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A day in the life


Noch beim Frühstück hatte ich mir vorgenommen, heute keinen Eintrag zu machen, heute nicht, hatte ich mir gesagt, heute mache ich einen weiten Bogen, heute mache ich alles anders, aber dann fällt mir ein, dass ich seit Menschengedenken nichts anders mache, dass ich seit damals Phantomen hinterher renne und felsenfest glaube, irgendjemand müsse begreifen, dass hier etwas geschieht, das sonst nirgendwo geschieht, dass sich hier Worte zu Sätze zusammen brauen, die nicht käuflich sind, dass es zu Gedichten kommt, dass Dinge geschehen, die unplanbar, unvorhersehbar sind, Dinge, die ich Literatur nenne, das, glaube ich, müsste doch irgendjemand bemerken, aber schon beim Hochfahren des Rechners stellen sich Zweifel ein.

Es ist 8:52, ich habe bis Mitternacht ein langweiliges Fußballspiel gesehen, wie überhaupt viele Spiele dieser EM durch das ausgeklügelt taktische Verhalten der modern spielenden Fußballnationen eher langweilig als mitreißend waren, sieht man einmal vom Spiel der Italiener gegen die Engländer ab, das über weite Strecken unterhaltsam war. Spätestens jetzt, um 8:55, eine Boing 747 der Cargolux überfliegt, von Shanghai kommend auf dem Weg nach Luxemburg in siebeneinhalbtausend Metern Höhe und einer Geschwindigkeit von 730 KmH schon im Landeanflug den Ort der Handlung, spätestens jetzt, um 8:58 sind alle Zweifel zurück.

Das Leben ist, obwohl ich ein Gläubiger bin, ein Ort des Zweifels. Nicht einmal die Gegenwart ist sichtbar, las ich gestern in einem Artikel über die wissenschaftliche Ausforschung des Alls mit Hilfe riesiger Parabolantennen auf einem Plateau der Atacama Wüste in 5100 Metern über NN in Chile, selbst wenn ich mich vor den Spiegel stelle, braucht es Bruchteile von Sekunden, eh meine reflektierte Gegenwart zurück auf meine Netzhaut prallt.

Nichts also, worauf ich mich verlassen könnte. Keine verbürgte Wahrheit, alles Schwingung und Welle, Atome, Elektronen, Neutronen, die umeinander kreisen und sich aus Gründen, die ich nicht verstehe, als, sagen wir, Tisch, Stuhl oder Tasse vor meinen Augen materialisieren.

Ich könnte einen Joint bauen, wie das Poeten der Beat-Generation in den Fünfzigern taten, als Burroughs in einem Text klagte, was Amerika seinem Onkel Max angetan habe, aber das würde nichts ändern. Ich könnte das Telefon bemühen und mich mit einer Stimme verbinden lassen, die mir Trost zuspricht, aber Trost wozu?

ich könnte behaupten,
jetzt hier und inmitten der milchstraße,
sei ein mensch, der gedichte schreibt,
das könnte ich behaupten,

wiederholte ich mich aber im Fließtext, hätten Sie ein Problem und müssten entscheiden, ob Sie das für ein Gedicht halten. Nur wenn sich's reimt, ist's ein Gedicht, reimt es sich nicht, ist es es nicht?

Niemandem und nichts ist zu trauen, kein Eindruck, auf den ich mich verlassen kann. Falls ich mir nahe komme, sind es die Augenblicke, in denen ich vorlese. Augenblicke, die mich ganz und gar mit der nicht existenten Gegenwart verschmelzen. In dieses Vakuum sticht der Seelenfänger. Hier holt er die Verzweifelten ab und seift sie mit Glauben. Und die Gläubigen werden mehr. In ihrer Verzweiflung hängen sie sich an abstruse Lehren, die sie (auch das ist so alt wie die Welt) legitmieren, gegen andere, nicht oder Andersgläubige Gewalt anzuwenden.

Da soll man nicht verrückt werden?

Ich glaube nicht, dass ich verrückt bin. Ich glaube, dass ich eine Geschichte habe, die mich und meine Wahrnehmung prägt. Zu dieser Geschichte gehören meine Eltern, meine Schwester, meine Straße. Dort bin ich gestartet und jetzt, 63 Jahre danach, prägt mich das noch immer und beeinflusst mein Ja, mein Nein, mein Vielleicht.

Frauen mögen kein vielleicht hören. Frauen behaupten sich in ihrer Fähigkeit zu Hingabe und Leidenschaft. Männer fürchten sich eher. Oder sagen wir besser, ich fürchte mich. Kapitulation, ruft Tocotronic, ich weiß, ich weiß, ihr seid jung. Ich kapituliere nur, wenn ich Schlagzeug spiele oder Klavier, die Gegenwart spürbar wird und mir ein Lächeln hervorzaubert. Manchmal dauert das, manchmal mache ich Stunden Musik, eh ein solcher Moment aufscheint. Manchmal passiert es überhaupt nicht. Sex ist ganz ähnlich. Ich kann ohne Sex leben, ohne Musik nicht.

9:32
Die Geschichte schreitet fort. Gestern war es erbärmlich grau und mit keinem Gedanken kam ich irgendetwas auf die Spur. Ich weiß, dass ich solche Tage auffangen kann. Seltsam ist nur, dass ich es jedes Mal vergesse. Jedesmal fällt mir erst am nächsten Morgen wieder ein, dass ich nur drüber schlafen musste. Einmal drüber schlafen, und alles sieht anders aus. Das ist das Schönste am Leben. Das man so gar nichts weiß und ständig überrascht wird.

