Oktober 2003                                       www.hermann-mensing.de                              

mensing literatur

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Mi 1.10.03 17:29

Sie hatte so ein pikiertes Gesicht. Eines, das keine Zweifel daran lässt, dass pädagogische Fragen durch sie und nur durch sie auf der Stelle und in jedem Fall zu lösen sind: sagen wir, 60% Ausländerkinder, Türken hauptsächlich, die sprechen kaum Deutsch, die sehen nur fern, die haben nicht die Erfahrung, die hören nie zu, da wird ständig gesprochen, und dann kommt da einer und liest ihnen vor.
Ich.

Da muss man seine Methoden variieren. Da muss man szenisch arbeiten.
Das stand sinngemäß auf dem Zettel, den sie mir nach ca. 15 Minuten zusteckte.
Und als ich keine Anstalten machte, jetzt und auf der Stelle den Methodenwechsel zu vollziehen, griff sie ein. Zeigte, kompetent, das gebe ich zu, und mit großem Erfolg, wie man die Geschichte auch erzählen kann.

Meine Geschichte.
O je, dachte ich.

Nicht nur, weil ich jemand bin, der seine Geschichten immer erst durchs Lesen erfährt, sondern auch, weil ich jemand bin, der sie gleich darauf wieder vergisst. Oft fallen mir nicht einmal die Namen meiner Helden ein.
Und nun sollte ich derjenige sein, der seine Geschichten improvisierend, szenisch und mit möglichst großer Beteiligung möglichst vieler Kinder, bitte sowohl mit Jungen als auch mit Mädchen, vor aller Augen zelebriert?

O je.

Nicht, dass es mir Angst machte.
Ich hatte schon szenisch gearbeitet, aber nie hatte ich ganze Kapitel gespielt, geschweige denn die Hälfte eines Buches. Ich hatte mich bisher immer darauf verlassen, dass meine Geschichten durchs Lesen lebendig werden.
Und das hatte meist funktioniert.

Da saß ich also in einem Klassenraum, es war etwa halb neun, das Licht funktionierte nicht, und fühlte mich genötigt. War ein wenig beleidigt, denn was hatte sie mir in meine Lesung zu pfuschen?

Ich ließ sie also ihr Spiel spielen, und spielte dann meines.
Natürlich gehen beim szenischen Spiel sprachlichen Nuancen unter, alles, was mir lieb ist, wird nicht gesagt, aber ich dachte, wenn es dem Verständnis auf die Sprünge hilft, bitte.
Und gewann zunehmend Sicherheit.
Spielte den Zehnte(n) Mond bis ans Ende, ließ Bernd Bulli hinter Büschen hervorspringen, Linus und Krikke auftreten und den Hausmeister eingreifen. Staunte, wie das Spiel der Geschichte Facetten hinzufügte, über die ich nie nachgedacht hatte. Musste hier und da bremsen, damit es nicht ausuferte.

In der zweiten Lesung (Voll die Meise) wusste ich schon mehr. Spielte, ließ spielen, verteidigte mich gegen den Einwurf, Meckeroma habe doch sicher sehen können, dass Krikke nicht nur einen Ball aus ihrem Garten holt, sondern auch eine angeschossene Meise.
Nein, sagte ich, konnte sie nicht!
Und dann spielte ich den Apfelbaum in ihrem Garten, ein Mädchen spielte die Meckeroma, die von ihrem Fenster aus alles beobachtet, jemand spielte die Meise, die verletzt vorm Baum lag, jemand spielte Krikke und dann lag da natürlich ein Ball. Ich hatte die Requisiten so postiert, dass klar wurde, vom Fenster aus sieht man zwar Baum und Ball, aber nicht die Meise.

In der dritten Lesung schließlich, dritte und vierte Klassen, tat ich wieder das, was ich am liebsten tue, ich las. (Sackgasse 13) Zwar spielte ich dies und das, aber der Schwerpunkt meiner Anwesenheit beschränkte sich auf das Lesen.

Großen Spaß hat es gemacht. Gelernt habe ich Neues. Nur dieses Gedrängtsein gefiel mir nicht. Auch gefällt mir nicht, dass Kinder am Boden sitzen, wenngleich das noch so gemütlich sein mag. Sie rollen herum, sie purzeln vor und zurück, was nicht zwingend ihrer Konzentration zugute kommt.

ABER dreimal gelesen, dreimal gelacht, dreimal etwas gelernt, und fünfzehn Bücher verkauft. Plus GAGE. Die Firma dankt und denkt darüber nach, das heute zum ersten Mal in dieser Ausführlichkeit erprobte neue Gestaltungsmittel für eine der nächsten Lesungen in Petto zu behalten.

Zum Beispiel für Dinslaken im November, wenn ich aus Abends am Meer lese.
Könnte doch eine Pettingszene nachstellen lassen, wie???
Du bist jetzt mal Iris, und du bist Teke, und jetzt kommt doch mal nach vorn ihr beiden, ihr müsst euch nicht zieren, ihr sitzt jetzt da im Dunklen und was macht ihr denn jetzt?
Ja. Das wird sicher ein Riesenerfolg.
Da freut sich der Mensing. Da muss er selbst gar nichts mehr tun oder sagen.

Aloha.

 

Do 2.10.03 9:00

Damals lautete der Auftrag: Negierung jeder Ordnung. Möglichst Zerschlagung.
Das erste gelang, das zweite war nur eine theoretische Option. Die praktische Ausführung überließ er anderen, die dafür töteten oder getötet wurden.
Nun, viele Jahre später, hat sich alles gedreht.
Nun lautet der Auftrag: finden Sie eine akzeptable Ordnung. Eine Ordnung, die sie einbettet in ein wenig vorhersehbare Sicherheit, auch wenn es Lüge ist. Schaffen Sie sich diese Ordnung selbst, denn Ordnung ist lebenswichtig, ganz gleich, welcher Art sie ist.
Über die Jahre ist es ihm gelungen, sich zu vereinzeln, da er mit denen, die nie hinterfragten, wenig gemein zu haben glaubte und selten Freude daran fand, mit ihnen zusammen zu sein. So vieles an ihnen war und ist ihm noch immer höchst suspekt, dass er lieber die Beine unterm Hintern kreuzt und auf dem Sofa ein Buch liest. Aber mit Bücherlesen erfüllt sich der Mensch nicht. Der Mensch erfüllt sich im Zusammensein mit anderen. Und an diesem Ort - online - erfüllt sich (bis auf Eitelkeit) gar nichts.

15:51

DIE ENTSPRUNGENEN
Graupapageien
lesen die Messe
in deinem Mund.

Du hörsts regnen
und meinst, auch diesmal
sei's Gott (1)

18:11

Mutter, Vater, Tante, Aufzeichnungen hier....

22:09

Bericht eines Künstlers aus der Arbeitswelt

also, wie man sich täuschen kann, jetzt ist der job doch der hammer.
stell dir einfach vor du arbeitest für zwei.....
die festangestellten kriegen einen bonus am ende des monats wenn sie im
zeitlimit für den abbau der abteilung bleiben. diesen ehrgeiz laden die
jungs anscheinend jetzt bei den aushilfen ab, die leider nichts
bekommen.....
an der verpackungsmaschine kommt das pigment von ein stockwerk drüber, wo es
hergestellt wird. bist du nicht schnell genug, dann stapelt sich die
scheisse bis nach oben und es gibt ärger/viel staub. nur wenn jeder
handgriff sitzt hast du die sekunden zeit, die du brauchst um die nächsten
kartons zu etikettieren, achja, die kartons musst du auch noch selber
aufbauen, die fertigen palletten wegfahren und eine neue holen, das alles
während dieser dreck von oben kommt. pro schicht etwa 5tonnen. gleichzeitig
musst du eine benachbarte maschine im auge behalten die 600kilosäcke
abfüllt, was etwa 40minuten dauert. wenn er voll ist, solltest du den
nächsten sack bereits vorbereitet haben, damit kein rückstau entsteht und
die da oben weitermachen können.......
ja so siehts aus, ich spür jeden muskel!!
aber irgendwie auch interessant an einer solchen "vorhölle" mal nicht immer
vorbeizufahren sondern für fünf wochen sich das mal anzusehen. die anderen
machen das ja immerhin jahrelang.....

