Oktober 2008                                        www.hermann-mensing.de      

mensing literatur
 

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Mi 1.10.08   8:52

Wie Sie wissen besitze ich einen deutschen Pass, und wie das so ist mit deutschen Pässen und der dazugehörigen Identität, in diesem Falle meiner, verbinde ich sie mit Pünktlichkeit. Diese Pünktlichkeit ist akkurate Pünktlichkeit. Wenn ich also jemandem sage, ich sei um 8:00 bei ihm/ihr, bin ich um 8:00 bei ihm/ihr, es sei denn, ich wäre unterwegs verunglückt, verstorben oder entführt worden.

Heute ist Mittwoch der 1.10.2008, und aus meinen Aufzeichnungen der letzten Tage werden Sie wissen, dass sich heute entscheidet, ob mein Hörspiel nominiert worden ist, ja oder nein.

Ab 1. Oktober heißt es auf der Seite der ARD, und wenn das so heißt, erwarte ich ein Update um 00:00. Jetzt ist es 8:57. Muss ich noch mehr sagen?

Ich glaube nein.

Herr, bewahre mich vor Ausfällen. Danke.

10:32

Gerade dann dies...

Sehr geehrter Herr Mensing,

herzlichen Glückwunsch, Sie gehören zu den elf Nominierten, die es bis in die Endrunde geschafft haben! Im Laufe des heutigen Tages geht unser Special zu den Hörspieltagen online, in dem ihr Stück zum Anhören, Herunterladen und Kommentieren angeboten wird.
Den Gewinner des Wettbewerbs benachrichtigen wir Mitte Oktober.

14:46

1st Take: Ein Lied für die Schule...

 

Do 2.10.08   8:55

Kaum war die E-Mail auf meinem Rechner, hatte ich so ein Gefühl. Das Gefühl war schwer fassbar. Ich dachte, es wäre klug, mit ihm unter dem von wechselnden Wolken bejagten Sturmhimmel in die Metropole zu laufen, um es dort mit meiner Frau zu teilen.

Ich lief flott. Ich hatte es gewusst, Muse M. hatte es auch gewusst, und wir hatten denen ein Ultimatum gestellt. Wir hatten gesagt, wenn ihr das nicht merkt, dann merkt ihr gar nichts, dann pfeifen wir auf euch, dann verlachen wir euch, dann seid ihr für uns tot, dann habt ihr nie gelebt, dann wisst ihr nichts, gar nichts wisst ihr.

Am Tag vorher hatte die Sonne geschienen, heute hingen die Wolken tief, aber es war nicht kalt. Seewetter. Ich lief gegen die Wind. Ich hörte die Brandung und dachte: noch etwas mehr als eine Woche, dann bin ich wieder auf unserer Insel.

Ich war nassgeschwitzt, als ich die Stadt erreichte.

Wir gingen in ein Restaurant und ich merkte, dass mein Gefühl nicht teilbar war.
Nicht mitteilbar und nicht teilbar. So ein Gefühl ist eher dazu da, einen zu isolieren, was nicht lustig ist, aber wohl auch nicht zu vermeiden.

Auf einer Bank am See hatte ich einen asiatisch aussehenden Jungen seiner Oma mit leuchtenden Augen erzählen hören, er sei jetzt zweineinhalb Zentimeter größer als .... Ich hatte gedacht, daraus ließe sich eine Geschichte bauen. Ich wusste schon, was für eine Geschichte das wäre, aber ich hätte es nicht sagen können. Wieder so ein Gefühl.

Am Mittag telefonierte ich mit einem Filmemacher, der sich für meine Arbeit interessiert.
Im November werden wir uns eine Woche zusammen hocken, um ein gemeinsames Drehbuch zu schreiben.

10:24

Hier der Link... zu den Nominierten des ARD Hörspielpreise "Premiere im Netz"

21:02

Da ich als Nominierter 100 Euro Preisgeld erhalte, dachte ich, dass es am Besten wäre, sie fifty-fifty mit Marc zu teilen, der mir seine Musik zur freien Verfügung gestellt hatte. Als ich ihm das mitteilte, sagte er, oh prima, ich teile dann mit Sven und Bernd.

So bin also nicht nur ich ein wenig glücklich heute, sondern drei Musiker sind es auch. Wie die meisten von Ihnen wissen, ist deren Einkommen außergewöhnlich hoch und regelmäßig, so dass sie jeden zusätzlichen Cent gern verprassen.

Ich trinke also auf Marc Brenken, Piano, Sven Otte, Kontrabass und Bernd Gremm, Schlagzeug.
Meine Hochachtung.

Den größten Teil des Tages habe ich vertrödelt. Aber das sah nur so aus. Hinter meiner Stirn arbeitet es längst an einem Drehbuch für die Sackgasse 13. Die Filmrechte bekomme ich vom Verlag. Ich nehme an, es wird schwer, einen Produzenten zu finden.

 

Fr 3.10.08   12:02

Ich darf es ja nicht. Hat mein Ältester gesagt. Nie und niemals darf ich mich mit Kommentaren im Internet auseinandersetzen. Da, hat mein Ältester gesagt, säßen nur Nerds, die auf nichts weiter warteten, als zu zerfleischen, in der Luft zu zerreißen und an die Erde zu machen.

Gut. Also halte ich still. Sage ich nicht, was ich denke.

Aber ich bin aufgeregt wie ein junges Huhn. Wir diskutieren alle möglichen Szenarien.
Eines sagt: es ist gut, Nominierter zu sein. Gewinner werden abgehakt. Nominierte bleiben im Gespräch. Denken Sie mal darüber nach.

Dennoch habe ich längst einen Text, den ich vertone, sollte ich siegen. Man muss ja vorbereitet sein. Und meine Gewinnerrede habe ich schon tausendmal gehalten. Die brauche ich gar nicht notieren. Die schüttle ich aus dem Ärmel.

Liebes Volk, würde ich sagen.
Ich habe nicht drum gebeten, dass wir eins werden, ich nicht.
Mir war und ist das völlig egal.

Dann würde ich mich verbeugen und jemand würde rufen, Sie haben die falsche Rede gehalten und es fiele mir wie Schuppen von den Augen, sagt man so? Ja. Die falsche Rede. Wie konnte ich nur die falsche Rede halten. Ich hatte mich doch so gut vorbereitet.

Also noch einmal: liebes Volk!
ich glaube nicht an Völker. Ich glaube nur an Menschen.
Deshalb bin ich gern mit Menschen zusammen.
Ihr müsst mir aber nachsehen, dass ich gegen euch nach wie vor ein gewisses Misstrauen hege.
Vierzig Jahre gehen nicht spurlos an einem vorbei. Ich spüre es ja an mir: obwohl vier Jahre nach Ende des Desasters geboren, habe ich noch immer damit zu tun. Und eure Eltern kamen ja vom Regen in die Traufe, richtig? Richtig.

Also verzeiht.

 

Sa 4.10.08  17:29

Heute kurz vor acht, ich war auf dem Sprung zu zwei Lesungen in der Grafschaft, schaute ich nach, was es Neues gäbe im Netz und fand dies.

Sehr geehrter Hermann Mensing,

wir (mein Kollege Jürgen L. und ich) haben Ihr Manuskript Pop Life inzwischen gelesen und besprochen und könnten uns vorstellen,  für Frühling oder Herbst des kommenden Jahres ein Buch daraus zu machen.
In Privatmeinung möchte ich hinzufügen, dass es mir sehr, sehr gut  gefallen hat.

Haben Sie Anfang der Woche mal Zeit für ein Telefonat?
Außerdem haben  wir übernächste Woche wie immer unseren kleinen Stand auf der  Frankfurter Buchmesse, falls Sie da ebenfalls sind.

Mit freundlichen Grüßen,
Stefan B.

Ich hatte kaum Zeit mich zu freuen, und bin auch jetzt noch nicht so weit.

Es scheint aufwärts zu gehen.
Nehmen Sie also einen Schluck auf mich und die Welt.

