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Von Birganji nach Varanasi

Nach alpinem Land mit nadelspitz kalter Luft endlich die Abfahrt durch unzählige Haarnadelkurven. Nach jeder wird die Luft ölig und wärmer. Nadelholz weicht sattem laubgrün. Am Fuße der Berge (Himalaya) wachsen verlotterte Palmen. Birganji, der Grenzort zu Indien. Es ist Mitternacht. Eine staubige Straße, hoch beladene Lkw, Teestuben, geschäftiges Hin und Her zwischen Grenzen. Ich miete ein Zimmer und falle in unruhigen Schlaf. Am Morgen bringt mich ein Pferdewagen zur Grenzstation. Beleibte Grenzer versuchen jeder Arbeit aus dem Wege zu gehen. Missmutig fertigen sie mich schließlich ab. Im nächsten Bild jagt ein schrottreifer Bus über eine sonngeflutete Ebene. Muzaffapur ist das Ziel. Dort mit einer Rikscha zur Indian State Bank und nach erledigtem Geldtausch zum Bahnhof. Einen halben Tag noch und eine Nacht und ich bin in Varanasi. 

Ich saß im Zug nach Varanasi und war mit dem Schaffner ins Gespräch gekommen, ein schnauzbärtiger, dicker Mann. Ich war achtundzwanzig, und saß in der billigsten Klasse, er um die Fünfzig, da gibt es Vieles, was man gern voneinander wüsste. Das Woher und Wohin war schnell abgeklärt, dann ging er aufs Ganze. Ob ich eine Freundin hätte? Ich nickte. Draußen war flaches, sandbraunes Land, Varanasi war nicht mehr weit, die Flußniederung bald, trotzdem kaum Grün. Wind strich herein, föhnwarm. Ich zeigte ihm ihr Foto. Er schmolz vom Sitz. Ich sah, wie es in ihm durcheinander ging, Weiß ist schön dort, Weiß gilt als Ideal und sie strahlte nur so aus dem Foto. Kein Wunder, dass er dann fragte, ob man im Westen unverheiratet zusammenleben könne? Ich bestätigte ahnungslos, was er vom Hörensagen schon wusste. Er war entsetzt und notgeil. Ich hatte zuviel preisgegeben, und schob das Foto schnell zurück in meine Tasche. Er knipste meine Fahrkarte und ging. Eine Stunde später trat ich aus einem prächtigen, von den Briten gebauten Bahnhof, drinnen blitzblank, aber draußen das Chaos. Ich wusste mittlerweile, wie ich mich hier zu bewegen hatte. Die Menschen waren nicht unfreundlich, manche erschienen servil. Wofür hielten sie mich? Ich konnte nur deuten, nicht annähernd verstehen. Was ich verstand, war, wenn sie mich übers Ohr hauen wollten. Ich nahm es ihnen nicht übel, ließ es aber nicht zu, weil ich den Verhandlungsrahmen für Dienstleistungen und Waren kannte. Sie würden mich für dumm halten, wenn ich nicht feilschte. Der Rikscha Fahrer, der mich zu einem Hotel in der Altstadt fuhr, ging davon aus, dass ich dumm sei. Das ärgerte mich, Argumente flogen hin und her, schließlich verweigerte ich jede Zahlung, stieg aus und ging davon.   

Varanasi

Die Nacht auf dem Dach des Hotels geschlafen. Erholsam im Vergleich zu den Nächten vorher, in denen ich mich mit feuchten Laken zugedeckt hatte, um Abkühlung zu finden. Stand mit dem ersten Licht auf und lief durch die schmalen Gassen hinunter zum Ganges. Auf den Ghats brannten schon Feuer. Saddhus meditierten im Schneidersitz. Geier hockten auf den Dachbrüstungen der höchsten Häuser und warteten. Unzählige Menschen bereiteten sich auf den steilen Treppen am Flussufer auf das Heilige Bad vor. Heute um 18 Uhr verlasse ich Varanasi mit dem Nachtzug nach Agra. Morgen früh werde ich den Taj Mahal besichtigen und anschließend weiter nach New Dehli reisen. Am 9. Mai fliege ich über Moskau nach Frankfurt.

 

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