 

Fr 3.10.03 17:19

Gestrichen. Zu billig.

22:55

Einmal bei warmem Regen die große Runde gelaufen, den Pferden geklatscht, die im Galopp kamen, weil sie wussten, dass es Leckeres gab, dann wieder im Sofa versunken, geschlummert, gegessen, gelesen...

 

Sa 4.10.03 16:20

Schon Kilometer vorher wird die Geschwindigkeit auf der Landstraße von 70 auf 50 Stundenkilometer herabgesetzt. Grund der Maßnahme: Menschenansammlung. Jedenfalls steht das auf einem Schild darunter: Wegen Menschenansammlung. Dann wird die Straße wegen der links und rechts auf den Banketten geparkten PKW enger. Noch ein, zwei Kilometer und man erreicht den Musikerflohmarkt bei Musik Produktiv, einem der größten Musikalienhändler Europas. Zweimal im Jahr findet dieses Spektakel statt, und die Besucher kommen von weit. Zu besichtigen gibt es alles, was zum Rock 'n Roll gehört.
1000 Jahre zerschlagene Träume aus allen Epochen: kalkweiße Glamrocker in Webpelzjacke auf streichholzdünnen Beinen, schmerbäuchige Marsch-Rocker, Jazzer, die nicht mehr wollen oder können, bärtige Folkies, Hard&Heavy Ledermänner, deren Guitarren Blitzen gleichen.
Alle sind da, haben sich seit dem letzten Flohmarkt nicht mehr gesehen und freuen sich.

 

So 5.10.03 10:31

Habe die Punks vergessen. Männer (und wenige Frauen) zwischen 30 und 40. Sogar Irokesen standen von Zuckerwasser gehärtet, neidlos muss ich das anerkennen, denn die Struktur meines Haars hat es nicht einmal zugelassen, dass sie schulterlang wurden.
Man stelle sich vor: blond, blauäugig, schulterlang.
Wie gern ich das gehabt hätte. Aber es reichte immer nur knapp bis über den Kragen, was vielen Grenzern in Ländern mit ungeklärten politischen Verhältnissen dennoch mehr als suspekt war, und so ist es gekommen, dass ich trotz gültiger Einreisevisa häufig Schmiergelder zahlen musste.

Der Sonntag ist sonnig. Keine großen Taten in Sicht. Nichts, womit ich einfahren könnte in den Himmel der Unsterblichkeit. Werde einen weiteren Tag am Boden der Tatsachen verbringen.
Ich bin's, M., der das Leben liebt wie kein anderes.
Wünsche einen schönen Sonntag im darnieder liegenden D.Land. Pflegen Sie ihre (unbezahlten) Zweitwagen. Nehmen Sie ihre Hanteln und rennen Sie los. Und dass Sie mir nicht vor zwei Stunden zurückkehren.

20:40

"Jetzt erst habe ich den Wert der Antike entdeckt. Welch abscheuliches Verbrechen sind doch die ägyptischen Pyramiden, die antiken Tempel, die griechischen Denkmäler! Wieviel Blut haben wohl die römischen Wagen getrunken, wieviel Blut ist in die Grenzwälle eingesickert, in die Gebäude der Städte.
Die Antike, in der man dem Sklaven das Zeichen des Eigentümers auf die Stirn brannte, in der die Flucht mit Kreuzigung bestraft wurde. Die Antike, die nichts als eine große Verschwörung der Freien gegen die Sklaven war!
Du weißt, wie sehr ich Plato geliebt habe.
Erst heute weiß ich, dass er log.
Denn die irdischen Dinge spiegeln keine Ideale wieder, in ihnen verbirgt sich schwere, blutige Arbeit der Menschen. Wir, wir haben Pyramiden gebaut, wir brachen Marmor für Gotteshäuser, und wir zertrümmerten die Steine für die Straßen des Imperators, wir haben die Galeeren gerudert und die Pflüge geschleppt - während sie ihre geistreichen Dialoge und Dramen schrieben, während sie ihre Intrigen mit dem jeweiligen Vaterland zu rechtfertigen versuchten, während sie um Grenzen und Demokratien ihre Kriege führten.
Wir waren dreckig und starben.
Sie waren die Ästheten und diskutierten." (2)

 

Mo 6.10.03 9:53

Lieblingspost gleich zum Wochenbeginn:

Lieber Herr Mensing,
nun kommt auch "Der eingebildete Elefant" zu Ihnen zurück. Das liegt zum einen wieder daran, dass wir das grundlegende Thema des imaginären Wesens, das den kindlichen Alltag erweitert, in vielen verschiedenen Varianten im Programm gehabt haben - von Elefanten über Drachen bis hin zu Hunden.
Gerade erst ist wieder eine Geschichte in dieser Art produziert worden.
Zum anderen haben wir Redakteurinnen gemeinsam intensiv über den Stoff gesprochen und meinen, dass er seiner Anlage nach nicht über mehrere Folgen trägt.
Durch die o.g. thematische Nähe können wir Sie allerdings auch nicht ermuntern, den Text zu überarbeiten. So schicken ich diesen an Sie zurück und verbleibe
mit freundlichen Grüßen...

Tja, nicht, dass ich anderes erwartet hätte, erhofft jedoch schon.
Schade, aber damit ist das Kapitel abgeschlossen.

11:34

Ruft einer an, sagt einen Spruch, ah! denkt der Autor, waswillerwann?, kennen soll ich ihn, hätte mit ihm gesprochen auf der Messe, zwei Jahre wär's her, aha! Erinn're mich jedoch nicht, aber, sagt er, hahahahhaaaaaa, macht nix, sind Sie Mittwoch auf der Buchmesse? hahahahaaaaa, er bräuchte da einen Autor, der im Internet tätig ist, Podiumsdiskussion, morgens um elf, ob da einer kommt, hahahahaaaaaa, weiß man ja nicht!
Tut mir leid, sage ich, bin aber erst am Donnerstag dort.
Ja dann hat sich's erledigt, sagt er und wir sprechen noch über dies und das und ich passe auf, dass ich nichts Falsches sage über den Ohrenbär, denn die Redakteurinnen dort schreiben für ihn, also psssssssttttt!!!

21:13

Antwortete der Dame vom Rundfunk wie folgt:

Guten Tag Frau ...
begann ich - nicht etwa liebe Frau H., um dann fortzufahren:
akzeptiere Ihre Entscheidung klaglos.
erwähnte nicht, dass ich sie gern geteert hätte, gefedert etc....
Schade ist es dennoch, denn die sieben Folgen sind fertig und gut.
Bei Interesse unter http://www.hermann-mensing.de auf Werkstatt klicken, scrollen, auf In Arbeit klicken und schon könnten sie diese sieben Folgen lesen.

Schönen Gruß in die Hauptstadt Preußens (deren preußische Menschen ich nicht sonderlich mag)

Hermann Mensing

Wie man sieht, ein Brief mit Subtexten, der hoffentlich weh tut.
Tröstlich war, von einem Illustrator wenig später zu erfahren, dass auch er glaubt, dass viele Redakteure/Innen (korrekt, liebe Frauen) überhaupt nicht begreifen, wovon sie sprechen, wenn sie Briefe wie den weiter oben zitierten schreiben.

