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Parati

Auf halbem Weg zwischen Sao Paolo und Rio de Janeiro. Ich weiß noch, dass der Bus von der Küstenstrasse nach Rio scharf rechts abbog und dann ging es hinab durch feuchtwarmen Wald Richtung Meer. Parati war nicht groß. Parati war ein dorf. Es lag da in der Sonne. Es gleißte. Einen Arkadengang gab es, eine Kirche mit Glocken in durchbrochenen Türmen, kolonial aufgeräumt, nicht indianisch arm. Ein Strand gleich beim Marktplatz? Ja, so weit ich weiß, ja. Kein schatten. Ein Zimmer in einer Pension mit dunkel gebeizten Möbeln, ein herrschaftliches Bett, fast Familienanschluss. Was ich hier tue? Ich bin auf dem Heimweg. Seit fast einem Jahr laufe ich vor mir davon und suche den Heimweg. Jetzt, wo ich näher und näher komme, wo ich so viel gesehen habe, dass ich nichts mehr aufnehmen kann, jetzt wird mir unwohl. Ich werde bald wieder da sein, wo ich gestartet bin. Mutter. Vater. Tante. Schwester. Und gleich am ersten Abend wird meine Ehe besiegelt. Meine Kinder werden gezeugt. Der rest meines Lebens entschieden. Ich werde keine Zeit haben, nachzudenken. Ich werde die Treppe zur "Lila Eule" hinunter steigen, werde die Tür öffnen und hineingehen, und da wird sie vor mir stehen. Als hätte sie gewartet. Ich kannte sie vorher. Ja, es war nicht so, dass ich nicht gewusst hätte, wer sie ist. Aber an diesem Abend beschlossen wir unsere Zukunft.
Im abgedunkelten Zimmer meiner Pension in Parati male ich mir das alles nicht aus. Ich bin einsam und müde. Ich will nicht mehr reisen. Ich will zurück in die Stadt an der Grenze. Ich fühle mich zu ihr gezogen, aber weiß auch, dass es kaum einen Tag dauern wird, bis ich wieder fort will. Immer will ich fort. Nie will ich bleiben. Hier in parati, wo es am Strand nicht einen schattigen Ort gibt, hier in Parati, wo sie mich anstarren wie einen Geist, hier in Parati stelle ich mir vor, dass meine Plantagen im Hinterland reichen Profit machen und ich, von schwarzen Sklaven mit Palmwedeln umfächert, auf meiner Veranda liege und in die H ände klatschend Limonenlimonade verlange. Limonenlimonade. Und dann verschwindet die Sonne und die Nacht schlägt auf wie ein vom Himmel gefallener Schreck und die Tiere schreien und winseln um ein bisschen Licht vom Mond.
Ich sitze auf meiner Veranda, allein seit fast einem Jahr, und vermag mir nichts vorzustellen. Weder sehe ich mein Leben vor- noch das hinter mir. Ich habe keine Vision. Nichts fesselt mich. Gar nichts könnte es mir recht machen. Ich sitze nur und langweile mich. Hier bin ich, hier, rufe ich und von den Türmen der knochenweiß gebleichten Kirche rufen die Glocken die Zeit hinaus aufs Meer und ich fürchte mich fürchte mich fürchte. Noch ein paar Tage, und ich werde ich Rio Geburtstag feiern.

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