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Sa 1.05.2021 10:21 /Krise Tag 414 / wechselnd bewölkt

Die vierte nikotinfreie Woche beginnt. Es fühlt sich gut an.


15:20

Der Roman stockt auf Seite 134. Wir warten auf Nachricht von oben.

16:29

ich bin der große größtmeister
der kleinste aller scheibenkleister
der dickste aller dünnbrettbohrer
der dünnste aller weltexplorer
der effektivste schlendrian
das leichtgewicht fassmichnichtan
ich bin es ich ich ich nicht du
du bist nicht ich du bist tabu
ich seh dich gar nicht pust dich weg
von dir bleibt nichts nicht mal ein fleck

21:30

menschen:
der kleine mensch, der mich im supermarkt anstrahlte, als wäre ich sein opa.

tiere:
die vögel im futterhäuschen und in den büschen ringsum.

sensationen:
dass ich da bin und immer noch schreibe.


Mo 3.05.21 14:52 / Krise Tag 416 / wechselnd bewölkt, zu frisch

o je
da segelt hart am blütenschnee
ein mann vorbei
der alle tugend aufgegeben hat
und nur noch hofft
dass es nicht weh tut
wenn es endet
yeah yeah
was hat der mann nicht alles
losgetreten ungebeten
was hat der mann im falle dieses falles
bloß getan dass man ihm alles
wegnimmt und ihn dumm trimmt
den schneid stiehlt und bei fuß befiehlt
o ja fein fein
der mann wird wohl kein dichter sein
wie ich mit meinem dichterbein
voller varizen und nem heil'genschein
nein nein der segelnde im blütenschnee
ist einer aus der haut voilet


westfälisches mundartgedicht

da schau
dann bring i mi jetzt um
weil d' wiesen
hoams jetzt oabgesagt
da schloag i mi die knochen krumm
reiß mia den puls aus
sauf mi dumm
allein find i das rechte maß
i glaub i geh ins gas


Di 4.05.21 13:35 / Krise Tag 417 / wechselnd bewölkt, stürmisch, auch Regen

Das Feld liegt an der A1. Sechszehn Lebewesen waren gestern nachmittag dort beschäft, ein Bauer, der Gülle ausbringt, ein zweiter, der den Boden eggt, und vierzehn Störche, die, wenn einer der Traktoren heran kam, entspannt einen Schritt zu Seite traten. Das muss schön sein für den Bauer, dachte ich. Später sah ich vier oder fünf Störche kreisend auf der Suche nach Thermik.


Mit 5.05.21 11:25 /Krise Tag 418/ wechselnd bewölkt, frisch, nicht mehr so stürmisch

ein optimist
geriet zu ende seines lebens
in einen mahlstrom tiefer dunkelheit
er schwamm ums leben doch vergebens
das ufer war zu weit.


Fr 7.05.21 13:40 / Krise Tag 419 / wechselnd bewölkt, frisch

Seit Monaten erstmals freudig geshopt und ein wenig Geld ausgegeben.


wir haben einen schönen blick
ein herz mit allerlei verzierung
wir kennen einen oder anderen trick
und stürzen die regierung


So 10.05.21 16:43 /Krise Tag 421 / sommerlich warm

Dorfschreiber Tag 1
9.05.2020

In Fahrtrichtung rechts vor oder hinter dem Abzweig zur Kornbrennerei Gerbermann ist eine Wiese gemäht. Das ist meine erste in diesem Jahr. Ich konnte sie riechen, als ich mit dem Roller vorbeifuhr. Auf der Brücke zur Molkerei kamen mir zwei Männer in blauen Unterhemden entgegen. Kräfige Männer. Gezielte Schritte, aber entspannt. Stramme Bäuche, die Herren. Besser Tach sagen und Frieden signalisieren.