 

Di 7.10.03 8:23

Der Himmel schleift grau über die Dachfirste, Wind geht mäßig, Regen platscht, es ist warm im Zimmer. Da liegt die Absage, dort liegt mein Groll, auf der Sofalehne liegt Kaddisch für ein ungeborenes Kind (3), das Buch, mit dem ich den Tag verbringen werde.
Falls mein Hexenschuss mir keinen Strich durch die Rechnung macht, werde ich heute abend im Hot Jazz Club Schlagzeug spielen, den Mittwoch werde ich vertrödeln, Donnerstag werde ich nach Frankfurt fahren und vor Charme nur so sprühen, im Hinterkopf aber, da, wohin niemand schauen kann, nicht einmal ich selbst, im Hinterkopf haben all meine Mitarbeiter längst wieder zu arbeiten begonnen.
Sie tragen Worte hierhin und dahin, sie messen Sätze aus und beratschlagen Geschichten. Und dann, eines morgens, mittags oder abends, irgendwann, werden sie sich an ein in meiner Umgebung gesprochenes Wort, an einen Satz oder an eine Situation binden und sich melden.
Werden sagen: So und so. Vorwärts. Mach schon. Und dann werde ich wieder wissen.

12:29

Die Honorarabrechnung meines Verlages für das vergangene Halbjahr spülte mir heute gewaltige Geldmengen ins Haus. Habe gerechnet und gerechnet, eh ich Positionen wie Summe aller Vertragssalden, Honorare Netto Gesamt und Autorenkonto Endsaldo begriff.
Nicht begreife ich, wieso die Summe aller Vertragssalden nicht gegen die Honorare Netto Gesamt aufgerechnet wird, damit bei der nächsten Abrechnung als Anfangssaldo 0.00 Euro steht.
Das wird man mir erklären müssen.
Im übrigen aber bin ich haltlos glücklich und neige zu Ausgaben in nicht vorstellbarer Höhe.
Könnte mir sogar vorstellen, über die Stränge zu schlagen, mir ein Buch zu leisten oder eine neue CD.
Ach nein, ich will nicht übermütig werden!!!
Lieber lege ich diese nicht unbedeutende Summe beiseite, damit es mir im Alter an nichts fehlt.
Neue Senioren-Pampers? - Kein Problem.
Kukident Haftcreme. - Bitte. Gleich zwei Tuben.
Und drei Tüten meiner geliebten Haribo Heringe, die ich zwar längst nicht mehr kauen kann, aber das muss ich ja auch nicht. Die Stationsschwester ist so lieb und püriert sie.
Oh, schönes Leben, wenn man beizeiten vorsorgt, beiseite legt, ein wenig an der Steuer vorbei schmuggelt, und zuschaut, wie die Bank für mich Rendite herausschlägt durch Beteiligung an Mord und Totschlag in aller Herren Länder.
Das beruhigt, das hebt den Blick für den nahenden Lebensabend, das macht innerlich frei und zufrieden, mit einem Wort: diese ganze verfickte Scheiße soll uns endlich um die Ohren fliegen, damit Ruhe ist. Nieder mit dem Kapitalismus. Nieder mit allem. Es lebe das Leben. Es lebe die Anarchie. Auge um Auge. Zahn um Zahn.

16:56

Die Projektionsflächen für Schattenspiele sind übers ganze Wohnzimmer verteilt. Um diese Zeit tanzen Schatten gern auf der Tür zum Flur, die ganz weiß ist. Tanzen in kreisrunden Flecken, die, da das Licht durch Äste und Büsche fällt, tief gestaffelt sind, dreidimensional, als würde man in einen lebenden, schwarz-weißen Organismus schauen, einer Aufnahme eines Kernspintomographen nicht unähnlich, wenngleich weniger scharf.
Scharf werden Schatten in diesem Zimmer erst gegen Abend, wenn das Licht schräg auf das Bild überm Sofa fällt. Dort zeichnet es Schatten wie mit der Schere aus schwarzem Papier geschnitten: Zwillinge ihrer wirklichen Brüder da draußen am Baum, Strauch oder sonstwo.
Beide habe ich gern, am liebsten aber ist mir das benommene, kreisrunde Flirren um diese Tageszeit.
Ich kann dabei auf dem Sofa liegen, die Decke bis über die Ohren gezogen, ich kann mit den Verlegern hadern, mit der Redakteure/Innen (gut so, liebe Frauen), ich kann einfach nur zuschauen und gar nicht hadern, alles ist mögliche um diese Tageszeit, und so liege ich und tanze mit und bereite mich vor auf heute Abend.

 

Mi 8.10.03 10:23

Herr Solti ist zum Frühstück gekommen und hat das London Philharmonic Orchestra mitgebracht. Wie man sich denken kann, ist es nun ein wenig eng hier. Herr Solti hat gesagt, er wolle nur Ouvertüren spielen. Gut, habe ich gesagt, einverstanden, machen Sie es nur nicht zu schwierig, ich kenne mich in der klassischen Musik nicht aus.
Wie wär's mit der Hochzeit des Figaro? fragt er.
Na ja, denke ich, Friseure. Hoffentlich kein geschwätziges Werk, eines, das um ein Thema kreist, es tausendfach variiert, Arabesken hinzufügt und dennoch nichts zustande bringt, so etwas nicht.
Herr Solti schüttelt energisch den Kopf, hebt den Taktstock, klopft auf den Metallrahmen meines Wassili Stuhls, die Musiker machen sich bereit, Herr Solti wirbelt einen Auftakt in die Luft und beginnt.
Ich gehe in die Küche und koche Kaffee für alle , was keine leichte Aufgabe ist, denn ich habe nur mittelgroße Töpfe.
Überall sind Töne. Wären auch Schatten da, könnten beide sich mischen, aber die westfälische Welt hat um diese Zeit keine Schatten und so tanzen Töne durch jeden Winkel, versetzen Gläser in Schwingung, drücken gegen Türen und schnüffeln in meinen Büchern herum.

 

Fr 10.10.03 11:48

Do 9.10.2003 Buchmesse revisited:

6:50
Eine Wolkeninsel liegt über der Stadt, ein graublaues Luftbett, schläft keiner mehr drin, stehen alle und warten, dass der Bus sie zur Arbeit bringt. Ich steige ein, fremd in diesem Personenverkehr, Beobachtender. Und dann fahren wir unterm ansonsten blankgeputzten Himmel, die Arbeitsplätze sind längst hell erleuchtet und schlingen jetzt jeden, der sich ihnen nähert. Mich nicht, ich bin seltsam frei, auf Gedeih und Verderb an das Einkommen meiner Frau gebunden, dem ich meines hinzufüge.

8:21
Sich zu Markte tragen. Sein Angebot ausstaffieren. Wichtig ist: bloß kein Mundgeruch.

10:43
Leicht kühles Gesäß auf grauem Plastikdesignstuhl der Pasticceria in Frankfurt am Platz der Republik.
Eine schöne Italienerin serviert Cappuccino. Sie ist in meinem Alter, hat einen dicken Arsch, aber ihre Augen glühen das weg, wenngleich sie mit Wehmut lacht, als erinnere sie sich an ihre Schönheit von damals.
Vielleicht sollte jemand kommen und ihr sagen, dass sie immer noch schön ist.

Das Reise auf der neuen Hochgeschwindigkeitstrasse nach Frankfurt entbehrt jeden Reiz. Der Fluss wird nicht mehr überquert, und vom schönen Land links und rechts bleibt oft nicht mehr als eine Sicht- und Schallschutzblende. Einzig erfreulich ist die Freude darüber, wie der Zug spielend große und größte Limousinen auf der parallel zur Bahntrasse verlaufenden Autobahn überholt, als sei das nur Auftakt für noch Schnelleres. Mobiles Telefonieren gleicht einem Glücksspiel. Antwort kommt, Antwort geht, aber alle sind ständig mit ihren mobilen Geräten beschäftigt.

