November 2007                                        www.hermann-mensing.de      

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Fr 2.11.07 9:25

Während die einen in einem chinesischen Billigkaufhaus unterwegs sind, um u.a. singende Maiskolben zu bestaunen, sitze ich auf einem glanzpolierten Marmorrondell, die Sitzfläche einen Meter tief, im Durchmesser drei oder vier mitten in einer Einkaufspassage in einer Stadt am Ostrand der Niederlande, eine ähnlich geschundene und heruntergekommene Schönheit wie Gronau: hässlich. Sehr hässlich.

Der Himmel hängt tief, aber das macht nichts, die Stimmung ist gut, eine angenehme Unaufgeregtheit prägt den Tag und es ist auch nicht so, wie wir erwartet hatten, es birst nicht aus allen Nähten. Zwar sind viele Deutsche unterwegs, aber nicht zu viele.

Während mein ältester Sohn auf diesem beeindruckenden i-pod-touch ein freies W-Lan sucht, beobachte ich den Besitzer eines Bekleidungsgeschäftes für Herren. Er ist schwul, doch nicht tuntig, kommt aus der Tiefe seines Geschäfts vor die Tür, biegt nach rechts, rückt die dort stehende Schaufensterpuppe zurecht, indem er sie wie einen aufzumunternden Freund an den Schultern fasst.

Nachdem das getan ist, ist keine Veränderung zu erkennen.
Dasselbe macht er mit einer Puppe im Eingangsbereich seines Geschäftes. Auch sie wird an den Schultern gefasst, ein wenig hin und her gerückt, die Jacke wird gezupft, das alles im Vorübergehen und einhergehend mit Blicken in die Einkaufspassage und auf die vorbeiflanierenden Menschen.

Die Stadt wirkt dämmrig, und es wird auch nicht heller, als schließlich die Lichter an sind. Das Licht hellt nicht auf, es animiert eher, zu verbergen, was immer zu verbergen wäre. Versuche mich zu erinnern, wie das vor fast vierzig Jahren war, als ich samstags immer in dieser Stadt unterwegs war, in der einzigen Discothek weit und breit, zu der sie aus fünfzig, sechzig Kilometer Umkreis anreisten. Genauso dunkel, noch dunkler, würde ich denken.

Ein offenes W-Lan wird gefunden, während der Ladenbesitzer an auf Bügeln hängenden Kleidungsstücken hantiert. Er rückt zurecht. Er hat zu tun. Er hat einen Blick für Ordnung.

Wir sind noch lange nicht fertig. Wir streifen noch durch viele Geschäfte, wobei eigentlich nur die Frauen streifen, während wir, die Männer, herumstehen und beobachten. Ich habe zwei kurze Gespräche mit Einheimischen: Eingeborene, eine einen üblen Dialekt sprechende Spezies, überwiegend proletarischer Herkunft wie ich.

Einmal spreche ich mit einer Frau im Elektro-Rollstuhl (ca. 40 Jahre alt), der im Vergleich zu den üblichen Elektrorollstühlen sehr klein ist. Ich sage also zu ihr, dass das aber ein kleiner Stuhl sei und sie antwortet, ja, der passe auch leicht ins Auto, und ich sage, schnell ist er auch, ja, antwortet sie, "heel flug" und fährt weiter.

Dann spreche ich mit einem Mann (ca. 30 Jahre alt), dem kalt ist. Ob er von drinnen käme, frage ich, er sagt ja, und ich sage, dann solle er doch eine Mütze aufsetzen. Ja, sagt er, könnte er. Ich erzähle ihm, dass ich aus Münster käme und er fragt, ob es da den Dachdecker so und so noch gäbe, als gäbe es in Münster nur einen Dachdecker. Ich sage, ich weiß nicht, und er antwortet: möglich ist alles, was ich weder vom Zusammenhang noch vom Sinn verstehe. Er hat sehr schlechte Zähne und die ganze Zeit weiß ich nicht, worüber wir letztendlich geredet haben, denn ich verstehe immer nur Signalworte. Wie gesagt, übler Dialekt, Bauernsprache.

17:34

Meine Drachengeschichte erscheint im Dezember in...

Die andere Version des gleichen Themas erscheint im Internet.
Ein wundervolles kleines Geschäft, das ich da gemacht habe, wichtiger als die Gage ist aber die Hoffnung, die ich daran knüpfe. Und ich wette, dass ich nicht falsch liege.

 

So 4.11.07   16:30

Wenn ich spazieren gehe, langweile ich mich nicht.
Bin ich wieder zuhause, tue ich etwas, um mich nicht zu langweilen, aber im Allgemeinen ist Langeweile mein ständiger Begleiter. Woody Allen sagt, er macht Filme, damit er sich nicht langweilt. Ich schreibe Bücher. Aber natürlich kann man nicht ununterbrochen Bücher schreiben, das wäre auch langweilig.

Langeweile ist ein Phänomen von Gesellschaften, die ihren Mitgliedern Freizeit schenkt.
Freizeit ist etwas unerhört Luxuriöses, will aber verbracht sein. Kein Wunder also, dass es all diese Sportarten und Freizeitaktivitäten gibt, die nichts weiter verschleiern sollen als die Leere, die uns umwölkt.

Langeweile lässt sich auch mit metaphysischer Überhöhung verdrängen.
Als ich groß wurde, hieß diese Überhöhung, es geht aufwärts, wir sind wieder wer.
Eine der größten metaphysischen Überhöhungen des vergangenen Jahrhunderts war der Faschismus.