 

So. 5.10.08   10:32

Ich erreichte Bentheim um neun, eine Stunde zu früh. Eine Burg thront über der Stadt, meine Kindheitsburg. Sie hat Wehrgänge, ein tiefes Verließ und Kanonen hoch oben auf dem Turm. Ich ging ins Hotel G., um einen Tee zu trinken. Sehr viele Menschen meines Alters umlagerten ein Frühstücksbuffett, rumorten und raunten. Ich hatte nicht gewusst, dass das Hotel ein Wellnesshotel ist, und ich wäre auch nie darauf gekommen, dass man in Bentheim ein Wellness-Wochenende verbringen möchte. Auf meine Frage, welche Teesorten man anbiete, zuckte man ratlos die Schultern. Darjeeling vielleicht, oder Earl Grey? Nur Ceylon, sagte man schließlich zögernd und ich bestellte Ceylon.

Ich hatte die Idee, mich an einem Samstagmorgen um zehn Uhr in Bentheim zu einer Lesung einzuladen, für sehr mutig gehalten. Um so erstaunter war ich, dass über dreißig Besucher auftauchten. Mentoren. Leselernhelfer. Kinder. Die Lesung fand in einem Heim für betreutes Wohnen statt. Ich war wohl befeuert von der Mail, die ich vor der Abfahrt gelesen hatte und las gut. Ich las Mopsi und verkaufte dreizehn Romane.

Nach der Lesung ging ich wieder ins gleiche Hotel, um eine Kleinigkeit zu essen. Ich bestellte einen großen Salat und bekam einen großen Salat. Alles, was es an Grünzeug aus Dosen gibt, hatte man dem Tellerrand folgend angeordnet. In die Mitte hatte man frisches Grün gehäuft. Kein Dressing, kein Pfiff, aber viel. Ich aß an einem Tisch auf einer verglasten Veranda. Von dort blickt man weit über Land Richtung Gildehaus und auf einen Wellnesspool, in den man von innen kommend durch einen kleinen Tunnel nach außen schwimmen kann. Dort schwammen zwei Frauen im Kreis.

Um vierzehn Uhr las ich in Neuenhaus. Tiefste Grafschaft und schon sehr holländisch. Die Dinkel fließt dort, mein Heimatfluss, was mich für das Dorf einnahm. Ich las im Gemeindehaus der evangelisch lutherischen Kirche. Die Kirche ist eine Spende der Lutherischen Kirche von Amerika. Fünfzehn Minuten vor Beginn war noch niemand da. Dann aber kamen sie. Kinder und Erwachsene. Ich schätze, wieder um die dreißig, vierzig Personen. Ich las aus der Sackgasse.

Den Abend verbrachte ich mit Wetten Dass auf dem Sofa. Trank zwei Whisky, staunte über die Ereignislosigkeit dieser Sendung und darüber, wie gern ich sie dennoch sehe.

14:03

Wäre ich ein Zocker, würde ich weitere Angebote abwarten, aber ich bin keiner.

 

Mo 6.10.08   9:02

Es juckt mich natürlich, Senf zu den Kommentaren zu meinem Hörspiel hinzuzufügen. Aber ich halte mich zurück. Ich sage nicht, was ich denke. Ich sage gar nichts. Ich staune nur über die klugen und alles besser wissenden Hörer. Eine Hörerin traut sich sogar, mir Potential zuzusprechen. Und da frage ich mich natürlich, woher weiß sie das? Und welches Potential meint sie? Glaubt sie, mich trösten zu müssen? Ein Hörer, der sich als Technik-Freak outet, bemängelt die Unsauberkeit der Aufnahme bei Sch. Das ploppt, sagt er, und er hat recht, es ploppt wirklich, es ploppt, weil ich lisple, aber insgeheim scheint er doch zu begreifen, dass das dem Hörspiel nicht schadet, denn er findet es "feinsinnig". Und dann ist da einer, der nennt sich G. Scheit. Ein dümmeres Pseudonym kann man doch kaum wählen, oder, Herr G. Scheit? Da weiß doch jeder, dass sich da jemand verbirgt. Davon aber mal ganz abgesehen zeigt sich in den Threads zu den Hörspielen insgesamt, dass das Interesse, die öffentliche Wahrnehmung, doch sehr gering scheint. Oder ist es nur so, dass immer nur ein paar öffentlichkeitsgeile Kommentatoren sich und ihr besseres Wissen ausleben? Ich bin jedenfalls froh, dass der Hörspielpreis nicht durch öffentliches Votum zustande kommt. Da ist mir die "Fachjury" doch lieber.

17:31

Der Verlag ist klein, der Vertrag ist unterwegs, und die Vertragsparteien sind sich einig, dass sie sich für den Roman mit ihrer ganzen Kraft einsetzen wollen.


Di 7.10.08   9:05

Während der Welt der Arsch wegen gieriger Spekulanten mit Grundeis geht, zeigen meine Signale aufwärts. Aussichten, die in Sätzen wie "der Autor überträgt dem Verlag räumlich unbeschränkt für die Dauer des gesetzlichen Urheberrechts das ausschließliche Recht zur Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes für alle Druck - und körperlichen elektronischen Ausgaben sowie für alle Auflagen ohne Stückzahlbegrenzung für alle Sprachen" gipfeln.

Das Urheberrecht gehört demnach bis 50 Jahre nach meinem Tod dem Verlag.
Das ist eine lange Zeit. Ich bin ernüchtert, denn ich träumte ja von der Rente, ich hatte gehofft, der Vertrag, den ich abschließen würde, brächte mich auf die sichere Seite, die Realität aber sagt, dass niemand niemanden auf die sichere Seite bringen kann, denn jetzt geht es erst richtig los.

Gut, sage ich mir, es soll richtig los gehen, ich will durch die Republik touren und lesen und mir ein Publikum erarbeiten, das will ich ja alles, aber im Hintergrund lauert ein großer Feind, ein ernstzunehmendes Monster, das für all den Ärger, für alle Mühe und Sorge, die ein Schriftstellerleben mit sich bringt, verantwortlich ist, die Eitelkeit.

Ich hätte mein Leben gern ohne, aber es gibt keine Garantien, nirgendwo ist ein Büro, in dem ich mir einen Stempel holen könnte, der mir ein moralisch einwandfreies Leben attestiert, hinter jedem Gesicht spiegeln sich Abgründe, und alle zusammen machen, dass man dies tut und jenes nicht, dies weiß und jenes nicht undsoweiter undsoweiter ... (immer weiter auf der Leiter und dann knallt's)

Das raubt Nachtschlaf, und dann balanciert mir auch noch eine Katze übers Kopfkissen, ich torkle in die düstere Nacht, schlage Wasser ab, torkle zurück, vor mir wieder die Katze, die mich verführerisch gurrend auffordert, ihr zu Essen zu geben, aber ich ignoriere sie.

Ich krieche zurück ins Bett, stöpsle mir die Ohren zu und jage noch eineinhalb Stunden durch eine Traumwelt, in der alles auf dem Kopf steht und in der nichts vergessen ist. Selbst, wenn es vierzig Jahre zurückliegt ist es Gegenwart, so gegenwärtig, dass ich aufschrecke und mich umschaue, um mich zu vergewissern, dass es nicht wahr ist, und dann ist es nicht wahr.

In der Küche springt mich der Verleser des Tages an, der besser nicht sein könnte:
Wie tief kann das Böse noch stürzen???

Ja, ich werde diesen Vertrag unterzeichnen und dann darauf hoffen, dass viele dieses Buch wahrnehmen und kaufen.

17:38

Weil ich, ganz gleich, wie alles ausgeht und ob ich die Nerven behalte, die Wirtschaft stützen will, kaufte ich mir heute nachmittag ein Paar Schuhe. Ich bin der Typ, der einmal anprobiert und heimfährt, wenn's nicht gleich passt, was Geld spart, aber Muse M. kannte Läden. Läden, in die ich unbedingt müsse, hatte sie gesagt. In einem gab es dann einen Schuh, der mir gefiel, aber es gab ihn nicht in meiner Größe.