13:00
Wenn man sitzt und beobachtet, wie der Autor mit seiner Lektorin spricht, wenn man ihn austauscht und sich selbst an seinen Platz setzt, wird einem schnell schlecht.
Diese hündischen Blicke, das plötzlich charmante Parlieren, all die Geschichten, die man den überforderten Lektorinnen um die Ohren haut.
Die Köpfe werden ihnen schwirren am Abend von all den auf sie nieder geschlagenen Hoffnungen.
Dabei gibt es nichts, was sie gegen den Kleinmut ihrer Verleger tun könnten, angenommen, sie wollten.

Ich sitze am Stand des ... Verlages und schaue auf den Rücken der Frau, die mir schrieb, man habe Interesse an der "Birkenbande", worauf ich ihr das Manuskript schickte.
Sie ist Mitte zwanzig, nicht älter, sie ist mollig, und sie weiß noch nicht, wer da hinter ihr sitzt.
O Gott, denke ich.
Muss ich mir das antun.
Muss ich mit noch pubertierenden Pummelchen meine Literatur diskutieren.

13:15
Auf der Restaurantebene der Halle 3 vor einem Teller Grünzeugs mit Schafskäse unter der vibrierenden Glocke vieler Gespräche.

13:35
Leser, erfuhr ich von Frau ..., die für den ... Verlag arbeitet und an meiner Arbeit interessiert ist, Leser sind weiblich, daher gäbe es eine gewisse Zurückhaltung, mein Fußballbuch in Lizenz herauszugeben. Zudem seien Fußballbücher immer mal wieder in, dann wieder nicht.
Im übrigen aber das Gefühl, dass ich mit meiner zukünftigen Arbeit dort nicht schlecht aufgehoben wäre.
Ich denke vor allem an Texte zu Bilderbüchern, die ich mit ... realisieren könnte.
Traf ihn vorhin am Stand meines Hausverlages.
Wir werden zusammen kommen! Wir werden dicke Eier legen!!!

13:40
Der Autor ist eitel. Eitelkeit ist eine der Ursünden, also nichts Ungewöhnliches. Das vorab.
Nun stellen Sie sich bitte vor, wie ich mich freudig erregt dem Stand meines Hausverlages nähere. Der Grund meines Kommens ist mir nicht restlos klar, denn neue Verträge werde ich heute nicht abschließen, so etwas geschieht auf der Messe nie oder nur selten.
Es geht wohl nur darum, Guten Tag zu sagen, informelle Gespräche zu führen, Kaffee miteinander zu trinken, und meiner Eitelkeit zu frönen.
Ich komme also beschwingt, ich werfe einen Blick auf den Stand (der im Vergleich zu den Ständen der coolen Verlage eher uncool ist) und habe sofort erfasst, dass nicht einer meiner drei Romane, die dort in den letzten zwölf Monaten erschienen, ausgestellt ist.  
Jeder Autor erfasst so etwas mit einem, höchsten zwei Blicken.
SCHOCK!!!

14:10
Herr ..., Chef meines Hausverlages, versteht folgenden Witz nicht:
Österreich hat jetzt drei weltbekannte Persönlichkeiten, Mozart und Schwarzenegger.
Meine Lektorin versteht ihn auch nicht.
Kein Angestellter meines österreichischen Verlages versteht ihn auf Anhieb.
Erst, als ich meine Zuhörer auffordere, über Braunau nachzudenken, dämmert es ihnen.
Der Chef sagt: ach ja, der hat Karriere in Deutschland gemacht.
Die Cheflektorin sagt: das ist gemein.

Ich stelle allen Anwesenden ein Ultimatum.
Ich sage, wenn ihr bis morgen meine Bücher nicht präsentiert, komme ich mit einem Kanister Benzin, dann sollt ihr mal sehen.
Sie lachen.
Sie präsentieren verschiedene Ausreden.
Sie sagen, sie wären nicht zuständig für die Gestaltung des Bücherstandes, es wäre ihnen noch gar nicht aufgefallen, sie hätte schließlich zweihundert Neuerscheinungen pro Jahr, klar, blöd ist das, das gäben sie zu.  
Also bis morgen, sage ich.
Benzin, klar!

Nicht ein Gespräch, das nicht früher oder später unterbrochen worden wäre.
So gelingt es mir weder, die Geschichten vom Mohren zuende zu erzählen, noch, dem Chef des Hauses meine Probleme mit der diesjährigen Abrechnung darzulegen.

Jeder der hier Anwesenden (bis auf die Autoren, nehme ich an) hat einen Terminkalender, der den Tag in Halbstundenblöcke staffelt. Und so rennen die Armen von hier nach dort, müssen freundlich sein und einen guten Eindruck hinterlassen und möglichst gewinnbringende Geschäfte einfädeln.

Die Talsohle, sagt der Chef des Hauses, sei durchschritten. Zum ersten Male seit zwei Jahren schreibe man wieder schwarze Zahlen, mache den gleichen Umsatz mit weniger Neuerscheinungen.
Toi toi toi!!! sage ich.

16:00
Wieder in der Pasticceria am Platz der Republik. Werde Grappe trinken und einen Espresso. Werden den Krähen nachschauen, die die Glaspaläste umfliegen und böse rufen dabei.

Ob ich ein Pferdebuch schreiben wolle, wurde ich u.a. gefragt, wie es denn damit sei, im Gesprächsprotokoll der Frau ... habe das gestanden.
Nein, sage ich, habe noch nie auf einem Pferd gesessen.
Und der historische Roman? Wie stünde es damit? fragte Frau ....
Hub an, ihr davon zu erzählen, wurde aber (siehe oben) irgendwann unterbrochen.

So oder so ist Leben, so oder so ist die Welt, dachte ich, denke ich jetzt, am Platz der Republik sitzend, notierend, den Tag nachschreibend. Nichts, was man tun könnte, was nicht längst getan ist.
Hoffnungen fluten in alle Himmelsrichtungen.

Er ist noch jung, hält in der erhobenen rechten Hand eine Literflasche Fanta-Orange, links einen Hamburger, in den er ab und an beißt, er taumelt trunken bei Rot über die viel befahrene Straße, wobei er die Fanta-Flasche wie eine Fackel reckt: Freiheit, denkt er, sei das, dieses Taumeln bei Rot, er erreicht die andere Straßenseite, aber wer weiß, wie lang das noch gut geht.

Abenteuer-Roman // Pferdebuch (Hühhühhüüüü) // Illustrator // Neuer Verlag //

17:10
Möchten Sie vielleicht auch eine Wurst, frage ich den Landstreicher, der auf Bahnsteig 10 neben seinem hochbepackten Rad steht, ein Fuzzi wie aus meinen Kindertagen.
Ja, sagt er. Und: Meine Dreizimmerwohnung ist das (zeigt auf das Rad) ich mach Platte.
Dann halten Sie mal, sage ich und reiche ihm mein Wurstbrötchen mit der Krakauer (Schwein und Rind, erklärte mir der junge schwarze Verkäufer auf meine Frage nach dem Unterschied zwischen Krakauer und Thüringer. Letztere bestehe aus Schwein), während ich mein Portemonnaie nehme, um ihm Geld zu geben.
Ich will heute nach Langenberg, sagt er, und wohin fahren Sie.
Münster, sage ich.

17:40
Erniedrigung des Alters: habe heute zum ersten Mal in meinem Leben auf Grund eines Irrtums beim Lesen der großen Anzeigentafel in der Bahnhofshalle meinen planmäßigen ICE verpasst.
Las Gleis 10 statt Gleis 19.

Als ich gegen 17:24 schließlich bemerkte, dass etwas nicht stimmt, zwei Minuten vor der tatsächlichen Abfahrt meines Zuges, als ich los lief, meinen Irrtum feststellte und mich eiligst zum Gleis 19 begab, sah ich meinen Zug gerade davon fahren.
Nun werde ich nachzahlen müssen, denn ich hatte fest gebucht und der Tarifzauber der Bahn will, dass das Viertel Ersparnis nur geltend gemacht werden kann, wenn man auch zur gebuchten Zeit fährt.
Scheiße!