Leider war er nicht von den Urhebern/Mitläufern, sondern von alliierten Truppen beendet worden, was von allen als ziemlich peinlich empfunden wurde. Als dann auch noch nach und nach klar wurde, was eigentlich geschehen war, hieß die neue Überhöhung: Verdrängen. Nebenher tobte der kalte Krieg.

Mitten in dieses Verdrängen beunruhigte Mitte der Fünfziger der Rock 'n Roll die Welt. Beides großartige Strategien der Überhöhung und Vermeidung von Langeweile. Die Initiatoren waren clever genug, sowohl dem Kalten Krieg als auch der Revolution sofort das Geld abzugraben und es in ihre Auffangbecken zu leiten.

Die nächsten Revolutionen, alle so genannt, aber keine von Substanz, waren ebenfalls von langer Hand eingefädelte, groß angelegte Geldvermehrungsaktionen, die allen Revoluzzern vorgaukelten, Revoluzzer zu sein.

Ich glaubte das auch.

Neben der Pop-Religion gab es auch andere Optionen, der Langeweile zu entkommen.
Die linke Revolutions-Religion, die Hippie-Religion, mit den ihnen folgenden Versuchen, der Langeweile und Leere durch haarsträubende Guru-Religionen zu entfliehen, bzw. diese zu überhöhen.

Die linke Religion (Anarchie ist machbar Herr Nachbar) brachte es zu einiger Popularität, weil sie ihren Theorien mörderische Anschläge folgen ließ, denen auch ich einige Sympathie entgegenbrachte, schließlich ging es gegen das Kapital und die Helfer des Faschismus.
Die Langeweile war vergessen, man war beschäftigt, man hatte Feinde, die man hassen konnte, etc....

Für mich folgte bald die Familien-Religion, die - vergleicht man sie mit allen übrigen Überhöhungs- und Langeweilevermeidungs-Strategien - noch zu den dem Menschsein am nächsten liegenden Strategien zählt, der ich gern gefolgt bin.

Jetzt, mit fast sechzig, zerfällt dieses Familienmodell langsam aber sicher, die, um die es sich vornehmlich gedreht hat, haben (oder werden) das Haus verlassen und uns mit unserer Langeweile zurücklassen.

Man könnte nun der Reisereligion frönen, der Nordicwalking Religion beitreten, man könnte sogar Buddhist werden, was im Augenblick sehr populär zu sein scheint, man könnte alles mögliche tun, aber da ich renitent bin, langweile ich mich lieber weiter.

Das ist auch schön.
Und folge der Hoffnungs-Religion, die mir vorgaukelt, ich könne es dennoch schaffen.

In diesem Sinne wünsche ich eine schöne Woche voller Langeweile inklusive aller Überhöhungen.

17:41

Vergaß die Liebe. Auch sie vertreibt Langeweile.

 

Mo 5.11.07   9:01

Heute wird ein schöner Tag.
Ums Haus werden die Gräben, die in der letzten Woche gegraben wurden, mit großem Getöse wieder zugeschüttet, gerüttelt (ca. 80 Dezibel) und dann wird gepflastert, was der Stein hergibt.

Ich werde schreiben.

16:22

Daraus wurde nichts.

Ich meine, nicht, dass ich es nicht versucht hätte, aber mir fiel nichts ein.
Stattdessen habe ich korrigiert und gestrichen. Das ist mit sadistischer Freude verbunden, denn ich kann meine Helden ja in diese oder jene Richtung schicken, in gar keine oder sie, wie heute, zurückpfeifen. Kaum gelöscht ist es so, als hätten sie dieses oder jenes nie erlebt, ein Teil ihrer Biografie ist wie vom Erdboden verschwunden und wird nie wieder auftauchen.

Zwischendurch hantierte ich am Elektroherd.
Auf dem Martinimarkt, einer Kirmes in Nottuln, einem idyllischen Dorf am Südrand der Baumberge, hatte Muse M. gestern ein Wundermittel zur Beseitigung von Schmutz aller Art erstanden: Perlglanz.

Eine Flasche mit hochgiftigem Inhalt, ich nehme an, man kann damit auch Flugzeuge sprengen und Häuser und was der Terrorist sonst gern sprengt, wenngleich die Flasche neben all den Warnhinweisen auch mit dem Aufdruck zu 98 Prozent biologisch abbaubar versehen war.

Gestern abend hatte ich die Flasche nur unter Zuhilfenahme verschiedener metallener Werkzeuge öffnen können, die Kindersicherung war also okay. Natürlich hatte ich die Gebrauchshinweise gelesen und mich auf einiges gefasst gemacht. Verätzungen, Kopfschmerz etc., aber was tut man nicht alles, um Jahre altes, täglich tiefer eingebranntes Fett um die Herdplatten zu entfernen.

Nach mehr als fünf Reinigungsprozeduren ist der Herd nun tatsächlich in einem Zustand, der jedem Hausmann schmeichelt. Ich habe mich nicht verätzt, habe keine Kopfschmerzen und vertröste die Umwelt mit dem Hinweis, dass solche Maßnahmen in meinem Haushalt nur alle zehn Jahre durchgeführt werden, ich bin daher bereit, einen gewissen Betrag der Umwelt zuliebe auf die Seite zu legen, um sie, sagen wir, später für etwas Leckeres auszugeben.

 

Di 6.11.07   9:11

Dick, gefrässig, von sich selbst eingenommen, gestatten: P., genau der P., der mit L., die früher mit E. zusammen war, zwei Töchter hat, hübsche Mädchen, leider ist eines völlig aus dem Ruder gelaufen.
P. raucht Pfeife, trinkt Rotwein und weiß alles. Vor allem weiß er alles besser.
Er weiß das, weil er den Spiegel liest.