Vorm Altenheim Magnus saßen ein Mann und eine Frau. Ein Paar, dachte ich. Ich freute mich. Das wäre ein erträgliches Ende, aber soviel Glück haben die wenigsten. Ein paar Meter den Weg hoch saß ein Mann im Rollstuh mit dem Rücken zur Fahrtrichtung. Er schaute auf die Terrasse. Er schaute, als säße er gerne an ihrer Seite, aber eigentlich will er seine Frabbbbbbbbbbbu. Manchmal vergißt er ihren Namen und erschreckt. Wilhelmine soll kommen, ihn holen, sofort, er säße auf seiner Einsamkeit, das hielte man nicht lange aus. Also bitte, Wilhelmine.

Es kommen zwei Kreisverkehre, eigentlich nur eine leicht erhöhte, geplasterte kreisrunde Fläche. Man weiß nicht, soll man drüber fahren oder drumrum? Beides fühlt sich blöd an, in etwa so blöd wie nachts mutterseelenallein vor einer roten Ampel. Man kann kilomterweit sehen. Aber man wartet. Da vorn ist mein Haus. Der Grüne Winkel. Hier ziehe ich ein. Und dann bleibe ich zwei Monate.

Ich hatte eingeräumt, und fuhr zum Tanken. Die Startankstelle war geschlossen. Ich fragte. Bis zur Kreuzung, dann links, stadtauswärts rechts liegt sie dann. Lag sie auch. Liegt sie noch immer. Sieht hinten drin sieht wie bei der RCG. Zwei Mädchen wickeln ihren Vater vor der Eistheke um den Finger. Aber war noch besser ist: vor zwei Wochen hatte ich im Vorbeifahren ein Schild gesehen. Ich kam vom Kulturgut Haus Nottbeck. Es war kein gutes Wetter. Ich fuhr ein Mietauto, ich war konzentriert und gleichzeitig müde, und ich eh ich's richtig begucken konnte, war es schon weg. Ich wusste nur, dass TRUMPF drauf stand. TRUMPF: zwischen zwei hohen Traversen hängende Buchstaben. Glitternd? Da bin ich mir nicht sicher. Passen würde es. Zirkusse sind uralte Orte. Alle, die mit dem Zirkus zu tun haben, sagen, dass du nichts anderes mehr willst, wenn du im Zirkus bist. TRUMPF scheint ein Großer unter den Kleinen. Der Maschinenpark sieht gut aus. Einen schwere Zugmaschine, meine ich gesehen zu haben. Die Wagen im Rechteck. Das Zelt Ein Mann steht vor einer zur Seite geschlagenen Zeltplane. Hallo, kann ich sie mal sprechen, bitte. Er dreht sich zu mir. Er hat oben und unten breite Zahnlücken. Er hat wenig Haar. Er schaut freundlich. Ich sage, ich sei ab heute der Dorfdichter, der herum gehe und fahre und Menschen Dinge fragt. Weil er ja nichts weiß von diesem Dorf und seinen Menschen. Ob er die Tage mal vorbeischauen könne, um mit ihnen ein wenig zu plaudern? Ja, das macht dann meine Cousine, das ist okay, kein Problem. HSK steht auf den Nummernschilder. Hochsauerlandkreis, sag ich. Er nickt. Immerhin, der Dorfdichter ist nicht blöd, denkt er, aber dann sag ich: oder seid ihr morgen schon weg? Ich hatte die Seuche für einen Augenblick vergessen, das war schön.

Ich sitze auf der Terrasse des Grünen Winkels. Frauen tratschen. Kinder spielen. Gegenüber wohnen Ägypter, sagt meine Vermieterin. Ich mag Lebenslärm. Technischen Lärm mag ich nicht. Eine Amsel singt. Auf den Kissen der Gartenbank liegt eine schwarze Kätzin. Sie ist ein bisschen gedrungen, hat ein eher breites Gesicht, hat die smaragdenen Augen, und ist äußerst gesprächig. Grenzen setzt sie, wie alle Katze, wenn ihr danach ist. Ich wusste von ihr. Ich hatte mich auf die gefreut. Meine letzte Katze starb vor fünf Jahren. Ich habe dreißig Jahre mit Katzen gelebt. .