18:50
Meiner ersten Niederlage ist keine zweite gefolgt. Blickkontakt mit dem Schaffner, der fragte, wieso ich nicht mit dem voraus gebuchten Zug gefahren sei, meine Erklärung, sein kaum sichtbares Nicken, mein Ticket wird geknipst, ein schnelles Lächeln, danke, und schon ist er weiter.

Der Taunus, der Westerwald: aufsteigender Nebel, weiches Rollen, in Tunneln blaues Blitzen.

19:40
Regionalexpress. Halt in Op-la-den.
Angesagt von einem beängstigend schläfrigen Bahnmitarbeiter, jemand, der in Krematorien die nächste Kremierung ansagen könnte: Jetzt in Ooofen 3: Heeer-mann Men-sing.
Man würde ihn nie sehen, nur diese schläfrige, emotionslose Stimme hören, bei der nie auszuschließen wäre, dass sie endgültig stockt und nicht weiter will. Jahre lustloses Bahnfahren hat dieser Mann hinter sich, Jahrzehnte vielleicht, und wie er Op-la-den sagt, macht ihm so schnell niemand nach.
Nächs-ter Haaalt: Sooo-lin-geeen Oh-ligs.

Und nun die letzte, entscheidende Erkenntnis im Hinblick auf die soziale, gesellschaftliche Stellung des Schriftstellers für diesen Tag:
Die Eintrittspreise der Buchmesse!!!
Sie sind wie folgt gestaffelt:
Der Autor (von dem hier alle leben, ohne den dieses Spektakel nie stattfinden könnte) der Autor, der Urheber also, wird nicht etwas umsonst hereingelassen, wird nicht bei einem kleinen Sektempfang verwöhnt, nein, der Autor zahlt den höchsten Eintrittspreis: 30 Euro.
Der Sortimenter zahlt 20 Euro.
Der Buchhändler schließlich zahlt 15 Euro.

Ist das ermunternd? Erheiternd? Macht das Hoffnung?
Haben Sie sich das selbst ausgesucht, Herr Mensing?
Ja, das habe ich. So wahr mir Gott helfe.

17:30

Es gibt nur eine Lebensform auf der Erde, deren Existenz und den daraus resultierenden psychischen, physischen und metaphysischen Bedürfnissen überlagert und definiert wird durch seine Potenz als Konsument.

20:00

In den letzten Wochen habe ich viel gelesen. Dabei fiel mir auf, dass es Menschen gibt, die nichts dabei finden, in Büchern, die der Stadtbücherei und somit der Allgemeinheit gehören und zugänglich sind, Worte, Sätze, sogar ganze Abschnitte mit Bleistift oder Kugelschreiber zu markieren.
Manche schreiben sogar eigenes an den Rand, vielleicht, um sich und den anderen zu beweisen, dass sie sich dem Autor ebenbürtig fühlen, sogar überlegen, was sie mit Ausrufezeichen oder hämischen Fragezeichen dokumentieren.
Mich ärgert das und so habe bei einem der Bücher all diese unverschämten Eingriffe entfernt. Als sie ausradiert waren, fiel mir ein, dass es nicht uninteressant gewesen wäre, die unterstrichenen Stellen einer genaueren Analyse zu unterziehen, aber da war es natürlich zu spät.
Heute habe ich mir wieder Bücher aus der Stadtbücherei besorgt.
Und gleich im ersten, das ich aufschlage, Thomas Bernhards Wittgesteins Neffe, ist auf jeder Seite zumindest ein Wort oder Satz unterstrichen.
Und wo immer es auftaucht wird das Adjektiv naturgemäß markiert.
Einmal ist ...natürlich.... mit einem Verweis zum Ende der Seite versehen: dort steht dann nicht naturgemäß!!! Aha.
Also höre, kluger Kritzler, der du dich so überaus belesen und geistreich findest, solltest du mir je begegnen, würde ich dir gern die Fresse polieren.

 

So 12.10.03 17:52

Wir sind ein wenig entmutigt. Wir wissen nicht recht, wofür wir die Mühe des Schreibens auf uns nehmen. Wir sind uns selbst nicht geheuer, denn wenn es nur um Eitelkeit ginge (gegangen wäre), all die Jahre um nichts anderes, dann hätten wir besser kein Wort geschrieben.
Daher also unsere augenblickliche Zurückhaltung. Wir bitten das zu entschuldigen.
Am Besten, Sie überzeugen sich währenddessen in der Werkstatt von unserer Arbeit oder gehen in eine Buchhandlung, um dort nach Büchern von uns zu fragen.

 

Mo 13.10.03 11:15

Auf eine meiner verkauften Geschichten kommen mindestens drei, die nicht verkauft wurden, wenn nicht mehr. Ich habe, nachdem ich aus Frankfurt zurück war, die Manuskripte der letzten Jahre in Stapel sortiert. Ein Stapel für die verkauften- ein Stapel für die nicht verkauften Geschichten.
Der Stapel der nicht verkauften Arbeiten steckt voller Ideen, die ich nur aufheben und ausarbeiten muss.
Es herrscht also kein Grund zur Trauer.
Material ist zur Genüge verhanden, ich muss nur destillieren.
Und genau das werde ich tun.
Werde meinen Hausverlag beliefern und versuchen, mich bei dem neuen Verlag zu etablieren.
Und ich werde, das schwöre ich, allen die lange Nase zeigen, wenn nicht heute, dann morgen. Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Und der werde ich sein.

 

Di 14.10.03 10:08

Alle freuen sich. Alle können den hohen Himmel spüren, ihre Seelen sind bereit, ihm entgegen zu kommen, alle riechen das Meer, alle zählen die Tage und können es kaum erwarten, übern letzten Deich zu fahren, hinter dem das graubraune Meer wartet oder das Watt, je nach Tiede, auf das Schiff, das sie, mit dem Kiel nur knapp überm Grund, auf die Insel bringt, damit sich das Jahr für alle noch einmal sammelt und einfache Freuden bereit hält.
Alle zwölf Monate geht das so, schon fast zwanzig Jahre, als wäre da mehr Heimat zu finden als hier.
Alle zwölf Monate ist es exakt genau so, wie es im Vorjahr war: es regnet, es regnet nicht, die Sonne scheint, die Sonne scheint nicht.
Danach ist das Jahr so gut wie vorüber.
Alle freuen sich.
Jeder trägt seine Gedanken mit auf die Insel und hofft, dass sie fortwehen, denn was kann schon wahr sein, wo könnte Wahrheit liegen, wenn nicht auf dem Grund des Meeres, so tief, dass man besser die Finger davon lässt, denn das Subjekt ist von allem und jedem durch sein Schicksal getrennt und da kommt keine Wahrheit vor, die Allgemeingut wäre. Nirgendwo gäbe es die.
Alle freuen sich.
Unterm hohen Himmel ist Platz für Wahrheit und Lüge.
Fisch.
Fisch wird der ein oder andere essen. Fritten. Frikandellen.
Bücher. Bücher werden gelesen.
Um die Nase wird Wind pfeifen und feiner Sand und überall wird es riechen wie es immer riecht auf der Insel: nach jedermanns Wahrheit.
Nach kleinem Glück zwischen Dünen und Meer, das ist viel.

Eh die Reise jedoch beginnt, wird der Autor nach Krefeld fahren, um in der Stadtbücherei aus seinem ersten Roman zu lesen. Es scheint, dass Gruselromane beliebt sind. Wenn er es sich einfach machen wollte, sollte er vielleicht nichts anderes mehr schreiben.
Aber das wird er nicht tun.
Schon, um der Langeweile ein Schnippchen zu schlagen.

Er hat Bilanz gezogen nach dieser Messe.