Einmal im Jahr treffe ich ihn, jedesmal wünsche ich mir, dass er vor meinen Augen explodiert, dass L. ihn endlich davonjagt, denn wenn eines klar ist, geliebt hat sie P. nie.
P. hat sie verehrt, ja, das mag sein, aber sie ihn niemals.

Und so sitzen wir da, Jahr für Jahr, und zerreißen uns die Mäuler über so ein Schicksal, über so ein weggeworfenes Leben, das, wie man ja weiß, nicht wiederholbar ist, sitzen da und wünschen uns, dass ihm die Pfeife im Halse stecken bleibt, aber nicht einmal das passiert.

Es sind aber auch noch andere Idioten da. Zunächst natürlich wir selbst, dann aber L. und S.
S. war auch einmal mit E. zusammen, gleich nachdem E. sich von L. getrennt hatte.
Wenn Sie jetzt glauben, die Dinge würden zu kompliziert, hier kommen die wirklichen Namen der Protagonisten.

Also, von Anfang an:

P. und L., das sind Paul und Lisa.
Lisa war früher mit E. (Erwin) zusammen.
Erwin war danach mit Siglinde zusammen, die jetzt mit Ludwig zusammen ist. (L. und S.)

Siglinde stammt aus Holland, aber ihr Vater war ein unternehmungslustiger Kleinkrämer, und so ist sie in Deutschland groß geworden. Ludwig stammt aus dem Norden und war lange Sozialarbeiter. Beide, Siglinde und Ludwig, haben, genau wie Erwin, einen Sehnsuchtsort, einen Ort, in dem sich alle ihre infantilen Vorstellungen von Freiheit bündeln. Dieser Ort liegt an der Südküste Kretas und heißt Lentas.

Dort treffen sich jahrein jahraus Menschen, die über den Tellerrand schauen können. Die wissen, wie Freiheit sich anfühlt. In einer Erzählung Ludwigs, der mittlerweile auch ein Endvierziger sein dürfte, klingt das dann so: man habe da ein Feuer gemacht am Strand, habe die Boxen aufgestellt, er habe auf seinem Digitalen Speicher 18 Stunden Pink Floyd, dann habe man sich ordentlich einen durchgezogen und Musik gehört. Geil.

Ludwig ist ein gefährlicher Rechthaber. Er wird unangenehm, wenn man Dinge anzweifelt, die er für unumstößlich richtig erkannt hat, er kann sogar einen Streit vom Zaum reißen, der sich um nichts und wieder nichts dreht, sagen wir: um die Qualität eines Schlafsackes und seiner isolierenden Eigenschaften bei Minus 10 Grad Celsius.

Ludwig und Siglinde reisen regelmäßig nach Indien.
Dort, glauben sie, lässt es sich leben. Sie haben sechzig Kilometer südöstlich von Madras in eine kleine Pension an einem Beach investiert (man sagt nicht Strand, man sagt Beach), wo andere, ebenfalls im Besitz derselben Freiheitsvision noch im hohen Alter kiffen und frei sein können, dass es nur so scheppert.

Dieses Festhalten an vergangene Träume, dieses Nicht-Wahr-Haben-Wollen der Gegenwart, dieses Wegrennen und So-Tun-Als-Ob ist, wäre es nicht so traurig, fast schon wieder niedlich.

Als ich dreiundzwanzig war und in dieser WG am Südrand der Baumberge lebte, war eine von uns favorisierte Vorstellung, wir würden das Tal, durch das der Ludgerus Weg führt, mit einer Wand aus Verstärkern zubauen und dann mit unserer Band alles in Grund und Boden spielen. Das war lustig damals, aber es war damals.

Ludwig und Siglinde lassen das Damals einfach nicht los.

Tja, und was soll ich sagen: einmal im Jahr treffe ich sie an diesem verstrahlten Abend Ende Oktober, der immer gleich endet, mehr oder weniger gleich, meine ich, ein Zusammentreffen von Menschen, die nicht voneinander lassen wollen, können oder dürfen, je nachdem, wie man die Dinge sehen will.

Sehr gemütlich. Very strange. Und immer wieder gern.

 

Mi 7.11.07   13:27

Grauenhaft. Einfach grauenhaft. Decke übern Kopp ziehen und pennen, sonst nix.

 

Do 8.11.07   9:04

Hatte noch getankt, hatte noch Tabak gekauft und wusste, dass genügend Zeit war, pünktlich nach Dorsten zu kommen, aber lieber zu früh als zu spät, es regnete, und ich fahre nicht gern schnell. Als sich nach dreißig Kilometern plötzlich das Wischerblatt an der Fahrerseite quer stellte, so dass Wischen zwar noch möglich, aber mit der Gefahr verbunden schien, dass sich das Blatt löst und wegfliegt, taktete ich die Scheibenwischanlage herunter und hielt nach einem Rastplatz Ausschau.

Weit und breit keiner, dann aber der Hinweis auf den Rasthof Hohe Mark, fünf Kilometer. Wer schon einmal bei Regen mit defektem Scheibenwischer gefahren ist, weiß, wie die Welt aussieht, nicht sehr einladend, nicht sehr übersichtlich, alles in allem beunruhigend. Unterwasserfahrt quasi Hilfsausdruck.

Die Arretierung des Wischerblattes war gebrochen. Das intakte Blatt vom rechten auf den linken Scheibenwischer zu wechseln, gelang mir nicht, wenngleich ich es eine Weile versuchte. Ließ es aber dann, weil ich dachte, wenn ich scheitere, kann ich gar nichts mehr sehen.

