August 2018                      www.hermann-mensing.de      

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Mi 1.08.18 12:01 Hochsommer

Der Alltag, das, was die Jüngeren Blog nennen, wird zu Ende des Monats volljährig. Als ich ihn 2000 begann, gab es noch keine Blogs. Zehn Jahre später habe ich den Alltag in Blog umbenannt, weil ich dachte, Leser anlocken zu können, aber nicht lang, dann war es wieder der Alltag. Also. Nehmen Sie sich Zeit. Noch immer ist alles, wie es am Anfang war. Jederzeit taucht etwas auf- oder ab. Nichts bleibt, wie es ist, auch das Versprechen ist ungebrochen: Sie erleben Literatur, die es sich leisten kann, zu existieren, ohne sich vor irgendjemand verbeugen zu müssen. Die einzige Verbeugung, die stattfindet, ist die vor der eigenen Schere im Kopf, aber was will man dem Alltag schon vorwerfen, er wird doch erst achtzehn. Er wird bald den Führerschein machen, er hat eine Freundin, mit der es hoch her geht, er hat Affairen, die im Ungefähren verwirbeln, er hat nichts außer Hirngespinsten, lebt von der Illusion und weiß sich in bester Gesellschaft mit den Natur- und den Geisteswissenschaften.

14:38

Einem zermürbt er den ruhigen Schlaf, dem anderen den Darm, noch einem macht er den Kopf duhn. Mir sagt er, ich solle mehr Text machen, Text, sagt er, wäre das Brot der armen Seelen, ohne Text, sagten die, kein next, was soviel bedeutet, dass ein Tag ohne Text unvorstellbar ist. Gut, sage ich, also bitte, wenn es sein muss, bitte. Text über Darmschleifen und Nachtschlaf, der um drei vor dem Spiegel steht und nicht wieder zurückfindet, Text, der seine Wege von A nach B nur nach vorheriger Vergewisserung über den Zugang zu den Toiletten am Weg abhängig macht, Text über nichts und immer wieder über Text, Text als Spiel und Zeitvertreib, weil der Produzent, der sich Mensing nennt, Hermann Mensing, Dichter, jetzt im siebzigsten Jahr, von Tag zu Tag glücklicher wird. Was, wenn man's vergleicht mit Kindheit und Jugend, die nicht glücklich war, doch erstaunt. Jetzt, wo das Leben sich neigt und der Dichter sich mit neigen muss, taucht also das Glück auf, das schon immer an seiner Seite war, was er nicht erkannte, bis er es verlor. Jetzt ist es da. Fühlt es sich gut an, das Glück? Ja. Es fühlt sich gut an, denn der, der sich Mensing nennt, aber auch Steinmetz hätte heißen können, oder Bron, wären die Würfel anders gerollt, weiß ja, dass das Glück sich verhält wie eine Seifenblase.


Fr 3.08.18 20:20 Hochsommer

Krähen und Dohlen stehen mit weit geöffneten Schnäbeln auf abgeernteten Feldern. Ich kühle mich mit Campari und literweise Zitronenwasser. Das Leben ist angenehm, ich schwitze zwar, aber die Abende und Nächte sind wundervoll, so dass ich meist spät ins Bett gehe. Heute saß ich auf der Kutsche. Meine Freundin hat mir einen Wickelrock geschneidert, den trage ich seit gestern. Er ist schön und ich trage ihn mit solcher Selbstverständlichkeit, dass er niemandem auffällt. Mir kühlt er (weshalb ich überhaupt einen Rock haben wollte) auf angenehme Art und Weise die private parts. Gestern habe ich mir einen Wunsch erfüllt, mit dem ich seit Wochen schwanger ging und mir eine neue Kamera gekauft. Das PDF zur Bedienung ist 406 Seiten lang.


Sa 4.08.18 15:49 Hochsommer

Im Bus saß eine kopftuchverhüllte Afrikanerin mit einem sehr kleinen Kind im Arm. Ihr Mann hielt im Bereich für Kinderwagen und Rollstühle einen Doppelkinderwagen, in einem schlief ein etwa dreijähriges Kind. Der Bus hielt. Ein Mann, groß, blond, etwa 40 Jahre, stieg ein und bat den Afrikaner, er möge Platz machen für seinen Freund, der im Rollstuhl säße. Der Afrikaner sagte, das ginge nicht. Der Mann sagte, Rollstuhlfahrer hätten Priorität vor Kinderwagen. Der Busfahrer bat ebenfalls, Platz zu machen. Der Afrikaner weigerte sich. Seine Frau sprach leise mit ihrem Mann. Sie biss sich auf die Unterlippe. Der blonde Mann sagte, dass er das Verhalten des Afrikaners unverschämt fände. Der Bus stand noch immer, der Eingangsbereich war blockiert. Schließlich stellte der Afrikaner den Doppelkinderwagen quer. Der Mann im Rollstuhl, ein massiver, großer Mensch, passte jetzt gerade daneben. Dafür war aber der Durchgang von vorn versperrt. Der blonde Mann sagte, man sähe sich immer zweimal im Leben. Der Afrikaner sagte nichts. Seine Frau wirkt in sich gekehrt, gejagt, unglücklich.