Das ist ein Wunder. Die einen nennen es Wunder Gottes, ich neige eher zur Naturwissenschaft, auch eine Kirche der unerklärbaren Wunder, aber ein Wunder bleibt es so oder so.

Ich stehe auf, gehe zum Kühlschrank, nehme eine Flasche Eistee heraus, nehme ein Glas aus dem Schrank, fülle es, stelle die Flasche zurück, und gehe wieder an meinen Schreibtisch. Die Sonne scheint. Es ist 9:41. Ich sitze seit 8:43 vor meinem Rechner. Dies ist ein Versuch. Er ähnelt in seiner Grundidee Zettels Traum, der in Wirklichkeit der Traum des Dichters Arno Schmid ist, Literatur und Gegenwart zu synchronisieren. So etwas kann nur schiefgehen, ist aber atemberaubend zu lesen.

Ich hätte, um dem vorigen Absatz gerecht zu werden, in der dritten Person schreiben müssen. Dann hätten Sie als Leser begreifen können, das da etwas in der Jetztzeit stattfindet. In der ersten Person geschrieben aber fällt sofort auf, dass ich nicht gleichzeitig schreiben und aufstehen und zum Kühlschrank gehen kann. Nichtsdestotrotz habe ich die Freiheit, jederzeit Zeit und Perspektive zu wechseln.

Ich rauche eine Zigarette. Dabei fällt mir ein, dass ich schon einmal versucht habe, Gegenwart und Literatur zu synchronieren. Das ist zehn Jahre her, und vierzig Jahre ist es her, dass ich zum ersten Mal dachte, ich wäre Schriftsteller. Weil ich das dachte, spannte ich Papier in meine Oympia und begann zu schreiben. Nach etwas über 30 Seiten verließ mich mein Mut und ich tat, was ich am besten kann: ich flüchtete nach Amerika, Japan, nach Central- und Südamerika und war erst nach einem Jahr wieder zurück.

Ich habe überlegt, ob ich den Tag durchschreibe. Mich öffentlich warm schreibe sozusagen, um meinem Zögern der letzten Zeit etwas entgegenzusetzen. Aber da ist ja dieses Problem. Ich höre Musik. Ideal.

Ich habe Ideal einmal erlebt. Ich fand sie arrogant, wahrscheinlich, weil ich ein Hippie war, obwohl ich das immer abstreite. Zumindest sah ich lange Zeit wie einer aus. Aber unter dieser Larve war ich ein Junge aus der Bismarckstraße, der blond war, blaue Augen hatte und nicht gern zur Schule ging. Einer, den sie Weißkohl hänselten, und der zu allem Überfluss zu seiner Lehrerin, Fräulein Schmieding, die, das erfuhr ich gestern, noch immer in Gronau lebt und sich vage an diesen Jungen erinnern kann, dieses Fräulein hatte gerade ihr zweites Staatsexamen und meine Klasse war ihre erste Klasse. In die hatte ich mich verliebt und einmal aus Versehen Mutti zu ihr gesagt.

10:31

Es hat nicht viele Bands gegeben, die derart dicht, frech und witzig waren. Gut, ja, ich habe sie dann doch gut gefunden, damals, aber nicht von Beginn an. Ein Müllwagen randaliert, meine Katze schleicht an den Büschen entlang Richtung Sandkasten, plötzlich springt sie schräg in die Höhe. Sie hatte eine Pfütze übersehen.

Ich glaube, ich muss jetzt Kaffee trinken.

Die Geschichte von Fräulein Schmiedung erfuhr ich gestern. Ein Klavierstimmer, den ich während des Georgie Fame Konzertes in Gronau getroffen und dem ich erzählt hatte, das Dis der zweiten Oktave meines Klaviers scheppere, ob er vorbeikommen könne, wenn er in der Nähe sei, kam gestern. Ein Dreh mit dem Stimmschlüssel, und das Problem hatte sich erledigt. Ich hatte die Verkleidung des Klaviers abgenommen, spielte und war begeistert, wie der Klang an Prägnanz gewann, sodass ich überlege, sie ganz abzulassen.

10:51

Aber jetzt wirklich einen Kaffee. Und danach eine Improvisation auf dem Klavier.

11:02

Der Kaffee kocht, ich habe zwischenzeitlich die Post hereingeholt. Die Deutsche Rente erhöht meine monatlichen Bezüge um 12,64 Euro, und Amazon hat mir ein Buch von Jens Sparschuh geschickt, Im Kasten heißt es.

11:06

Ich habe den Kaffee auf den Balkon getragen und bin off.

11:56

Die letzte halbe Stunde habe ich Klavier gespielt.




12:00

Mein Klavier ist etwa siebzig Jahre alt. Vorletztes Jahr, ich arbeitete als Lehrer und hatte Geld, hatte ich den Klavierstimmer kommen lassen. Er hatte die Mechanik ausgebaut, mit nach Hause genommen, hatte sie getrimmt und die Filze - jetzt fehlt mir ein Wort - die Filze abgeschmirgelt, richtig, er hatte die Filze abgeschmirgelt, war wiedergekommen, hatte die Mechanik eingesetzt und das Klavier gestimmt.