Fragte in der Raststätte nach Wischerblättern. Damals, als es nicht mehr als vier, fünf verschiedene Wagentypen gab, also in der Mitte des letzten Jahrhunderts, hätte mich dort eine Fachkraft bedient, ein KFZ-Meister, dem bestimmt eine Lösung eingefallen wäre. Heute arbeiten dort keine Fachkräfte mehr, sondern 400 Euro-Jobber, denen mehr oder weniger alles egal ist.

Ich kaufte eine Rolle überteuertes Tape und machte mich daran, das Wischerblatt festzukleben, mehrere Lagen so fest wie möglich gewickelt. Dann
fuhr ich weiter. Das Gefühl, dieses Provisorium könne dennoch jeden Moment den Geist aufgeben, blieb. Zudem wurde der Regen stärker, sodass ich die Scheibenwischanlage auf Dauerbetrieb schalten musste.

Zehn Minuten vor der Zeit erreichte ich Dorsten. Letzte Woche hatte ich dort gelesen, gestern war ich Jurymitglied bei einem Lesewettbewerb einer Grundschule. Über zwanzig Kinder sollten dort vor großem Publikum (Eltern, Omas, Opas, Geschwisterkinder) einen eingeübten und einen Fremdtext lesen, nach der ersten Runde aber war klar, dass eine so große Zahl Vorlesender in zwei Durchgängen nicht zu schaffen waren. Wir strichen den zweiten Durchgang.

In der Pause verkaufte ich meine Romane.
Anschließend: dicke Patte.
Dicke Patten machen auf der Stelle leichtsinnig.
Hielt aber an mich. Zählte nur einmal durch, freute mich, wünschte mir, häufiger vor Eltern und Kindern auftreten zu können, um meinen Buchverkauf anzukurbeln und fuhr gegen 19:00 wieder heim. Zum Glück regnete es nicht.

10:30

Schöne Hoffnung schon wieder am Arsch.
Der Sender, der gestern wegen meines Hörspiel-Exposés anrief, wollte nur sagen, dass er gar keine Hörspiele produziert. Ja dann ...

 

Fr 9.11.07   11:49

Die einen wissen alles, zumindest tun sie so und oft gelingt es ihnen, die anderen davon zu überzeugen. Zu denen gehöre ich nicht. Ich weiß gar nichts. Mein Ansatz war und ist: wer nichts weiß, lernt ständig Neues. Wer nichts weiß, lernt und hat eine Chance, bis zu Ende zu lernen.

So geht es mir auch mit dem Schreiben. Oft liegt die magische Grenze, die zu überschreiten ich mich mühe, jenseits der 30 Seiten, danach schreiben sich Romane fast von selbst.

Der Roman, an dem ich augenblicklich arbeite, lässt das nicht zu.
Woran es liegt, weiß ich nicht, er ist offenbar renitenter als andere.
Seit gut drei Wochen tue ich also nichts anderes, als ihn anzuschauen, ihn aufzumuntern in der Hoffnung, dass er mir sagt, wie es weitergeht.

Gestern abend, wir waren im Kino, wir hatten Abbitte gesehen, eine dramatische Geschichte um Liebe, Eifersucht und Verrat mit einer ganz und gar bezaubernden Kira Knightley, mit atemberaubend eingefädelten Rückblenden, die einem auf der Zunge zergehen, ich war entspannt und dachte an nichts besonders, Muse M. war schon ins Bett gegangen und ich lag auf dem Sofa, um die CD, die ich gestern gekauft hatte, zu hören, als ich plötzlich wusste, wie es weitergeht.

Nicht, dass der Roman jetzt fertig wäre, nein, jetzt geht die Arbeit erst richtig los, auch nicht, dass ich das jetzt Inspiration nennen würde, nein, mit Inspiration bin ich sehr vorsichtig, Erleuchtungen sind nicht alltäglich, aber gestern abend hat sich wieder einmal gezeigt, dass ich warten muss.

Warten, warten und nochmal warten.

Im Hintergrund nämlich, in den Tiefen meines Speichers, auf die ich keinen bewussten Zugriff habe, arbeitet es ständig. Und es arbeitet dort mit der dazu notwendigen Muße und Sorgfalt so lange, bis der Punkt kommt, den manche Inspiration nennen, ich jedoch nicht.

Ich nenne das das natürliche Ergebnis einmal begonnener Prozesse, Arbeitsschritte, die sich summieren, die sich umkreisen, die Perpektiven ausloten, verwerfen, die ins Nichts führen, die hin und wieder verzweifeln lassen, bis sie sich melden.

Das ist das Erstaunlichste an meinem Beruf.
Da ich aber kleingläubig bin wie alle Menschen, komme ich zwangsläufig jedes Mal an den Punkt , an dem ich alle Zuversicht verliere und glaube, alles sei falsch, meine Wahl sei die falsche, meine Kunst ein Irrtum, schlimmer noch, nichts weiter als Eitelkeit.

Natürlich gehört Eitelkeit zur Kunst, sonst ließe sich das nicht aushalten und ich finde, ich halte das ganz gut aus. Aber Eitelkeit allein führt zu nichts.

Und so werde ich diese Freitag mit der beruhigenden Gewissheit verbringen, dass in meinem kleinen schwarzen Buch etwa zehn, fünfzehn schnell notierte Sätze stehen, die mich weiterbringen werden.

Ja, ich glaube, das war's, was ich sagen wollte. Zumindest für heute.

13:12

Na ja, und dies noch...

