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mensing literatur
 

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zum letzten eintrag

Fr 1.04.16 10:30

6.9 Grad im Schatten.
Blauer Himmel.
Gedichte bearbeiten.

17:15

20.1 Grad im Licht.
Blauer Himmel.
Gedichte bearbeitet.
Aber noch lange nicht fertig.


Sa 2.04.16 10:17

8.8 Grad im Schatten.
Tango getanzt, und zwar nicht schlecht.
Erstaunlich, wie es mit der einen geht, und der anderen nicht, obwohl meine Fähigkeiten bei allen gleich eingeschränkt sind.


Mo 4.04.16 9:26

13.7 Grad im Schatten.
Ob ich noch im Geschäft bin?
Ich weiß von Tag zu Tag weniger.
Aber: der Himmel ist blau. Die Gedichte existieren. Ich offenbar auch.


Di 5.04.16 8:20

11.2 Grad.
Es wird Regen geben. Da hilft nur Bügeln, Gedichte sichten, nicht denken.


Sa 16.04.16 20:44

für martina

komm doch, bitte,
schreib mir ein gedicht,
sag mir, dass ich dumm bin,
schau, ich leg dir alles hin,
sag's mir bitte nicht.

spürst du,

wie die worte lügen,
schweige, schau mich an,
lass mich wieder dahin fliegen,
wo ich einst begann.

hilf mir,
hintersinn ist spröde,
was ich greifen kann, ist da,
dieser kopftanz ist so öde,
und so wunderbar.

weißt du
ich bin eine seele
ich komm nicht von hier,
weiß nicht, warum ich mich quäle,
bitte, glaube mir.

denn ich glaube mir ja auch nicht,
niemand hat mich je gefragt,
ich will auch nicht deine nachsicht,
ich will es gewagt.

tu nur eins nicht,
sag nie zukunft,
sag nie, morgen kann es sein,
lass mich nur auf übereinkunft
und nur heute auf dich ein.


Mo 18.04.16 19:43

dann wird blut fließen
und man wird sagen
schau
da fließt blut
das ist gesund
denn blut muss fließen
siehst du
wird man sagen
wenn das blut abgeflossen ist
jetzt ist das blut abgeflossen
und alles wird wieder gut
aber das ist eine lüge


Di 19.04.16 9:27


Seltsam schleichende Veränderungen meines Wach/Schlafrhythmus. Ich erwache recht früh, mache Kaffee, stelle ihn auf ein Tablett, lege die Zeitung dazu und mich wieder hin, damit ich nicht umfalle, wenn ich lese, dass in der Welt weiterhin alles drunter und drüber geht. Schließlich stehe ich auf, meist gegen neun. Augenblicklich bereitet sich die japanische Kirsche vorm Küchenfenster auf ihren meist nur ein, zwei Tage dauernden Triumph vor. Ich schaue ihr zu, ich redigiere Gedichte, ich spiele Klavier, niemand ruft an und ich rufe niemanden an. Das geht so bis in den frühen Nachmittag. Dann lege ich mich hin. Ohne Mittagsschlaf, der eher ein Schlummern ist, aber auch Schlaf sein kann, komme ich nicht mehr aus. Meist schaue ich wenige Minuten vorm Losgehen des Alarms auf das Display meines Handys. Wenn ich dann aufstehe, beginne ich, mir etwas zu essen zuzubereiten. Ansonsten ist alles wie immer. Nichts ist vorherzusagen, ich führe interessante Gespräche, Jubel und sein Gegenteil wechseln sich ab, ich tanze und denke darüber nach, einem Chor beizutreten. Ich habe jemanden gefunden, der meine Gedichte nach den Regeln der Kunst analysiert. Noch nie hat jemand mir derart Interessantes über meine Arbeit erzählt. Ich könnte fast glauben, sie ist gut.


Mi 20.04.16
14:37

20:39

Morgen fahre ich nach Arnsberg.
Ich werde dort an zwei Schulen dreimal lesen.
Danach fahre ich zum Möhnesee.
Da war ich vor 54 Jahren zum letzten Mal.


Do. 21.04.16 18:20

man hört zu sprechen auf
und plötzlich ist stille
die stille sagt nichts
keinen ton
man hatte gedacht
die stille spräche
überall war das nachzulesen
große meister hätten das gesagt
hieß es
ich weiß jetzt nicht
wie sie hießen
war aber geschockt
als ich vor schreck
wieder zu sprechen beginnen wollte
war auch das sprechen still
und da fing es an
unheimlich zu werden


Fr 22.04.16 9:28

Das mit dem Möhnesee nach der Lesung hat nicht geklappt. Auf der Hinfahrt sah ich zwar ein Hinweisschild, auf der Rückfahrt aber nicht mehr. Ich nehme an, dass die Tourismusplaner es an der A 445 nur in der Richtung aufgestellt haben, aus der die Niederländer einfallen, in der entgegengesetzten Richtung haben wir es eh mit Eingeborenen zu tun, werden sie gedacht haben, das sparen wir uns. Schade, ich hätte gern in einem Restaurant in der Nähe der Staumauer gesessen, Kaffee getrunken und mir vorgestellt, was geschehen wäre, wenn es den Briten 1944/45 tatsächlich gelungen wäre, sie zu zerstören.