19:44

auf terrassen und balkonen

raucht das frisch verbrannte tier,
stilles dorf, es ist mein wille,
komm, gib mir ein bier.


Mo 10.05.20 16:05 /Krise Tag 422 / mild, bewölkt


Dorfschreiber Tag 2 10.05.2020

Als ich jung war, hieß es, langsam an mit den jungen Pferden. Heute würde man mir eher vorschlagen, die "base zu chillen". Eines nach dem anderen also. Gott hatte sich für die Welt 7 Tage reserviert, obwohl er Besseres zu tun gehabt hatte, aber man hatte ihn gefragt, er hatte zugestimmt, die Welt sollte Form annehmen, er wusste, wie es ging, also machte er sich ans Werk.

Mein Werk ist bescheidener. Er heißt Everswinkel und ich habe zwei Monate Zeit, um "es" zu vollenden. Heute ist mein zweiter Tag, und ich habe schon alle Hände voll zu tun. Eine Lehrerin der Waldorf Schule fragte mich, was das denn sei, ein Dorfschreiber. Sowas hätte sie noch nie gehört. Ich erklärte es ihr, ich dachte, mann, das wird viel Arbeit, und fuhr weiter Richtung Alverskirchen.

Man hatte mir geflüstert, es käme zwischen Alverskirchen und Everswinkel immer wieder zu Reibereien. Ich hatte es nur gehört, aber da es da, wo ich herkomme, auch eine scheinbar natürliche Feindschaft zwischen den Orten Gronau und Epe gab, die sich auf Schützenfesten hin und wieder per Faustkampf entlud, dachte ich, da Alverskirchen der kleinere der beiden Orte ist, und ich per Definition auf der Seite der Unterlegenen bin, fahre ich zunächst dorthin, schreibe mir unterwegs alles auf, was ich sehe, und schmiede zu Ehren der Alverswinkler daraus eine Ballade. Und erst, wenn die fertig ist, habe ich Feierabend für heute. Wie sie heißt, weiß ich schon.Oder besser, ich weiß, wie sie hießen könnte. Ballade für den Detektiv etwa, denn an der Neustraße gibt es eine Detektei. Ballade für die Dampfmühle auch, Ballade für den Stufengiebel, Ballade für die Patenschaftsbäume, Ballade für den alten Küchenbullen, oder besser einfach: Ballade. Wir werden sehen, was daraus wird.


23:22

Ballade für Alvinskerken

Am Haselweg
unter dem jungen Spitzahorn
stehen zwei Bänke fest verkettet,
und an den Stamm genagelt
hängt die Stange eines Siebenenders
und Hörner eines jungen Bocks,
der Wind kommt aus Südwest, er bettet
die dunklen Wolken und zerzaust ihnen den grauen Rock.

Am Sportpark Wester
bellt ein Labrador mich an
sein Herrchen mäht den Rasen
dann und wann
schaut er herüber und der Hund begreift,
dass ich nichts Böses will, sein Schweif
schlägt, bis auf Weiteres geschlossen,
steht auf dem Torschild, alle Fragen bleiben offen.

Ich mach nichts mit,
weil ich nichts machen darf, denn Ferne
ist die Losung, Abstand halten, dieser Tage,
dass man das Up'n Hoff nicht gerne
hört, ist keine Frage,
am Tag Vierhundertzweiundzwanzig dieser Krise,
zähl ich in Anbetracht der südwestlichen Brise
das Virus, das schon weiche Knie hat, aus.

Schön wär's,
wir wären Patenbäume
auf dem Weg nach Alvinskerken, Linden,
mit weichem Grün, bis dreizehn Jahre alt,
wir würden uns in bester Laune finden
ich hör schon, wie der Korken knallt,
ich seh' den Kirchturm von St. Agatha,
ich seh zwei Hasen, den Gedenkstein,
ein Haus, die Nummer 5, verwaist. allein,
ich geb der Leeze Zunder und bin da.

