut er es doch, bleibt sie zwei, drei Wochen in der Maschine. Ein paarmal habe ich bei ihm geschellt und gesagt, hör mal, kümmere dich um deine Wäsche, aber er ist jedesmal mit der Ausrede gekommen, er habe soviel zu tun.

Er tut gar nichts. Höchstens, dass er mal losgeht, und sich eine Cola Light kauft. Hin und wieder kommen Sozialpädagogen. Was mit dem jungen Mann los ist, weiß ich nicht. Ich vermute, dass seine Eltern Alkoholiker sind, jedenfalls seine Mutter, die alle Vierteljahr auftaucht, sieht so aus. Manchmal denke ich, so ein Leben im Reservat nicht die schlechteste Lebensform. Die Wohnung wird bezahlt, man erhält ein Taschengeld, alles Wichtige erledigt der Sozialpädagoge.

Die Wohnung oben rechts ist gerade wieder frei geworden. Der ehemalige König von Roxel hat dort zwei Jahre gewohnt. Ein freundlicher, netter Mensch mit einer ebenso freundlichen, netten Frau. Nach Zusammenbruch seines Supermarkt-Imperiums sagt man ihm alles mögliche nach, was davon stimmt, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass er Humor hat, manchmal einen abgestandenen Alt-Herren-Humor, aber was macht das schon.

Was bleibt, sind Herr und Frau M. unten rechts. Die haben ihre Kinder hier groß gezogen. Er hat hier Geschichten geschrieben. Sie haben hier Parties gefeiert. Er spielt im Keller Schlagzeug und fühlt sich hier wohl. Ein Kind ist schon fort gezogen, das andere lebt noch hier. Aber irgendwann wird es auch fort sein und dann werden Herr M. und seine Frau hier mit jedem Tag älter.

Manchmal sitzen sie auf dem Sofa und versuchen sich vorzustellen, was z.B. eine Erklältung wie die, die sie in den letzten vierzehn Tagen am Boden hielt, wohl in zwanzig Jahren mit ihnen machen wird. Herr M. wäre dann neunundsiebzig. Dann aber besinnen sie sich auf die Jetztzeit und leben weiter. Sie haben, was sie brauchen. Sie leben mit Musik, Literatur und Kunst. Ihre finanziellen Möglichkeiten sind begrenzt. Dafür haben sie Zeit. Wenn sie die miteinander verbringen, kommt Glück auf. Niemand versteht sie. Sie selbst verstehen es auch nicht.

13:42

Noch dies für heute....

 

Do 24.01.08   11:09

Ideale Betriesbtemperatur noch nicht erreicht.

17:56

Hosensuche zweiter Versuch auch gescheitert. Man sollte Hosen finden, nicht suchen. Herrenbekleidungsgeschäfte sind deprimierend. Und graue Breitcordhosen, die man früher Manchesterhosen nannte, sind überhaupt nicht zu haben. Mein Einwurf, ich bräuchte aber genau so eine, um den kalten Meerwinden zu trotzen, denen ich mit Freude entgegen fiebere, hält man entgegen, Grau sei augenblicklich nicht im Trend. Als ob mir das nicht am Arsch vorbei ginge. Aber jetzt, wo ich hier sitze und nachdenke, fällt mir ein, dass ich vielleicht doch weiß, wo ich eine Manchesterhose auftreiben könnte. In dem Fachgeschäft für Berufsbekleidung am Ludgeri Platz nämlich, genau da. Werde ich also noch einmal los müssen, mal sehn, vielleicht morgen.

 

Fr 25.01.08   13:15

(...), ob die Zeit tatsächlich arbeitet? Na ja, denkt Richard, arbeiten wird sie auf jeden Fall, aber vermutlich nicht für ihn oder für andere, sondern nur für sich selbst. Ob man einen Wettlauf mit der Zeit gewinnen kann. Vielleicht wie im Märchen vom Hasen und dem Igel, indem man sich reproduziert (...). Ob man Zeit an der Hand haben kann (...) Ob Zeit je an Bedeutung verliert?

Er weiß, seine Person verliert an Bedeutung, und nicht nur an Bedeutung, auch an Elan und Willenskraft, an Attraktivität, an geistiger Aufnahmefähigkeit. Die List ließe sich noch eine Weile fortsetzen. Doch das gute Gefühl, sich noch eine Weile behaupten zu können, ist so oder so dahin, da will er auf weiteres Nachdenken gerne verzichten. (1)

16:37

Hören....

