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So 2.06.19 20:08

Wegen Bullenhitze geschlossen.


Mo 3.06.19 14:48 bewölkt, warm

Gegen fünf wegen eines heftigen Gewitters erwacht. Die Gewitter der Jetztzeit haben nichts mehr mit den Gewittern meiner Jugend zu tun. Damals zogen sie auf, es rummst und knallte eine halbe Stunde, es goß wie aus Eimern, dann war es vorbei. Das Gewitter beruhigte sich erst gegen sieben, halb acht. Gewaltige Schläge im Südosten, nicht einer, sondern ein ständiges Blitzen, gefolgt von schwerem Donner.


Di 4.06.19 12:08 es ist heiß

Liebe Annette,

in "Bei uns zu Lande auf dem Lande" erzählst du von den Umwälzungen deiner Zeit. Deine Amme, Katharina Plettendorf, eine Weberstochter, fand nur noch schwer Arbeit, denn in den Manufakturen standen die ersten Webstühle, die schneller und kostengünstiger arbeiteten. Auch die Landschaft veränderte sich. Eichenwälder wurden gerodet, Nadelholz wurde gepflanzt, weil es schneller wächst und leichteren Profit versprach.

Heute ist die Welt in großer Sorgen wegen des sich rapide verändernden Klimas. Stell dir vor, keine hundert Meter von hier, du gehst bei Hürländer vorbei Richtung Münster, durchzieht eine sechsspurige Straße das Land, eine Autobahn. Du weißt nicht, was Autos sind? Kein Wunder, denn der Ottomotor wurde erst gut zwanzig Jahre nach deiner Zeit erfunden. Stell dir eine Kutsche ohne Pferde vor. Darin ist ein Motor, der Benzin verbrennt. Das ist ein komplizierter Vorgang, der einen Kolben treibt. Dieser Kolben ist verbunden mit einer Pleuelstange, die Kolben und Kurbelwelle verbindet, die die Räder antreibt.

Ich weiß, du bist mit der Bahn gefahren. Damals glaubten die Menschen, die ungeheure Geschwindigkeit einer Dampflock, 30 Kilometer pro Stunde, wäre der Gesundheit der Menschen abträglich. Auf der Autobahn fahren keine Kutschen, wenngleich man sie im Volksmund hin und wieder noch so nennt, auf der Autobahn fahren Automobile oft sechs- bis sieben Mal so schnell, wie die Eisenbahn fuhr, mit der du unterwegs warst.

Aber das wollte ich eigentlich gar nicht erzählen, Annette. Ich wollte erzählen, dass ich es heute zum ersten Mal, seit ich Gäste durchs Rüschhaus führe, mit einer Gruppe von 25 Kindern zu tun hatte. Unangemeldet standen sie um elf vor der Tür, und ich war so müde, weil das Wetter mir den Schlaf geraubt hatte. Aber die Kinder haben mir die Müdigkeit schnell vertrieben. Ich habe ihnen erzählt, dass sie nichts anfassen dürfen, wenn sie aber in Kontakt mit dir treten wollen, nur die Türklinken des Hauses anfassen müssten. Du glaubst nicht, wie viele Kinder das getan haben. Ganz andächtig, als würden sie mit dir sprechen. Im Schneckenhäuschen haben wir übers Dichten gesprochen, und ich habe gefragt, ob jemand ein Gedicht aufsagen könne. Ein Mädchen meldete sich. Dann mal los, sagte ich, und sie begann: Denkt euch, ich habe das Christkind gesehen. Ich war gerührt.

Jetzt ist Mittag. Die nächste Führung ist um zwei. Ich habe Zeit. Ich genieße das Haus. Wenn nur die Autobahn still wäre. Morgen sehen wir uns wieder.


Do 6.06.19 17:59 leicht bewölkt, angenehm frisch

Herr M. (manchmal ich) ist siebzig und hat in den letzten zwanzig Jahren etwa 700 Mal in Grundschulen gelesen. In der Regel hat ihm das große Freude bereitet, seinem monetären Erfolg jedoch wenig genutzt. Seine Bücher sind ausverkauft und wegen des grandiosen Erfolges nie wieder aufgelegt worden. Damit kann Herr M. leben, denn er ist einer Neigung gefolgt, und weiß, dass das die richtige Entscheidung war.

Herr M. spürt aber auch, dass seine Uhr immer schneller läuft. Das ist normal, und kein Grund zur Sorge. Heute hat er dreimal gelesen. Zweimal in ersten und zweiten, einmal in dritten und vierten Klassen, jeweils ca. 40 Kinder. Die Kinder sind wundervoll. Lebensfroh. Neugierig.