Ich dreh den Kreisverkehr durchs Dorf,
zähle die Stufengiebel, wäre gern zu Hause,
Schürkötters Mühle, renoviert,
im Golddorf mach ich eine Pause,
St. Agatha schau ich mir später an,
weil ich heut nichts mehr sehen kann,
es ist beschlossen,
noch zum Spaß, den Kreisverkehr umkreist
dann heimgereist.


Di 11.05.20 12:10 / Krise Tag 423 / bewölkt, um die 14 Grad

Gestern war ein ausgefüllter Tag.
Heute bin ich müde und lustlos. Heute ist der Dorfschreiber faul.

17:15

ein anspruchsvoller laubmischwald
und wo man hinschaut - aronstab
ein fußgänger von stattlicher gestalt
seit 72 jahren auf dem weg zum grab

doch keine angst, er lebt,
sein smartphone schellt und rüttelt,
er nimmt's zur hand, es wird einfach nicht still,
ganz gleich, ob er es drückt, ob schüttelt,
ihm scheint, es tut nicht, was er will.

er steckt es weg, im laub der bäume singen
paar amseln, finken und der regen tropft,
dem mann wird leicht, die arme schwingen,
er setzt sich auf die frisch ummulchte bank und klopft

den rhyhtmus für das nachmittagsgedicht,
die melodie dazu hat er blut,
man schreibt es, oder schreibt es nicht,
ein dorfschreiber ist der, der's tut.


18.30

Pater Bück, ein Verwandter der Familie Dernebockholt, beschließt, sich im unruhigen Deutschland um 1870 in der Bauernschaft Schuter in der Nähe der Angel eine Einsiedelei zu bauen. Er will allein sein und beten. Er will sehen, wie das ist vor Gott, oder ob es überhaupt so etwas gibt wie Gott, das will er rauskriegen, und dafür braucht die Welt nicht. Dass die Welt trotzdem zu ihm kommt, ihn sogar zu verehren beginnt und Almosen bringt, verwirrt ihn. Das war nicht Sinn der Sache. Er will nicht eitel sein. Vielleicht ist es eine Prüfung, denkt er, und tut etwas Handfestes. Er baut in der Nähe seiner Einsiedelei eine Lourdes Grotte. Das ist etwas, was man von allen Seiten anschauen kann, man kann drum herum gehen, man kann es schmücken.

Ich machte mich auf den Weg. Meine Navigation steht auf zwei Säulen: einer angeborenen Orientierung und einer Neigung, jeden, von dem ich hoffe, dass er bald auftaucht, zu fragen, wo es lang geht, wenn er tatsächlich auftaucht. Der Radweg nach Sendenhorst endet irgendwann. Plötzlich wieder so exponiert auf einer Straße zu fahren, die für Männer in schwarzes Golfs jederzeit für hundertdreißig gut ist, macht keinen Spaß.

Aber noch auf dem Radweg überholte mich eine etwa Vierzigjährige. Sie fuhr E-Bike, ich fahre eine dreißig Jahre alte Gazelle. Ich hörte sie herankommen, und rief ihr, den Kopf über die linke Schulter zudrehend, zu, ich sei der Dorfschreiber, ob sie wisse, wo die Lourdes Grotte sei. Nä. Lourdes Grotte? Ein Marienaltar. A der, ja, da, vor der Gärtnerei links. Und dann war sie schon weg. Schönen Abend noch, hatten wir wohl gesagt, und ich dachte, so soll es sein, sie erzählt das jetzt zuhause. Da war einer, sagt sie, auf dem Rad, den will ich überholen und der sagt, ich bin der Dorfschreiber. Weißt du, was das ist? Nö.

Gleich hinter der Angel kriecht eine Weinbergschnecke über Weg. Ich steige ab, um sie zu fotografieren. Ein Passat kommt heran, ich winke, ich stelle mich vor die Schnecke, damit er sie nicht platt fährt. Er hält. Ein Mann Mitte Zwanzig lässt die Scheibe runter. Ja? Ich suche die Mariengrotte. Wissen Sie, wo die ist? Da hinten, bei den Bäumen, sagt er. Danke.