Der Sauerländer als Mensch ist trockener als Knäckebrot. Man muss sich anstrengen, um ihm ein Lächeln abzuringen. Wenn dann noch zwei Lehrerinnen im Publikum sitzen, die miteinander schwatzen, macht das die Dinge nicht einfacher. Ich hatte so einen Fall schon einmal, ich las ich Ostwestfalen, ich las in einer Pausenhalle (meist ungastliche Orte), und hinten links saßen drei oder vier mittelalte Grundschullehrerinnen und konferierten. Damals habe ich mich still geärgert, gestern habe ich die schwatzenden Kolleginnen gebeten, ihre Gespräche einzustellen. Sie waren konsterniert, aber ich hatte pädagogische Argumente. Bestimmt werden Sie jetzt sagen, dass ich ein schlechter Schriftsteller bin, aber das Gegenteil ist der Fall.


Sa 23.04.16 2:26

den speicher 2
auf kultur gescannt
und bei mario & anna gelandet
tief drinnen
in einer pappkartoninstallation
wo die jugend beim dub saß
und nachrichten hinterlassen sollte
was sie kaum tat
weil man seit beuys
nicht mehr weiß was richtig ist
ich hatte auch nichts zu hinterlassen
tat es aber in höflicher form
und verbrachte den rest des abends
bis in den morgen
beim trommeln und nichtstun


So 24.04.16 10:53

00:15 Münster Bussteig N80. Das Laufen der Menschen ist kontrolliertes Stürzen. Der Zwerg, der in den Bus steigt, stürzt nicht, sein Laufen ist ein Watscheln mit nur wenig Vortrieb. Eine gedrungene kleine Frau mit Kopftuch, Steppjacke und schwarzem, fast bis auf die Füße fallenden Rock, stützt ihn. Er hat die Größe eines Zwölfjährigen und die Statur eines Mannes von dreißig, vierzig. Die Proportionen sind stimmig, er hat keinen übergroßen Kopf, wie man das bei kleinwüchsigen Menschen manchmal sieht. Er drängt sich, mit dem Rücken zu mir, von rechts kommend vor den mir gegenüberliegenden Sitz. Dann sinkt er, eine Hundertachtziggradwende vollführend, auf den Sitz, starrt mich an und beginnt zu schreien. Der zahnlose Mund ist aufgerissen, die Zunge ausgestreckt, er schwankt vor und zurück, immer mich fixierend, als hätte ich alles Elend über ihn gebracht. Ringsum im Bus peinliches Schweigen und Entsetzen. Ich strecke die Hände aus, Handflächen nach unten, als wolle ich ihn segnen, halbschräg in Brusthöhe, ich brumme, das alles gut sei, alles sei gut, keine Sorge, ich schaue ihn so ruhig an wie ich kann, und dann, nach noch ein paar verzweifelten Schreien, beruhigt er sich. Die Frau mit Kopftuch, seine Mutter, glaube ich, hat überhaupt nicht reagiert und nur einmal fiegt ein kurzes Lächeln über ihr Gesicht, zehn Minuten später, als ihr Sohn eingeschlafen ist und unsere Blicke sich treffen.


Mo 25.04.16
11:26

Der Mann wohnt die Straße hoch, er ist blond, blauäugig, nicht dick und nicht dünn. Seine Frau hat ihn vor Jahren sitzen lassen, arbeiten muss er nicht, er hat ein Haus und entsprechende Mieteinnahmen, abends geht er gern auf ein Bier. Gerade sah ich ihn vorm Supermarkt. Er ist jetzt dünn. Aha, denke ich, er hat es jetzt auch. Sie haben ihn durch die chemische Mühle geschickt, das machen sie immer so. Dann hat er noch ein, zwei oder auch fünf Jahre, dann siegt sie Krankheit und er ist tot. Schönes Leben. Ob ich es habe, weiß ich nicht. Falls ich es habe, will es gar nicht wissen. Und wenn ich tot umfallen sollte, will ich nicht reanimiert werden. Ich will nur einmal sterben, das reicht mir.


