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zum letzten eintrag



Mi 1.11.23 9:06 trüb, regnerisch

was mich noch her treibt
weiß ich nicht
ich nehme an
es ist mein wundes herz
was
wenn ich nicht mehr komme
hier bleibt ist der schmerz
und hoffentlich der traum
von einer anderen welt

 

14:16

Nächstes Jahr gibt's von Heine und mir ein Katzengedicht in einer kleinen Anthologie.

Heinrich Heine

Rote Pantoffeln

Gar böse Katze, so alt und grau,
Sie sagte, sie sei eine Schusterfrau;
Auch stand vor ihrem Fenster ein Lädchen,
Worin Pantoffeln für junge Mädchen,
Pantöffelchen von Maroquin,
Von Saffian und von Satin,
Von Samt, mit goldnen Borden garniert
Und buntgeblümten Bändern verziert.
Am lieblichsten dort zu schauen war
Ein scharlachrotes Pantöffelchenpaar;
Es hat mit seiner Farbenpracht
Gar manchem Dirnchen ins Herz gelacht.

Eine junge weiße Edelmaus,
Die ging vorbei dem Schusterhaus,
Kehrt' wieder um, dann blieb sie stehn,
Tät nochmals durch das Fenster sehn –
Sprach endlich: "Ich grüß Euch, Frau Kitze, Frau Katze,
Gar schöne rote Pantöffelchen hat Sie;
Sind sie nicht teuer, ich kauf sie Euch ab,
Sagt mir, wieviel ich zu zahlen hab."

Die Katze rief: "Mein Jüngferlein,
Ich bitte gehorsamst, treten Sie ein,
Geruhen Sie, mein Haus zu beehren
Mit Dero Gegenwart; es verkehren
Mit mir die allerschönsten Madel
Und Herzoginnen, der höchste Adel –
Die Töffelchen will ich wohlfeil lassen –
Doch laßt uns sehn, ob sie Euch passen –
Ach, treten Sie ein und nehmen Sie Platz –"

So flötet die boshaft listige Katz',
Und das weiße, unerfahrene Ding
In die Mördergrub', in die Falle ging –
Auf eine Bank setzt sich die Maus
Und streckt ihr kleines Beinchen aus,
Um anzuprobieren die roten Schuhe –
Sie war ein Bild von Unschuld und Ruhe –
Da packt sie plötzlich die böse Katze
Und würgt sie mit der grimmigen Tatze,
Und beißt ihr ab das arme Köpfchen,
Und spricht: "Mein liebes, weißes Geschöpfchen,
Mein Mäuschen, du bist mausetot!
Jedoch die Pantöffelchen scharlachrot,
Die will ich stellen auf deine Gruft;
Und wenn die Weltposaune ruft
Zum Jüngsten Tanz, o weiße Maus,
Aus deinem Grab steigst du heraus,
Ganz wie die andern, und sodann
Ziehst du die roten Pantöffelchen an."


Moral

Ihr weißen Mäuschen, nehmt euch in acht,
Laßt euch nicht ködern von weltlicher Pracht!
Ich rat euch, lieber barfuß zu laufen,
Als bei der Katze Pantoffeln zu kaufen.


Hermann Mensing

Man hätte,
als die toastbrotdicke Katze
zum ersten Mal
vor dem Balkon auftauchte,
NEIN
gesagt,
und nicht gewagt,
sie doch herein zu bitten,
dann hätte man allein gelebt
und sich an ihrer Schönheit nie
geschnitten.

Doch da man JA rief,
ja, du fettes Ding, komm her,
hat man es jetzt
doppelt so schwer,
sie abends nur ein Stück
vom Fußende des Betts nach rechts zu schieben,
denn schließlich will man selber richtig liegen,
und nein zu sagen,
wenn sie wieder ihre Lieder singt,
mit denen sie den Mensch zum Essengeben zwingt,
und Acht zu geben, wenn sie kämpfen will,
und zuzuhören, wie sie schnurrt,
so still.

Seltsam ist auch,
dass noch kein fester Name für sie gilt.
Der eine nennt sie Puuss,
der andre Mopsi,
Anna war auch schon im Spiel,
doch da sie sowieso nicht hört,
macht das nicht viel.