 

Sa 10.11.07   17:22

Verbrachte den Nachmittag liegend. Hörte Musik und las Peter O Chotjewitz Fast letzte Erzählungen, die mich an eine Geschichte erinnern, die Mitte der Siebziger spielt. Die Emanzipation der Frau (die es Mannes steht nach wie vor aus: massivste Benachteiligung schon im Kindesalter durch Kindergärtnerinnen und fast ausnahmslos weibliche Grundschullehrer haben zu schweren Deformationen geführt, um die kein Hahn kräht) war großes Thema und das Folgende hätte ohne sie nicht stattfinden können. Da ist also ein Paar, das sich liebt, und, wie ich weiß, immer noch liebt, auch heute noch, nach den Jahren und Ereignissen ihrer Zeit.

Irgendwann will sie ein Kind. Er lehnt ab mit den üblichen Gründen, die man damals anführen konnte: die atomare Bedrohung, der Zustand der Welt, er sei noch unfertig, etc.... Sie federt ihn mit diesem Vorschlag ab: sie könne ja das Kind eines anderen bekommen und dennoch mit ihm zusammen sein.

Wow, guter Vorschlag.

Ob auch heute noch ähnlich Wahnsinniges (sie meinte: Pragmatisches) vorgeschlagen wird, weiß ich nicht, aber so etwas kriegt man nicht alle Tage zu hören.

 

So 11.11.07   12:04

Die Session hat begonnen, und da ich Karneval schon immer für eine der großartigesten, humorvollsten und revolutionärsten Veranstaltungen dieses Kulturkreises hielt (den Mummenschanz der verschleierten Muslime einmal ausgenommen), möchte ich die Session meinerseits mit einer humoristischen Volte eröffnen.

Geburtstagsfeier: es ist gegen drei Uhr früh, die noch anwesenden Gäste sind betrunken, bekifft oder beides, es sind noch fünf oder sechs, drei von ihnen sind Gebissträger, zwei davon weiblich, von denen mein Protagonist weiß, dass es ihnen peinlich ist.

Ohne Vorwarnung sagt er, so, wir spielen jetzt mal ein Spiel, es heißt: Alle Gebissträger stehen auf! Und dann steht er auf. Natürlich bleiben die weiblichen Gebissträger sitzen, die Töchter des Hauses kreischen vor Freude, die weiblichen Gebissträger schauen verschämt zu Boden.

Jetzt dreifacher Tusch und Alkohol bis zum Februar oder März.
Eigentlich gar keine schlechte Idee, die dunkle Jahreszeit zu versaufen.

17:32

Gelegen, gelesen, Musik gehört, hervorragendsten, von Muse M. gefertigten Apfelkuchen mit Walnüssen gegessen, gelegen, gelesen, gleich werde ich essen, dann wieder liegen, lesen, fernsehn, lesen, liegen, schlafen gehen.

Nach einem dreiviertel Jahr kann ich übrigens seit gut einer Woche plötzlich wieder schmerzfrei in meiner Lieblingsposition schlafen, auf der rechten Seite liegend, eine Mischung aus stabiler Seitenlage und Fötusposition. Es scheint, als hätte sich die Schleimbeutel meiner rechten Schulter endlich erholt.

 

Mo 12.11.07   9:32

Großauftrag für Mensing

Mit dem Verkauf von 81 Romanen im Katalogwert von 20 Milliarden Dollar hat M. seine Position auf dem Weltmarkt für Kinderliteratur erheblich ausgebaut. Wir gratulieren.

14:50

Stilles Schreiben in der Küche. Das ist das Schöne am Laptop. Wenn einen der Schreibtisch ankotzt, kann man den Rechner untern Arm nehmen und fliehen. Vorm Küchenfenster hin und wieder Fußgänger, seit vierzehn Tagen jedoch keine Autos mehr, denn die Straße ist gesperrt. Stattdessen: Baulärm unterschiedlicher Maschinen, der jedoch gegen 16 Uhr abbricht. Danach herrscht hier himmlische Ruhe.

 

Di 13.11.07   16:12

Gräben werden ausgehoben und wieder zugeschüttet. Bagger fahren hierhin und dorthin. Immer wieder versuchen Autofahrer, den Weg durch die Baustelle zu nehmen, eh sie feststellen müssen, dass hier kein Durchkommen ist.

Lichtmangel.
Trotz frühen Zubettgehens ständig müde.
Morgen reise ich ins Wiehengebirge, um zweimal zu lesen.

 

Mi 14.11.07   17:20

Sagen wir's mal so: nette Menschen, öde Session. Gestern im Hot Jazz.

Heute betrübt in den Tag gestartet, wie so oft, wenn ich früh zu Lesungen unterwegs bin.
Alle denkbaren Zweifel hatten sich an den Horizonten aufgetürmt, sodass ich in fester Überzeugung den Teutoburger Wald überquerte, dass es mit mir ein für alle Male vorbei sei und es besser wäre, umzukehren.

Dann noch ein Autobahnwechsel und hinein ins Wiehengebirge, in ein Dorf, das Werthers Beste herstellt, eine halbe Stunde blieb, um noch Tee zu trinken, dann kamen die, derentwegen ich gekommen waren, oder umgekehrt, die, die wegen mir zur Stadtbibliothek gekommen waren.

Und sie waren, das mag man kaum glauben: informiert.

Sie hatten sich auf meiner Webseite umgeschaut, sie wussten, wen sie vor sich hatten, mit anderen Worten: ich hatte es heute mit Kindern einer Schule zu tun, die nicht nur Geld zum Fenster hinauswirft, um sich von einem Schriftsteller etwas vorlesen zu lassen, sondern mehr will.