Mi 27.0.4.16 11:08

wer um 11:08 behauptet
gedichte schreiben zu können
belügt sich und die welt
um 11:09 mag das schon anders aussehen
um 11:10 aber hatte die welt sich plötzlich erhoben
und da war es natürlich pflicht
den revolutionären massen
mit einem heldengedicht
unter die arme zu greifen
verse
bei deren klang
die bäuche der herrschenden platzen
die köpfe verrauchen
und die geldströme versiegen
aber um 11:11
hatte die konterrevolution gesiegt
und jetzt sagten alle
wir waren nicht schnell genug

17:00

Die japanische Kirsche hatte zwei glänzende Tage, seitdem friert sie und ich friere mit. Es ist April, ich kenne das, frage mich aber jedesmal, ob dieser Suspense nach ein paar schönen Tagen Not tut, ob man nicht besser moderat in den Mai überleitete, statt nochmals Hagel, Griesel und Nachtfrost zu bemühen. Da ich es jedoch nicht ändern kann (langjährige, auf festen Grundlagen und Überlieferungen basierenden Rituale haben zu nichts geführt) habe ich die Heizung aufgedreht. Dazu höre ich, wie sich ein komplex arrangiertes Stück Popmusik namens Total Quality Woman von Gustav sich harmonisch und rhythmisch wundervoll in einen etwa 30 Sekunden langen Techno-Schluß ergießt, den ich laut höre, so laut es eben geht, so laut, ja, 30 Sekunden muss die Welt mich ertragen, die nur Bass und Bumbumbum hört. Der nächste dicke Regen wird rosafarbene Blütenblätter die Straße hinunterwehen, eine einzige, bleiche Schönheit hinterlassend. Darauf freue ich mich und auf das Tanzen am Abend.


Do 28.04.16
11:06

Gegen neun hat mich ein Freund aus dem Bett geholt, ich habe Kaffee gekocht, wir haben geredet, gesessen, ich habe ihm von meiner Arbeit erzählt und Gedichte vorgelesen, aber er kann kaum etwas mit ihnen anfangen, er liest weder Literatur noch sonst irgendetwas, er kreist um seine Arbeiten, die er in Kartons lagert und in seiner Werkstatt stapelt, und niemand interessiert sich dafür.


Fr 29.04.16
14:27

Die Flüchtling wohnen im Pfarrhaus. Sie haben es gut da, es ist geräumig und warm, nicht zu vergleichen mit Containern, und wir, die drei Mann von der Flüchtlinsghilfe, bringen Räder. Kinderräder diesmal. Die Frauen kommen zuerst aus dem Haus, ihnen folgen Kinder die Treppe herab. Fünf oder sechs. Für jedes haben wir ein Rad dabei , das war mit einer Gemeindeschwester, die gegenüber wohnt und sich kümmert, abgemacht, aber ein Mädchen ist untröstlich, denn für seine größere Schwester ist keines da, so eines haben wir im Augenblick nicht, und wenn wir eines bekämen, müsste es zunächst instandgesetzt werden, aber das kann das kleine Mädchen nicht begreifen. Es weint bitterlich. Einem der beiden Männer, die wenig später vom Einkaufen zurückkehren, muss ich auch erklären, wie das ist mit den Rädern, die ja nicht vom Himmel fallen, sondern gespendet werden. Er begreift das, aber am liebsten hätte auch er eines, sofort, so ist er, der ungeduldige Mensch aber alles sofort geht eben nicht.



20:30



 

Sa 30.04.16 9:00

letztes leuchten
regen auf allen kanälen
kaffee im bett
presse und internet
gähnen und rufe nach frühstück
mit kohlenhydraten
und allem was drum und dran ist

13:26

Seit Tagen hängt dieser Bleihimmel überm Frühling und drückt. Leichter Schwindel manchmal. Kriege den Arsch nicht hoch, muss aber einkaufen. Jetzt.

14:23

Ein Teenager, braune Augen, kastanienfarbenes Haar bis zum Kragen, sehr intensiver Blick an der Kasse gleich hinter mir. Verrückt? Autist? Man weiß es nie. Die Welt hat so viele Spielarten, da verliert man den Überblick.

16:00

Man weiß nicht, soll man mit dem Rad fahren, den Bus nehmen, soll man überhaupt irgendwohin fahren oder nie mehr, immer hier hocken, soll man das Zimmer an Afrikaner vermieten oder besser an Chinesen, nichts weiß man, ein trostloser Zustand, aber immerhin, es regnet, daraus könnte man folgern, dass man das Rad besser im Keller lässt.

17:45

Liebe Freunde,

wie wir es schaffen, über die täglichen Meldungen nicht den Verstand zu verlieren, wieso die Straßen nicht voll von uns sind, wieso wir nicht renitent werden, begreife ich nicht, weder bei mir noch bei euch. Wir haben versagt, wir sollten uns erschießen.