 

Sa 26.01.08   14:34

Natürlich könnte ich aus dem Haus gehen, im Vergleich zu den letzten Tagen ist es schön, angenehm sogar, sagt Frau M., aber mir ist nicht nach frischer Luft. Mir ist nach im Bett liegen und nichts tun, im Bett liegen und tagträumen, so wie heute früh, kurz vorm Erwachen, als ich den Inseltraum träumte, den ich hin und wieder träume, jedenfalls kam mir das während des Träumens so vor.

Die Insel ist eine große Insel. Sie ist bewaldet, und wenn ich schwimmen will, da, wo ich mir in den Kopf gesetzt habe, zu schwimmen, geht das nicht, denn dort schwappt das Meer in Wiesen hinein und kleine Waldstücke und ein Strand, den ich mir wünsche, ist nirgendwo absehbar.

Wenn ich aber ans andere Ende der Insel fahre, ist da ein sonnenüberfluteter großer Dorfplatz, über den ich hinwegschaue auf das ferne Meer, ein Strand, das Wasser weit draußen, der Strand gebuckelt von algengrünen, rundgewaschenen Felsen.

Rechterhand hinterm Dorfplatz (von einem Kirchturm etwas verdeckt) ein Berg aus Granit. Eine junge Frau kommt und fragt, ob ich mitfahren wolle. Ich nicke. Übern Strand jagt ein Auto heran, ein silbrig glänzender Kombi mit futuristischen Formen. Darin sitzen vier Fischer, die junge Frau und ich. Der Traum endet mit einer rasenden Fahrt über Sandstrand, während ich noch höre, dass die junge Frau den Fahrer vor Treibsand warnt.

Ins Bett also, die Erklältung ist noch immer nicht fort, so ein Mist.

 

So 27.01.08   11:06

Welch vernichtenden Einfluss das Fernsehen selbst auf freundliche, harmlose Naturen wie mich ausübt, mag man daran erkennen, dass ich gestern, nach der Kultsendung Wetten Dass, die ich seit vierzig Jahren voll gespannter Langeweile verfolge, unter Decken auf dem Sofa lag und beim zweiten Hauptboxkampf still "Der Franzakke blutet schon, der Franzakke blutet schon, der Franzakke blutet schon (Eukalyptusbonbon)" sang. Die Melodie zu diesem aufmunternden Lied: Over in the glorie land. Leider wollte der Franzakke nicht umfallen. Stattdessen lachte er kopfschüttelnd, wenn er eins auf die Zwölf bekam, eine fast schon obszöne Geste.

Kein Wunder, dass der Sonntag mit Selbstzweifeln beginnt.

14:13

Herrliche Horten
sie hat heute frisch grüne
Knospen bekommen. (mehr Haikus)

 

Mo 28.01.07   13:35

Sollten Sie die Wahrheit suchen, suchen Sie bei sich selbst. Hier sind Sie falsch.

 

Di 29.01.08   9:55

Nicht falsch allerdings ist, dass es Herrn M. nicht gelingt, einen USB 2.0 Cardbus Adapter zu installieren, obwohl er alle vorgeschriebenen Installationsschritte ausführt und ausführt und ausführt.

14:08

Tatsächlich hat er alles richtig gemacht.

Es ist nur so, dass sein Rechner der externen, am USB 2 Adapter angeschlossenen Festplatte, mit der er fortan 40 mal so schnell wie früher zu kommunizieren hoffte, nicht genügend Strom lieferte, woraus Herr M. schloss, der Adapter sei nicht installiert und er daher ein Installations-Idiot.

Schön, dass er das gar nicht ist.

Aber was nutzt ein USB 2.0 Adapter, der einer externen Festplatte nicht genügend Strom liefert? Nichts. Also hat Herr M. rück-getauscht. Falls Sie einmal jemanden treffen möchten, der cool ist, gehen Sie in den Lapstore, ein hervorragend geführtes kleines Geschäft. Der Geschäftsführer wird Sie keines unnützen Blickes würdigen, er wird ein Minimum an Worten mit Ihnen wechseln, er wird Sie während des Verkaufs- oder Beratunsgespräches vielleicht ohne weitere Ansprache stehen lassen, um ebenso plötzlich wieder aufzutauchen. Er ist ein Phänomen der Nichtkommunikation, aber natürlich kommuniziert er fortwährend, nur eben auf seine Art. Das kann abschrecken, das schreckt ab, aber wenn man es ein paarmal erlebt hat, beobachtet man ihn fasziniert. Kompetent ist er auf jeden Fall. Und natürlich betrachtet er uns Computer-Nutzer als Vollidioten, was wir in der Regel ja auch sind.