So einer wie ich bemerkt in Sekundenschnelle, wen er vor sich hat.
Nicht, dass ich die Kinder nicht grundsätzlich liebte, das nicht, nein, aber ich hasse Lehrer, die sich nicht vorbereiten und nur absitzen wollen. Das ist leider mein Alltag.

Insofern war heute Sonntag.

Die beiden Gruppen, denen ich vorlas, waren bestens eingestimmt.

Als ich über Landstraßen heim fuhr, nahm ich mir vor, eine Flasche Bushmills Single Malt zu kaufen und auf die Lesung anzustoßen. Jetzt. Und dann, später, Musik zu machen.

The headaches are all gone...

 

Do 15.11.07   14:45

Wäsch wasch, bügeln, staubsaugen, spülen. Mein progessiver Alltag.

 

Fr 16.11.07   9:31

Ich kann mir nicht helfen, ich mochte Harald Schmidt noch nie.
Hin und wieder nötigt er mir ein Lächeln ab, meist aber denke ich, na und, du Arschloch, das Beste an dir ist dein Hypochonder, den Rest schreiben dir deine Autoren.
Auch Pocher mag ich nicht. Ehemalige Versicherungskaufleute und Zeugen Jehovas sind mir nicht geheuer.

Ich mag so gut wie überhaupt niemanden, nur mich, und auch das nur hin und wieder.
Ich verachte Jugendliche, ich hasse das Alter, von den Mittelalterlichen ganz zu schweigen, ich mache Pippi auf den ganzen Laden.

Also erst mal Kaffee und Nikotin, hinausgestarrt auf die Baustelle und Flüche hinterher geschickt. Dann auf die Waage. Ich arbeite an meiner Gewichtsreduzierung. Ich will wieder 45 Kilo wiegen, wie damals. Deshalb verzichte ich auf Fleisch, das heißt, ich esse es schon, aber nur einmal wie Woche.

Heute abend zum Beispiel esse ich Lamm.

Manchmal, spät, starre ich den Aufschnitt in unserem Kühlschrank an und knurre.
Aber wer abnehmen will, muss Disziplin zeigen.

Ehemänner überleben vieles, ich mache mir keine Illusionen mehr und freue mich schon darauf, das Pflegebett, in das man mich expedieren wird (oder nicht) vollzuscheißen. Voller Dankbarkeit erinnere ich mich an Paul, den Insassen eines Altenheims, der nachmittags gern mit seinem Elektrorollstuhl ausfuhr.

Wenn andere Heiminsassen ihn fragten, "na Paul, wohin denn heute?", zog er die Handkante von links nach rechts über die Gurgel und lachte grimmig. Zwei Stunden später war er wieder da.

Das würde mir nicht passieren.

Während Schmidt sich über Anal-Fissuren lustig macht und albern auf seinem Sessel herumrutscht, denke ich an das Wunder der Selbstheilungen, die ich in diesem Jahr erleben durfte.

Da ist zum einen der/oder die (ich weiß nicht, wie viele es davon gibt) Schleimbeutel in meinem rechten Schultergelenk, das ich durch übertriebenes Ukulele-Spielen überanstrengt habe, zum andern mein Arschloch, das vor geraumer Zeit zu jucken begann, sodass ich wünschte, über ein Bidet zu verfügen. Jetzt, fast ein Jahr später, hat es plötzlich aufgehört zu jucken.

Was soll der Mensch dazu sagen. Er freut sich.

Eh ich jetzt ab ins WWW fliege, noch ein Zitat.
Es stammt aus Die Herren des Morgengrauens von Peter O. Chotjewitz, meines augenblicklichen Lieblingsschriftstellers und erzählt bedrückend von den Bespitzelungen und Einschüchterungsversuchen des Staates auf seine Bürger in den Jahren, die wir heute zum Deutschen Herbst zählen.

Lesebefehl.

Das Zitat lautet:
Viele Dinge, die er für wirklich hielt, konnte er nur erzählen, indem er sie unglaubwürdig machte.

Ganz zum Schluss gilt mein besonderer Dank Herrn Pofalla, dem ich eine Lustreise (gefördert vom VW Konzern) nach Rio schenke, damit er sich dort a: den Tripper holt oder Aids, b: in den Slums einen Kopf kürzer gemacht wird, oder c: am besten überm Atlantik abstürzt, damit es ihm ein für alle Male sein Sozialpädagogenmaul stopft. Sozialpädagogik hat er in Kleve studiert.

Nicht wahr, Herr P., tut mir Leid, dass Sie heute morgen dran glauben müssen, aber ihr Auftritt gestern Abend war wieder derart unter aller Kanone, dass ich mir nicht helfen kann.

Aloha und einen schönen Restfreitag wünscht Kamikaze M., dem heute so anders ist.

Sa 17.11.07 10:47

Beste Nachricht gestern:

hallo,wie geht es ihnen??
ich hoffe gut!
wie sie ihre geschichten gelesen habe war VOLL cool ...Anna-Mae

 

So 18.11.07 17:39

Gestern Besuch von den Bushmills, Goldbecks und T. und H. Canna. Alle wollten bei uns fernsehn, dabei ist unser Fernseher so klein, dass man ihn kaum sieht. Hielt mich an die Bushmills. Die Goldbecks saßen mit T. und H. Canna, bis sie nicht mehr konnten und gingen. Die Bushmills blieben noch, waren dann aber auch müde. Wir auch. Und das blieb so den ganzen Tag über. Sowas hängt einem nach.

 

Mo 19.11.07 16:29

Werkstattgespräch mit Hauptschülern über den Gedankenleser.
Nette Jungs und Mädchen, wobei leider wieder auffiel, dass die Jungs blöder sind.