Eine Stunde später hatte ich Schuhe gefunden, und da dachte ich, kaufe ich mir auch noch einen Pullover, Pullover kann an immer gebrauchen. Und dann kaufte ich mir den jadegrünen Jaguar, den ich seit Jahren umstreiche, und diese Uhr, und als ich den Jaguar und die Uhr hatte, dachte ich, what the fuck, ich nehme die Eigentumswohnung mit Dachterrasse, mir doch egal, nur Verschuldete überleben, weil die Banken hoffen, dass sie irgendwann wieder flüssig werden, arme Schweine werden weggesperrt.

So geht dieser Tag mit Verbindlichkeiten zuende. Aber ich fühle mich gut dabei, der Cash flowt, was will man mehr, einen besseren Staatsbürger als mich gibt es nicht, ich bin optimistisch und vertraue auf die Zukunft. Alles ist gut, wie es ist, der Markt muss frei sein, weil wir frei sein müssen, und wenn es kracht, kracht's und wenn nicht, nicht.

Habe ich das so richtig wiedergegeben? Ich glaube ja.

 

Mi 8.10.08   9:34

Man schaut hinter sich und denkt, das sieht gesund aus und fragt sich, wieso junge Frauen jeden Abend vor den Nachrichten für verdauungsfördende Joghurts werben, muss man, denkt man, davon ausgehen, dass 80% der Republik unter Verdauungsstörungen leiden?

Wenn, denkt man, wenn das so ist, wie die Werbung vermuten lässt, ist dann nicht grundsätzlich etwas falsch. Wenn die Mehrheit nicht in Frieden scheißen kann, muss etwas falsch sein, denkt man, irgendetwas ganz Furchtbares muss geschehen sein, es hat entweder mit falscher Ernährung zu tun oder mit falscher Libido, es hat mit falscher Lebensweise zu tun oder mit zu hohem Außendruck, wer weiß das schon, denkt man, aber, denkt man, da ist was dran, da muss was dran sein, da muss man doch etwas tun, denn wenn es oben gut rein geht, muss es doch auch unten gut rauskommen, sonst ist der Kreislauf gestört und wenn der Kreislauf gestört ist, ist alles gestört.

Oh Mann, denkt man, das ist ja viel schlimmer als die Finanzkrise, die Finanzkrise betrifft einen ja kaum, denn man hat sowieso kein Geld, die Finanzkrise bereinigt vielleicht nur das, was sowieso schon längst hätte bereinigt werden sollen.

Wer versteht das schon, denkt man, das verstehen ja nicht einmal die Verantwortlichen, die verstehen das nicht, die haben das vielleicht ausgelöst, aber verstehen, nein, niemand versteht das in letzter Konsequenz.

An dieser Stelle geht einem ein Licht auf: sind vielleicht die gemeint, denkt man, die tagein tagaus wetten und spekulieren, die, die das ganze an einen Rand, treiben, über den nicht einmal sie selbst schauen mögen, die, die alles überdrehen und sich dann wundern, dass ihr Stuhl hart wie Eisen wird?

Ja, denkt man, so muss das sein und freut sich. Dann - denkt man - kann es einem selbst doch so schlecht gar nicht gehen, denn man kann doch die Uhr stellen danach, spätestens nach dem ersten Kaffee geht das Zackzack, und es sieht gesund aus, und es hat eine gute Konsistenz.

Das hätte die Ärzte des Kaisers gefreut, wenn sie das jeden Morgen hätten begutachten dürfen, da hätten sie gesagt, Majestät, das sieht bestens aus, keinerlei Eintrübungen, keine ungesunden Einfärbungen, Majestät, also Durchlaucht, wenn wir das untertänigst erwähnen dürften, Sie brauchen diese Joghurts nicht, Sie wissen doch, diese Rohrreiniger, Sie brauchen die nicht, sie sind gesund.

Und der Tod? fragte Majestät.
Was ist mit dem Tod, dessen Anwesenheit ich täglich spüre?
Seit ich denken kann, spüre ich den. Ich kann sogar mit ihm sprechen.

Das ist gut, sagten die Ärzte des Kaisers.
Das ist ganz hervorragend, denn so sollte es sein.
Was wäre die menschliche Existenz ohne die Anwesenheit des Todes!
Machen Sie sich keinerlei Gedanken, Majestät, es gibt nichts Natürlicheres als den Tod.
Was immer andere Ihnen zuflüstern mögen, glauben Sie Ihnen nicht.
Der Tod ist barmherzig. Der Tod ist still und ruhig. Und vor allem lässt er endgültig vergessen.

Was für eine wundervolle Aussicht, sagte der Kaiser beruhigt.
Nicht wahr, sagten seine Ärzte.

14:07

Am 12. November fliege ich nach Wien.

18:52

Die Kindheit war nicht sanft und idyllisch, sondern der Schauplatz wilder, erbitterter Kämpfe unter der Maske rosiger Wangen, runder Augen und unschuldiger Lippen. So mörderisch waren diese Kämpfe, daß die meisten Menschen sie entsetzt zu vergessen suchten und sich einbildeten, sie seien nach Jahren oberflächlicher Spiele und leichgestillter Tränen erst zum wahren Leben erwacht. (Marlen Haushofer "Eine Handvoll Leben" Roman 7. Auflage DTV 2007)

 

9.10.08   9:49

Muse M. hatte mir das erzählt. Es liegt schon eine Weile zurück, aber vorgestern, als ich nach dem Schuhkauf noch einen Blick auf Herrensocken warf, die, preisgünstig und nach haptischer Kontrolle offenbar bester Qualität in Doppelpacks an einem Ständer hingen, fiel es mir wieder ein. Ein kleines Schildchen wies sie als Tommy Hilfiger Produkte aus, und Tommy Hilfiger, hatte Muse M. gesagt, Tommy Hilfiger habe in einem Interview einmal gesagt, er wolle nicht, dass Neger seine Kleidung tragen.

Das fiel mir wieder ein, als die Verkäuferin fragte, ob ich ein Doppelpack kaufen wolle, deshalb sagte ich: "Ich kaufe keine Hilfiger Produkte. Hilfiger ist ein Rassist." Da hätten Sie das Gesicht der Verkäuferin mal sehen sollen. "Ach ja", stotterte sie. "Das wusste ich nicht." "Tja", sagte ich, von mir selbst überrascht, denn wenn ich ehrlich bin, was weiß ich schon.

Ich meine, ich habe mir doch wenig später einen Pullover gekauft, der mit Sicherheit unter menschenunwürdigen Bedingungen in China oder irgend einem anderen Billiglohnland zusammengetackert worden ist. Aber nun hatte ich es gesagt und die Verkäuferin war beeindruckt. Ich bin sicher, dass sie das bei dem Versuch, Socken zu verkaufen, noch nie gehört hatte, aber ich bin froh, dass ich's gesagt habe. So etwas ist billig und wäscht einen auf der Stelle rein, man fühlt sich irgendwie heilig.

Ja, und so, mit einem hübschen Heiligenschein versehen, habe ich schon eine Maschine Wäsche gewaschen, den Müll rausgebracht, die Tonnen auf den Bürgersteig geschoben und dabei erfahren, dass die kleine Grün-Tonne, die da schon seit Jahren steht, nie und nimmer geleert worden ist und auch nie mehr geleert werden wird, weil sie keine städtische Tonne ist.

Der Müllfahrer fragte, ob ich wisse, wie sie da überhaupt hinkäme. Ich konnte nur mit den Achseln zucken. Sie war immer schon dort, sagte ich, und da ich in diesem Wohnblock über die Jahrzehnte zum Blockwart wider Willen mutiert bin, wird mir wohl nichts anderes übrig bleiben, als die Hausverwaltung anzurufen, denn wenn ich es nicht tue, tut es niemand, das ist bittere Erkenntnis.

Noch etwas: es gibt ein neues Thema.
Aber ich werde den Teufel tun, es hier zu verraten.

17:26

Hallo Kleinkind, dein Platz oder mein...