Er hat einen Gruselroman geschrieben, er hat einen polnisch-deutschen Liebesroman geschrieben, er hat einen Roman über Sündenböcke, rassistische Gewalt und Freundschaft geschrieben, er hat einen Roman über Waffen, Tierliebe, Tod und Gewissen geschrieben, einen über Diebstahl und Erpressung, einen Krimi hat er geschrieben und noch einen Roman über die Liebe, die Landes- und Hautfarben-Grenzen überwindet, er hat Kurzgeschichten verfasst und denkt nun darüber nach, einen historischen Roman zu schreiben.
Er könnte also, falls das gelänge, mit einigem Recht behaupten, einiges probiert- und sich nicht eingereiht zu haben in den Kreis derer, die ein- und dasselbe Buch wieder und wieder schreiben.

Es scheint aber, dass es Zufriedenheit nicht gibt in diesem Mann.
Es scheint, dass er tun kann, was er will, ohne diese Zustand zu erreichen.
Er glaubt aber, seiner subjektiven Wahrheit nach erkannt zu haben, dass derartige Zustände auch nicht auf Dauer zu haben sind. Der Mensch, sagt er sich (und das gilt nur für ihn, mögen die anderen es für sich definieren), der Mensch stellt sich zu viele Fragen, baut sich zu viele Hürden, glaubt, dass er mehr sei als nur ein Säugetier.

Lustig, der Mensch!

13:07

Kleiner Fisch, dieser Mensch, könnte genausogut noch im Wasser zappeln oder als Missing Link der Evolution verloren gegangen sein, so dass niemand je Näheres von ihm erfahren hätte. Aber da es ist wie es ist denkt dieser spezielle Mensch: wie wäre es, den historischen Roman als Science Fiction Roman anzulegen?
Schließlich hat er sein Examen über Science Fiction gemacht, und nicht einmal schlecht.
Man könnte sogar sagen, dass SF Romane das einzige waren, was ihn an seinem Englisch Studium interessiert hat.
Er wird diesen Gedanken mit auf die Insel nehmen.
Vielleicht formt sich dort der erste Satz.
Vielleicht taucht eine Erzählperspektive aus dem Nebel. Er wird sehen.

 

Mi 15.10.03 10:16

Man stelle sich vor, es ist ein sonniger Tag. Sonntag wahrscheinlich, Sonntagfrüh auf einem Sportplatz am Stadtrand. Es ist ein idyllischer Sportplatz. Zur Hauptstraße wird er durch eine Pappelreihe abgeschirmt, zu der er längs liegt, zur anderen Seite ist ein kleiner Buchenwald und dahinter eine Einfamilienhaussiedlung. Viele Eltern sind da, Trainer, aufgeregte Minikicker.
Die Kleinsten spielen schon, sie tragen Trikots mit Sponsorenwerbung, haben Fußballschuhe und Knieschoner wie die Großen, ihre Trainer laufen aufgeregt am Spielfeldrand auf und ab und brüllen Anweisungen, während die Minikicker fröhlich hinterm Ball herstolpern.
Urplötzlich stoppt einer von ihnen und schaut in den Himmel.
Er hat etwas gehört.
Es klang wie ein brüllender Löwe.
Er sucht den Himmel ab und sieht einen Jet im Landeanflug. Groß und wunderbar langsam.
Da! ruft er und zeigt nach oben.
Wo?
Ein Minikicker nach dem anderen legt den Kopf in den Nacken, um zu sehen, was los ist am Himmel.
Aha! Ein Flugzeug! Keiner spielt mehr.
Die Trainer rufen etwas aufs Feld, aber die Spieler haben jetzt Besseres zu tun. Erst, als der Flieger verschwunden ist, geht das Spiel weiter.
Aber wer hatte denn zuletzt den Ball. Und auf welches Tor muss ich eigentlich spielen?

10:30

Werde nun doch mit Zug nach Krefeld reisen. Das Wetter ist einfach zu schön, um ein Auto durch den Verkehr zu steuern und acht zu geben, dass einem niemand zu nahe kommt. Werde am Fenster sitzen, hinausschauen und genießen.

21:06

Dämliches aus dem Hause Men-Sing:

Schmerzt im Herbst der linke Hoden, friert es sicher bald am Boden,
zieht der Schmerz ins linke Ei, fällt auch Schnee dabei.

 

Do 16.10.03 9:06

Gelesen habe ich in einem Raum gleich neben dem Heizungskeller. Eher eine Art Dunkelzelle mit nackten Wänden und unverkleideten Rohren unter der Decke. Durch Abstellräume mit Regalen voll verstaubter Bücher, ausgemusterten Computern und Krimskrams kam man an eine Stahltür.
Dahinter führte eine Metall-Treppe tief hinab.
Kleine Grablichter waren aufgestellt, gezupfte Watte simulierte Spinnweben, an der Kopfseite des Raums standen grob gezimmerte Kisten unbekannten Inhaltes.
Davor ein Tisch, ein Stuhl, eine Lampe. Sehr gelungen fand ich das.
Aber noch wusste ich nicht, wie schwer es ist, vor einem Publikum zu lesen, das im Dunkeln sitzt.
Ich bin nämlich darauf angewiesen, die Gesichter meiner Zuhörer zu sehen. In ihnen kann ich lesen, ob und wie meine Geschichte funktioniert.
Das alles fiel gestern weg und das hat es schwieriger gemacht als sonst.
Dennoch war es eine sehr schöne Lesung.
Vor allem gefällt mir, dass ich immer wieder Neues erfahre.

10:41

Mitgehört im Regionalexpress nach Krefeld:

Ja - jaaa, ich bin gerade eingestiegen. Hmmm. -
Ja. - Heute ist Feiertag. Hab meine Fleppe zurück. - Ja. Muss auch noch zum Media Markt. 'N Stecker holen für mein Autoradio. Tito und Dekke haben Ahnung. Die bauen das ein. -
Hmmm. - Nä. - Nä. - Hmmm. -
Ja, bis sechs hab ich Uni. - Hmmm. - Nä. - Dann treff ich mich mit meiner Mo, die hat so'ne Jacke gesehen. Lederjacke glaub ich. - Hmmm. -
Ja. - Nä. - Ich muss danach meinen Bruder abholen. - Ja . -
Ja. - Ja. Ich komm später mal bei dir rum. - Ja. -
Ich war gerade Fluppen kaufen, unten bei Lotto, da kam so'n Typ, 6000 abholen. Hatter gewonnen. Hm - Mit 'nem Rubbellos. - Der hat einen Tanz gemacht, glaubst du nicht. Ja. - Hmmm. -
Sag mal, weißt du, wo Raum LLO ist? -
Du`? - Hallo? - Halloooo? - Du ich versteh dich kaum noch. Ich ruf später zurück. Okay? -

 

Fr 17.10.03 10:16

(...) und ihren Worten entnehme ich, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Zeit und Luft. A, sind beide sich ähnlich, da beide unsichtbar sind. B, ist das seltsame an ihnen, dass man sie nicht spürt, wenn sie vorhanden sind, und erst wenn sie knapp werden, fühlt man sie; und wie man sie fühlt, denn wenn keine Zeit ist, beispielsweise am Morgen, beeilen sich alle wie verrückt, und Mutter nörgelt, dass die Zeit dränge; und wenn die Luft ausgeht, angenommen bei Tauchwettbewerben in der Badewanne, erstickt man.
Ein weiteres Beispiel für die Gemeinsamkeiten der beiden ist, wenn keine Zeit ist, fängt man an, sich zu beeilen und zu laufen, um Zeit zu gewinnen, die verloren ging, aber von dem Laufen, um Zeit zu gewinnen, beginnt man nach Luft zu schnappen, und das Erdergebnis ist, dass man vielleicht rechtzeitig ankommt, aber ohne Luft. (4)

PS. Empfehle dieses Buch allen, die mehr wissen möchten über dieses sich in einer äussert verzwickten, hoffnungslosen Lage befindeten Landes Israel, das ja, wenn man UN Resolutionen erst nähme, eigentlich gar kein Land wäre, jedenfalls keines mit Exklusivrechten zur Ansiedlung für Juden aus aller Welt auf Kosten der dort schon immer lebenden Palästinenser. Aber begreifbar wird, wie sehr Juden sich 2000 Jahre gesehnt haben nach diesem Stück Wüste. Ein überaus trauriges, zum Schreien lustiges Buch. Fünf Sterne vom kleinen M.

