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Written by Nina L. Sowada


Der Tag war schwül warm und ein Mädchen lief die Straße entlang. Es ging Richtung Hauptbahnhof. Das Mädchen hatte kurze, stufige braune Haare und ist etwas dünn geraten. Sie trug eine alte abgeschliffene Jeans und ein Top das schon verblichen war. Jennas Familie hatte nicht viel Geld, doch einen Trost hatte sie: Ihre beste Freundin Lisa.
Die beiden unternahmen alles zusammen und waren unzertrennlich.
Jenna bog in die Hauptstraße ein und jede Menge Autos rasten an ihr vorbei. Manche hatten ihre Musik so laut gestellt, das Jenna sicher war, die Fahrer würden nicht einmal ein Hupen hören, selbst wenn es genau hinter ihnen geschieht.
"Tja, so ist das eben hier in Berlin, " dachte Jenna und seufzte. Sie ging auf den großen Platz vor dem Hauptbahnhof. Lisa wartete bereits auf sie.
"Hey Lisa", begrüßte sie ihre Freundin und sie umarmten sich.
Lisa hatte zwar blonde Haare, doch im Gesamten sah sie genau so aus wie Jenna, nur das ihre Klamotten nicht so alt waren. Lisa hatte einen schimmernden Haarreif im Haar, was reichlich komisch aussah.
"Lass uns zu unserem Lieblingsplatz gehen", schlug sie vor.
Gesagt, getan.
Sie gingen neben dem riesigen Hauptbahnhofsgebäude her und ließen die Menge hinter sich. Als sie gerade um die Ecke gebogen waren, wurde Jenna plötzlich mit solcher Wucht nach vorn geschupst, dass sie auf den harten Boden fiel.
"Pass doch auch, du Trottel", schrie Lisa.
"Was war das denn für ein Idiot?", fragte Jenna und stand auf.
Sie schaute dem Typ hinterher, doch ehe sie ihn richtig erkennen konnte war er auch schon um die nächste Ecke gebogen.
"Der hatte es ja ziemlich eilig", sagte Jenna und klopfte den Dreck von ihren Klamotten.
"Na toll", regte sie sich auf. "Meine Hose ist kaputt."
"War ja auch nur noch eine Frage der Zeit, oder?", fragte Lisa und wollte Jenna daran hindern ein Drama aus ihrer kaputten Hose zu machen. "Jetzt komm aber und pass auf das keiner guckt."
Die beiden gingen einem langen Busch entgegen, der vor einem langen Maschendrahtzaun stand. In dem Zaun war ein Loch, wo Jenna und Lisa schon öfter durchgeschlüpft waren.
Jenna hielt wache das sie auch ja niemand sah; denn es war natürlich verboten die Gleise zu betreten, außer wenn man zum Personal des Bahnhofs gehörte.
Lisa hatte gerade einen Fuß durch das Gebüsch gesteckt, als Jenna auch schon "Achtung!" zischte. Lisa zog den Fuß schnell wieder raus und drehte sich zu Jenna um. Sie sahen jemanden auf sie zukommen. Es war ein Polizist. Er hatte eine typische grüne Polizeimütze auf und eine grüne Uniform an. Außerdem sah er noch sehr jung und unerfahren aus.
Jenna und Lisa starrten ihn an. Hoffentlich würde er sie nicht verhaften, weil sie auf die Gleise gehen wollten. Vielleicht hatte die Polizei sie schon öfter dabei gesehen und wollte sie nun jetzt auf frischer Tat ertappen.
Doch ehe Jenna weiter darüber nachdenken konnte, begrüßte sie der Polizist auch schon freundlich.
"Guten Tag, ihr beiden. Habt ihr gerade jemanden hier her rennen sehen?
Wir suchen nämlich einen … ähm - ."
Der Polizist schien angestrengt zu überlegen wie er es am besten ausdrücken sollte. Jenna und Lisa starrten ihn jedoch weiter an und warteten auf das Ende des Satzes. Doch stattdessen wurden sie noch einmal gefragt, ob denn jemand an ihnen vorbei gerannt wäre.
"Ja", sagte Jenna. "Der Typ hatte es ziemlich eilig. Der hat mich angerempelt und meine Hose ist jetzt kaputt."
"Es hätte aber auch schlimmer kommen können", sagte der Polizist. "Wo ist denn jetzt der Mö - der Gesuchte hingerannt?"
"Da lang", sagte Lisa und zeigte in die Richtung. "Und dann ist er um die Ecke gerannt."
"Vielen Dank für eure Hilfe."
Der Polizist holte ein Funkgerät aus der Tasche und ging in die Richtung in die Lisa gezeigt hatte.