10.10.08   12:24

Angenommen, alles ginge gut, könnte ich, wenn ich nächsten Monat nach Wien fliege, sogar noch einen zweiten Vertrag unterzeichnen. Den allerdings für ein Kinderbuch, das dort gerade auf einem Schreibtisch liegt. Dieser Schreibtisch ist ein besonderer Schreibtisch. Wer auf diesem Schreibtisch liegt, hat die Vorauswahl längst hinter sich und genießt höhere Priorität.

"Meinen Sie, dass Sie das schaffen?", fragte ich, als ich mit der Verlegerin telefonierte.
"Bis zum Wochenende?" sagte sie. -
"Nein, bis nächsten Monat, bis zum 12. November."
"Ach so", sagte sie. "Ich dachte schon."

So käme eins zum anderen, angenommen, die Dinge gingen gut, aber man weiß ja, wie sie gehen, deshalb warten wir demütig auf ihren Gang und dann sehen wir weiter.

Ich sprach gestern lange mit dem Regisseur über die Sackgasse 13 und das daraus zu erarbeitende Drehbuch. Das war höchst interessant, denn der Regisseur wusste über die Motive meiner Figuren, über die Geschichte und die komplexen Strukturen der Personen untereinander viel mehr als ich.

Während wir redeten, begriff ich, dass das die Voraussetzung ist, um ein Regisseurs zu sein.
Schließlich muss er wissen, wem er was sagt, wem er erklärt, wie was zu spielen ist, all diese komplizierten Vorgänge des Inszenierens, das ist sein Handwerk, und das ist so ganz anders geartet, als das des Schreibens.

Der Regisseur ist, eh seine Arbeit beginnt, im Besitz einer fertigen Geschichte.

Der Schreiber, jedenfall einer wie ich, steht, eh eine Geschichte beginnt, vor dem Nichts. Höchstens, dass er eine Idee hat, die ihm tragfähig genug erscheint, um sie beim Schreiben der Geschichte weiter zu verfolgen.

Der Regisseur muss die Geschichte verstehen, wohingegen der Schöpfer einer Geschichte gar nichts verstehen muss. Daher rührt auch mein Staunen über das, was ich gestern über die Sackgasse 13 erfuhr.

Ich werde mich an die Arbeit machen. Bis Ende November werde ich einen ersten Drehbuchentwurf haben, während der Regisseur, der augenblicklich in München in ein Projekt eingebunden ist, ebenfalls einen Entwurf erarbeitet. Dann werden wir uns zusammen setzen und sehen, was daraus zu machen ist.

Interessant, oder?
Ich jedenfalls freue mich sehr.

Worüber ich mich aber noch mehr freue, ist die Insel, auf die ich morgen fahre.

 

Mi 15.10.08   8:48

Der Wind geht stark von West, vier Enten arbeiten im Tiefflug dagegen, Schafe weiden. Seit sie hier sind, seit gestern also, darf Joopi, der alte Schafbock, den wir mit Äpfeln und Möhren füttern, weil er dabei so glücklich schmatzt und rülpst und glaubt, er wäre ohne jede Vorwarnung ins Paradies gekommen, nicht mehr frei über seine, der Schafweide vorgelagerten Weide wandeln, sondern lebt angepflockt. Wahrscheinlich fürchtet der Bauer Übergriffe. Joopi ist sehr hässlich. Er stakst über seine Weide und kommt so schnell er kann, wenn er uns sieht. Er grüßt mit kehligem Gurgeln. Am liebsten isst er aus der Hand. Wenn etwas ins Gras fällt, scheint er verwirrt. Wir nehmen an, sein Verstand reicht kaum bis auf den Boden, aber selbst die hässlichste Kreatur liebt Liebe, und so müssten Sie mal sehen, wie Joopi den Kopf schräg und still hält, wenn man ihn hinterm Ohr krault.

Dann sind da noch zwei Katzen. Die eine kommt schon seit Jahren, wenn wir hier sind. Nicht, weil sie uns ins Herz geschlossen hat, sondern, weil wir sie füttern. Sie ist taub. Wenn sie maunzt, klingt das sehr seltsam. Als wir im Februar hier waren, war sie noch sehr vorsichtig und ließ sich kaum oder nur ungern anfassen. Das hat sich geändert. Wir nehmen an, dass eine Art Altersmilde Besitz von ihr ergriffen hat, sie ist sechzehn Jahre alt, wahrscheinlich lebt sie nicht mehr lang.

Die andere, wir nennen sie Aaron, weil sie uns an eben jenen Aaron erinnert (und über den gleichen Charme und die kriminelle Energie verfügt) lebt auch als frei vagabundierende Katze ohne festen Wohnsitz.

Vorgestern nacht erwachte ich durch ein Geräusch. Ich dachte nichts weiter und drehte mich um, erwachte aber wenig später erneut und spürte etwas in meinen Kniekehlen. Das war Aaron. Er war durch das nach außen geklappte Fenster ins Schlafzimmer gekommen. Nur wenig von ihm entfernt lag die taube Katze. Wir ließen sie dort, weil wir Katzen lieben, beschlossen aber, für die nächste Nacht Vorsorge zu treffen.

Da wir nie bei geschlossenem Fenster schlafen, sicherte ich das Schlafzimmerfenster mit einem Rahmen, auf den Mückendraht gespannt ist. So, dachte ich, könne keine Katze hinein. Das erwies sich als Täuschung. Ich erwachte von lautem Rumpeln. Aaron hatte den Mückenrahmen einfach weggestoßen. Hinausgeworfen kam er wenig später durchs Küchenfenster in unser Haus, sodass wir abends jetzt alle Fenster schließen, nur das Schlafzimmerfenster nicht, das lassen wir nur einen kleinen Spalt offen, da kommt Aaron nicht durch.

Die alte Katze hat keinen Namen, wenn es aber ums Essen geht, genießt sie Vorrang. Aaron schlägt dann vielleicht ein- zweimal nach ihr, aber er wartet.

Die Masten von Seglern ziehen hinterm Deich vorbei. Das Radio spielt. Es ist Mittwoch und heute, glaube ich, entscheidet sich, ob ich den Preis kriege. Mal sehn, ob ich mit dem Festland kommuniziere oder ins Internet gehe.

Im Cafe de Welvaart gibt es Internet, da haben wir gestern abend gegessen. Grauenhaft, anders kann man das nicht bezeichnen. Ich hatte ein halbes Hähnchen, auf einer Schiefertafel vorm Café als Spezialität des Hauses angepriesen, Muse M. Schnitzel. Beides im gleichen Fett frittiert, geschmacksneutral das eine wie das andere, unappetitlich aussehend, vor allem mein Hahn, lange tot, nie hatte jemand liebevoll mit ihm gesprochen, und nun auch noch so etwas.

Als wir da so fassungslos vor uns hinmümmeln und nicht begreifen können, dass es so etwas immer noch gibt, kommt der Wirt, er sehr freundlicher Mann, und fragt, ob es lecker sei. Ja, lecker, sehr lecker sage ich, ohne rot zu werden. So spielt das Leben einem manchmal hart mit.

Schwamm am Sonntag in der Nordsee. Das war sehr erfrischend.
In den Nachrichten hatten wir gehört, dass Jörg Haider gestorben ist.
Das gab dem Tag einen zusätzlichen Kick. Die kleinen Freuden sind eben doch die besten.

Seit gestern ist meine schwarze Mütze spurlos verschwunden. Ich kann mir keinen Reim darauf machen. Ich wüsste nicht, wo ich sie verloren haben könnte. Ich bin alle Möglichkeiten durchgegangen, nirgendwo fehlt sie, überall war sie auf meinem Kopf, nur hier liegt sie nicht, wo sie liegen müsste.

Lese James Joyce:Ulysses. Besitze das Buch seit Jahren und bin nie über die ersten Seiten hinausgekommen. Nun aber habe schon ich die ersten hundert Seiten gelesen und kann noch nicht recht sagen, wer eigentlich was warum erzählt, aber ich habe es ja mit einem epochalen Werk zu tun, da braucht es schon tausend Seiten, eh sich das ein oder andere erschließt.

Ich glaube, mir ist Arno Schmid lieber, wenngleich ich Zettels Traum immer nur anschaue und staune.