Sie ist,
wie manche sich den Buddha wünschen,
sie muss nichts tun, und es genügt ihr, da zu sein.
Sie ist zuweilen unsichtbar, doch wir sind nie allein


17:55

allerseelen

ich glaub nicht an gott
aber ein gebet schadet nicht
es hat flügel
die es um die erde tragen
irgendwo setzt es sich auf eine schulter
und flüstert in ein ohr
pssst sagt es pssst
du afrikaner du asiat du europäer
du amerikaner du russe
muslimjudechristbuddhist
du mensch
du bist mensch um gut sein
ich bin nur ein gebet mit flügeln
aber du hast hände
verstand
du hast einen mund
sag nein
wenn ein mensch sich gegen einen anderen wendet
lass es dir auf die brust tätowieren
nein nein
nochmal nein
werde laut
fordere menschssein ein
tote gibt es mehr als genug


Sa 4.11.23 14:26 bewölkt, frisch

Die N80, das hatte ich schon wieder vergessen, fährt nach 23:05 nicht mehr halbstündig, stattdessen fährt die R64, die letzten beiden Male von einem sehr freundlichen, russischen Fahrer gelenkt. Diesmal fuhr ein drahtiger, schlanker Mann, ein Ex-Jugoslawe, vermutete ich. Noch im Stadtgebiet stieg ein bleicher, pickliger, kaum 20jähriger Mann ein, Jeans, heller Blouson, offenbar angetrunken, aber bemüht, geradeaus zu laufen. I am sorry, I am a little bit drunk, sagte er zum Busfahrer. I can see that, sagte der Busfahrer Wenig später ging der junge Mann wieder zum Busfahrer und redete mit ihm. Ich verstand, dass er Pommes wolle und dachte, dann ist er doch betrunkener, als ich angenommen hatte, aber nach dem, was dann folgte, wurde mir klar, dass er wahrscheinlich gesagt hatte, er habe Pommes gegessen und jetzt ihm sei schlecht. Der Busfahrer hielt auf offener Strecke, öffnete die Tür und sagte: Pass auf, geh jetzt mal raus, und kotze. Der junge Mann stieg aus, beugte sich über einen Haufen Laub,, aber es kam nicht. Steck den Finger in den Hals! riet der Busfahrer. Der junge Mann steckte sich den Finger in den Hals. Besser? sagte der Busfahrer. Der junge Mann nickte, stieg ganz verhuscht und beschämt wieder ein und setzte sich. Der Bus fuhr weiter. Irgendwann rief der Busfahrer nach hinten: alles gut.? Der junge Mann schüttelte den Kopf. Hast du in den Bus gekotzt? Der junge Mann nickte entschuldigend. Pass auf, sagte der Busfahrer, dann musst du jetzt aussteigen. Wo willst du denn eigentlich hin? Der junge Mann sagte Ramertsweg, zwei Stationen vorher. Viertelstunde laufen, sagte der Busfahrer, und zu den Fahrgästen sagte er, tut mir Leid, Leute, wenn's jetzt ein bisschen stinkt, macht einfach die Fenster auf. Ich muss jetzt weiterfahren. Als ich ausstieg, sagte ich dem Busfahrer, dass er das wunderbar gemacht habe. Danke, sagte er. Ich war regelrecht glücklich, wie man glücklich sein kann, wenn man Menschen trifft, die gelassen und freundlich bleiben, wenn mal was schief geht. So manch rechtschaffener deutscher Busfahrer hätte womöglich die Polizei gerufen, zumindest aber lautstark gemeckert.


So. 5.11.23 00:53

ihr vermeintlichen herren
wir menschen
sind müde
wir verabscheuen
euren hass
eure niedertracht
eure kriege
weint
brecht um himmels willen
euren pakt mit dem bösen

 

15:12

Der erste Trommler, der mich ungehauen hat, war Hans Lafaille, der lange mit Cuby & The Blizzards gespielt hat, dann kamen Steve Copeland von Police, Peter Erskine von Weather Report, Brian Blade, den ich von seiner Arbeit mit Trixie Whitley kenne, und heute abend spielt William Kennedy mit den Yellow Jacketts im Hot Jazz Club, Meister eines reduzierten, dafür um so kraftvolleren Spiels. Ich freue mich riesig.