Ich hatte es vor zwanzig Jahren von Uli gekauft. Der wohnte in einem abbruchreifen Haus an der Weseler Straße. Wir mussten das Klavier hochkant stellen, um es von der Wohnung in den Flur zu bringen und von dort die Treppe hinab. Es hat mal im Wohnzimmer gestanden, dann in meinem alten Arbeitszimmer, das auch Chris und mein Schlafzimmer war, jetzt steht es hinter mir, und immer, wenn mir nichts Besseres einfiel, habe ich es gespielt. Aber ich habe nie geübt. Ich übe nie. Ich bin dem Wahn verfallen, alles allein herausfinden zu müssen, ich will, dass niemand mir in irgendetwas hereinredet, ich will Fehler über Fehler machen, erst dann fühle ich mich echt.

Ich spiele meist langsam, weil ich die Töne suchen muss, ich kann keine Lieder nachspielen, nur Akkorden und Tönen nachhängen, und wenn ich es tue, ist alles gut. Danach setzt der Schmerz sofort wieder ein, denn das Leben ist schmerzhaft, nicht nur, wenn jemand stirbt, nein, es ist grundlos schmerzhaft, und die einzige Möglichkeit, es zu ertragen, ist es zu leben.

12:18

Ein Gedicht



der mann
liebte kuchen
die aussahen wie brüste
er buk selbst
an wochenenden
bog sich sein vertiko
er buk sophia loren
und lara croft
die buk er besonders gern
da gab er sich mühe
und ließ der fantasie keinen lauf
vor allem bei brustwarzen
hatte er eine technik entwickelt
die die kunstwelt in den frühen siebzigern
photorealismus nannte
er buk mit durchscheinend feinen adern
selbst haare wurde nachgebildet
aber das größte das allergrößte
was er je gebacken hatte
(und nie aufgegessen, wie er nie kuchen aß, die er buk)
waren die brüste von dolly buster
in die war er vernarrt
die hatte er wieder und wieder gebacken
als kleine törtchen als große törtchen
selbst in plätzchenform tauchten sie auf
eines tages
der mann hatte photos seiner kuchen
im internet veröffentlicht
schellte es
der mann hatte es nicht gern
wenn es schellte
er zögerte zur tür zu gehen
doch dann hörte er diese stimme
diesen slawischen akzent
und da wusste er
was die stunde geschlagen hatte
er öffnete
seitdem hat er nie mehr brüste gebacken
weil er einsehen musste
dass die natur selbst für ihn
noch überraschungen bereit hielt
von denen er nie im leben geträumt hätte

12:18

Das war in den Tiefen meiner Festplatten nicht ganz einfach aufzuspüren, aber es gibt zum Glück hilfreiche Funktionen, die das erleichtern, zwei, drei, vier Aktionen waren nötig, schon hatte der digitale Scout meine Arbeit der letzten zehn Jahre durcheilt und wartete mit einem Ergebnis auf.

Ich poste das jetzt, damit Sie, falls Sie anwesend sind, zeitnah informiert werden.

12:23

Ich rauche meine sechste Zigarette, obwohl meine Frau vor drei Jahren an Lungenkrebs starb. Wir sterben alle, also ist es egal, ob ich rauche oder nicht. Außerdem gibt es Stimmen, die von genetischer Determination sprechen. Ich kann nicht entrinnen. Ich kann nur tun, was ich tue, ich kann den Augenblick feiern, ich feiere diesen Augenblick, dann ist alles gut. Und ich will doch, dass alles gut ist.

Dennoch lese ich jeden Tag Zeitung, höre jeden Tag Nachrichten, und denke jeden Tag, hör auf damit. Es nutzt dir nichts, ob du weißt, dass in A. Menschen verhungern, sich in B. mit Hackmessern zerstückeln oder in C. bis zum Hals im Wasser stehen, es nutzt nichts, dass virtuelle Milliarden den Erdball in Lichtgeschwindigkeit umkreisen, ich kann nur mein Zeugnis ablegen und das ist notwendig, damit die Welt auch das weiß, noch etwas, was ihr nichts nutzt, aber da es Literatur ist, eine solitäre Leistung und mein Beitrag zur Weltkultur, nutzt es vielleicht doch.

Der Schmerz in den Rippen vom Umzug vorletzte Woche ist mit Wärmflaschen einzudämmen, aber es wird noch eine Weile dauern, bis er sich verzogen hat. Vom Sitzen kommt das nicht. Ich spüre, wo es weh tut und es tut genau da weh, wo ich die Bretter untern Arm geklemmt und an den Körper gedrückt hatte. Es war die Wohnung der Mutter meiner Freundin, die in eine Demenz-WG gezogen war.

12:39

flach hält der ball
sich unter meinem himmel,
das mittelgrau tendiert zu blau,
auf himmel - richtig - reimt sich ...
narhallmarsch. helau.

Kein großes Werk, aber Sie haben richtig assoziiert. Es geht also nicht um Größe, es geht darum, dass es getan wird, banal oder nicht banal, es geht darum, dass der Text von niemandem, nicht einmal von mir (die schwierigste Übung) zensiert wird. Es hat ein Recht auf Existenz, wie alles, was sich auf der Erde befindet. Wir aber, die Dummen der Dümmsten, haben, seit es uns gibt, nichts weiter getan, als Anderen die Existenz zu erschweren. Wir sind Affen.

Nehmen Sie dies, es kam gerade von meinem Ältesten herein.


12:50

Das ist so eine Spielart zeitgenössischen Rock n Rolls, die in ganz ähnlicher Form in meiner Jugend schon aus den Boxen polterte. Ich weiß noch, wo und welches Stück ich zum ersten mal in Stereo hörte. Es waren die Beatles mit I feel fine. Ich war begeistert.