Was er bei diesen Lesungen aber immer wieder mit Kummer feststellen musste, ist, dass Grundschulen, ganz gleich, wie viele bunte Bilder, geprickelte Blumen und Girlanden dort aufgehängt sind, um das Ambiente kindgerecht zu gestalten, häufig Orte sind, in denen Frauen, Jahr für Jahr älter und lustloser werdend, zudem mit den bürokratischen Anforderungen des Systems kämpfend, sich das Leben zusätzlich erschweren, weil sie in kleinen und kleinsten Frauenkollektiven (Männer findet man in Grundschule äußerst selten, falls, sind die Rektor oder Hausmeister) zermürbende Zickenkriege führen. Auswegslos, denn sie sind verbeamtet und auf Lebenszeit aneinander gekettet.

Mit so einer lustlosen Frau hatte ich es heute zu tun. Während der ersten Lesung saß sie hinten und tuschelte mit einer Kollegin, während ich mir den Arsch aufriss. Nach der zweiten Lesung kam sie zu mir, sagte, die erste habe ihr gut gefallen, bei der zweiten habe ihr die Interaktion gefehlt. Aha, dachte ich. Na ja. Feierabend.

Ihre Vorstellung von Interaktion sah so aus: vor den Lesungen ging sie an ein Medienregal, legte eine CD an, ein/e sehr mäßiger KlavierspielerInn spielte ein Lied und die Kinder sangen dazu. Sie musste den Text ablesen. Das Lied hatte sechs Strophen.


Mo 10.06.19 leicht bewölkt, Frühsommer

Das vom heiligen Geist inspirierte Leben hat jeden Tag Überraschungen in petto, die sich ein Primat wie ich nicht vorstellen kann. Das ist das Wunderbare daran. Dass diese Überraschungen manchmal erschrecken, dann wieder erfreuen, liegt in ihrer Natur.

Wir, die auf Erden einhergehenden Primaten, wissen, seit wir uns vor vielen, vielen Jahren aufrichteten, Knüppel zur Hand nahmen und Werkzeuge erdachten, nie, ob wir träumen oder wach sind, wenngleich wir natürlich leichtfertig Namen verwenden, die das eine oder andere behaupten, aber unterm Strich, lieber Heiliger Geist, sagst du uns nicht einmal, ob wir leben oder tot sind. Du verrätst nichts über das Wunder der menschlichen Existenz, die so und so lange dauert, du versprichst zwar das Himmelreich, aber dieses Versprechen bindest du an strengste Regeln, die unseren Alltag bestimmen.

Wenn sich aber einer wie ich einen Teufel um diese Regeln schert, was geschieht dann mit ihm? Aller Voraussicht nach wird er, nachdem das Leben ihn verlassen hat, nach einer Karenzzeit, die so und so lange dauert und von der Beschaffenheit der Erde abhängt, in die man ihn versenkt hat und vielen Lebenwesen Nahrung bietet, schlußendlich Humus, auf dem die nächsten Generationen wachsen und gedeihen.

Damit könnte man sich zufrieden geben, wäre man nicht dieser Primat, der ununterbrochen von Fragen bedrängt durch die Welt geht, die, kaum sind sie beantwortet, neue Fragen heraufbeschwören. So gefickt denkt man sich das Leben mangels besserer Erklärungen gern als Zyklus des Werdens und Vergehens, woraus die große Mutter Kirche über die Jahrtausende ein bestens funktionrendes Geschäftsmodell entwickelt hat, dass uns letztlich alle in Grab bringen wird.

Schönen Pfingsmontag also.


Di 11.06.19 sonnig mit Wolken, warm

das grosse leben
hat
verstimmte saiten
die spielt man
und lässt sich begleiten
für's kleine aber braucht man mut
dann klingt es gut


Mi 12.06.19 8:16 bewölkt noch

Hat man an alles gedacht? Sind die getroffenen Entscheidungen richtig? Hat man Dinge übersehen?

11:39

Ein alter Mann mit Bart kreuzt den Pantaleon Platz. Ein deutlich jüngerer Mann, offensichtlich ein Bekannter, grüßt und sagt: Na, Herr Freude, auf dem Weg zum Arzt? - Soweit bin ich noch nicht.

Alles ist gerichtet. Es soll losgehen.


Fr 14.06.19 - So.30.6.19 Vilnius, Trayka, Kaunas, Nida, Klaipeda, Kiel, Münster