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Rameshwaran

Von Trivandrum, Kerala, Indien, wo am Morgen vor meiner Strandhütte einmal eine gut zweieinhalb Meter lange, goldgrüne Schlange über den Weg glitt, aus diesem Paradies, auf dessen Klippen die Wellen daumengroße, anthrazitfarbene Lebewesen mit großen Augen und Flossen, die sie auch als Beine nutzten, spülten, aus diesem Paradies, durch das zur Frühstückszeit junge, in bunte Saris gekleidete Frauen aus dem Dorf den Hippies frische Papaya, Kokosmilch und Ananas anboten, aus diesem Trivandrum, wo ich den sehnlichst erwartenen Brief meiner Freundin erhielt, machte ich mich, der Sehnsucht gehorchend, auf den Weg nach Rameshwaran in Tamil Nadu. Dort stoßen der Golf von Bengalen und die Arabische See aneinander, dort geht die Sonne überm Meer auf und unter, dort gibst es farbigste Tempel und ein großes Gewühl zwischen Einkaufsständen, die verkaufen, was denkbar ist, dorthin fuhr ich also. Etwas über 300 Kilometer. Es wird einen Tag gedauert haben, so genau weiß ich es nicht mehr, aber bei dem Zustand der Straßen und den damals dort verkehrenden Bussen hat es vielleicht sogar länger gedauert. Zunächst ging es durch die Berge, Urwald, ein Reservat für Tiger und Elefanten, dann aber hinab in eine Ebene, auf der sich, als wir uns dem Meer näherten, große weiße Flächen in der Sonne gleißten, zu Salz verdunstetes Meerwasser. Ich weiß nicht, ob es dieses Licht war, das den weißen Tempel, den ich, von einem Hügel auf ein Dorf zufahrend, schon von weitem sehen konnte, auf den Linsen meiner Augen verkehrt herum abbildete, aus der Ferne schien er riesig groß, alles überragend, aber je näher wir kamen, desto kleiner wurde er. Ich habe das Rätsel nicht lösen können. Rameshwaren ist eine Hafenstadt. Von dort verkehren Fähren nach Sri Lanka. Ich ging zu einem schwarzen Strand. Ich trank Fruchtlassis. Ich mietete ein Zimmer für die Nacht, kahler Beton mit vergitterten Fensterhöhlen ohne Verglasung, ein Doppelbett, das ich mit einer Amerikanerin teilte, mit der es zu nichts kam, weil wir uns nicht trauten. Zumal war ich gerade sehr treu. Ich war immer besonders treu, wenn meine Freundinnen weit fort waren. Am nächsten Tag schiffte ich mich ein.

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