Mo 6.11.23 12:39 grau und windig


Di 7.11.23 18:14 grau regnerisch

Seit ich schreibe, komme ich regelmäßig an den Punkt, an dem alles vorbei zu sein scheint. Dort ist es dunkel. Ich weiß, dass es wieder hell wird, aber erst, wenn es wieder hell ist. Gestern wusste ich es nicht, das passte zum Wetter. Ich habe eine Runde auf dem Rad gedreht und nur an den Roman gedacht, ich habe mir eine stabilisierende Manschette für meinen rechten Fuß gekauft, bin ich nach Hause gefahren, habe die Datei geöffnet und wieder geschlossen. Zum Abend habe ich das Fläschchen Absynth aufgemacht, dass wir vor acht Wochen geschenkt bekommen und für besondere Gelegenheiten zurückgestellt hatten. Dazu Meier Riesling Brut 2019, ein leckerer Champagner. Zwei Gläser von dieser Mixtur und der Kopf stellt seine Arbeit ein. Die Achse wird instabil. Die Dunkelheit verliert ihren Schrecken. Ich trank zwei weitere. Zum Klo musste ich jeden Schritt überlegen. Es ging um zwei Ecken, was auch nicht einfach war. Heute früh war ich erschöpft aber nicht krank. Ich briet mir zwei Spiegeleier, machte Kaffee und fuhr mit dem Rad zum Stift Tilbeck. Auf halbem Weg begann fetter Regen, aber ich hatte ein Cape. Ich setzte mich ins Café, trank Cappuccino, las Zeitung und kaufte ein Kilo frisch gerösteten Bossa Nova. Zuhause öffnete ich die Datei und habe bis vor einer halben Stunde daran gearbeitet.

 

Do 9.11.23 10:48 erheiternd feuchtes grau

der blaue vogel eis
fliegt übers wasser
auf das andere ufer zu
wo er ein haus hat
tief im sand der böschung
dort hat er einen schaukelstuhl
aus übermut
und frisches blau in tuben
streicht federfeines gel
auf die orange brust
und auf dem tisch
liegt schnabelspitz
und fisch

18:17

lustlos lungern
liegen lauschen


Fr 10.11.23 9:40 grau

der blaue vogel
fliegt übers wasser
auf das andere ufer zu
wo er ein haus hat
tief im sand der böschung
dort hat er einen schaukelstuhl
und frisches blau in tuben
streicht federfeines gel
auf die orange brust
und auf dem tisch
liegt schnabelspitz
und fisch

16:45

Wegen Bauarbeiten am Roman ruht meine Arbeit im Alltag. Jetzt ist Zeit. Bis zum Start der Rüschhaus Saison nächstes Jahr bleibt noch viel Zeit. Ich hoffe, dass ich bis dahin das Gröbste hinter mir habe.


So 12.11.23 20:36 war sonnig heute

es legt sich eine wolke
in mein bett und weint
ich gebe ihr ein taschentuch
sie schnieft sie heitert auf
sie sagt:
vereint sind wir unbesiegbar
mir egal sag ich
ich will nur deine wärme


Mo 13.11.23 15:48 grau, regnerisch

Bin auf Seite 72 und bereite das 23. Kapitel vor. Eh ich warm laufe, wird es schon wieder dunkel. Außer ein paar richtungsweisenden Sätzen werde ich heute nicht viel zustande bringen. Aber wenn sie morgen noch Sinn machen, kann ich mich an ihnen entlang hangeln.


Di 14.11.23 grau

Seite 80 heute, wenn ich den Rahmen abstecke, fügt sich alles. Gleich zur zweiten Oldie-Band-Probe. Ich weiß noch nicht, ob ich einsteige, ich hör's mir heute noch einmal an, dann entscheide ich. Für morgen noch keinen Rahmen gebaut.


Mi 15.11.23 13:51 wechselnd bewölkt

Ein launisches Weib versaut mir den Tag. Der Roman hat Pause.