So.5.08.18 9:57 Hochsommer

Kommentare zum vorigen Beitrag:

Wolf S.:

Wieder so ein Armleuchter....

Hermann Mensing:

Wer jetzt? Ich fand den Afrikaner bescheuert.

Helmut B.:

Unklar.
Wer weiss, wie oft der Afrikaner schon mies angemacht wurde?
Und wenn da kein Platz ist, was soll er denn machen?

Hermann Mensing:

Beiseite rücken.

Ulrike L.:

Wieso musstest du erwähnen, dass die Afrikanerin kopftuchverhüllt und der Hinzugestiegene blond war?

Claus Michael C.:

Ulrike L. Weil die Situation nun einmal so war ...
Unterschwellige "Rassismuskeule" für Hermann ??

Ulrike L.:

Wer keult denn hier?
Das war eine Verständnisfrage. Vielleicht ja ein rhetorisches Mittel?

Hermann Mensing:

Dann ist die Frage ja geklärt.
Der blonde Mann hatte zudem einen Bauch, den Rollstuhlfahrer kannte ich als Draussen-Verkäufer, die Kopftuch tragende Frau kenne ich vom Sehen aus Roxel.

Claus Michael C.:

Ulrike, ich sollte es nicht vertiefen ...
Aber, das war keine Verständnisfrage !
... "kopftuchverhüllt" und "blond" muss nicht hinterfragt werden ...
War genau die Bemerkungen, die ich benannte ...


Mo. 6.08.18 00:09 Sommernacht

Sie sagen, dass es morgen noch heißer wird. Ich werde ja sehen. Erst einmal aber gehe ich ins Bett. Schlafe bei offenen Fenstern unter einem Laken. Damals in Varanasi musste ich mich nachts ins feuchte Laken wickeln, sonst wäre es nicht auszuhalten gewesen. Nach einer Stunde waren sie getrocknet, aber neben meinem Bett stand ein Eimer Wasser. Ab halb fünf, wenn die Sonne überm Fluss hoch kam, war nicht mehr an Schlaf zu denken. Man musste sich verkriechen. Zum Glück waren die Gassen schmal und schattig.

Gestern war ich zum ersten Mal mit der neuen Kamera in der Stadt. Ich habe geschaut, überall Menschen. Sie zu fotografieren macht Spaß, aber sie nicht bloßzustellen, ist nicht einfach, also habe ich alle Menschen gelöscht. Geblieben ist ein Foto von Richters foucaultschen Pendel in der Dominikaner Kirche. Die Lumix gleicht in ihrer Programmführung meiner Leica, die im Grunde ja eine Lumix als Leica war. Die vier Monate, die ich benötigte, eh ich alle Automatikfunktionen der Leica abstellen konnte, kann ich mir daher sparen, ich fotografiere schon jetzt ohne Automatik. Zu meiner Lumix gehört eine 406 Seite lange Bedienungsanleistung, die ich nicht lese, weil ich so etwas nicht lesen kann. Einiges wird daher wohl doch noch Zeit benötigen, eh ich es entdecke. Ein bisschen Wehmut hab ich noch, weil die Leica so handlich ist, aber ich besitze sie ja noch. Wer will, kann sie von mir kaufen. Die Lumix ist größer, nicht viel, aber doch ein bisschen. Und es steht nicht Leica drauf, sondern Lumix, und Sie glauben nicht, wie die Leute die Hacken zusammenschlagen, wenn sie Leica hören. Gute Nacht.


Di 7.08.19 19:13 33 Grad im Schatten

Ein beliebtes Startup der Balkanstaaten scheint die Bettler-AG. Menschen am Rande der Gesellschaft versprechen anderen Menschen, die nicht einmal mehr am Rande der Gesellschaft leben, Unterkunft und ein bescheidenes Einkommen in den Ländern der EU. Gern auch in der Bundesrepublik. Nicht von Nachteil für diese Startups sind Bewerber mit körperlichen Gebrechen, Sieche, Lahme, Aussätzige. Heute sah ich zwei dieser Armutsdarsteller auf dem Prinzipalmarkt. Der eine saß links, der andere zwanzig Meter entfernt gegenüber. Beide waren junge, kräftige Männer, und beide hielten identische Pappschilder: Bitte Hilfe. Habe zwei Kinder ohne Brot. Mein Impuls: die Kutsche anhalten, absteigen, ihnen die Pappschilder um die Ohren hauen, und sie auffordern, auf der Stelle nach Hause zu fahren. Sie sind kräftig. Schämen Sie sich nicht, hier den Armutsdarsteller zu geben. So etwas tut man natürlich nicht, vor allem nicht in einer Gesellschaft, in der das politisch korrekte Verhalten mittlerweile vieles verschleiert, verdreht und absurd ins Undiskutable verzerrrt. Dennoch war ich wütend auf die beiden. Ich weiß, wo ihr Transporter steht, mit dem sie abends abgeholt werden. Er hat ein Dortmunder Kennzeichen. Kann man solche Startups nicht des Landes verweisen, bitte?