 

Do 16.10.08   17:26

Die Sonne hängt überm Westend. Bis Mittag hat es kräftig geregnet, dann hörte es auf, wir machten uns auf den Weg nach Nes, wurden auf dem Rietpad von heftigem Regen und Hagel eingeholt, retteten uns in das Beobachtungshaus im Vogelschutzgebiet und haben dann, es hatte aufgehört zu regnen, etwas erlebt, wovon man sonst immer nur im Wetterbericht hört: die Ankunft einer Kaltfront. Bis zu besagtem Regen nämlich war es mild, die ganze Woche war es so, aber nach diesem Regen stach der Wind plötzlich. Die Kaltfront also, wir hatten gestern abend von ihr gehört.

 

Fr 17.10.08   14:21

Das Schaf soll auf eine andere Wiese. Der Bauer kommt, leint es an, der Bauer geht, aber das Schaf nicht. Es stemmt sich gegen die Laufrichtung. Der Bauer zerrt, aber das Schaf steigt vorn auf wie ein Pferd beim Rodeo und lässt sich dann fallen. Der Bauer hebt es von hinten an und schiebt, aber das Schaf will sich nicht anheben lassen. Und zerren, zerren lässt es sich schon gar nicht.

James Joyce: auch nach 211 Seiten noch keine Klarheit.
Menschen in einer Zeitungsredaktion erzählen sich Verschiedenes.
Menschen auf einer Beerdigung auch.
Es ist lustig, derb, oft verstehe ich gar nichts.
Hin und wieder wird es albern.

Verringerte Finger erweisen sich als zu prickelnd für fröhliche alte Frauenzimmer
Anne popelt, Flo pupt - doch kann man's verübeln?

Bleibt nur eins: weiterlesen. Gehöre dann zu den Wenigen, die Ulyisses nicht nur besitzen, sondern auch gelesen haben.

 

Sa 18.10.08 16:06

Die schönste Ameland-Geschichte ist die meiner verschwundenen Mütze. Ich sagte ja, dass ich überall nach ihr gesucht hatte. Ich war zweimal zum am Dorfrand liegenden Parkplatz gefahren, um in unserem Auto nachzuschauen, weil mir neue Möglichkeiten ihres Verbleibes eingefallen waren, ich war spät noch einmal aufgestanden, weil ich plötzlich zu wissen glaubte, wo sie sich versteckt, aber alles hatte sich als Fehlannahme erwiesen.

Gestern fuhren wir mit dem Rad nach Nes. Ich kaufte mir eine neue Mütze. Und nun raten Sie, was meine Frau fand, als wir an diesem Nachmittag zurück in unser kleines Haus kamen? - Richtig. Sie hatte die ganze Zeit unter Schals, Handschuhen und anderen Mützen auf dem kleinen Brett unterm Spiegel im Flur gelegen. Ich hatte auch dort nachgeschaut. Mehr als einmal. Sie muss sich verborgen haben, um mir einen Streich zu spielen.

Well, nun habe ich zwei Mützen.
Die neue ist sehr warm, hat aber nicht diesen Friesencharme.

17:35

Urteilen Sie selbst:

NEUE MÜTZE

ALTE MÜTZE

 

So 19.10.08 16:12

Der Wirt von de Welvaart hat mir Freitag, als ich im Café meine E-Mails checkte, immer noch in der Hoffnung, eine Entscheidung für oder gegen mein Hörspiel wäre gefallen, fünfundzwanzig Cent zuviel für mein Bier abgenommen. Ich habe nicht reklamiert. Ich bin aber sicher, dass er es getan hat, weil er mich für meine Lüge strafen wollte.

Muse M. meinte gleich , dass er das bemerkt haben müsse, sie ging sogar so weit zu glauben, dass ihm das halbe Hähnchen und das Schnitzel peinlich waren, und dass ihn meine dreiste Lüge mehr gedemütigt hat, als die Wahrheit es je hätte tun können. Deshalb also, glaubt Muse M., habe er mir mehr Geld für das Bier abgenommen, als die Bedienung an drei Nachmittagen zuvor.

Wenngleich der Mensch gern um die Ecke denkt, klingt das irgendwie logisch, und logisch finde ich auch, dass ich einfach so getan habe, als wäre das in Ordnung so. Vielleicht habe ich ihn damit noch einmal gedemütigt, wer weiß.

 

Mo 20.10.08 11:18

Heute back ich. Morgen koch ich. Übermorgen stricke ich der Königin ein Kleid....

nein, das ging anders, aber ich erinnere mich nicht.
War das Rumpelstielzchen? Ja, ich glaube wohl, Rumpelstielzchen.

Wahr ist, dass ich heute bügle. Ich bügle Berge Wäsche, denn wer auf die Insel fährt, verbraucht Berge Wäsche, und wer zudem einen Sohn hat, der sich gern umkleidet und wieder umkleidet, findet nach so einer Woche leicht zehn, fünfzehn T-Shirts mit komplizierten, farbenfrohen Applikationen, die mit größter Vorsicht behandelt werden wollen, denn es handelt sich nicht um profane T-Shirts, Gott behüte, es handelt sich um Sammlerstücke, die später einmal neben seiner Base-Cap-Sammlung zu hohem Wert gelangen. Vorsicht ist also geboten, während der eine Sohn hart arbeitet und der andere noch darüber nachdenkt, wo seine Zukunft liegt. Beides ist in Ordnung, das Leben ist kompliziert, ich habe mir die Sorgen abgeschworen, sie führen zu nichts, jeder muss seinen Weg finden, dabei wäre Druck nur kontraproduktiv. Außerdem ist es für einen Vater gesünder, sich keine Sorgen zu machen.

Eine schöne Woche liegt vor mir. Morgen werde ich dem "Lied für die Schule" auf die Spur kommen, übermorgen in einer Bücherei lesen, und am Donnerstag in einer Hauptschule. Das werden jeweils Doppellesungen und ich freue mich drauf.

Jetzt aber weiter im Text: und bügeln und bügeln und bügeln....

14:01

Muss heißen:

heute back ich,
morgen brau ich,
übermorgen hol ich mir der Königin ihr Kind

 

21.10.08 12:05

Es regnet, als ich mein Auto in der Vogel von Falkenstein Straße parke. Der von Falkenstein war ein preußischer General. Bei meiner Aversion gegen Preußen weiß ich, wie er aussah, wie er gesprochen hat, wie er sich einbildete, etwas Besseres zu sein. Die Schule passt zu diesem Namen, ein 100 Jahre alter Bau, seit 100 Jahren also evangelische Volks- jetzt Grundschule. Hohes Eingangsportal, breiter Treppenaufgang, hohe Decken, Kugellampen.

Im Musikraum kommen Kinder aus vier Jahrgangsstufen zusammen. Das sind die Kinder, die in zwei Chören der Schule singen. Ich lese ihnen vor, ich will, dass sie mich kennenlernen, nach der Pause versuchen wir herauszufinden, was in ein Lied für die Schule gehört.

Es ist unruhig und ich weiß wieder, dass es richtig war, nicht Lehrer zu werden.

Der Refrain, den ich schon ausgearbeitet hatte, funktioniert auf der Stelle.
Jetzt heißt es, vier Strophen zu schreiben und das Ganze musikalisch auf feste Füße zu stellen.

 

22.10.08 12:08

Wenn ich am frühen Morgen darüber nachdenke, was ich anziehen soll, wird es kompliziert. Dann benötige ich schon mal drei, vier Durchgänge. Wechsle Hemden und Pullover, frage mich, ob das Jacket besser mit der Hose harmoniert oder die Kapuzenjacke, entscheide mich schließlich für eine Strickjacke und gehe aus dem Haus.

Alter Mann mit Ziegenbart, Bauch und Strickjacke, denke ich, aber Muse M. hatte gesagt, ich sähe gut aus. Es ist noch nicht hell, also nicht meine Zeit. Ich steige ins Auto und fahre nach G. Das ist gleich um die Ecke, und natürlich bin ich noch vor der Bibliothekarin da, sodass ich warten muss.