Wenn das Volk fromm ist, baut es solche Altäre. Ich habe volksfromme Prozessionen in Südamerika gesehen. Die waren bunt, Blechbläser und Trommler marschierten unter blinkenden Lichtgirlanden, heiligem Rauch und Inbrunst. So oder ähnlich, wenn auch nicht so ausgelassen, da der Westfale anders temperiert ist, wird ist im Schuter auch ausgesehen haben, damals, und dann fällt mir noch ein, dass ich den jungen Mann im Passat auch hätte fragen können, wie man denn lebt auf dem Land, aber das krieg ich schon noch raus, ich bin ja erst drei Tage hier.


Sa 15.05 18:30 /Krise Tag 427/ wechselnd bewölkt, Regen, frisch

Die einen lassen dich spucken, die anderen schieben dir ein Wattestäbchen ins Hirn, wieder andere schieben Wattestäbchen kaum einen Zentimeter tief in die Nase, dafür aber in beide Löcher, neueste Erkenntnis. In der Hohenzollern Apotheker waren Hirntester unterwegs, unfreundliche Leute. Der Test war wie erwartet negativ. Wir hatten ein erstes Bier in der Außengastronomie angepeilt, jetzt aber regnet es, ein wenig Donner rollte herum, könnte aber sein, dass es zum Abend noch aufklart.


Mo 24.05.21 22:50 / Krise Tag 431/ bis 14 Uhr sonnig, danach bewölkt, dann und wann Regen

Mit einem Bein Dorfschreiber in Everswinkel. Mit dem anderen Romanschreiber im Nirgendwo.


Mi 26.05.21 9:30 /Krise Tag 433 / bewölkt


Der Detektiv

Detektiv ist in der Regel ein Mann, sein Artikel verrät ihn. Er trägt Schiebermütze, Melone, Knickerbocker oder Pelerine, raucht Pfeife oder Kette, trinkt exquisiten Wein oder beinharten Whisky. Der Detektiv ist immer unterwegs. Tags, nachts, jederzeit. Er reist in exklusiven, transkontinentalen Eisenbahnen, Flugzeugen oder gediegenen Limousinen. Er heißt Hercule Poirot, Philip Marlowe, Sherlock Holmes oder Nick Knatterton. Miss Marple ist eine Ausnahme, Heißt er James Bond, arbeitet er für den Geheimdienst und ist kein richtiger Detektiv.

An der Tür eines die Ausfallstraße von Alverskirchen säumenden Häuschens habe ich ein Schild gesehen: Detektei, Termine nur nach Vereinbarung, stand darauf. Obendrüber hing das das Auge einer Überwachungskamera.

Der Dorfschreiber schließt aus dem Namen des Detektivs auf Indien, grenzt aber gleich ein. Es könnte auch ein tamilischer Name sein. Der Dorfschreiber ist ein wenig verwirrt, denn eine Detektei, noch dazu eine mit tamilischem Namen, hatte er in Alverskirchen nicht erwartet.

Er wusste überhaupt nicht, was in Alverskirchen zu erwarten wäre, es war später Nachmittag, es war eine seiner ersten Ausfahrten mit der Gazelle, die erweisen sollte, ob er ihr größere Strecken zurücktrauen könne. Da er Dorfschreiber ist, und Geschichten findet, notierte er sich alles und fuhr heim.

Zunächst würde er die Ballade für Alvinskerken schreiben, deshalb war er ja auch aufgebrochen, kam aber zunächst nicht über "am Haselweg unter dem jungen Spitzahorn" hinaus, weil er sich nicht sicher war, ob es sich tatsächlich um Spitzahorn handelt und weil ihn diese Detektei nicht los lies.

Einmal auf der Spur, und man muss weiter ermitteln. Es gibt eine Webseite der Detektei, Bewachungen, Detektei, Kaufhaufdetektive, Ladendetektive, Testkäufe und Testdiebstahl stehen im Portfolio, was - vergleicht man das mit den oben genannten Detektiven - eher unspektakulär klingt.