Do 9.08.18 10:09 um die 20 Grad, bewölkt

Unwetterwarnungen. Tornados. Starkregen. Bin gespannt, wie das ausgeht. Dummerweise haben wir heute abend Gäste in den Schrebergarten geladen. Ich schätze, daraus wird nichts. Aber vielleicht wird ja auch aus den Unwettern nichts. Gestern, nachdem die große Hitze des Dienstags vorüber war, habe ich mittags fast zwei Stunden geruht, ich glaube, ich habe sogar geschlafen. Am frühen Abend habe ich lange Klavier gespielt und mich dabei überwältigt. Ich war gerührt. Ob auch andere gerührt gewesen wären, ist mir egal, Hauptsache, mir hat es gefallen. Wenn ich aufstehe, kommt es vor, dass ich vom Schlafzimmer über den Flur direkt zum Klavier stolpere und zu spielen beginne. Nicht selten sind meine Ohren am frühen Morgen so aufnahmefähig, dass sie harmonische Verbindungen hören, die plötzlich einen Zusammenhang zu Liedern ergeben. Gestern war das Oye como va von Santana. Die Akkorde dazu spiele ich seit dreißig Jahren, ohne dass mir ihr Kontext zu diesem Lied aufgefallen wäre. Ich lerne das Klavierspielen nun seit über fünfundzwanzig Jahren, ich kann noch immer keine Noten lesen, und ich will das auch nicht, ich will, dass meine Ohren Ton für Ton des Klavier entdecken und meine Finger sich merken, was meine Ohren gehört haben. Wenn das einmal so weit ist, kann ich spielen, was ich will. Aber wie gesagt, das wird dauern.


So 12.08.18 16:21 sonnig, 33 Grad

ein leben
will ich dich und mich betrügen
auch deinen hund
und deinen schmetterling
ich will in vielen armen liegen
im mund mein ehering
ich will der wahrheit aus dem wege gehen
die wir nicht kennen
weil sie sich versteckt
ich will den hund erschlagen
und die schmetterlinge weinen sehen
bis mich die letzte stunde weckt


Mo 13.08.18 10:45 bewölkt, 16 Grad

Ich hatte ein Auto gemietet, und nun wurde es nicht gebraucht, um nach Polle zu fahren, denn unser Auftritt dort war abgesagt worden, der Veranstalter hatte kalte Füße bekommen, sein Mittelalterfest und unsere Musik, das würde nicht zueinander passen, also hatten wir entschieden, stattdessen eine Sommersession in Ostbevern zu spielen. Wir spielten bis weit nach Mitternacht für ein imaginiertes Publikum, und ich glaube, in nicht allzu ferner Zukunft werden die alten Männer doch noch einmal irgendwo auftreten. Gegen halb zwei trug ich eine Matratze vor die Scheune und legte mich hin. Wie der Wind in den Bäumen rauschte. Und dann, ich war an der Schwelle zum Schlaf, begann es zu regnen. Ich zog in die Scheune um. Am frühen Morgen fuhr ich heim, lud mein Schlagzeug in den Keller, frühstückte und lud meine Freundin zu einer Spritztour ein. Schließlich hatte ich ein Auto, und ein Auto, das weiß man, will bewegt werden, sonst ist es beleidigt. Wir kreuzten Westfalen. Wir besuchten den Merfelder Bruch, sahen die Wildpferde, und kreuzten in weitem Bogen über Gescher und Ahaus nach Enschede. Auf dem Heimweg sahen wir uns die apokalyptischen Reiter an, ein großes Wandmosaik von Hubertus Brauwer, das er 1953 im Foyer der Textilwerke Gebr. Laurenz verwirlicht hat, eingebunden in ein Ensemble aus weiter Halle, hoher Kuppel, einem riesigen Kristallleuchter und einer geschwungenen Treppe. Leider ist heute dort ein Restaurant untergebracht, so dass der Eindruck des Ensembles ein wenig getrübt wird. Schade, fanden wir. Unverständlich auch, dass die Denkmalschützer dem zustimmten.


23:11

Das behalten wir jetzt aber für uns, Herr M., das sagen wir niemand, das wäre peinlich. Gut, wir könnten uns herausreden und sagen, wir hätten alles geresetted, wie man neudeutsch sagt, aber dass man so blöd sein kann, hätte wir nicht gedacht. Auch, wenn wir gestehen, dass wir das 406 Seiten lange Bedienungs-PDF nicht studiert haben, erklärt das nichts, denn wir glauben, dass es sowieso nur von Masochisten und Menschen, die über ein fotografisches Gedächtnis verfügen, gelesen werden kann. Wir vefügen nicht über solche und ähnliche Fertigkeiten. Wir verfügen über gar nichts. Alles wird über uns verfügt, jagt in Wirbeln durch uns hindurch, wobei es uns hin und wieder gelingt, dem ein oder anderen Ding Namen zu geben,. Etwa: Autofokus OFF. Das ist das Dümmste, was uns seit langem passiert ist, das behalte wir für uns, schließlich macht es die Arbeit der letzten Woche zunichte. Wir müssten alles wegschmeißen. Alles müsste neu gemacht und gedacht werden. Alles, alles, alles. Das tun wir aber nicht. Wir verraten das mit dem OFF niemand, dann merkt es auch niemand.