"Großer Adler an schlauer Fuchs. Kannst du mich hören schlauer Fuchs?"
Es war nur ein rauschen zu hören, bis jemand antwortete.
"Wann hörst du endlich auf diese dämlichen Namen zu benutzen? Hast du wenigstens etwas herausgefunden?"
Der Polizist entfernte sich immer weiter von den beiden Freundinnen, und so konnten sie nur noch Bruchstücke von dem hören was er sagte, bis er schließlich verschwand.
"…zwei Mädchen…Knacker Joe…Ecke..."
"Hhm…Knacker Joe. Das hab ich irgendwo mal gehört", sagte Jenna und sie quälte der Gedanke wo sie es denn schon mal aufgeschnappt hatte.
"Keine Ahnung wer das ist. Wahrscheinlich aus dem Knast ausgebrochen", vermutete Lisa. "Kommst du jetzt endlich? Sonst kommen hier gleich noch mehr Leute vorbei und wo sollen wir dann hingehen?"
"Jaja ist ja gut. Ich komme schon. Geh du zuerst."
Jenna hielt wache und hoffte das niemand auf irgendeine Art und Weise wieder den Weg zu ihnen finden würde. Lisa war bereits auf der anderen Seite des Zauns und Jenna schlüpfte auch durch das Gebüsch. Allerdings hatte sie Probleme mit ihren Haaren, die sich im Gestrüpp verhakten.
Jennas Herz pochte nun heftiger, als sie den Schienen näher kamen. Doch sie mochte dieses Gefühl, das sie herausforderte über ihren Schatten zu springen und über die Grenzen zu gehen. Niemand konnte sie jetzt noch aufhalten, dieses Gefühl zu empfinden und sich dabei stärker zu fühlen. Nicht einmal ein Polizist oder ein Knacker Joe. Doch ihr Unterbewusstsein überlegte immer noch angestrengt, woher sie diesen Namen kannte…. Plötzlich kam ihr eine kleine Erinnerung wieder in den Sinn. Sie hatte ihn einmal in den Nachrichten gehört. Doch sehr viel half ihr das jetzt auch nicht weiter.
Nun traten sie auf die Gleisen und Lisa ging rechts entlang. Jenna folgte ihr. Sie gingen einer schmalen Brücke mit einem alten, rostigen Geländer entgegen. Jenna hatte gehört, die Stadt wolle kein Geld für ein neues ausgeben.
Unter der Brücke war ein tiefer Fluss der grünlich im Sonnenlicht schimmerte. Die beiden Freundinnen gingen auf die Brücke zu. Jennas Herz raste nun vor Aufregung; jedoch auch vor Angst. Denn was sollten sie nur tun, falls ein Zug käme und sie ihn nicht hörten? Normalerweise quietschten ihre Räder immer wenn sie anhielten und so konnten Jenna und Lisa rechtzeitig losrennen um sicher über die Brücke zu gelangen. Denn sie konnten dort nicht ausweichen, weil nur ein einziges Gleis auf die andere Seite führte. Außerdem war es zwischen Gleis und Geländer viel zu eng. Jenna und Lisa waren zwar schön öfter über diese Brücke gegangen, doch Jenna hatte jedes Mal dieses warnende Gefühl. Allerdings erzählte sie es Lisa nie, da sie befürchtete als Angsthase abgestempelt zu werden.
Jenna ging doch auch dieses Mal über die Brücke. Sie schaute die ganze Zeit geradeaus. Auf diesem Wege sah sie, dass die andere Seite immer näher kam, was ein gutes Gefühl war. Andererseits wiederum auch nicht. Denn dann wusste sie, dass sie es mal wieder nicht ganz geschafft hatte etwas Verbotenes und aufregendes ohne ein schlechtes Gewissen zu tun. Doch Jenna versuchte es zu unterdrücken und konzentrierte sich auf das, was sie gerade tat. In der Mitte der Brücke angekommen, hörten sie plötzlich ein Geräusch. Dieses Geräusch kam Jenna bekannt vor. Sie wusste nur nicht was. Es kam immer näher, das konnte man genau hören. Auch Lisa schien es nun zu hören. Sie drehte sich um und ihre Augen wurden riesig. Riesig vor Angst. Jenna ahnte was es nur sein konnte, doch sie war sich nicht sicher. Sie wollte gerade nach hinten sehen, als Lisa sie am Arm packte und wegzerrte.
"Mach hinne", schrie sie. "Da kommt ein Zug."