Dieser Detektiv ist eine Frau. Sie ist in Colombo geboren, 61 Jahre alt, hochgewachsen, und so dunkel, wie nur die Tamilen sind, die von den Briten aus Indien übersiedelt worden waren, um dort in den Teeplantagen zu arbeiten, was zu den Unruhen, die Sri Linka noch immer nicht loslassen, geführt hat. Als die Detektivin zwei Jahre alt ist, zieht ihre Familie nach Madras, heute Chnennay. Madras war einer der wichtigsten Häfen der Briten am Golf von Bengalen. Ihr Vater war Leutnant der britischen Kolonialmacht. Man darf vermuten, dass das bei der indischen Bevölkerung nicht immer gut ankam.

Sie besuchte einen Montessori Kindergarten. Zur Schule trug sie einen blauen Rock und eine weiße Bluse. Es war schön bei uns, sagt sie, ihre Familie sei eine gute Familie gewesen, wenngleich der Vater streng war. Nach dem Abitur studiert sie chemical sciences, arbeitet als Filmvorführerin im Shrizar Cinema, und engagiert sich für die tamilische Sache. In den späten 80ern wird ihr der Boden unter den Füßen zu heiß. Terrorakte stehen zu befürchten, und ihr Vater rät, nach Europa zu gehen. Sie will nicht nach London, sondern nach Paris.

Es ist 1980, die Detektivin ist 20, als sie sich in Bombay in ein Flugzeug setzt. Es wird eine lange Reise, die in Alverskirchen endet. Erst aber einmal muss die Detektiv, die über Prag, Ost- und Westberlin nach Paris fliegen will, in Ost-Berlin umsteigen. Ob sie nicht wusste, dass es zwei Berlin gab? Der Verdacht liegt nahe, denn sie hat keine Papiere für die Bundesrepublik, und die Grenzer kontrollieren sie. Nicht zuletzt, davon gehe ich aus, wegen ihrer Hautfarbe. Die Detektiv erklärt sich. Die Behörden schlagen ihr vor, Asyl zu beantragen, das sichere zumindest ihren vorläufigen Aufenthalt. Und so kommt sie nach Bergkamen. Von dort geht es weiter nach Ennigerloh. Für geringen Lohn arbeitet sie im Stadtbauhof, Unteramt Straßenfegen. Sie bezieht eine Wohnung. Sie lernt Deutsch, und sie lernt es offenbar so schnell und gut, dass die Polizei Warendorf an sie heran tritt, weil sie einen Dolmetscher braucht. Es geht um eine Vergewaltigung, eine heikle Sache. Sie macht die Sache gut. Sie wird immer wieder gerufen, jahrelang. Als sie geht, bestätigt die Behörde ihr, dass Frau R. "bei uns für längere Zeit unentgeltlich gedolmetscht hat." Eine zuverlässige Kraft. Sie wechselt ins Oberlandesgericht Hamm. Dort wird sie gut bezahlt, "sehr gut", sagt sie, und an Gerichte in Halle, Osnabrück, Lemgo, Höxter, Paderborn, Gütersloh, Warendorf, Coesfeld und Essen gerufen. Schließlich arbeitet für die Staatsanwaltschaft und das LKA bei Schleuserverfahren, und absolviert einen Lehrgang an der der Polizeischule, Überwachungsgeräte für das Abhören von Telefonen zu bedienen. Die notwenige Ausrüstung plus Antenne wird bei ihr installiert. Manchmal, sagt sie, habe sie Tag und Nacht gearbeitet.

Als ich das erste Mal vor ihrer Tür stehe, weiß ich von all dem nichts. Ich weiß nur, dass man sich im Dorf einiges von ihr erzählt. Gendertratsch. Die Detektivin stand vor mir. Sie trug ein weites Baumwollkleid, ein mehrfach gewickeltes Tuch um den Kopf und an mir sprang ein Malteser hoch, Nikki. Er sollte gleich von einer aus Münster anreisenden Friseurin getrimmt werden. Ich glaube, mir fiel die Kinnlade herab, als ich sie sah. Ich hatte mir keine Fragen ausgedacht, ich wollte einen ersten, möglichst umweltneutralen Eindruck. Und den hatte ich jetzt. Wenn ich es nicht wüsste, sagte ich, könnte ich sie für eine Voodoo-Priesterin halt, die mich womöglich verzaubert. Die Detektivin lachte aus vollem Hals. Wir verabredeten uns auf ein paar Tage später. Ich würde Fragen vorbereiten.

