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Hermann Mensing

Briefe an Annette von Droste Hülshoff

Brief 63

Liebe Annette,

der Weizen, von Wind und Regen der letzten Wochen an vielen Stellen niedergedrückt, ist geschnitten, die Quittenbäume im Rüschhaus hängen voll. Die Pflaumen sind reif. Nach dem letzten Vollmond, den wir "Blue Moon" nennen, weil er zweimal ím Monat seine ganze Größe zeigt, schleicht der Herbst heran. In großen Teilen Europas war dieser Sommer brütend heiß, überall haben Wälder gebrannt. Auch hier sah es anfangs so aus, als wolle es heiß werden. Im Juli und August hat es ein heiße Tage gegeben, auch schwül war es mal, aber überwiegend war es eher westfälisch. Die politische Lage hingegen hat sich nicht entspannt. Viele Menschen spüren eine große Verunsicherung und gehen gefährlichen Rattenfängern auf den Leim. Die Welt ist im Krieg, die Rechtfertigungen dafür sind wie immer fadenscheinig, die Kunst, Meinungen anderer Menschen zu respektieren, gibt es kaum noch. Wer am lautesten etwas in die Welt posaunt, egal, wie hanebüchen es sein mag, gewinnt, denn die Welt ist kompliziert, und eine Demokratie oft eher langsam. Wir nutzen seit knapp zwanzig Jahren ein Medium, in dem jeder Trottel sagen kann, was er will. Du musst es dir vorstellen wie einen Dorfplatz. Es ist Markt, die Menschen aus der Umgebung sind alle da, und sie tratschen. Unser Marktplatz aber (das Internet) ist so groß wie die Welt, und jeder, der spricht, kann zur gleichen Zeit überall gehört werden. Und jeder behauptet, er habe Recht.

Du hast die napoleonischen Krieg erlebt, du hast erlebt, wie das Heilige Römische Reich Deutscher Nationen langsam zerfiel, du hast geahnt, dass etwas heraufzieht, das die Welt verändert, dein Wissen hat deinen Glauben zerstört. In unserer Zeit gibt es keinen Glauben mehr. Es gibt Wissen, oft schwer oder gar nicht verständlich, und ständiges Katastrophengeschrei. Das ängstigt die Menschen. Rattenfänger haben Hochkonjunktur. Einer, der Höcke heißt, und ihre Partei führt, die AFD, sagte in einer Rede: „Heute, liebe Freunde, lautet die Frage nicht mehr Hammer oder Amboss, heute lautet die Frage Schaf oder Wolf. Und ich, nein wir entscheiden in dieser Lage: Wolf zu sein."
Er ist ein Faschist. Er will aufräumen. Mit harter Hand und ohne Rücksicht. Der Faschismus ist eine politische Bewegung, die Anfang des 20. Jahrhunderts entstand. Sie vertritt rechtsextreme, rassistische und fremdenfeindliche Gedanken. Ab 1933 beherrschten Faschisten Deutschland, zettelten einen wahnsinnigen Krieg an, deportierten und ermordeten 6 Millionen Juden, Sinti, Roma, Menschen mit anderem politischen Verständnis und Menschen mit geistigen Defekten, die sie "unwert" nannten. So eine Partei ist die Partei Höckes, die AFD. Es gibt Länder in der Bundesrepublik, in denen schon über zwanzig Prozent der Bevölkerung diese Partei, wählen. Wenngleich sich die Anzeichen mehren, dass juristisch gegen sie vorgegangen wird. Ach, mir ist das Herz schwer. Man sagt so etwas heute kaum noch, man sagt (verzeih), das geht mir auf die Eier, aber wenn ich mit dir um die Ecken von zweieinhalb Jahrhunderten parliere, kann ich's so sagen, ach, denn wer parliert heute schon noch. Heute schickt man ununterbrochen Textnachrichten um die Welt. Könnte man ihre Spuren verfolgen wie Wolken, der Himmel wäre schwarz, man sähe die Sonne nicht mehr.

Vorgestern saßen alle Gästeführer zu einer Besprechung der letzten zwei Monate dieser Saison im Rüschhaus, als schwarze Wolken heranzogen, ein schwerer Regen prasselte, und ein Donner krachte wie eine dicke Kanone. Die elektrischen Kerzen des Kronleuchters in der großen Küche flackerten. Aha, dachte ich, das adlige Fräulein informiert sich vor Ort. Die anderen lächeln, wenn ich so etwas sage, aber mir gefällt's, denn es espart mir, dir den Rest der komplexen Organisation aller Gästeführungen auf der Burg und im Rüschhaus auseinanderzulegen. Acht Führungen noch, dann beginnt wieder der Winterschlaf. Und im neuen Jahr, hört man, wird alles anders. Wer's glaubt.....

PS. In der Allmende hinter Huerländer soll es Steinpilze geben.

Viele Grüße

Hermann

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