13:19

     

     

Noch bin ich hier. Morgen bin ich dort. Aloha!

 

Fr 24.10.03 14:45

Noch dort: der wärmste Tag seit unserer Ankunft. Wolken wechseln mit lichtblauen Flecken, schneller Regen mit Trockenheit. Durch die Wiesen zum Watt, glänzender Schlick, millionenfach bewohnt, was da alles gräbt und macht und verdaut. Dazu: Wattvogelrufe, Gänse im Formationsflug und wie Scherenschnitt scharf die Küste am Horizont: Baum Baum Baum. Windmühle. Kirche. Baum etc.
Weiter im Schatten des von Schafen zugeschissenen Deichs zum Wald und dort auf die Düne, die in etwa den Ort markiert, an dem vor mehr als vierhundert Jahren noch der Ort Sier lag, eh er von einer wüsten Flut verschlungen wurde.
Eine Bank steht dort oben, meine Lieblingsbank.
Mindestens einmal pro Tag komme ich her. Man kann auf die trocken fallenden Sandbänke schauen, Terschelling sehen, das weite Meer auch, das doch nur ein kleines Meer ist, Ableger des Atlantiks.
Auf dem Strand tanzt feiner Sand in langen, gezackten Bändern vorm Wind, vereint sich mit anderen, teilt sich wieder, verweht schließlich im Meer.
Himmelhoch Norden.
Nachts, wenn die sechs Leuchtfinger vom Leuchtturm über das Marschland tasten und zwischen den Lichtflecken der Milchstraße Jets der Niederländischen Luftwaffe blinkend nordwärts fliegen, stelle ich mir vor, wie sie in einer Viertelstunde Norwegen erreichen, einen verabredeten Scheinangriff fliegen und zurückkehren nach Leeuwarden.
Noch hier. Morgen dort. Aloha.

 

Sa 25.10.03 17:04

Grau in grau, wie es auf der Insel selten dauerhaft vorkommt. Unsere kleine, um eine Person für die vergangene Woche vergrößerte Familie ist wieder in alle Winde zerstreut. Schade. Bleiben als Rumpffamilie zurück und erwarten die anderen jederzeit. Waschen derweil Wäsche, bügeln und schauen uns wieder ein in das westfälische Licht, atmen die Festlandsluft, die so viel anders riecht und hören ab sofort wieder vieles, was wir nicht hören wollen.
Guten Abend. Morgen wird die Zeit umgestellt. Als wenn das so einfach wäre.

 

Mo 27.10.03 9:07

Verbrachten auf Ameland einen anregenden Abend mit Gesprächen über erlittene und noch zu erleidende Demütigungen durch mehr oder minder unverschämte gesundheitliche Fehlfunktionen des zunehmenden Lebensalters. Etwa über die Trauer, die einen überkommt, wenn man von den letzten Zähnen lassen muss, weil es einfach nicht mehr anders geht.
Lachten uns schief, denn wir erinnerten uns noch sehr gut, wie schrecklich wir es fanden, wenn unsere Eltern mit Verwandten beisammen saßen und sich über genau die gleichen Dinge unterhielten.
Beschlossen, dass es notwendig und angenehm ist, mit Menschen gleichen Alters seine Scherze über derartige Verschleißerscheinungen zu machen, denn anders wären sie nur schwer zu ertragen.
Man muss sich nur vorsehen, dass die jungen Leute einem nicht nahe kommen, wenn man etwa die Vor- und Nachteile einer Zahnprothese demonstriert. Das finden junge Menschen nicht schön.Wir aber waren mit Interesse bei der Sache und steigerten unsere Begeisterung noch durch das Inhalieren von THC.

 

Di 28.10.03 9:18

Eh ich mich Herrn Chirac und seiner Verteidigungsministerin zuwende, vorher lieber ein Grund zur Freude. Check this.

So, und nun zu euch, liebe Franzakken.

Ich höre, auch ihr zielt neuerdings (wenn auch noch in Gedanken) auf "Schurken".
Und weil das so praktisch ist, diskutiert ihr in einem Atemzug eine neue Atomwaffen-Strategie.

Die ist nun wirklich süß.
Ihr seid nämlich drauf gekommen, dass man nicht bei jeder Krise drohen kann, mit einem Nuklearschlag "30 Millionen Menschen auszulöschen", sondern in der Lage sein müsste, auch "ein Blockhaus zu treffen und in seinem Inneren eine Atomexplosion auszulösen".

Jawohl ja. Das ist grandios.

Ich meine, so ein Blockhaus ließe sich (wenn es denn unbedingt sein muss, sagen wir, Osama säße drin, Sadam, George Bush, Ariel Sharon und wer sonst) natürlich auch mit einer einfachen Granate in die Luft jagen.
Das wäre vom ökologischen Standpunkt wahrscheinlich die sauberste Lösung.
Aber warum nicht atomar!?
Ich meine, da tun sich Möglichkeiten auf!!!
Da könnte man anfangen zu spinnen und sich vorstellen, dass sich auch Scheißhäuser atomar (samt in ihnen sich aufhaltende, missliebige Personen und deren Absonderungen) ein für alle Male pulverisieren ließen, oder - wie ich unseren amerikanischen Freunden schon in einem Brief nach dem 11.September 2001 vorschlug - Döner-Buden.

Liebe Franzakken.
Ich will lieber aufhören, denn die Liste ließe sich unendlich fortführen.
Ich hoffe, Ihr wisst, worauf ich hinaus will.
Also. Venceremos, ihr Froschfresser.

13:54

Wie kommt der Schriftsteller eigentlich an gute Geschichten?
Frances McNeil, Schriftstellerin aus Leeds und gute Bekannte, hat ein paar Vorschläge:

Frances McNeil on 'Gathering Stories'

When a story or character arrives suddenly and full-blown, it feels like a gift. The first time I experienced this was in the British Museum reading room, in London. I was researching the Lancashire Witch Trials. One woman told how she went begging, and then cursed the pedlar who wouldn't show her his goods. Another grumbled about not being provided with the promised and much needed spinning wheel that would have allowed her to earn a proper living.

The accuseds' voices called out guilt and innocence across the centuries. I was hooked.

It was my first play, with a huge cast. The BBC's Alfred Bradley said he'd commission it (a producer could say that then!) if I'd cut it down. I said no, thinking it was meanness on his part - an unwillingness to pay so many actors. Then I thought again. There was still a goodly cast in The Sun and the Devil, when it was produced - but not the full coven.

Some ideas come bashing down like a Monty Python foot, so that you wriggle out bruised from under the toes, shouting, That's mine! Then there's getting someone to agree that this is a terrific idea.

'The goal of a writer is to make other people buy what she wants to do; not to do what others want to buy,' said a Russian theatre director. The trouble with people who write about goals is that they never mention goal posts that move, or balls intercepted just as you were going for that penalty kick.

Occasionally I scan job vacancies in the Telegraph & Argus, our local newspaper, here in Bradford, Yorkshire, looking for a more sensible way to earn a living. One day, among the part-time cleaning jobs, I spotted an ad for a collector of Bradford people's peace stories, whose brief would be to produce a book and exhibition as part of the development of a national Peace Museum. Someone - a whole committee as it turned out - would pay a person to go out and be incredibly nosy. It had my name written all over it. I'd lived in Bradford for 16 years. During 12 months as story gatherer I got to know the city so well I could now give lessons to taxi drivers.

Story gathering took me into the Ukrainian Club to play bingo, the Polish Club and the Caribbean Elderly Federation for Christmas dinners, into schools, colleges and people's homes.