Das war die Bravo Beatles Blitz Tournee. Ich war im zweiten Lehrjahr und hatte beim Reisebüro Stratmann an der Umflutbrücke ein All-Inclusive Ticket gekauft: Reise von Münster mit dem aus dem Bremen kommenden Sonderzug bis vor die Grugahalle, Cola, Kotelett, Brötchen. Meine Arbeitskollegen hielten mich für verrückt.

12:59

Verstehen Sie mich richtig, das, was ich seit 8:43 tue, ist das, was ich am Liebsten tue. Ich möchte mit niemandem tauschen. Während ich schreibe, läuft Musik im Hintergrund. Ich höre meine vertonten Gedichte. Das könnten Sie auch. Und zwar hier.

Nun gibt es Kritiker, die sagen, dass das Unterfüttern von Texten mit externen Links sinnerfassendes Lesen erschwert. Ich kann das verstehen, begreife aber Links nicht als Unterbrechung eines Textes, sondern als eine hinzugefügte Option, die das Gesamterlebnis verfeinert. Ich mag das Internet. Ich halte es für einen Windfurz, aber ich mag es, denn es ermöglicht mir Dinge, die nur möglichlich sind, weil es existiert.

Pause jetzt. Ich lege mich eine Stunde aufs Sofa.

Zum Vergleich, zwei Wetterlagen.

Ameland

Ibiza

13:11

Pause hatte ich gesagt. Da gibt es ein Angebot.




14:27

Die Mittagspause ist vorüber, aber ich lag nur da, den Kopf zum Fenster, ich hörte die Vögel und das Tagesraunen, mein Herz schlug und war in Aufruhr. Ich dachte an meine Söhne und wie die ihr Ding machen, jeden Tag tun sie das, und sie tun es gut, ich dachte, wie stolz ich auf meine Söhne bin, die mit mir den Verlust ihrer Mutter - meiner Frau - ertragen haben, wie stolz ich auf ihren Mut bin und wie verwundert ich beobachte, dass sie ganz andere Dinge favorisieren als ich und ich diese Dinge gut finde, weil es ihre Dinge sind. Das dachte ich, ich dachte aber auch, dass ich heute Mettbrötchen auf den Tisch bringen werde, dazu Tomaten mit Mozarella, Olivenöl, Thymian, und für mich (mein Jüngster isst eh nur Fleisch) eine Avocado, das dachte ich und beschloss, aufzustehen und nachzuschauen, was ich bisher geschrieben hatte und ob es nicht Fehler gäbe, die zu korrigieren wären.

Natürlich gab es Fehler. Ich korrigierte. Und schrieb eine SMS.
Ich schrieb, M., falls das Wetter sich hält, würde ich im Hot Jazz Club Halbfinale gucken.
Interesse? Dann gegen acht vorm Club.

Noch keine Antwort. M. hatte mir vorgestern gekündigt und ihre Kündigung am Morgen darauf zurückgezogen. Falls Sie sich Ideal angeschaut haben, die Lieder haben mit ihr und mit mir zu tun. Kaum zu glauben, dass ein 63jähriger Mann noch in derartige Turbulenzen gerät. Aber es ist wie es ist. Ich kann mich gar nicht entscheiden, ist alles so schön bunt hier.

14:46

Vorhin, beim Kaffee auf dem Balkon, tauchte meine Katze auf. Ich hatte sie zuletzt durch den Garten schnüren sehen. Manchmal bleibt sie über Stunden fort, dann wieder ist sie einfach nur fort und steht wie aus dem Nichts plötzlich vor mir, ohne dass ich weiß, woher sie gekommen ist und wo sie die ganze Zeit war. Sie sprach mich an. Rrrrrrrt, machte sie, und ich machte grrrrrrt, ein paarmal ging das hin und her, dann sagte ich, also, bitte und stand auf. Sie stellte ihren Schwanz auf und ging langsam vor mir her. Wäre die Sache dringlich gewesen, sie wäre schneller gelaufen, so aber nahm sie sich Zeit, ging durchs Wohnzimmer in den Flur in die Küche, ohne sich nach mir umzuschauen. Sie wollte essen, aber sie hatte ja längst ihr Morgenmahl zu sich genommen, und bei uns gibt es nur zweimal, einmal am Morgen, einmal gegen 18 Uhr. Ich bog ab.

Ich werde ich mich rasieren und anschließend einkaufen.

16:37Man nennt das Zwangshandlung. Noch beim Frühstück hatte ich mir vorgenommen, heute tu ich das nicht, heute mache ich einen weiten Bogen, heute mache ich alles anders, aber dann fällt mir ein, dass ich schon seit Menschengedenken nichts anders mache, dass ich seit damals Tag für Tag Phantomen hinterher renne und felsenfest glaube, irgendjemand müsse begreifen, dass hier etwas geschieht, das sonst nirgendwo geschieht, dass sich hier Worte zu Sätze zusammen brauen, die nicht käuflich sind, dass es zu Gedichten kommt, dass Dinge geschehen, die unplanbar, unvorhersehbar - ergo das Leben sind, Dinge, die ich Literatur nenne, das, glaube ich, müsste doch irgendjemand bemerken, aber schon beim Hochfahren des Rechners stellen sich Zweifel ein.