Die Arbeit für das LKA war ertragreich, so dass sie beschloss, sich Urlaub in Rosamare zu gönnen, ein Städtchen in Katalonien. Als sie zurückkehrt, wartet ein Brief vom Finanzamt. Sie hatte gut verdient, aber von Steuergesetzen offenbar keine Ahnung, sie muss nachzahlen, ist pleite und arbeitslos.

Sie arbeitet als Pflegerin, sie wechselt in eine Ausbildung als IT Fachkraft in Hamm. 50 Männer, eine Frau, sagt sie lachend. Dort arbeitet sie bis 2009. Ein Lehrer verliebt sich in sie, aber sie liebt das Alleinsein und die Selbständigkeit.

2010 liest sie eine Anzeige. Eine Detektei sucht Mitarbeiter. So wird sie Ladendetektivin . Sie arbeitet in Toom Märkten in Osnabrück und Nordhorn, und erwischt im Dreivierteltakt Diebe, wo früher nur alle paar Wochen einer ins Netz ging. Als sie bei REWE eingesetzt wird und ebenso erfolgreich ist, rät ihr der Chef, sich selbständig zu machen.

In den zwei durch Jalousien verdunkelten niedrigen, kleinen Räumen ihres Häuschen stehen Monitore. Auf Tischen und Regalen liegen Kameras, verschiedene, teils armlange Objektive, Nachtsichtgeräte, Wärmebildkameras, Aufnahmegeräte, Richtmikrofone, weiß der Kuckuck was da alles ist, Spionagegerät, Mensing, schließlich soind Sie in einer Detektei und die Detektivin hat es amtlich. Auf einer gerahmten Bescheinigung an der Wand steht, dass sie die Prüfung für die Ausübung des Wach- und Sicherheitsdienstes nach §34a Abs.1 Satz 5 erfolgreich abgelegt hat. Dazu gehört Straf- und Strafverfahrensrecht einschließlich Umgang mit Waffen.Sind Wummen im Haus?

Nachts. Ein Parkplatzu vor einem Edeka Markt in einer kleinen westfälischen Stadt. Keiner mehr unterwegs, bis auf diesen Mann. Dieser Mann ist seit langem krankgeschrieben. Man verdächtigt ihn, Krankengeld zu kassieren und schwarz zu arbeiten. Die Detektivin liegt auf der Lauer.

An drei Wänden ihrer Wohnung hängen Flachbildschirme. Eine Wand wird mit einem Beamer bespielt. Es läuft ein Bollywood Film. Auf den Flachbildschirmen Sport, Ntv und ARD. Zwischen Mischpulten, Computern, Geräten zum Bearbeiten und Schneiden von Audiomaterial stehen zudem Keyboards. Eine Trommel ist auch da, auf der die Detektivin zu spielen beginnt. Ich sage, ich sei Schlagzeuger und könne ein wenig Klavier spielen. Oh, sagt sie. Spielen Sie mir etwas vor? Gern, sage ich, aber es läuft aufs Vortrommeln hinaus, denn die Keyboards weigern sich. Also trommle ich, und sie tanzt eine kurzen, tamilisch inspirierten Tanz. Wir lachen. Sie bietet mir Twixx an und eine Banane. Twixx (ich kenne es noch als Raider) klebt unangenehm unter der Prothese, die Banane geht.

Ich habe keine Wünsche offen, sagt die Detektivin. Ob sie noch tamilisch träume? Dann und wann, sagt sie. Hat sie noch Verwandtschaft in Chennay? Ja. Eine Schwester. Und sie hat einen Freund.