Do 16.11.23 17:45 grau

Die Aa hat weite Flächen geflutet, auch auf Feldern steht Wasser. Am Tag drauf ist es fast schon wieder abgelaufen, und das geht jetzt seit gut vier Wochen so. Häufig regnet es nachts, so dass ich immer verwundert war, wenn die Aa am Morgen schon wieder über ihre Ufer getreten war. Die Wasservögel lieben überflutete Flächen. Das Nahrungsangebot ist wahrscheinlich besonders gut. Was die Kraniche angeht, die in der Regel Mitte bis Ende Oktober fort fliegen, verhält es sich in diesem Jahr auch merkwürdig. Ich habe zwei größere Schwärme gesehen, heute und vor ein paar Tagen, aber sie flogen in die falsche Richtung. Letzte Woche waren wir zum letzten Mal in diesem Jahr in den Pilzen. Wir machen das seit Jahren und jedes Jahr ist ein neuer Pilz auf unserer sicheren Seite gelandet, nur der Steinpilz hat sich immer zurückgehalten. In der Hohen Wardt fanden wir in der ersten Stunde nur den Violetten Lacktrichterling, den allerdings reichlich. Ein zarter Pilz, zu einer Mahlzeit braucht es schon Mengen. Dann fuhren dahin, wo Kiefern standen und Moos wuchs und fanden innerhalb kurzer Zeit ein Pfund Steinpilze. Die Arbeit geht voran. Der Held hat jetzt einen neuen Namen. Ich habe noch ein wenig gekürzt, das werde ich morgen auch tun, eh ich auf Seite 80 weitermache. Das Bild wird klarer. Ich
habe ich mir einen Laptop gekauft, weil ich schon seit einiger Zeit über ein schlankes Modell für's Schreiben an irgendeinem Café Tisch nachdenke, zuhause aber festgestellt, dass der Stecker zum Akku nicht passt, dass er beim Kennwort meines T-Online-Konto zickte, außerdem sollte ich für das Office-Paket von MS 90 Euro für's Jahr zahlen. Er war nicht teuer, aber auf meinem alten Laptop ist das alles kostenfrei, deshalb habe ich ihn wieder in den Laden zurückgebracht.


So 19.11.23 22:56 Regen

wir wissen
dass es dich nicht gibt
meister
trotzdem töten
sie wegen dir
das ist das problem
du bist das problem
gott
also verschwinde
such dir andere narren
das universum ist groß genug
jag deine rausgeputzen kardinäle
bischhöfe, deinen papst
deine popen imame
all die in furcht vor dir kriechen
dahin wo der pfeffer wächst
hörst du


Mo 20.11.23 18:11 klarer Tag

Seite 90 des Romans ist erreicht, nach allem Hin und Her mit Herrn M. und Paul Steinmetz haben ich mich entschlossen, in der zweiten Person meinen Namen zu verwenden. Die nächsten fünf Seiten sind klar, werden aber heute nicht mehr geschrieben. Heute wird Schlagzeug gespielt. Gleich setze ich mich in den Bus und fahre zum Hot Jazz Club. Wenn ich trommle, erhalte ich eine Wertmarke für ein Getränk. Das reizt mich.


Mi 22.11.23 16:25 bedeckt frisch

Auf dem Markt, Hosengürtel gekauft, Fisch gegessen, bei Oxfam, nix gesehen, bei Saturn Boombox gekauft, Hausbrot bei Tollkötter und ab nach Hause. Roman jetzt bei Seite 103. Ständig wird redigiert, die Namen wechseln, augenblicklicher Favorit auf den Titel ist: Fastfood für Klick Agenten.


Do 23.11.23 17:42 bedeckt

Nach einem kurzen Blick auf das gestern Geschriebene beschlossen, heute nicht zu arbeiten. Kurzer Ausritt am Morgen, ansonsten Sofaecke, Heizung, Buch, bisschen Klavierspielen, ja, die meisten Akkordsymbole kann ich mittlerweile lesen, nur die Melodielinien nicht, da muss das Gehör ran. Insgesamt bescheidene Stimmung.