Spätestens jetzt, es ist 8:52, ich habe bis Mitternacht ein langweiliges Fußballspiel gesehen, wie überhaupt viele Spiele dieser EM durch das ausgeklügelt taktische Verhalten der modern spielenden Fußballnationen eher langweilig als mitreißend waren, sieht man einmal vom Spiel der Italiener gegen die Engländer ab, das über weite Strecken unterhaltsam war, spätestens jetzt, um 8:55, eine Boing 747 der Cargolux überfliegt, von Shanghai kommend auf dem Weg nach Luxemburg in siebeneinhalbtausend Metern Höhe und einer Geschwindigkeit von 730 KmH schon im Landeanflug den Ort der Handlung, spätestens jetzt, um 8:58 sind alle Zweifel zurück.

Das Leben ist, obwohl ich ein Gläubiger bin, ein Ort des Zweifels. Nicht einmal die Gegenwart ist sichtbar, las ich gestern in einem Artikel über die wissenschaftliche Ausforschung des Alls mit Hilfe riesiger Parabolantennen auf einem Plateau der Atacama Wüste in 5100 Metern über NN in Chile, nicht einmal die, denn wenn ich mich vor den Spiegel stelle, braucht es Bruchteile von Sekunden, eh meine reflektierte Gegenwart zurück auf meine Netzhaut prallt.

Nichts also, worauf ich mich verlassen könnte. Keine verbürgte Wahrheit, alles Schwingung und Welle, Atome, Elektronen, Neutronen, die umeinander kreisen und sich aus Gründen, die ich nicht verstehe, als, sagen wir, Tisch, Stuhl oder Tasse vor meinen Augen materialisieren.

Ich könnte einen Joint bauen, wie das Poeten der Beat-Generation in den Fünfzigern taten, als Burroughs in einem Text klagte, was Amerika seinem Onkel Max angetan habe, aber auch das würde nichts ändern. Ich könnte das Telefon bemühen und mich mit einer Stimme verbinden lassen, die mir Trost zuspricht, aber Trost wozu?

ich könnte behaupten,
jetzt hier und inmitten der milchstraße,
sei ein mensch, der gedichte schreibt,
und nicht mal die schlechtesten,
das könnte ich behaupten,

wiederholte ich mich aber im Fließtext, hätten sie Problem und müssten entscheiden, ob sie das für ein Gedicht halten. Nur wenn sich's reimt, ist's ein Gedicht, reimt es sich nicht, ist es es nicht, vor vier, fünf Jahren geschrieben, und da ich es jetzt im Fließtext wiederholt habe, ist es dann auch noch eines, oder ist es Prosa?

Niemandem und nichts ist zu trauen, kein Eindruck, auf den ich mich verlassen kann. Falls ich mir nahe komme, sind es die Augenblicke, in denen ich vorlese. Augenblicke, die mich ganz und gar mit der nicht existenten Gegenwart verschmelzen. In dieses Vakuum sticht der Seelenfänger. Hier holt er die Verzweifelten ab und seift sie mit Glauben. Und die Gläubigen werden mehr. In ihrer Verzweiflung hängen sie sich an abstruse Lehren, die sie (auch das ist so alt wie die Welt) legitmieren, gegen andere, nicht oder Andersgläubige Gewalt anzuwenden.

Da soll man nicht verrückt werden?

Ich glaube nicht, dass ich verrückt bin. Ich glaube, dass ich eine Geschichte habe, die mich und meine Wahrnehmung prägt. Zu dieser Geschichte gehören meine Eltern, meine Schwester, meine Straße. Dort bin ich gestartet und jetzt, 63 Jahre danach, prägt mich das noch immer und beeinflusst mein Ja, mein Nein, mein Vielleicht.

Frauen mögen kein vielleicht hören. Frauen behaupten sich in ihrer Fähigkeit zu Hingabe und Leidenschaft. Männer fürchten sich eher. Oder sagen wir besser, ich fürchte mich. Kapitulation, ruft Tocotronic, ich weiß, ich weiß, ihr seid jung. Ich kapituliere nur, wenn ich Schlagzeug spiele oder Klavier, die Gegenwart spürbar wird und mir ein Lächeln hervorzaubert. Manchmal dauert das, manchmal mache ich Stunden Musik, eh ein solcher Moment aufscheint. Manchmal passiert es überhaupt nicht. Sex ist ganz ähnlich. Aber ich könnte ohne Sex leben, ohne Musik nicht.

9:32
Die Geschichte schreitet fort. Gestern war es erbärmlich grau und mit keinem Gedanken kam ich irgendetwas auf die Spur. Ich weiß, dass ich solche Tage auffangen kann. Seltsam ist nur, dass ich es jedes Mal vergesse. Jedesmal fällt mir erst am nächsten Morgen wieder ein, dass ich nur drüber schlafen musste. Einmal drüber schlafen, und alles sieht anders aus. Das ist das Schönste am Leben. Das man so gar nichts weiß und ständig überrascht wird.

Das ist ein Wunder. Die einen nennen es Wunder Gottes, ich neige eher zur Naturwissenschaft, auch eine Kirche der unerklärbaren Wunder, aber ein Wunder bleibt es so oder so.

Ich stehe auf, gehe zum Kühlschrank, nehme eine Flasche Eistee heraus, nehme ein Glas aus dem Schrank, fülle es, stelle die Flasche zurück, und gehe wieder an meinen Schreibtisch. Die Sonne scheint. Es ist 9:41. Ich sitze seit 8:43 vor meinem Rechner. Dies ist ein Versuch. Er ähnelt in seiner Grundidee Zettels Traum, der in Wirklichkeit der Traum des Dichters Arno Schmid ist, Literatur und Gegenwart zu synchronisieren. So etwas kann nur schiefgehen, ist aber atemberaubend zu lesen.