Di 14.08.18 10:47 bewölkt, frisch

Später wird die Sonne scheinen, ich kann schon den Himmel sehen. Aber noch ist es kühl. Die Hitzewelle hat Wälder, Wiesen und Äcker ausgedörrt und den Aasee so aufgeheizt, dass kein Sauerstoff für die Fische blieb. Tausende schwammen bäuchlings, letztes Wochenende. Ich überlege zum ersten Mal seit über 10 Wochen, ob ich eine lange Hose anziehen soll. Auch ein Gedicht käme in Betracht, aber ich wüsste nicht, was für eines. Eine Ballade? Etwas Surreales? Zutiefst Optimistisches? Reim? Kein Reim? Ach, kein Gedicht, nein, ich plaudere noch diese Zeile zuende, nehme mir ein Buch und lese. Sagte ich nicht, dass die Sonne kommt? Da ist sie.

17:08

Ich bin er und du bist ich und wir sind eins. Ich bin ein Walross.


Mi 15.08.18 22:37 schöner Tag, am Nachmittag wurde er schwül

Ich hatte das Vergnügen, sieben Menschen meiner kulturellen Herkunft ähnlich eine Stunde meine Stadt zeigen zu dürfen. Da Schotten an Bord waren, hatten wir uns auf Englisch geeinigt, was ich besonders gern spreche, und wenn ich spüre, dass man mir zuhört, wachse ich über mich hinaus und sage Dinge, von denen ich vorher selbst nichts wusste. Das hat Spaß gemacht, danach hatte ich eine Tour nach der anderen und war anschließend erschöpft, so dass ich jetzt, um halb elf, ins Bett gehe.


Do 16.08.18 11:44 wechselnd bewölkt, bisschen windig. mild

das wunderbare
das sich wegduckt
und das glück
das niemand hält
das schreckliche
das aufmuckt
und die dummheit zählt
ich stell mir morde vor
ich hänge die despoten
ich weiß wenn alle tot sind
ist das erste was wir tun
ein aufguss der recycelten idioten
die welt wird nie mehr schön sein
lass uns abhaun
und uns selbst betören
wir haben uns das eingebrockt
wir wollten ja nicht hören
jetzt schreibt man uns den totenschein


So 19.08.18 15:39 spätsommerlich warm


Mo 20.08.18 10:02 noch bedeckt

Ihre Limousinen warten vorm Standesamt, großkalibrige BMW, Audi, Mercedes mit Doppelauspuff und Sounddesign, damit es röhrt, wenn sie Gas geben. Und sie geben Gas. Bei jeder Gelegenheit wird kurz durchgepustet, dass es knallt. Nach erfolgter Trauung fahren sie gern im Korso durch die Stadt und missachten Verkehrsregeln. Sie schießen mit Konfettikanonen aus fahrenden Autos. Die Männer tragen Slimfit-Anzüge und lieben Bärte. Ihre Frauen sind, falls nicht hochmodisch verschleiert, gern sexy. Äußerst sexy. Sie sind all das, was wir Germanen nicht sind, barock, lebensfroh, ein bisschen großmäulig. Man könnte von ihnen lernen, denn sie sind ja Nachbarn. Es wird Zeit, dass wir diese großmäuligen Söhne Atatürks ins Herz schließen.


Di 21.08.18 10:46 bedeckt

Heute vor achtzig Jahren haben meine Eltern geheiratet. Ob es ein großes Fest war? Ich weiß es nicht. Ich weiß aber, dass die kirchliche Trauung nicht in Gronau stattfand, sondern in Münster, weil es um eine Mischehe ging. Meine Mutter war evangelisch, mein Vater katholisch. Ich weiß auch von keinen Hochzeitsbildern. Ich weiß nur sehr wenig. Meine Eltern hatten nach überstandenem Krieg wenig zu sagen, und ich habe versäumt, sie zu fragen. Vielleicht sind alle Eltern und Kinder sich ähnlich, wenn es darum geht, über Hintergründe zu sprechen bzw. diese zu erfragen. Meine Söhne jedenfalls fragen auch kaum etwas, was dazu führen wird, dass sie sich eines Tages über ihre Dummheit ärgern. So ist jeder auf seine Art dumm. So flüchtet jeder vor sich und vor seiner Geschichte. Wer will schon wissen, was "ICH" bedeuted, wenn niemand auch nur annähernde Auskunft darüber geben kann, was ICH eigenlich ist. Ich kenne ICH nicht.