Zwei Lesungen dann: eine um acht, eine um kurz nach zehn.
Um acht lese ich aus Voll die Meise, um kurz nach zehn aus Mopsi.
Beide Male geht es gut.
Nicht, dass ich mich jetzt in berauschende Höhen katapultiert hätte, aber ich lese gut.



Die Klassenstörer habe ich sofort ausgemacht und mit scharfen Blicken darüber informiert, was ich mit ihnen zu tun gedenke, falls sie mich über das erträgliche Maß stören. Ich schneide ihnen Ohren und Nasen ab und habe schon eine Sammlung.

Große Freude gab es bei der Demonstration des Muckireitens, einer Kunst, die offenbar völlig aus dem Repertoire der Väter verschwunden ist. Sehr schön auch das gegenseitige Hypnotisieren, bei dem ich vom Stuhl fiel.

Bei diesem Lied brachen wie erwartet alle Dämme der Begeisterung.
Ich sollte S änger werden.
Am Besten, ich sänge nur über Kacke, Pisse, A-A, Scheiße.

Morgen lese ich zweimal in einer Hauptschule.

 

23.10.08 12:21

Schon seit Wochen habe ich ein schrindiges rechtes Innenohr und einen schrindigen rechten Nasenflügel. Da kreisen schon Fliegen, wahrscheinlich kriechen bald Larven raus und ich zerfalle zu Matschebrei.

Vorn rechts saß ein Mädchen mir Pfannkuchengesicht. Auch ihr Rest war rund, sie wird bald eine Balkanmatka. Vor der Lesung hatte sich mich auf dem Gang fröhlich gegrüßt. Als ich zurück grüsste und sagte "na, wie geht's?" war sie kreischend und kichernd zwischen ihren Freundinnen verschwunden. Und nun saß sie da. Griente verschwörerisch und ich wusste, dass sie strohdoof ist. Strohdoof und freundlich. Ihre Freundin war hübsch und ganz dunkel. Albanerin.

Zwei Schüler von 50 aus zwei sechsten Klassen. Ich hatte sie reinkommen sehen, Frühpubertierer, dachte ich, und hatte darauf gesetzt, dass Abends am Meer genau das Richtige für sie wäre. Eh sie auf falsche Gedanken kämen und rumkasperten, wollte ich sie mit einer Geschichte umhauen, die ihnen nahe käme.

Nach einer Seite war klar, dass es klappen würde.

Die erste Gruppe waren Fünftklässler und ein Junge mit Down-Syndrom, der in der Pause, die ich nach den ersten Lesekapiteln einlegte, zu mir kam und mir in seiner verschleiften Sprache ein Gedicht aufsagte, ein Singsang mit Fingerspiel. Er hatte das gut hinbekommen, und vier oder fünf andere Jungen, die mit ihm um mich herum standen, lobten ihn und sagten, wie gut er das gemacht habe.

Das war schön zu sehen.
Ich hatte aus Der heilige Bimbam gelesen, auch eine gute Entscheidung.

Es war also ein gelungener Morgen. Er war gut bezahlt und hat mir mal wieder gezeigt, dass ich mit meinen Romanen eigentlich näher an Kindern ab Klasse 5 bin, als an Grundschulkindern, für die ich immer gebucht werde.

Und ich?
Ich war besser als gestern.

16:32

Es schellt. Ich gehe zur Tür und öffne. Eine etwa Vierzigjährige kommt ins Haus: blauer Anorak mit Firmenzeichen, blauer Leitzordner mit Prospekten. Erkenne nicht sofort, was es ist, sage aber schnurstraks: Mir können Sie nichts verkaufen. Will ja gar nichts verkaufen, sagt sie. Wollte Ihnen nur einen Katalog von Bofrost geben. Brauch ich nicht, sage ich, wir kochen selbst. Tun Sie mit Bofrost doch auch, sagt sie. Nein, sage ich, da taue ich auf. Und wenn ich was zum Aufgetauen will, kaufe ich das hier im Supermarkt. Das ist billiger. Da muss ich es nicht selbst lagern. Hier sind doch gar keine Supermärkte, sagt sie. Wie bitte, sage ich. Drei. K&K, Plus und Rewe. Plus? sagt sie. Das ist doch schlechte Qualität. Und für die anderen verfahren Sie ihren Sprit? Nein, ich gehe zu Fuß, sage ich. Außerdem kaufe ich immer frische Lebensmittel. Sie reden Unsinn, sagt sie und geht.

Typ: sportliche Kampflesbe.

 

24.10.08 10:17

Die Schule hat ca. 150 Kinder und jedes Kind möchte sich in dem Lied, das ich für sie schreibe, wiederfinden. Das ist gar nicht so einfach. Aber (wie sagte man damals): keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran...

Heute großartige Presse zu meiner Lesung vorgestern.
Überschrift: Zwischen Meise und Mopsi.
Da wundert es nicht, dass ich noch nicht weltberühmt bin, oder?

PS. Aber mal unter uns: will ich das überhaupt?

Nein. Ich will nur das Geld. Ich will mitspekulieren. Jetzt, wo alles unten ist, will ich kaufen. Ich erwarte bis zu 30% Gewinn auf jeden Deal, nicht bis morgen, aber die Märkte werden sich stabilisieren, das dauert ein bisschen, aber dann werde ich mich mit meinem Profit auf diese erfundenen Inseln vor Dubai einkaufen und mich kaputtlachen über das Gezappel der Massen und die Scheinopfer, die ihr jeden Tag zum Fraß vorgeworfen werden, damit die wirklichen Täter unbehelligt weiter tun können.

Das will ich. Mit Herrn Ackermann Austern schlürfen. Mit den Lehmann Brothers Golf spielen. Zu Geburtstagen lassen wir Madonna antreten, dieses drahtige Althuhn, dieses Kaballa-Flittchen, die muss für uns hüpfen und Überschlag machen und darf auch mal mit der Peitsche knallen. Danach erschießen wir sie. Uns kann eh keiner.

14:10

Was mich angeht, ist das Lied fertig.
Jetzt benötige ich musikalisches Know-How vom Jazzfuckerman.

15:10

Als ich gestern mit dem Rad an dieser Bushaltestelle vorüber fuhr und die Werbung sah, war ich elektrisiert. !2 mal mehr Volumen? dachte ich. Das probiere ich aus. Ich ging zum örtlichen Schlecker Markt, kaufte das Produkt (billig war es nicht, aber 12 mal mehr Volumen, das wollte ich mich schon etwas kosten lassen), ging heim und wandte es an.

Tja, was soll ich sagen, jetzt traue ich mich nicht mehr aus dem Haus, ich kann nicht mehr sitzen und meine Hosen passen mir nicht mehr. Ich hoffe nur, dass es bald besser wird und möchte auf diesem Wege dringend vor dem Produkt warnen.

 

25.10.08 10:51

Cowboys

Herr Vorrink und Hans betreten Frau de Roys Leihbücherei. Hans zieht seine Jacke aus, hängt sie an einen Haken hinter der Tür, setzt sich auf einen Stuhl neben dem Ofen und fängt an zu träumen.

Pferde schnauben. Aus Salons kommt Musik. Manchmal duckt er vor Kugeln weg. Frau de Roy hält eine goldene Zigarettenspitze. Ihre Fingernägel sind lang, spitz und blutrot. Unter ihrem Angorapullover wölben sich riesige Brüste.

"Magst du einen Bonbon?" fragt sie.

Hans nickt.

Sein Vater legt einen Stapel Wildwest-Romane auf ihren Schreibtisch.
Hans starrt auf ihre Brüste. So etwas hat seine Mutter nicht, jedenfalls nicht sowas Großes und Spitzes.

Die Bücherei ist auf Liebes- und Wildwestromane spezialisiert. Auf den Umschlägen sind reitende Cowboys mit Lassos und kantigen Gesichtern. Die Bücherei ist so etwas wie der Außenposten des Propagandaministeriums eines Landes, das Amerika heisst.

Hans weiß, dass es so ein Land gibt.