Ich hätte, um dem vorigen Absatz gerecht zu werden, in der dritten Person schreiben müssen. Dann hätten Sie als Leser begreifen können, das da etwas in der Jetztzeit stattfindet, in der ersten Person geschrieben aber fällt sofort auf, dass ich nicht gleichzeitig schreiben und aufstehen und zum Kühlschrank gehen kann. Nichtsdestotrotz habe ich die Freiheit, jederzeit Zeit und Perspektive zu wechseln.

Die junge Frau flog zum ersten Mal allein. Ihr Fluglehrer saß zwar neben ihr, aber seit der Starterlaubnis vom Tower bis auf Flughöhe 1248 Meter, Fluggeschwindigkeit 195 KmH, Nordwest, hatte sie alles allein gemacht. Mit jeder noch so kleinen Turbulenz, die sie durch ihre Hände mit Hilfe des Steuerknüppel austarierte, nahm ihr Vergnügen zu. Sie liebte es.

Ich rauche eine Zigarette. Dabei fällt mir ein, dass ich schon einmal versucht habe, Gegenwart und Literatur zu synchronieren. Das ist zehn Jahre her, und vierzig Jahre ist es her, dass ich zum ersten Mal dachte, ich wäre Schriftsteller. Und weil ich das dachte, spannte ich Papier in meine Oympia und begann zu schreiben. Nach etwas über 30 Seiten verließ mich mein Mut und ich tat, was ich am besten kann: ich flüchtete nach Amerika, Japan, nach Central- und Südamerika und war erst nach einem Jahr wieder zurück.

Ich habe überlegt, ob ich den Tag durchschreibe. Mich öffentlich warm schreibe sozusagen, um meinem Zögern der letzten Zeit etwas entgegenzusetzen. Aber da ist ja dieses Problem.





Ich habe Ideal einmal erlebt. Ich fand sie arrogant, wahrscheinlich, weil ich ein Hippie war, obwohl ich das immer abstreite, aber wahrscheinlich war ich einer. Zumindest sah ich lange Zeit wie einer aus. Aber unter dieser Larve war ich ein Junge aus der Bismarckstraße, der blond war, blaue Augen hatte und nicht gern zur Schule ging. Einer, den sie Weißkohl hänselten, und der zu allem Überfluss zu seiner Lehrerin, Fräulein Schmieding, die, das erfuhr ich gestern, noch immer in Gronau lebt und sich vage an diesen Jungen erinnern kann, dieses Fräulein hatte gerade ihr zweites Staatsexamen und meine Klasse war ihre erste Klasse. In die hatte ich mich verliebt und einmal aus Versehen Mutti zu ihr gesagt.

10:31

Es hat nicht viele Bands gegeben, die derart dicht, frech und witzig waren. Gut, ja, ich habe sie dann doch gut gefunden, damals, aber nicht von Beginn an. Ein Müllwagen randaliert, meine Katze schleicht an den Büschen entlang Richtung Sandkasten, plötzlich springt sie schräg in die Höhe. Sie hatte eine Pfütze übersehen.

Ich glaube, ich muss jetzt Kaffee trinken.

Die Geschichte von Fräulein Schmiedung erfuhr ich gestern. Ein Klavierstimmer, den ich während des Georgie Fame Konzertes in Gronau getroffen und dem ich erzählt hatte, das Dis der zweiten Oktave meines Klaviers scheppere, ob er vorbeikommen könne, wenn er in der Nähe sei, kam gestern. Ein Dreh mit dem Stimmschlüssel, und das Problem hatte sich erledigt. Ich hatte die Verkleidung des Klaviers abgenommen, spielte und war begeistert, wie der Klang an Prägnanz gewann, sodass ich überlege, sie ganz abzulassen.

10:51

Aber jetzt wirklich einen Kaffee. Und danach eine Improvisation auf dem Klavier.

11:02

Der Kaffee kocht, ich habe zwischenzeitlich die Post hereingeholt. Die Deutsche Rente erhöht meine monatlichen Bezüge um 12,64 Euro, und Amazon hat mir ein Buch von Jens Sparschuh geschickt, Im Kasten heißt es.

11:06

Ich habe den Kaffee auf den Balkon getragen und bin off.

11:56

Die letzte halbe Stunde habe ich Klavier gespielt.




12:00

Mein Klavier ist etwa siebzig Jahre alt. Vorletztes Jahr, ich arbeitete als Lehrer und hatte Geld, hatte ich den Klavierstimmer kommen lassen. Er hatte die Mechanik ausgebaut, mit nach Hause genommen, hatte sie getrimmt und die Filze - jetzt fehlt mir ein Wort - die Filze abgeschmirgelt, richtig, er hatte die Filze abgeschmirgelt, war wiedergekommen, hatte die Mechanik eingesetzt und das Klavier gestimmt.

Ich hatte es vor zwanzig Jahren von Uli gekauft. Der wohnte in einem abbruchreifen Haus an der Weseler Straße. Wir mussten das Klavier hochkant stellen, um es von der Wohnung in den Flur zu bringen und von dort die Treppe hinab. Es hat mal im Wohnzimmer gestanden, dann in meinem alten Arbeitszimmer, das auch Chris und mein Schlafzimmer war, jetzt steht es hinter mir, und immer, wenn mir nichts Besseres einfiel, habe ich es gespielt. Aber ich habe nie geübt. Ich übe nie. Ich bin dem Wahn verfallen, alles allein herausfinden zu müssen, ich will, dass niemand mir in irgendetwas hereinredet, ich will Fehler über Fehler machen, erst dann fühle ich mich echt.