15:46

Ich kenne einen gewissen Herrn M., der sich Dichter nennt, der, schaut man sich seine Bibliografie an, fleißig war, sehr fleißig, sagen manche, aber dieser Fleiß hat nie dazu geführt, dass er seinem ICH nähergekommen wäre. Vielleicht ist ICH gar nicht existent. Herr M. ist deshalb manchmal von solcher Unruhe befallen, von Unwillen, Ekel und Abscheu, dass ihm nur ein sich selbst gewisses ICH helfen könnte, solche Tage zu überstehen. Aber es ist nicht da. Er geht in der Wohnung herum, er sieht sein Leben in Ecken und Schränken, auf Regalen, an Wänden, überall finden sich Spuren eines Bewohners, der Herr M. sein muss, dennoch ist nirgendwo ICH, das sagen könnte, ruhig Blut, Dichter, du gehst auf die siebzig zu, du darfst dich zurücklehnen. Wer darf sich zurücklehnen? ICH, sagt das ICH. Herr M. wäre der erste, der seinem ICH das DU anböte, aber er bleibt mit sich und dem Dichter allein. Mit den Tasten seiner Schreibmaschine, die eine computerisierte Maschine ist, mit einer Zeit, die eine computerisierte Zeit ist, und mit der Gegenwart, der einzigen Größe, die etwas über das Leben des Menschen aussagt. Was sollte er also tun? Sollte er - nur, um mehr Gegenwart spüren zu können - von früh bis spät Text produzieren? Sollte er weiter warten, dass irgendjemand begreift, dass sein Text die Gegenwart spiegelt. - Ist er verkannt? Herr M., halten Sie sich für einen verkannten Dichter? Nein. - Für was denn? - Für einen verkannten Dichter. Für einen faulen Dichter. Für einen Dichter, der, hätte er Frau, Kinder und alles übrige hintenan gestellt, auf den Olymp aller Dichter gestiegen wäre, aber das hat er gescheut, denn seine Frau und seine Kinder waren ihm mehr wert. Und nun, was bleibt nun? Noch eine Woche, noch zwanzig Jahre, man weiß das nicht, auf jeden Fall bleibt die Gegenwart. Und heute abend ist Tango.


Fr. 24.08.18 22:15

Es ist frisch. Die Macht des Sommers scheint gebrochen. Im Aasee hat er 20 Tonnen Fisch getötet. Sie schwappten bäuchlings ans Seeufer. Wen er sonst getötet hat, weiß ich nicht, man müsste die Bestatter fragen. Bestimmt war er nicht zimperlich. Heute aber wurde die Welt wieder lebendig. Meine Erschöpfung der letzten Woche ist wie weggeblasen. Nicht, dass ich nicht müde wäre, ich war vier Stunden auf der Kutsche und anschließend fast zwei Stunden Tangotanzen für einen fairen Welthandel, was ja nichts Schlechtes ist, aber diese Müdigkeit ist etwas ganz anderes als Erschöpfung. Ich hatte fünf oder sechs Tänzerinnen. Wir haben viel gelacht, und ich weiß jetzt aus sicherer Quelle, dass Tango tanzende Frauen nicht gern "das Ohrläppchen abgeknabbert kriegen", also vollgequatscht werden wollen, und dass man keine atemberaubenden Figuren tanzen muss, um sie glücklich zu machen. Man muss auf dem Beat sein, das ist alles, man muss auf dem Beat schreiten, das reicht. Da fühlen Frauen sich wohl und aufgehoben.


Sa 25.08.18 17:43 schwer bewölkt, kühl, ab und zu Regen

Es war Zeit, aufzubrechen, aber es regnete, also beschloss ich, den Bus zu nehmen. Der Bus kam nicht. Der Regen ließ nach, die Himmel sah gut aus, ich holte mein Rad aus der Garage und fuhr in die Stadt zur Arbeit.

Wie leicht sich das sagt, und wie es sich fügt, "zur Arbeit fahren".
Ganz anders, als würde ich sagen, ich beginne heute einen neuen Roman.

Die
ersten Gästen sind Rheinländer, die ich, als das Gespräch auf Rheinländer und Westfalen kommt, als Weicheier beschimpfe, die gegen die Römer in die Knie gegangen wären, während wir Westfalen ... ect. pp. Die Stimmung steigt und ich weiß, dass die Tour gut wird. Auch die nächsten Touren sind für alle Beteiligten unterhaltsam. Einmal regnet es für kurz. Obwohl die Touren eng getaktet sind, kriege ich alle Anschlüsse.

Nur den zum Feierabend, vermasselt mir mein Kollege. Um viertel nach sitze ich mit vier jungen Frauen in der Kutsche, denen ich gesagt hatte, dass man mich um drei ablösen würde. Der Kollege hat sein Handy abgestellt. Als ich ihn dann doch erreiche, sagt er, er könne erst um sechszehn Uhr, es tue ihm soo leid.

Er ist Mitte 30, und hat eine Stimme, die suggeriert, dass er a priori schuldlos sei. Arschloch! sage ich. Und lege auf. Und telefoniere mit der Chefin. Die ist auch außer sich. Ich solle dem Kollegen bloß die Meinung sagen. Sie habe ihm gerade auch die Leviten gelesen. Und dann: Könnten Sie die Tour nicht doch fahren, zumindest bis vier. Meine Gäste haben eine Stunde gebucht. Mittlerweile ist es zwanzig nach. Ich frage, ob sie mit 40 Minuten zufrieden wäre, weil um vier eine Anschlußtour verabredet sei. Wenn es weniger kostet, ja, sagen sie. Natürlich, sage ich.

Kaum am Spiekerhof beginnt es zu regnen. Ich schließe das Verdeck. Meine Gäste sind bester Laune. Sie haben Tuperdosen voll Brownies, Paprikaschnitzen und veganen Rolls. Sekt auch. Wollen Sie? Nein, dann werde ich sofort müde, sage ich.

Wegen des Kreuzviertelfestes kann ich nicht durch eine Straße voller Gründerzeithäuser mit pastellfarbenen Fassaden fahren. Also fahre ich stattdessen zum Sphinx-Haus, Jugenstil, verträumt, schwülstig, taubenblau mit einem Stich Lila. Es gefällt ihnen.