 

Di 20.11.07   10:39

Dummes Zeug.
Jungs sind nicht blöder. Jungs interessieren sich nur nicht unbedingt für Schule.
Wenn Sie sich aber irgendwann einmal für etwas interessieren, hält sie niemand.
Höchstens Frauen mit Kinderwünschen.

11:12

Was würden Sie sagen, wenn man Ihnen Hoffnung auf einen Job machte und dann warten ließe.
Ich warte jetzt schon fast ein Jahr. Irgendwann verliere ich darüber die Nerven.
Heute ist so ein Tag. Vorm Haus dröhnen Baumaschinen, hier drin wird Mensing verrückt.
Na wunderbar!!!

16:59

"Was für ein Wunder", dachte ich bei mir, "ist doch die Musik und wie unpraktisch meine Dichtkunst. Was braucht man nicht alles zum Dichten. Einen gut gespitzten Federkiel brauche ich zu dichten, ein Blatt Papier, eine Unterlage, das auf zu schreiben, einen Gedanken der es lohnt, aufgeschrieben zu werden, so neu und tief, ein Thema, das die Leser interessiert, einen Sack voller Reime und Versfüße, einen großen Topf Gehirnschmalz, farbige Wörter, und wenn ich dann alles beisammen habe, sitze ich da und kann doch nur grüblen, weil mir nichts einfällt. (...)

Ach ich armer Poet. Wie gerne wäre ich doch ein Musikus. Ein Hornist vielleicht. Ich bräuchte nur mein Instrument auszuwickeln, mich zu einer Kapelle zu stellen, ein wenig zu blasen. Ein Blatt Papier voller Fliegenschiß hätte ich vor mir liegen und bräuchte nichts zu erfinden. Es wäre alles schon da. Ich bräuchte nur noch zu spielen, zu tuten und zu blasen, zu trommeln und zu rühren, zu fiedeln und zu zupfen. Schon ist mein Kunstwerk perfekt und nach jedem Musikstück wird geklatscht. Wenn ich ein Gedicht schreibe, klatscht niemand und erst recht nicht, wenn ich tute und blase, denn es schickt sich nicht. Einen Dichter verehrt man in stillem Ernst nicht in stürmischem Beifall!" So dachte es in mir und wäre ich noch trübsinnig geworden, hätte die Saaldiener nicht begonnen, das Essen aufzutragen. (1)

 

Mi 21.11.07   15:34

Halli hallööchen, ich bin's, Mister Humorvolles mit einer Prise Spannung.
Las heute im Bergischen Land, da, wo die stahlharte Klinge herkommt.
Las zweimal vor freundlichen Kindern, platt wie gewalzt lege ich mich jetzt hin.

 

Do 22.11.07   10:12

Ideenlos. Fassungslos. Lustlos. Los. Weg. Weg weg...

 

Fr 23.11.07   10:22

Der mittelgroße mitteldicke Mann fuhr über Land, ohne etwas zu sehen. Alles war da, alles hatte eine Geschichte, überall waren Menschen, aber nichts sprach zu ihm. Er hätte noch Tage fahren und schauen können, ohne etwas zu sehen. Dann leck mich doch, dachte er und fuhr heim.

 

Sa 24.11.07   17:28

Nachdem ich vorgestern Kubricks Eyes wide shut sah, eine Abrechnung mit der Dekadenz der Gegenwart, sah ich heute die Ausstellung Luxus und Dekadenz im römischen Museum Haltern. Ich erfuhr z.B., dass der reiche Römer des ersten nachchristlichen Jahrhunderts, der seine Villa gern am Golf von Neapel baute, in besonders dafür eingerichteten Bassins Muränen hielt, die er mit kleinen silbernen Broschen schmückte. Und Lustknaben, die etwa 100.000 Sesterzen kosteten, wohingegen für einen Tisch aus Zitrusholz eine Million Sesterzen hinzublättern waren. Die Reichen hatten immer, überall und zu jeder Zeit die gleichen Probleme. Tun mir fast leid, diese armen gequälten Menschen, aber ich bin sicher, dass ich, wäre ich reich, auch zur Dekadenz neigte. Warum auch nicht. Irgendwie müsste das Geld ja weg.

 

So 25.11.07   11:48

Sofa, Decke, Buch.

 

Mo 26.11.07   10:59

1985 war ich 36 Jahre alt, unser erster Sohn war vier und der zweite gerade geboren.
Das Geld war knapp, mein Rowohlt Vorschuss längst aufgebraucht, Mutterschutz gab es und Geld, aber wieviel weiß ich nicht mehr, ich weiß nur, dass es nicht reichte und ich deshalb als Bühnenhelfer bei den Städtischen Bühnen beschäftigt war. Kafkaeske Verhältnisse dort, verschwiegene Gänge mit kaum auffindbaren Aufenthaltsräumen, in denen sich Menschen nach Berufsgruppen verkrochen, um nicht aufzufallen.

Zu jener Zeit sah ich zum ersten Mal ein Ballett, den Feuervogel von Strawinski.
Da ich als Bühnenhelfer beschäftigt war, sah ich es aus den Bühnengassen, wo ich stand und mir wünschte, ich müsste das schwere Atmen der sich für den nächsten Auftritt vorbereitenden Tänzer und Tänzerinnen nicht hören, sondern säße im Publikum, um das Gesamtbild genießen zu können.

Klassisches Ballett also, ob gut oder schlecht, weiß ich nicht mehr, aber es war mein erstes Balletterlebnis. Seitdem sind wir immer häufiger ins Theater gegangen, um Ballett, bzw. Tanztheater, wie man es bald danach nannte, zu sehen.