Ich spiele meist langsam, weil ich die Töne suchen muss, ich kann keine Lieder nachspielen, nur Akkorden und Tönen nachhängen, und wenn ich es tue, ist alles gut. Danach setzt der Schmerz sofort wieder ein, denn das Leben ist schmerzhaft, nicht nur, wenn jemand stirbt, nein, es ist grundlos schmerzhaft, und die einzige Möglichkeit, es zu ertragen, ist es zu leben.

12:18

Ein Gedicht



der mann
liebte kuchen
die aussahen wie brüste
er buk selbst
an wochenenden
bog sich sein vertiko
er buk sophia loren
und lara croft
die buk er besonders gern
da gab er sich mühe
und ließ der fantasie keinen lauf
vor allem bei brustwarzen
hatte er eine technik entwickelt
die die kunstwelt in den frühen siebzigern
photorealismus nannte
er buk mit durchscheinend feinen adern
selbst haare wurde nachgebildet
aber das größte das allergrößte
was er je gebacken hatte
(und nie aufgegessen, wie er nie kuchen aß, die er buk)
waren die brüste von dolly buster
in die war er vernarrt
die hatte er wieder und wieder gebacken
als kleine törtchen als große törtchen
selbst in plätzchenform tauchten sie auf
eines tages
der mann hatte photos seiner kuchen
im internet veröffentlicht
schellte es
der mann hatte es nicht gern
wenn es schellte
er zögerte zur tür zu gehen
doch dann hörte er diese stimme
diesen slawischen akzent
und da wusste er
was die stunde geschlagen hatte
er öffnete
seitdem hat er nie mehr brüste gebacken
weil er einsehen musste
dass die natur selbst für ihn
noch überraschungen bereit hielt
von denen er nie im leben geträumt hätte

12:18

Das war in den Tiefen meiner Festplatten nicht ganz einfach aufzuspüren, aber es gibt zum Glück hilfreiche Funktionen, die das erleichtern, zwei, drei, vier Aktionen waren nötig, schon hatte der digitale Scout meine Arbeit der letzten zehn Jahre durcheilt und wartete mit einem Ergebnis auf.

Ich poste das jetzt, damit Sie, falls Sie anwesend sind, zeitnah informiert werden.

12:23

Ich rauche meine sechste Zigarette, obwohl meine Frau vor drei Jahren an Lungenkrebs starb. Wir sterben alle, also ist es egal, ob ich rauche oder nicht. Außerdem gibt es Stimmen, die von genetischer Determination sprechen. Ich kann nicht entrinnen. Ich kann nur tun, was ich tue, ich kann den Augenblick feiern, ich feiere diesen Augenblick, dann ist alles gut. Und ich will doch, dass alles gut ist.

Dennoch lese ich jeden Tag Zeitung, höre jeden Tag Nachrichten, und denke jeden Tag, hör auf damit. Es nutzt dir nichts, ob du weißt, dass in A. Menschen verhungern, sich in B. mit Hackmessern zerstückeln oder in C. bis zum Hals im Wasser stehen, es nutzt nichts, dass virtuelle Milliarden den Erdball in Lichtgeschwindigkeit umkreisen, ich kann nur mein Zeugnis ablegen und das ist notwendig, damit die Welt auch das weiß, noch etwas, was ihr nichts nutzt, aber da es Literatur ist, eine solitäre Leistung und mein Beitrag zur Weltkultur, nutzt es vielleicht doch.

Der Schmerz in den Rippen vom Umzug vorletzte Woche ist mit Wärmflaschen einzudämmen, aber es wird noch eine Weile dauern, bis er sich verzogen hat. Vom Sitzen kommt das nicht. Ich spüre, wo es weh tut und es tut genau da weh, wo ich die Bretter untern Arm geklemmt und an den Körper gedrückt hatte. Es war die Wohnung der Mutter meiner Freundin, die in eine Demenz-WG gezogen war.

12:39

flach hält der ball
sich unter meinem himmel,
das mittelgrau tendiert zu blau,
auf himmel - richtig - reimt sich ...
narhallmarsch. helau.

Kein großes Werk, aber Sie haben richtig assoziiert. Es geht also nicht um Größe, es geht darum, dass es getan wird, banal oder nicht banal, es geht darum, dass der Text von niemandem, nicht einmal von mir (die schwierigste Übung) zensiert wird. Es hat ein Recht auf Existenz, wie alles, was sich auf der Erde befindet. Wir aber, die Dummen der Dümmsten, haben, seit es uns gibt, nichts weiter getan, als Anderen die Existenz zu erschweren. Wir sind Affen.

Nehmen Sie dies, es kam gerade von meinem Ältesten herein.


12:50

Das ist so eine Spielart zeitgenössischen Rock n Rolls, die in ganz ähnlicher Form in meiner Jugend schon aus den Boxen polterte. Ich weiß noch, wo und welches Stück ich zum ersten mal in Stereo hörte. Es waren die Beatles mit I feel fine. Ich war begeistert.




Das war die Bravo Beatles Blitz Tournee. Ich war im zweiten Lehrjahr und hatte beim Reisebüro Stratmann an der Umflutbrücke ein All-Inclusive Ticket gekauft: Reise von Münster mit dem aus dem Bremen kommenden Sonderzug bis vor die Grugahalle, Cola, Kotelett, Brötchen. Meine Arbeitskollegen hielten mich für verrückt.