Mo 27.11.23 15:05 grau, Schneeregen

Ich schieb mir ein Laktritz in den Mund. Heute werde ich nichts weiter tun, als auf dem Sofa sitzen, lesen und Musik hören. Ich könnte 77 Stunden sitzen und hören, so lang ist meine Spotify Playlist, die ich seit Jahren füttere, da ich keine Mixtapes mehr mache. Am Sonntag waren wir in Tilbeck, da gibt es ein Antiquariat, ich habe mir Imre Kertèz "Roman eines Schicksallosen, Geraldine Brooks "Das Pestbuch" (mir war mal nach einem historischen Roman), Siegfried Lenz "Die Auflehnung" und "Shakespeare", Bill Brysons Biographie des englischen Dramatikers gekauft, bin aber noch nicht einmal mit "Kruso" von Lutz Seiler fertig, "Stern 111" wartet auch, aber die habe ich beide schon gelesen und les sie nochmal. Schneeregen fällt, ich habe das Vogelhäuschen reaktiviert, damit auch Amseln und Rotkehlchen essen können, denn die hängende Futterstelle am Balkon ist für die Amseln zu groß, und das Rotkehlchen pickt lieber vom Boden. Ich liebe es, den Vögel zuzuschauen. Manchmal gibt es hierarchische Probleme zwischen Amseln und Spatzen, manchmal gewinnt die Amsel, aber die Spatzen kommen oft zu dritt oder viert, dann halten sich die Amseln zurück. Mein Roman ist auf Seite 110 angelangt, da soll er bleiben bis morgen. Morgen drücke ich wieder auf Start. Sarah Bettens singt Win me over. Das wünsche ich mir vom Leben. So habe ich mir das Leben vorgestellt und so ist es oft. Ich habe schon Weihnachtsgeschenke für die Enkel und Söhne, für die übrige Familie fällt mich sicher auch noch etwas ein. Ich mag es so grau und so trostlos. Die meisten Blätter sind von den Bäumen, die Wiesen sind grün und feucht, auf den Felder steht Wintergerste, hier und da auch Raps. Es ist also gar nicht so farblos wie man immer denkt. Schon wieder ein Jahr, denke ich, und dann fällt mir ein, dass mir mein alter Hausdoktor Glodny bei einer Untersuchung mal gesagt hat, mit deiner Haut kannst du 100 werden. Das passte, das hatte ich sowieso vor.


Di 28.11.23 17:18 bewölkt erst, zum Nachmittag aufklarend

Erster, schüchterner Schnee. Die Lakritz sind alle. Ich mache Feierabend.


Mi 29.11.23 18:08 mittags ein wenig Sonne

Mein Lieblingscafé ist das Café im Stift Tilbeck. Tilbeck wurde Anfang des 20. Jahrhunderts als "Anstalt" gegründet. Heute ist es ein Wohnprojekt für Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen, die in den dazugehörigen Werkstätten arbeiten. Im Café trifft man sie. Manche sind sehr gesprächig, andere sitzen und beobachten, wieder andere schlummern. Ich kenne vier Bewohner, aber nur einen bei Namen. Inge ist pensioniert, sieht aus wie ein Mann, kleidet sich auch so und fragt gern nach Zigaretten. Ein großer schlanker Mann Anfang zwanzig hat ein zu langes Gesicht mit sehr kleinen blauen Augen. Er ist sehr hellhäutig, fahl fast, aber kein Albino, und spricht gern mit sich und seiner Umgebung. Wenn er mich sieht, kommt er, stellt sich vor mich und sagt High Five. Wir schlagen dann die Hände gegeneinander. Ein anderer ist kräftiger. Sein Gesicht verrät bis auf eine leichte Unwucht der Augen kaum etwas, woraus ich auf eine Behinderung schließen könnte. Er will immer wissen, wie es mir geht, und wenn er das weiß, geht er zum nächsten. In einer Ecke des Cafés wird Kaffee geröstet. Alle zwei drei Wochen kaufe ich ein Kilo Bossa Nova. Einen besseren Kaffee habe ich noch nie getrunken. Nach hinten raus ist ein kleiner Park mit Linden und Platanen, ein paar Ställen und Gehegen für Ziegen. Daneben ein großes, aufgeblasenes Sprungkissen. Ein Bewohner probiert Salti. Nach der Landung schlägt er sich auf die Brust, ruft exstatisch, lacht schrill und haut die außeren Handflächen gegeneinander. Es gibt leckeren Kuchen, man kann sitzen und hinausschauen, manche Gäste haben ihre laptops dabei, der Geruch von frische geröstetem Kaffee zieht herum. Mit dem Rad bin ich in knapp einer halben Stunde dort. Zurück geht wa kaum merklich bergab, so dass ich's in zwanzig Minuten schaffe. Am Weg neben einer Scheune Herbstlorchel, aber sie sind schon ein bisschen braun. Die Regionalbahn tutet. Halbstündlich fährt sie von Münster nach Coesfeld und zurück, eine Strecke, die ich wegen ihrer verschwiegenen, vom Auto so nie wahrnehmbaren landschaftlichen Schönheit wärmstens empfehle.


Do 30.11.23 10:41 grau, könnte Schnee geben

ich
bin
ich bin so
ich bin so dumm
ich bin so dumm wie
ich bin so dumm wie brot
dass
dass ich
dass ich mir
dass ich mir diese
dass ich mir diese welt
dass ich mir diese welt bieten lasse