Jenna wollte es nicht wahrhaben. Wie konnte sie auch nur so dumm gewesen sein und hatte nicht auf ihr Gefühl gehört. Sie konnte sich selbst dafür Ohrfeigen, doch Jenna konnte sich nicht bewegen. Wie angewurzelt stand sie da und verlor jedes Gefühl in ihrem Körper. Dem Zug immer noch den Rücken zugekehrt. Es war genau dieses Geräusch, das sich leise anschlich, welches Jenna Angst machte. Zu ihrem entsetzen hörte sie wie der Zug immer näher kam und schneller wurde. Lisa zerrte an Jennas Arm um schrie sie an. Jenna jedoch hatte buttrige Knie bekommen und konnte sich immer noch nicht bewegen. Sie starrte Lisa wie gelähmt voller Angst an. Sie musste sagen, dass Lisa fester Ziehen müsse. Doch ihre stummen Schreie wurden nicht erhört. Lisa liefen voller Verzweiflung Tränen über ihr Gesicht. Nun bettelte sie sogar ihre Freundin an, sich endlich zu bewegen und war laut am schluchzen.
Jenna wollte es zwar, doch sie konnte nicht. Das Geräusch, dieses leise furchtbare surren, kam immer näher und wurde lauter.
Jenna geriet immer mehr in Panik. Plötzlich schossen ihr grauenhafte Bilder durch den Kopf. Sie sah genau vor sich, wie der Zug sie beide erfassen und mitschleifen würde, bis sie blutüberströmt irgendwo neben dem Gleis lagen. Nun war der Zug so nah, dass Jenna hätte sterben können vor Angst. Das Brückengeländer zitterte und sah immer wackliger und zerbrechlicher aus.
Doch plötzlich spürte sie ihre Körperteile wieder und das Adrenalin schoss in jede Zelle ihres Körpers. Dies gab ihr das Gefühl stark zu sein. Ohne wirklich zu wissen, was sie überhaupt tat, warf sie die Arme um die verzweifelte, kreischende Lisa und schmiss sich mit solcher Wucht gegen das Brückengeländer, dass sich Jenna vermutlich ein paar Rippen gebrochen hatte. Doch das war egal. Das Geländer gab ein hässliches Geräusch von sich, verlor die Ankerung im Boden und stürzte mit Jenna und Lisa in die Tiefe. Im Fallen peitschte ihnen der Wind ins Gesicht und der Zug raste über die Brücke. Ehe sie wussten, wie ihnen geschah, klatschten sie seitlich auf die harte Wasseroberfläche und kaum waren sie unter Wasser knallte Jenna auf das Geländer.
Es wurde dunkel. Jenna fiel jedoch weiter und weiter in die Dunkelheit hinein. Doch plötzlich sah sie etwas. Es schimmerte sehr hell. War es ein Engel, der sie abholen und in den Himmel bringen würde? Als sie jedoch etwas genauer hinsah, hatte dieses Schimmern eine grünliche Farbe angenommen. Jetzt musste sie wohl von dem Engel hoch getragen werden und sah den grünlich schimmernden Fluss unter ihr. Doch als ihr jemand eine Ohrfeige gab und kreischte: "Jenna, mach keinen Scheiß", kam sie wieder zur Besinnung. Nun sah sie, wo sie wirklich war. Über ihr gebeugt hockte Lisa mit ihrem grünlich schimmernden Haarreif im nassen Haar. Jenna lag gerettet neben dem Fluss auf dem Gras. Sie war am Leben!
Als sie die Augen öffnete, stieß Lisa einen Freudenschrei aus und fiel Jenna um den Hals. Lisa begann zu weinen.
"Man Jenna", schluchzte sie, "du lebst! Ich dachte schon du bist … oh, ich hatte echt Angst."
Sie sah Jenna erleichtert und glücklich lächelnd mit Tränen in den Augen an. Jenna, die immer noch etwas benebelt war, wollte sich hinsetzen. Doch als sie sich auf den Händen abstützte, schrie sie auf. Sie ließ sich zurück auf das Gras fallen und wimmerte vor Schmerz. Durch den Aufprall auf das Brückengeländer war ihr Arm gebrochen. Sie verspürte einen starken, stechenden, Schmerz und hielt sich den Arm.
"Was ist los?", fragte Lisa und sah nicht mehr so erleichtert aus. Doch der Schmerz war zu groß um zu antworten.
"Sag schon! Was ist mit deinem Arm los?", fragte Lisa weiter und sah verzweifelt aus.
"Ich glaub", keuchte Jenna, "er ist gebrochen. Ich kann ihn nicht mehr bewegen."
Doch von ein auf der anderen Sekunde, schoss ein solch heftiger Schmerz durch den Arm, als hätte jemand einen Pfeil hindurch geschossen.
"Aaaaargh… oh, tut das weh."


 

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