Keine Tutus mehr, nicht mehr die weißen, eng anliegenden Strumpfhosen der Männer, immer häufiger Alltagskleidung und Themen der Gegenwart statt Tanz zu klassischer Musik mit großem Orchester. Und immer mochte ich vor allem die Präzision gemeinsam getanzter Figuren. Das schwingt, wenn es präzise ist und mit Herz getanzt. Und manchmal schwingt es auch nicht.

Gestern abend sahen wir ein Stück, das weit über das hinausging, was ich bisher als Tanztheater kannte, es hieß Extended Teenage Era, der Choreograph war Samir Akika, und wenn man die Ankündigung liest, könnte man auf den Gedanken kommen, dass man vielleicht besser nicht hinginge, man ist ja schon alt.

Extended Teenage Era untersucht die Anforderungen an das Erwachsensein. Von privaten Wünschen, Zukunftsvorstellungen und Planung bis zu den gesellschaftlichen Ansprüchen und Kategorien. Wer sich nicht gradlinig verantwortungsvoll und identisch verhält, ist nicht erwachsen, oder gar ein Peter Pan Syndromer?

Gut, und das sollte jetzt getanzt werden? Da war ich aber mal gespannt!

Der Abend begann mit einer Videoeinspielung.
Ein Kartenleger zog drei Karten zu Fragen, die die Compagnie im Hinblick auf das Gelingen, den Fortschritt und Erfolg ihrer Arbeit gestellt hatte.

Au au au, dachte ich, das wird jetzt schlimm, ganz schlimm, aber zum Glück war es nicht ernst gemeint, sondern eher als ironischer Kommentar.

Was danach alles geschah, ist schwer zu erzählen.

Ich glaube, die Collage käme dem, was ich gesehen haben, am nächsten.
Ein Collage aus Bewegung (Tanz, sowohl einzeln als gemeinsam), Akrobatik, Clownerie, Schauspiel, Bühnenbild, fast zwei Stunden, ironisch, humorvoll, gut getanzt, unterhaltsam.

Ja, leider war das gestern die letzte von drei Vorstellungen, ich kann es also nicht weiter empfehlen, sondern lediglich auf die Webseite des Renegade Theaters verweisen, dort gibt es dann mehr.

13:03

Mittagspause.
Ab in die Hörbar, dort gibt es zwei neue Clips: Raketen und das Liebeslied.

 

Di 27.11.07 14:05

Sonntag war's, ich lag auf dem Sofa, um den Tag unbeschadet überstehen zu können, als gegen 13:30 Badewannen Jupps Haustür aufflog. Sein Frau erschien. Frau H. Da sie zwei künstliche Hüften hat (oder sonst irgendeine Deformation), geht sie wie ein Storch im Salat.

Sie trug eine dunkle Trainingshose mit Bündchen, deren Schritt in Höhe der Knie hing, eine dunkelblaue Stepp-Weste, darunter einen weißen Pullover mit babyblauen großflächigen Verzierungen, die ich auf die Entfernung nicht näher deuten konnte. Natürlich hätte ich das Fernglas, Erbe meines Schwiegervaters, holen können, war aber zu faul.

Frau H. hatte Eimer, Spezialschrubber und Aufnehmer dabei.

Es war bewölkt, ein kräftiger Wind hatte gerade erst eisigen Regen davon gejagt und ich fand, dass ich einen guten Platz hielt und das Richtige tat. Um so mehr wunderte ich mich über Frau H. Sie begann nämlich, die große Treppe, die Mauer, die die Treppe zur Südseite begrenzt, und wieder die Treppe auf Knieen kriechend zu schrubben, schrubben und nochmal zu schrubben. Und trocken zu wischen.

Mir brach schon vom Zusehen Schweiß aus. Soviel Leidenschaft! dachte ich bewundernd und überlegte, ob ich meine Frau wecken sollte, die ihren Mittagsschlaf hielt. Ich war sicher, dass sie von diesem Schauspiel ebenso begeistert gewesen wäre wie ich, aber entschloss mich, sie nicht zu stören und ihr später davon zu erzählen, wohl wissend, dass ihr etwas entging.

Als ich ihr davon erzählte, sagte sie, sie habe Frau H. letzte Woche bei Schlecker vor der Kasse getroffen. Vorher habe sie gesehen, dass Frau H. mehrere Kerzen und Teelichter eingesteckt hätte. An der Kasse habe Frau H. aber nur die Kerzen ausgepackt, dann habe sie sie gesehen, habe sie angelächelt und gesagt, "ach, da hab ich ja noch was, das wollte ich ja nicht einfach so mitnehmen, ha, ha, ha...." und habe die Teelichter aufs Band gelegt.

Ich hatte so eine Tante. Die schrappte auch, wo sie konnte.

18:34

Die letzten Wochen waren nicht sehr ergiebig.
Viel Herumsitzen, Nachdenken, Übersprungshandeln.

Heute hingegen fluppte es.

5 Romanseiten in einem Rutsch, nachdem ich vorher vier Seiten, die zwar nicht schlecht, aber nicht wirklich stimmig waren, und mich seit ihrer Entstehung vor etwa zwei Wochen am Weiterschreiben gehindert hatten, in den Orkus der digitalen Datenvernichtung befördert hatte.

Außerdem eine Lesung verkauft.


Fr 30.11.07   12:17

Okay okay, und dies...

21:22

Vier Lesungen verkauft, heute.

 

 

 

 

 

 

 

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1. Peter O. Chotjewitz, Machiavellis letzter Brief, Roman, Europa Verlag 2003

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