Hundert Meter weiter bricht In der Finkenstraße die Lenkung der Kutsche. Ich kann von Glück reden, dass ich kein parkendes Auto touchiere. Es gießt. Die Reise ist beendet. Die jungen Frauen nehmen es sportlich und bieten mir Brownies an. Ich esse einen. Ich sage, hmmm, die sind gut, und kriege noch einen. Dann erkläre ich ihnen, wie sie zurück in die Stadt kommen. Zwanzig Minuten später kommt die zweie Kutsche. Darauf auch der Kollege, der mich versetzt hat. Er entschuldigt sich. Er schleimt. Und ich sage noch einmal, dass er mich am A... lecken kann. Wir beide sind durch.

So 26.08.18 8:23

Bitte nun Frühstück ans Bett, Cappuccino, Croissant. Vorm Fenster Sonne. Schatten im Vorhang. Von 369 Fotos auf Hülshoff sind zwei Drittel verworfen. Ich weiß noch längst nicht, wie die neue Kamera funktioniert. Ich sagte: Frühstück ans Bett. Ein Hund bellt. Zum Aufstehen fehlt noch der nötige Schwung. Für Berichte von gestern fehlen noch Worte. Nur soviel: das Volxtheater der Theaterwerkstatt Bethel hat zwar Bilder produziert, aber kaum Eindruck hinterlassen. Nur, dass an einer Stelle ein Choral von Benjamin Britten gesungen wurde, gefiel mir. Frühstück jetzt. Irgendjemand muss mir Frühstück bringen.

20:32

Auf dem Dachboden der Hülshoffs baute sich ein Saxophonist sich mit einer Loopstationen einen Teppich, über den er improvisieren konnte. Neben ihm stand ein Afrikaner, der laut und unverständlich sprach, lachte und gestikulierte, später, ruhiger geworden, las er aus seinem Roman Tram 83. Die deutsche Übersetzung erschien auf einer Leinwand. Der Text war in Ordnung, den Afrikaner mochte ich nicht. Eine junge Frau folgte mit einem rhythmisierten Durcheinander kürzester Silben und Worte. Französisch, Englisch, dann und wann auch ein deutsches Wort. Ich verstand so gut wie nichts. Vielleicht liegt es an meinen Ohren, dachte ich. Nach einer Pause las im Wohnzimmer der Hülshoffs eine kurzatmige Frau einen Text über die Emscher. Ich hörte eine Weile zu und fuhr dann nach Hause. Über den Tag habe ich die Fotos von gestern weiter gelichtet. Von 369 sind nun noch 18 übrig.


Mo 27.08.18 20:50

Es ist bewölkt, aber frisch ist es nicht. Ich trage Sandalen, und mir ist nicht kalt. Ich habe gehört, es würde wieder wärmer. Meinetwegen. Aber der Regen, der in den letzten vier Tagen gefallen ist, kann die Trockenheit der letzten fünf Monate nicht ungeschehen machen. Da muss mehr kommen. So. Soviel dazu.

Ich habe einen Lieblingsplatz, eine Eisdiele an der Engelstraße. Der Wirt (in meinem Alter) und seine Frau sind "echte" Italiener, was man von den Besitzern italienischer Eisdielen in Münster nicht immer sagen kann. Die sind auch gern Albaner und Pakistani. Mein Italiener schenkt einen Grappa aus, den er von zuhause mitbringt. Echte Italiener, zumindest die "Eisdielenitaliener", kommen aus Cortina D'Ampezzo oder aus der Region. In Cortina findet jedes Jahr eine große Eisdielenmesse statt, in der die Trendsorten der kommenden Saison vorgestellt werden. Maggi mit Minze etwa, oder Alpacca mit Huhn.

Dort also sitze ich gern. Vor mir die Engelstraße mit einer Fußgängerampel. Aus der Stadt kommend, zum Bahnhof und der Busstation eilend müssen dort viele Menschen vor roten Ampeln warten. Und was soll ich sagen, wir, die wir die "Neger" mühsam und unter Einsatz unseres Lebens kolonialisiert und zivilisiert haben, haben sie, nachdem sie ihr zuhause wegen Krieg, Armut oder allem gleichzeitig verlassen mussten, so weit gebracht, dass sie vor roten Ampeln stramm stehen. Das nenne ich eine kulturell - assimilatorische Glanzleistung, denn wir wissen ja, dass der Afrikaner undiszipliniert ist und ein kleineres Hirn hat als wir. Um so mehr können wir also uns rühmen, dass sie dort stehen wie deutsche Deppen. Kein Auto weit und breit, aber sie stehen.

Und ich sitze dort. Zwei Tische neben mir ein "echter" Italiener mit römischem Profil. Er hat Heimweh. Er sitzt da jeden Abend vor Sonnenuntergang, eine Tasse Crema neben sich, ein Glas Wasser, sitzt da und spricht mit sich. Gestikuliert auch. Er sieht aus, wie Rocco Granata. Da FB-User alte Säcke sind, werden Sie Rocco Granata u. U. noch kennen.