12:59

Verstehen Sie mich richtig, das, was ich seit 8:43 tue, ist das, was ich am Liebsten tue. Ich möchte mit niemandem tauschen. Während ich schreibe, läuft Musik im Hintergrund. Ich höre meine vertonten Gedichte. Das könnten Sie auch. Und zwar hier.

Nun gibt es Kritiker, die sagen, dass das Unterfüttern von Texten mit externen Links sinnerfassendes Lesen erschwert. Ich kann das verstehen, begreife aber Links nicht als Unterbrechung eines Textes, sondern als eine hinzugefügte Option, die das Gesamterlebnis verfeinert. Ich mag das Internet. Ich halte es für einen Windfurz, aber ich mag es, denn es ermöglicht mir Dinge, die nur möglichlich sind, weil es existiert.

Pause jetzt. Ich lege mich eine Stunde aufs Sofa.

Zum Vergleich, zwei Wetterlagen.

Ameland

Ibiza

13:11

Pause hatte ich gesagt. Da gibt es ein Angebot.




14:27

Die Mittagspause ist vorüber, aber ich lag nur da, den Kopf zum Fenster, ich hörte die Vögel und das Tagesraunen, mein Herz schlug und war in Aufruhr. Ich dachte an meine Söhne und wie die ihr Ding machen, jeden Tag tun sie das, und sie tun es gut, ich dachte, wie stolz ich auf meine Söhne bin, die mit mir den Verlust ihrer Mutter - meiner Frau - ertragen haben, wie stolz ich auf ihren Mut bin und wie verwundert ich beobachte, dass sie ganz andere Dinge favorisieren als ich und ich diese Dinge gut finde, weil es ihre Dinge sind. Das dachte ich, ich dachte aber auch, dass ich heute Mettbrötchen auf den Tisch bringen werde, dazu Tomaten mit Mozarella, Olivenöl, Thymian, und für mich (mein Jüngster isst eh nur Fleisch) eine Avocado, das dachte ich und beschloss, aufzustehen und nachzuschauen, was ich bisher geschrieben hatte und ob es nicht Fehler gäbe, die zu korrigieren wären.

Natürlich gab es Fehler. Ich korrigierte. Und schrieb eine SMS.
Ich schrieb, M., falls das Wetter sich hält, würde ich im Hot Jazz Club Halbfinale gucken.
Interesse? Dann gegen acht vorm Club.

Noch keine Antwort. M. hatte mir vorgestern gekündigt und ihre Kündigung am Morgen darauf zurückgezogen. Falls Sie sich Ideal angeschaut haben, die Lieder haben mit ihr und mit mir zu tun. Kaum zu glauben, dass ein 63jähriger Mann noch in derartige Turbulenzen gerät. Aber es ist wie es ist. Ich kann mich gar nicht entscheiden, ist alles so schön bunt hier.

14:46

Vorhin, beim Kaffee auf dem Balkon, tauchte meine Katze auf. Ich hatte sie zuletzt durch den Garten schnüren sehen. Manchmal bleibt sie über Stunden fort, dann wieder ist sie einfach nur fort und steht wie aus dem Nichts plötzlich vor mir, ohne dass ich weiß, woher sie gekommen ist und wo sie die ganze Zeit war. Sie sprach mich an. Rrrrrrrt, machte sie, und ich machte grrrrrrt, ein paarmal ging das hin und her, dann sagte ich, also, bitte und stand auf. Sie stellte ihren Schwanz auf und ging langsam vor mir her. Wäre die Sache dringlich gewesen, sie wäre schneller gelaufen, so aber nahm sie sich Zeit, ging durchs Wohnzimmer in den Flur in die Küche, ohne sich nach mir umzuschauen. Sie wollte essen, aber sie hatte ja längst ihr Morgenmahl zu sich genommen, und bei uns gibt es nur zweimal, einmal am Morgen, einmal gegen 18 Uhr. Ich bog ab.

Ich werde ich mich rasieren und anschließend einkaufen.

16:37

Auf dem Rückweg vom Dorf kam mir Herr Döring entgegen, ca. 175, grauhaarig, Mitte sechzig. Er hat zwei Enkelinnen, beide hat er bei Unglücken verletzt. Der Jüngsten ist er mit dem Rasenmäher in die Beine gefahren, sie war da noch ganz klein, der zweiten hat er bei Vorbereitungen fürs Grillen aus Versehen die Haare geflämmt. Letzteres verlief glimpflich, die Folgen des ersten aber ziehen sich bis in die Gegenwart. Mittlerweile ist die Enkelin 19. Mindestens ein Dutzend Operationen hat sie über sich ergehen lassen müssen, immer wieder wurde gestreckt, war ihr linkes Bein mit Furnieren und Stangen verschraubt, immer noch ist es steif, aber sie läuft, fährt Rad, fährt Auto. Früher habe ich manchmal mit ihr gesprochen, habe ihr gesagt, wie stolz sie auf sich sein könne, wie gut sie das mache, seit ein oder zwei Jahren aber schaut sie weg, wenn sie mir begegnet. Auch ihre Mutter schaut lieber fort, als zu grüßen. Wenn ich Herrn Döring sehe, frage ich mich, wie er sich fühlt.

18:11

So, ich beende den Tag. Falls Ihnen das ein oder andere gefallen/missfallen hat, lassen Sie es mich wissen.









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