Wie man hinkommt, weiß er nicht, aber er nimmt an, dass man den Bahnschienen folgen muss. Eines Tages wird er ihnen in den Sonnenuntergang folgen.

Vorbei an den Lokomotivschuppen, vorbei am Rangierbahnhof, über den Kleiberg und die Kamelbrücke, vorbei an der Schnapsfabrik Viefhues, über die Grenze und immer weiter.

Er schießt aus der Hüfte. Die Stadt wimmelt von Cowboys seines Alters. Es wird nicht mehr lange dauern, und er ist der bestangezogene Cowboy der Stadt. Einer mit Winchesterbüchse, fellbesetzter weiter Hose, mit kariertem Hemd, breitem Gürtel, Colt, Manschetten, Halstuch und Stetson. Wenn er die Büchse anlegt, zielt und schießt, stirbt einer. Einer reisst die Arme hoch und ist tot.

"Du bist tot!" ruft Hans.
Einer springt hinter den Busch und schreit: "Nein du!"
Hans schießt noch einmal. Einer reisst die Arme hoch und bricht schreiend zusammen.
Hans versetzt seinem Opfer einen Tritt. Das Opfer stöhnt.
Hans schießt ihm ins Genick und rollt es zur Seite.
Er will sehn, ob es tot ist.

(mehr davon hier...)

 

26.10.08 10:38

Die drei flachen, knapp über zwei Meter langen Kartons passten gut ins Auto.
Sie waren schwer, aber nicht zu schwer, und wir wussten, wo die neuen Regale stehen würden.
Dreimal Benno bitte. Nicht Billy, nein Benno, rot, jedes mit Platz für 180 CDs.

Arme Erben.
Wenn wir den Arsch zusammenkneifen, gibt es viel zu tun.

Der schwedischen Möbelhändler ist geschickt. Eh man zur Ware seiner Wünsche kommt, hat man schon mehrere Kilometer durch bunte Produktlandschaften zurückgelegt und häufig gestaunt. Man fragt besser nicht, wie es möglich ist, ein formschönes, jedem Bauhaus Ehre manchendes Regal für € 19,60 anzubieten. Man kauft es einfach, es liegt in Regal eins, Paket 75.

Weil man aber durch dieses große Haus mäandert, kauft man auch anderes. Und isst etwas. Und hat, während man vom Restaurant auf den großen Parkplatz hinunter blickt, nicht das Gefühl, dass die Finanzkrise schon angekommen ist.

Zuhause wird der Plan studiert. Beim ersten Regal macht man noch etwas falsch, korrigiert, die Katze geht irritiert umher, weil sie derart drastische Veränderungen ihres Herrschaftsbereiches nicht mag, die Frau hat alle CDs von ihrem bisherigen Standort entfernt, über Schränke und Tische nach Alphabet aufgereiht und ist längst damit beschäftigt, den im Bücherregal gewonnenen Platz neu zu organisieren.

Das erste Regal steht. Das zweite. Das dritte.

Zeitgleich mit ihrem Erwerb hat der CD Player sich entschlossen, nur noch bei bestimmten CDs zu arbeiten. Bei Selbstgebrannten etwa, die erkennt er, die Gekauften nicht. Das ist schade, denn jetzt, wo die Regale nach den internationalen Regeln der Bibliothekare (A-Z von links nach rechts, von oben nach unten) eingeräumt sind, jetzt, wo man einen hervorragenden Überblick hat, möchte man natürlich dies hören und das.

Müssen also die guten alten Mixkassetten dran glauben.
Die klingen erstaunlich frisch, obwohl die Ältesten über 20 Jahre alt sind.

 

27.10.08 17:21

Ich lasse keinen auf meine Insel. Warum auch, die andern verstehen meine Regeln sowieso nicht, nicht einmal die engsten Vertrauten verstehen sie, so wenig wie ich deren Regeln verstehe. Lustig ist, dass auch alle anderen kleine Inseln bewohnen, auf denen sie über die Weltozeane treiben. Jeder mit eigenen Regeln.

Zur Hauptverkehrszeit in Bussen und Bahnen am Morgen ist das nur schwer auszuhalten, denn da treiben sie gezwungenermaßen so eng aneinander, dass sie sich nur durch tiefstes Aneinandervorbeischauen retten können. Nur hin und wieder gibt einer ein Zeichen, ein Mutiger. Die meisten sind Feiglinge.

Ich las heute an drei verschiedenen Schulen. Die Kinder waren höchst zuvorkommend, was nicht immer der Fall ist, und ich, der die Nacht vor lauter Aufregung kaum geschlafen hatte (jedenfalls hatte ich das Gefühl, als ich um 5:15 aufstand), ich war fit wie ein Turnschuh und las aus: Der Heilige Bimbam, Das schwarze Buch und Sackgasse 13.

Leider zu einem schlechten Tarif, denn die Tour war über den Boedecker Kreis gebucht.
Dafür aber war die Betreuung sehr freundlich, man hat mich mit Kaffee volllaufen lassen, mir Plätzchen hingestellt, Wasser, Kuchen zu Mittag, man hat mich quer durch Oberhausen kutschiert und so nebenbei habe ich erfahren, dass es für die schlechten Straßen in manchen Vierteln nur eine Erklärung gibt: das ganze Geld ist in die DDR geflossen.

Da soll noch einer was sagen. Das wissen doch alle, dass die da mit unserem Geld ihre maroden Städte aufgepeppt haben und jetzt arbeitslos rumlaufen, die prächtigen Fassaden bestaunen und hin und wieder vor lauter Langeweile Fidschis klatschen.

Das sind natürlich Vorurteile.

Wahr ist, dass Oberhausen pleite ist. So pleite, dass man sogar erwägt, die Luft über der Stadt abzuziehen, dann würde alle aufhören zu atmen und der Stadtkämmerer müsste sich nicht mehr um so viele Menschen kümmern. Deshalb waren heute auch so viele Menschen auf den Straßen, um zu demonstrieren. Die wollen sich das natürlich nicht bieten lassen.

Was ich verstehen kann.
Nun bin ich wieder zuhause.

Hier ein Beweis, dass ich den Tag über nicht zuhause war.

 

28.10.08 8:28

Ich reagiere auf Zeitumstellungen wie Vieh im Stall. Sie passen nicht in meinen Schädel. Ich mag sie nicht. Zeit ist nicht verhandelbar. Gestern war ich von 5:15 bis 21:30 Uhr auf den Beinen, dann habe ich mich ins Bett gelegt und gehofft, ich könne mich ausschlafen, aber um 6:45 Uhr war das Vergnügen vorüber, meine innere Uhr hatte aufstehen, Hermann gesagt.

Ich kenne welche, die können problemslos bis Mittag schlafen.
Ich weiß nicht einmal mehr, ob ich das früher auch konnte.
Wenn ich's genau betrachte, weiß ich gar nicht, ob Früher tatsächlich existierte.

FRÜHER ist so lange her. JETZT zählt.

Jetzt fahre ich nach Gronau, um über ein Projekt namens Kulturstrolche zu beraten.
Soll ich da mitmischen, oder lasse ich besser die Finger davon? -
Ich ahne, dass es besser wäre, die Finger davon zu lassen, will aber erst die Bedingungen hören.

Und dann (jetzt gleich, am 12.11.) fliege ich nach Wien und unterzeichne meinen Vertrag.
Und was war mir gestern bei allem Jammern und Wehklagen über zu wenig Einkommen plötzlich klar wie Kloßbrühe? Eine Binsenweisheit, aber immer wieder schön: dass der Weg das Ziel ist. Dass ich JETZT genau das tue, was ich immer tun wollte. Ich bin quasi deckungsgleich mit meinen Träumen von damals. Meine Träume von damals sind JETZT wahr. Alles, was darüber hinaus geht, werde ich als Zugabe akzeptieren. Ist das nicht wundervoll?

Ja. Ist es. Also darf ich jetzt bitte weiter klagen?