An der Ampel taucht nun ein junger Mann auf, eine Bohnenstange von jungem Mann, der sein Haar zu einem Dutt geknotet hat, aber nicht am Hinterkopf, so wie die Dutts meiner Jugend, sondern mittig nach oben weisend. Darüber einen Kopfhörer mit großen, blau-weißen Ohrmuscheln. Die langen Arme hängen an ihm wie Schiffstaue, die Hände öffnen und schließen sich, die Finger zucken in komplizierten Rhythmen, und auch sein Füße sind involviert. Die rollen von der Hacke auf die Ballen und zurück, und die Beine biegen sich nach links und nach rechts. Was er wohl hört? Es wird grün. Der Italiener redet noch immer mit sich. Die Afrikaner überqueren die Straße. Ich trinke aus und fahre nach Hause.


Mi 29.08.18 15:02 bewölkt, warm

Ich war im Netz unterwegs, um Vikoria und Abdul, ein Film mit Judy Dench, zu suchen. Ich hatte einen Stream gefunden, und ihn angeklickt. Auf der Stelle öffnete sich ein Fenster. Windows System Alarm. Ich konnte das Fenster nicht schließen. Eine eindringliche Stimme sagte, dies sei ein Windows System Alarm, Fehler ..., Hacker hätten nun Zugriff auf all meine Daten, ich solle mich sofort mit folgender Telefonnummer in Verbindung setzen. Ich erschrak, dann fiel mir auf, dass keines meiner Sicherheitssystem sich gemeldet hatte, und schloss, dass es sich um einen Hoax handeln müsse, und dass erst die Wahl der Telefonnummer und die dort folgenden Anweisungen zu dem angerohten Hack führen würde. Ich nahm also den Rechner vom Netz, ich schaute, ob irgendwo ein Trojaner sei, Avira sagte nein, alles sei sicher, ich reinigte das System mit CC Cleaner und startete neu. Wie schön, wenn man das auch mit Nazis machen könnte, aber Nazis sterben nicht aus. Das einzige, was gegen Nazis hilft, ist ein konsequenter Rechtsstaat, der nicht auf einem Auge blind ist. Diese Rechtsblindheit konstatiere ich nun schon seit weit mehr als fünfzig Jahre, und sie kotzt mich an.


Do 30.08.18 13:12 bewölkt, warm

Der Mann in der rotweißen Badehose

Da hinten das Meer, davor der Strand und die Menschen. Der Himmel bleich blau. Der Sand geharkt. Das Wasser erträglich. Mittdrin bauchhoch ein Mann, der gleich zu gestikulieren beginnt. Er winkt, denken alle, ein Opa, der einen Enkel heranwinkt, einer, der für ein Foto posiert, hier, schaut, der Opa, noch gut beieinander, im Sommer 2016 am Meer. In ein Album wird das Foto es nicht mehr schaffen, Alben gibt es kaum noch. Er wird auf einer Festplatte enden oder in einer Cloud neben hunderten und tausenden anderer Fotos. Denkt man, denkt einer vielleicht, der am Strand liegt und den Mann sieht, der gestikuliert. Aber dann, die wenigsten bemerken es, dann hört der Mann auf zu gestikulieren und hebt sich sehr langsam aus dem Wasser. Wenn man verrückt genug wäre, so etwas zu glauben, würde man sehen, wie er aufsteigt, wie an einem unsichtbaren Seil senkrecht emporgezogen, so steigt er auf, und jetzt weiß man nicht mehr, soll das wirklich ein Foto werden, oder sind vielleicht irgendwo Kameras versteckt, dreht man einen Film über einen Mann, der bauchhoch im Meer steht, gestikuliert und dann senkrecht zum Himmel steigt. Aber dafür bräuchte man einen Kran, und hier ist nirgendwo ein Kran, hier sind nur das Meer, der Strand, die Menschen, der Himmel, der Sand, also was geht da vor.

Der Sommer war alles andere als biblisch, der Sommer war wie mehr oder weniger alle Sommer seit damals, als es noch derartige Erscheinungen gab, durchwachsen, und der Himmel ein Ort, an dem Vögel und Flugzeuge unterwegs waren, aber doch niemals Männer, zudem noch Männer, die ihren Zenit längst überschritten hatten, dieser Mann jedenfalls, der da gerade aufstieg, langsam, Zentimeter für Zentimeter, und jetzt, jedenfalls schien es so, bemerkten die Umstehenden, dass dort etwas vorging. Vielleicht hatten sie zunächst gedacht, der Mann habe vorher nur im Wasser gekniet, und wäre halt aufgestanden, aber damit war nicht zu erklären, wieso er jetzt schon fast auf der Wasseroberfläche stand und dann gleich darauf schon zwanzig Zentimeter darüber, um dann, ganz plötzlich, mit einem irrwitzigen Schwung aufzusteigen, so dass alle sich die Augen rieben und glaubten zu träumen. In gewisser Höhe blieb der Mann stehen, es mögen fünfzig oder hundert Meter gewesen sein, wie ein Drachen hing er da, und dann begann er, Kunststücke zu fliegen, jedenfalls sagten das später die, die zugeschaut hatten. Die, die ihre Smartphones emporgerissen hatten, um das Ganze zu filmen, denn das tut der Mensch ja, wenn er am Strand ist, er inszeniert, bildet ab, faket, die staunten später nicht schlecht, denn ihre digitalen Zweitaugen hatten nichts von dem registrieren können, was die, die nur zugeschaut hatten, im Brustton der Überzeugung erzählten.