15:09

Nach eingehender Diskussion der Generationen bleibt festzuhalten, dass Mord immer Mord ist. Es gibt keine guten Morde. Mord ist immer Mord. Die Retrospektive erweist, dass die RAF, von gefährlich träumenden Bürgersöhnen und Töchtern dominiert, nichts weiter war als ein Mordverein. Ein Mordverein wie alle anderen. All die hochgeachteten Revolutionäre: Mörder. (Fidel, Che, Ho Tchi Minh, Mao) Die Welt eine einzige Mördergrube. So etwas nennt man: Realismus.

 

Mi 30.01.08   9:37

Zum gleichen Thema heute ein Essay in der FR: Die Väter der 68er von Götz Aly.
Der sieht im Vokabular der Dutschkes & Co., den Strukturen der Studentenrevolte und ihren formulierten Zielen Analogien zur Machtergreifung der Nazis (Jahrestag heute), dass einen das Grausen überkommt.

Ein Glück, dass ich kein 68er war.
Ich wollte (wie man heute sagt) wohl nur chillen.
Ein Hippie war ich auch nicht.
Ja verdammte Hacke, was war ich dann?

 

Do 31.01.08   10:30

Komm, wir nehmen Vati von der Leine,
lassen ihn nicht länger hängen,
also, ich pack oben, du die Beine,
Vorsicht, hör doch auf zu drängen,
langsam, Junge, Vati rutscht.
Mist, jetzt ist er weggeflutscht...

12:37

Hier wird gearbeitet...

14:26

Würde Sie das überzeugen???

Hermann Mensing
Der Vogel und der Zauberer

Exposé

"Es war einmal Zauberer. Er war weltberühmt und hieß Siebenlist.
Siebenlist lebte in einem Haus, das manche für ein notgelandetes UFO hielten.
Aber das war es nicht. Es sah nur anders aus als andere Häuser, ganz aus Glas und Stahl, und es drehte sich mit der Sonne.
So hatte Siebenlist immer bestes Tageslicht.
Das Haus stand auf einer Böschung über einem Fluss.
Siebenlist gefiel das. Das altmodische Tuckern der stromauf- und abwärts fahrenden Schiffe beruhigte ihn.
Manchmal verzauberte die am gegenüberliegenden Ufer aufgehende Sonne den Fluss in eine gleißende Schlange. Dann wieder schob Westwind die Wolken so tief heran, als wollten sie ihn verschlucken, und abends funkelten die Lichter der Großstadt am Horizont wie ein Meer aus lauter Diamanten.
Mehr als all das aber liebte und verehrte Siebenlist die Vögel, die am Fluss lebten.
Wie sie da überm Fluss kreisten, wie sie auf und ab tanzten und schrieen, wie sie sich stritten und das Leben doch liebten, war wundervoll.
(...) Wenn Siebenlist ihnen zusah, war er glücklich. In Gedanken schraubte er sich höher und höher mit ihnen hinauf, bis seine Sorgen so klein wurden, dass er sie nicht mehr erkennen konnte und für eine Weile vergaß.
"Ein Vogel müsste man sein", seufzte er, aber er ahnte, dass sein größter Wunsch wohl nie in Erfüllung gehen würde."

Wofür wäre ein Märchen gut, wenn ich meinem Protagonisten diesen Wunsch nicht erfüllen könnte.
Um die Sache aber noch spannender zu machen, habe ich ihm die Krähe Rocko gegenübergestellt.
Rocko träumt davon, ein Mensch zu sein. Auch dieser Traum wird erfüllt.

Wie das vonstatten geht, welche verwirrenden Konsequenzen das hat, erfährt der Leser im Verlauf des Romans.
Da gibt es Fliegen, die sprechen können, es gibt computergesteuerte Ruhesessel, die ebenfalls Wünsche äußern, es gibt Füchse und Uhus, die den Fortgang der Geschichte beobachten und den Rest der Welt davon in Kenntnis setzen, sogar der Mond gibt Anweisungen, es gibt zu Lachen und zu Staunen, und auch die Frage nach dem Woher komme ich, wohin gehe ich und wozu ist das eigentlich alles gut hat in diesem Spiel ihren Platz. Der Vogel und der Zauberer ist ein zeitgenössisches Märchen, das klassisch endet: ...und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

 

 



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1: Arno Geiger, Es geht uns gut, Roman, dtv 2007


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