14:43

Man kommt ihm näher und stößt gegen seinen Geruch. Er riecht abgestanden, man stößt dagegen und fragt sich, ob man selbst auch riecht? Ich will nicht, dass andere von mir sagen, der alte Mann riecht. Ich will neutral sein, hin und wieder mit einem Hauch meines Lieblingsparfums, kein Subjekt, dem man sich lieber mit Rückenwind nähert. Schließlich ist die Präsenz eines 60jährigen Körpers eine andere als die eines - sagen wir - 20jährigen.

Mein jüngster Sohn sagt, er röche nichts, aber das heißt nicht viel, wir sind vom gleichen Stamm, er würde es wahrscheinlich nicht riechen. Die, die mich über Gerüche aufklären könnten, die dritten Personen, würden es wahrscheinlich nie sagen, so wie ich es ihm heute auch nicht gesagt habe. Das ist feige und dumm. So werden wir es nie erfahren.

 

29.10.08 11:40

Ich lief ins Bad, weil von dort ein Gebrumm kam, ein Gestammel, ein verschlepptes (wie ich gleich feststellen sollte) großspuriges Genuschel. Ich dachte zunächst, es handle sich um unsere dicke Katze, aber die war es nicht. Es war dieser Mann. Er zeigte keinerlei Zeichen des Erkennens, als ich das Bad betrat. Er tat so, als sein es das Normalste der Welt, in unserem Bad zu stehen und Reden über die Weltfinanzkrise, den Terrorismus im Allgemeinen und den Einsatz Deutscher Truppen im Besonderen zu halten.

Er sprühte feine Gischt beim Sprechen. Ich verstand nur: Wir sind die Krise.

Gegen Fragen schien er resistent. Einwürfe überhörte er, vielleicht, denke ich jetzt, vierundzwanzig Stunden später, vielleicht war er taub, ja, er könnte taub gewesen sein, das würde zumindest erklären, weshalb er so unkontrolliert sprach, denn ich glaube nicht, dass er betrunken war.

WIRSINDDIEKRISE lallte er wieder und wieder und geriet darüber in scheinbar schwer kontrollierbare Lachanfälle, die aus der feinen Sprechgischt einen sich verdichtenen Niesel machte, der mir schließlich mit Rotz um die Ohren flog, worauf ich das Bad verließ, von außen abschloss und die Polizei rief.

Es dauerte etwa zwanzig Minuten, eh die Beamten eintrafen. Ich erklärte die Situation. Die Beamten zogen ihre Dienstpistolen, entsicherten, standen in unserem Flur, als wären sie von der SOKO, ich schloss die Badezimmertür auf und öffnete sie, der erste Beamte sprang vor, der zweite stand sichernd hinter ihm, aber das Bad war leer.

Zum Glück konnte ich Angaben über das Aussehen des Mannes machen.
Hier das Phantombild.

14:35

Jazzfuckerman saß da. Ich spielte ihm das "Lied für die Schule" auf der Ukulele vor. Jazzfuckerman würde tausend Einwände habe, soviel war mir klar, aber erst einmal musste er rauskriegen, welche Akkorde ich spielte. Leichte Übung für ihn, danach fingen die Einwände an, aber ich hatte ihn ja ins Boot gebeten, weil er so etwas sehr gut kann. Ich bin der Spinner für vage Ideen, er ist der Mann für die handfeste Praxis. Urheber und Produzent.

Nach etwa zwei Stunden hatten wir ein harmonisches Grundgerüst.
Vorspiel, Strophe mit harmonisch neugierig machender Überleitung in den Refrain, nochmal Strophe, Refrain, Ende. Hier noch ein bisschen Text gefeilt, da noch geschliffen, aha.

Jazzfuckerman öffnete Band in the box, gab die Akkordfolge ein, justierte das gewünschte Tempo und schon tackerte die Computerband ihre Midi-Sounds ab. Frage nun: welchen Style wünschten wir diesem Lied? Marley1 schien geeignet, Marley1 kam meiner Phrasierung am nächsten.

Im nächsten Schritt löschte Jazzfuckerman den synthetisches Bass und spielte den eigenen Bass ein. Das klang natürlich gleich ganz anders. Den Schlagzeugpart wird Peter übernehmen. Peter ist ein ausgefuchster Trommler, den man immer ein wenig bremsen muss.

Mit Marley1 und der modifizierten Bassspur war ich an der Reihe. Ich setzte mir den Kopfhörer auf und sang die erste Strophe plus Refrain. Kurz nach Mitternacht waren wir fertig. Morgen werden wir das Lied live in einfacher Gitarren-Version präsentieren: Jazzfuckerman spielt, ich singe, den Rough-Mix werden wir der Musiklehrerin (und vielleicht auch den Kindern) als kleinen Appetithappen für das, was später noch kommen wird, vorspielen.

Jazzfuckermann wird das Leadsheat und die Stimmführung in verschiedenen Tonarten schreiben, damit die Lehrerin ausprobieren kann, welche dem Stimmumfang der Kinder am nächsten kommt. Und am 28. November ist, so Gott will und die Kinder sich das Lied bis dahin draufgeschafft haben, öffentliche Uraufführung in der Schule.

Schöne Arbeit also. Und man lernt immer wieder Neues.

 

30.10.08 11:33

Als ich begann, über das Lied nachzudenken, fiel mir auf, dass die Straße, an der die Schule liegt, Vogel von Falkenstein Straße heißt. Besser hätte ich es gar nicht bekommen können.
Daher lautet die erste Zeile des Liedes:
Hoch oben fliegt ein Vogel, der heißt Falkenstein....
Mit diesem
Vogel zoome ich mich in die zweite Zeile: ...er blickt hinab und sieht ein Haus.

Hier nun kommen meine Kunden ins Spiel.
Wer dieser Falkenstein sei, werde ich gefragt, und ich antworte: ein preußischer General.
Ihre Antwort: einen General wolle man nicht in diesem Lied. Nein, auf keinen Fall einen General.
Meinen Einwurf, dass die Schule aber doch an der Vogel von Falkenstein Straße läge, Falkenstein ein schöner Name sei und sich als Einstieg hervorragend eigne, lassen sie außen vor.

So sind sie, die Gutmenschen.

Meine augenblickliche Lieblingsschriftstellerin, Marlen Haushofer, sagt in Wir töten Stella:
Keiner hütet die Moral strenger als der heimliche Gesetzesbrecher....


31.10.08 10:15

Wer wäre in der Lage, Fragmente aus Edvard Griegs In der Halle des Bergkönigs mit Sunny zu paaren und beide Stücke so zu neuem Leben zu verhelfen? Richtig. Es handelt sich um Albert Early Bird und die Working Worms.

Mit denen habe ich gestern geprobt, denn heute abend treten wir auf.
Unsere Auftrittsbedingungen sind wie immer äußerst merkwürdig, handelt es sich doch um den Geburtstag einer mir unbekannten 50jährigen, der in einer katholischen Tagesstätte gefeiert wird. Da könnte einem angst und bange werde, wüsste man nicht, dass die 50jährige an uns heran trat und fragte, ob wir spielen wollten, wir könnten spielen, was immer uns einfiele.

Das werden wir tun. Wir spielen, was immer uns einfällt.
Unser großes Ziel ist es, zu Auftritten eingeladen zu werden, um überhaupt nicht zu spielen.
Das wäre tatsächlich Kunst, aber so weit sind wir noch nicht.

Wir sind einfühlsame Dilettanten.

Neuigkeiten: die Literaturautomaten des ZAK in Düsseldorf, die an drei oder vier Standorten in NRW und Holland verteilt stehen, werden Bestandteil einer Ausstellung im Haus der Geschichte Bonn, die "Man spricht Deutsch" heißt. Einige meiner Gedichte werden dabei sei. Das freut mich. Ich stelle mir vor, dass die Besucher einer solchen Ausstellung kauffreudig sind. Und vielleicht sind ja auch welche dabei, denen ein Licht aufgeht.

Nun aber (zwei Kaffee, die Sonne scheint) heißt es: scheißen, dann bügeln. Danke sehr. Bitte.

17:16

Wir verabschieden uns vom Oktober und wünschen viel Durchblick im November.

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

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