Aber wie es so ist, ein Ereignis ohne Bilder ist kein Erzeignis, und da Männer nie und nimmer aus dem Meer aufsteigen und am Himmel Kunststücke vollführen können, wie alle behaupteten, ging man davon aus, dass es sich wohl um eine Massenhalluzination gehandelt haben müsse, so wie die Menschen in biblischen Zeiten eben auch in Massen halluziniert hatten und dabei beließ man es. Die Zuschauer aber bombardierten die Medien mit Fragen. Sie hätten nicht halluziniert, sagten sie, Lügenpresse, riefen sie, denn dieses Wort war gerade modern und passte für jede Gelegenheit, denn die Welt war derart aus den Fugen geraten, dass sowohl das eine wie das andere ständig zur unumstößlichen Wahrheit erklärt werden konnte. Die Medien wehrten sich. Die Spezialisten gaben Kommentare ab. Massenhalluzinationen seien nichts Ungewöhnliches, bis schließlich die Zeichnungen mehrer Kinder auftauchten, und die zeigten das Meer, den blauen Himmel und am Himmel diesen kunstfliegenden Mann, der, das allerdings muss angemerkt werden, verschiedenfarbige Badehosen trug, einmal rot mit weißen Punkten, dann weiß mit roten Punkten, aber da nahmen es Kinder mit ihrer Fantasie nie so genau, denn wozu sollte Fantasie sonst gut sein, wenn sie nicht dürfte, was sie will, und so kann man abschließend sagen, dass dieser Sommer ein Sommer voller Wunder war, die nie aufgeklärt wurden.

Der Imbiss steht auf der Düne, sie ist gepflastert, versiegelt, verengt sich auf der einen Seite zu einem sandigen Weg zum Meer hinunter, auf der anderen öffnet sie sich zueinem Kreisverkehr und dem Reservat, das im Süden bis an die Ij und weit in den Norden reicht. Vor dem Imbiss stehen ein Chinese und eine dicke blonde Frau, beide mittelalt, beide sich lebhaft unterhaltend, beide mit einer Tüte Pommes in der Hand. Sie ziehen ein Stäbchen nach dem anderen heraus, tauchen sie in Mayonnaise, lecken sich nach dem Verzehr die Finger, nehmen ein neues, als der Mann in einem Zappa-T-Shirt und einer rot-weiß gepunkten Badehose auftaucht. Gerade noch hat er die Menschen verblüfft, als er am Himmel Kunststücke flog, was er für sein Leben gern tut, ihm aber nicht immer gelingt, denn manchmal, nicht selten, bricht die Kraft, von der er nicht einmal weiß, woher sie kommt, weil sie ja gegen jedes bekannte physikalische Gesetz verstößt, einfach ab, weshalb es es vorzieht, überm Wasser zu fliegen, denn da ist ein Absturz zwar auch nicht ganz ungefährlich, aber da der Mann in der weiß-rot gepunkteten Badehose gelernt hat, zu fallen, ist es bis jetzt immer alles glimpflich ausgegangen. Man muss sich halt strecken und aufpassen, dass man dem Wasser so wenig Aufschlagfläche bietet wie eben möglich. Sich lang machen, die Arme voraus, die Hände wie Spaten aneinandergelegt, die das Wasser beim Eintauchen aufreißen wie schwere Erde, dann geht es. Der Chinese blickt kurz auf, als der Mann sich setzt, die dicke blonde Frau kichert, sie findet dessen Badehose albern, alles in allem aber bleibt der Mann unerkannt, unbemerkt, er hat auch das lange geübt, die Anwesenheit unter vielen so einzurichten, dass er nicht auffällt. Er hat ein halbes Hähnchen vor sich, so ein Kunstflug macht hungrig, und er mag halbe Hähnchen sehr. Eine Mutter mit zwei Kindern nimmt am Nebentisch Platz nimmt. Die Mutter ist eine gute Mutter, zeitgenössische, vegane Mutter, und Pommes sind immer vegan. Sie weiß so gut wie alles über gesundes Essen, aber Pommes, das darf. Aber dann fangen die Kinder an, auf den Mann mit der rot-weiß gepunkten Badehose zu zeigen, und iiii zu rufen, denn Hähnchen sind nette Tiere, und Tiere, die isst man nicht, das hat die Mutter den Kindern beigebracht und das haben die Kinder sofort verstanden, denn erstens glauben sie, was ihre Mutter sagt, und zweitens gibt es kaum Kinder, die Tiere nicht lieben, zumal Hähnchen doch gackern und lebensfroh scharren, wie kann man also bloß Tiere essen. Der Mann in der weiß-rot gepunkteten Badehose kriegt mit, dass die Kinder etwas an seinem Hähnchen auszusetzen haben, und er überlegt, was zu tun ist, dann sagt er den Spruch, der ihn selbst in Erstaunen versetzt, und das Hähnchen steht auf und flattert davon. Da sind die Kinder vor Staunen sprachlos.

22:00

Im Juni 2015 habe ich mir ein Fahrrad gekauft. Im Oktober einen Tacho dazu. Heute habe ich auf dem Radweg am Wald hinterm Zoo 15.000 Kilometer erreicht. Komisch, müsste eigentlich längst in Indonesien sein oder sonstwo da unten. Verstehe das nicht.