All I had to do was ask. People spoke from the heart about partings, expulsion from their land, separations, narrow escapes, racist abuse, forgiveness and healing. Listening, I sometimes forgot to breathe.

The stories give glimpses of ordinary people's experiences of life, loss, friendship, discrimination and the kindness of strangers.

The Lord Mayor gave us a publication launch party in City Hall. There were fifty plus contributors, aged 7 to over 80, with family and friends. I bought myself a gift, a corsage, as if it was my wedding day.

In German, Gift means poison, toxin, virus. I know this because intermittently I try to improve my German. My German teacher was at school in Vienna during the Anschluss in 1938. All pupils had to provide a family tree in order to obtain an Aryan certificate. Friedl's best friend since Kindergarten had a Jewish grandparent on either side of the family. Heidi might or might not have come through the nightmare that followed, but her parents didn't take the chance. Heidi left the country. Friedl always wondered what had happened to her and later tried to make contact. As a writer, it's impossible not to steal bits of people's lives and call it a gift.

That What if … ? always pops up. What if the separation wasn't between friends, but half sisters? What if, years later, the half sisters discover they really are sisters who had the same Jewish mother? What is it that keeps them apart, and how are they re-united? Another story. Another trail to follow, this one turning into Hanna, I'll Find You, a play for BBC Radio's Afternoon Theatre.

Almost a decade ago, the Writers' Guild Newsletter published Stephen Vizinczey's Ten Commandments for a writer in the nineties. Commandment 8 begins 'Thou shalt not worship London/New York/Paris'. Keeping Commandment 8 is never a problem. Because some of my best stories spring from close to home. Though I do miss the British Museum reading room in London, where the witches cast their spell. And that woman's complaint keeps coming back to me. If only she'd had a spinning wheel, she might have earned a proper living. No she wouldn't.

copyright Frances McNeil 2000

 

Mi 29.10.03   8:30

Manchmal ist Fernsehen schön. Wie sonst hätte ich sehen können, wie eine russische Raumkapsel mit vollem Karacho, das Hitzeschild voran und - kaum in der Atmosphäre - von riesigen Fallschirmen gebremst, irgendwo in der kasachischen Steppe niedergeht.

Und wie dann gleich die guten alten russischen Hubschrauber landen, Insekten aus tiefer Vergangenheit, wie dann rotgesichtige dicke Männer beginnen, die Einstiegsluke der Kapsel zu öffnen, um die schwer durchgeschüttelten, von ihrer Rückkehr und dem doch nicht so sanftem Aufschlug ein wenig erschütterten Männer heraus zu hieven und fortzutragen wie römische Kaiser.

Einem von ihnen - dem Spanier Pedro Duque, der nur für einen Kurzbesuch die Welt umkreist hatte - war anzusehen, wie glücklich er war, zurück zu sein. Spitzbübisch wie Keith Moon (Trommler der Who) lag er in seinem Thronsessel und verspeiste mit hohem Genuss einen Apfel. Warf freche Blicke. Schmatzte. Lachte. Seht her, so empfängt man den Spanier.

Soviel zum Auftakt.
Gestern begann Meister M. einen neuen Roman.
Arbeitstitel: Schwarzer Teufel.
Ein historischer Roman, eine Liebesgeschichte, eine Zeitreisengeschichte, alles in einem. Das Material dafür wartet seit Jahren, und im Augenblick scheint es, als müsste ich es nur noch aufarbeiten.

Heute Abend lese ich vor zweihundert Leuten im Rahmen des "Leseteufels" in Bad Iburg am Südhang des Teutoburger Waldes. Hoffentlich wieder mit Headset wie Britney.

 

Do 30.10.03   10:23

Natürlich war es gut gemeint, mir einen Tisch aufs Podium zu stellen, eine Flasche Wasser daneben und eine Lampe an die Tischkante zu klemmen. Für die schnarchenden, beim Sprechen spuckenden und sich kaum bewegenden Helden der hohen Literatur wäre das richtig gewesen, ihnen hätte man vielleicht noch einen Riesling dazu stellen müssen, denn das trinken die Herrn gern, das gehört sozusagen zum Genre, aber für Springsinsfelde wie mich ist das nichts.
Ich beschloss also, das Mikro vor's Podium zu stellen. Ich hoffte, das würde die Lage entschärfen.

Das Mikro hatte jedoch nicht einmal die Qualität einer Flüstertüte.
Nachdem ich mich also fünf oder zehn Minuten stehend und starr in den beschränkten Radius dieses Dings sprechend abgemüht hatte, schob ich es samt Ständer beiseite und erhob meine Stimme.
Was in einer mit ca. 250 Menschen gefüllten Turnhalle in Bad Iburg Ostenfelde nicht ganz einfach war, aber siehe, kaum hatte ich die Freiheit der Bewegung zurück, begann auch der Text lebendig zu werden.
Ich konnte gestikulieren, modulieren, ich konnte hierhin und dorthin schauen, was wichtig war, denn die Kinder waren nach drei Vorreden verschiedener Vorsitzender des veranstaltenden Vereins schon leicht strapaziert, so dass ich hier und da eingreifen musste, mit einem Wort, ich konnte das tun, was am wichtigsten ist, wenn ich lese, ich konnte lebendig sein.



Allerdings hielt ich es kurz gestern abend. Las kaum mehr als 30 Seiten, aber die zum allgemeinen Vergnügen. Wir wieherten, wir ritten davon, wir jonglierten ohne Bälle, und als ich endete, rief ein Junge in die vom plötzlichen Schluss überraschte Stille: Cool!!!
.
So viel zum Lohn des Dichters.
Vorn saßen die Kinder. Hinten die Eltern.
Und ganz hinten stand der bärtige Buchhändler, von dem ich später erfuhr, er habe im Vorfeld gegrummelt, er werde ja doch kaum verkaufen.

Ja Scheiße.
Er konnte das Geld gar nicht so schnell gegen Bücher tauschen.

Die Kinder und ich führten noch einen kleinen, öffentlichen Dialog. Wie lange braucht man für so ein Buch, wie viele Bücher hast du schon geschrieben, etc. pp., dann kündigte ich an, am Büchertisch für Autogramme und Widmungen zur Verfügung zu stehen.

Leide artete das zu einer bedrohlichen Drängelei aus, weshalb ich meinen Plan änderte und mit allen vereinbarte, mich an den Ausgung zu setzen, um dort den die Halle verlassenden Kindern und Eltern Autogramme zu geben und Bücher zu signieren. Das klappte recht gut.



Ende der Vorstellung.
Der Autor geht jetzt mit den Veranstaltern essen.
Und was er dort so alles erfährt über die im Hintergrund schwelenden Eifersüchteleien der an dieser Leseaktion nicht beteiligten Grundschulen und ihrer Direktoren, wird nicht verraten. Aber es Posse zu nennen, wäre untertrieben.

Fazit: hochzufrieden (was ein gefährlicher Zustand sein kann) machte sich Meister M. gegen 22:30 Richtung auf den Weg zurück ins geliebte Münster, um dort seine schnarchende Frau zu verschrecken. Tut mir Leid, schnarchende Frau. War nicht so gemeint.

 

Fr 31.10.03   10:12

dämliches aus dem hause men-sing:

ist es im oktober frisch, zieht man dich gerne übern tisch
bleibts aber golden und herbstwarm, nimmt man dich lieber auf den arm

nur wenn's im zehnten monat schneit, haut man dir schnell die fresse breit.




 


 

______________________________________________________________________________________
1. Paul Celan: Lichtzwang, Gedichte, Suhrkamp 1970 // 2. Tadeusz Borowski: Die steinerne Welt, Erzählungen, Piper 1959 // 3. Kaddisch für ein ungeborenes Kind, Roman, Rowohlt // 4. Benny Barbasch: Mein erster Sony, Roman, Ullstein 1999 //

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