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Lugano

Wie mondän sich das anhört. Als wäre man Millionär, hätte seine Villa hoch überm Luganer See kurz einmal verlassen, um durch den Park am See zu flanieren, auf einer schmiedeeisernen Bank unter Palmen zu sitzen und hinüber nach Italien zu schauen, oder gar nicht zu schauen, sonder einfach den Schatten eines sonniges Tages im Tessin zu genießen und zu hoffen, dass sich die Kurse der internationalen Börsen weiter zu eigenen Gunsten entwickeln.
Wo hatte man den Rolls Royce noch geparkt?
Die Wirklichkeit sieht anders aus. Zwar wohnt man hoch überm See in einem idyllischen Ort namens Carona, aber man ist dort nur Gast. Man hat dort einen alten Reisefährten besucht, Bruno, der dem ein- oder anderen aufmerksamen Leser dieser Notizen schon begegnet sein mag.
Jetztzeit Lugano heißt 25 Jahre später. Bruno hat drei Kinder, ich habe zwei Kinder. Bruno ist Bürgermeister von Carona, was seiner Baufirma augenscheinlich zugute kommt. Jedenfalls ist das unser Eindruck. Bruno verwöhnt uns. Bruno trinkt schon am Morgen rosafarbenen Champagner mit uns und gibt uns Dinge zu essen, die wir sonst nie essen. Als wolle er uns die Augen wischen.
Jahre später erfahre ich, dass er, als wir ihn besuchten, längst bankrott war.
Heute aber, an diesem Sommertag, steht eine Bootsfahrt ins Haus. John hat sich zu uns gesellt, auch ein Südamerika-Fahrer, heute in Nairobi lebend, ein Architekt. Bruno mietet drei von Elektromotoren getriebene Boote und wir fahren hinaus auf den grünen See. In Kühltaschen sind Getränke.
Mitten auf dem See halten wir. Und nun beginnt eine Geschichte, die nichts für furchtsame Gemüter ist. Wir wollen nämlich schwimmen. Und das mir, der ich mich nie weiter als zwanzig Meter vom Ufer irgendeines Gewässers entferne, wenngleich ich ein guter Schwimmer bin.
Doch hier, mitten auf dem Luganer See, scheint sich niemand außer mir und C. unwohl zu fühlen. Alles hoppst ins Wasser und platscht und plantscht. Wir müssen mit anschauen, wie sich unser jüngster Sohn, der gerade erst Schwimmen gelernt hat, kopfüber in die Fluten stürzt.
Ich springe hinterher. Ich versuche gute Miene zum Spiel zu machen, ich tolle auch, aber jede Sekunde spüre ich diese Tiefe, die unter mir gähnt. Zweihundert Meter, bestimmt.
Noch schlimmer wird es zwei, drei Stunden später. Wir sind weitergefahren, wir haben auf der italienischen Seite des Sees gegessen, haben Siesta gehalten unter Platanen, es ist Nachmittag und vom Südwesten zieht ein Wetter heran. Der Wind ist aufgefrischt und wieder verordnet Bruno mitten im See eine kleine Badepause. Mein ältester Sohn verschwindet kopfüber in den Fluten und schwimmt hinüber zum anderen Boot. Mein jüngster Sohn kollidiert beim Versuch, zurück ins Boot zu klettern mit der Bootswand des in den kleinen Wellen auf- und ab hüpfenden Bootes, nichts wirklich Beängstigendes passiert, aber ich wünsche mir nur noch festes Land unter den Füßen. Doch dann kommt der Höhepunkt.
Unter einer kirchturmhoch abfallenden Steilwand am See will Bruno uns etwas ganz Besonderes bieten: schwimmen unterm Fels. Die Boote schaukeln. Die Wind ist noch stärker geworden. Ich will das nicht. Ich bitte Bruno, weiter zu fahren, die nächste Landzunge zu umrunden, denn dort wollen wir noch einmal einkehren. Bruno hat das alles ausgetüftelt. Gut, sagt Bruno schließlich und unser Bootskorso setzt sich wieder in Bewegung.
Vor der Landzunge aber soll dann doch noch ein letztes Mal gebadet werden.
Ich sage Nein. Meine Kinder sind empört. Sie wissen ja nicht, welche Furcht micht treibt. Alle reden auf mich ein. Ich bleibe bei meinem Nein. Ich will nicht noch einmal diese Furcht durchstehen. Und so endet dieser so gut gemeinte Tag auf dem Luganer See mit einem Misston. John und Bruno sagen, so würden sie mich kennen. Seit Südamerika hätte ich mich überhaupt nicht verändert. Ich weiß nicht recht, was ich dazu sagen soll. Als wir am späten Nachmittag wieder festen Boden unter den Füßen haben, könnte niemand glücklicher sein als ich.

 

 

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