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Hermann Mensing

Früher Frühling

 

Die Musik, jetzt: Regina Spektor: begin to hope. Das Foto: David & Goliath Barcelona.

Der Bewohner Barcelonas ist Katalane, er hat lange für seinen autonomen Status gekämpft, und wie es so geht in der Welt der eingebildeten oder ersehnten Identitäten, man beharrt darauf, man führt unter Umständen Kriege, man wirft Sprengsätze.

Mit einem Wort: Autonomie geht gern mit Idiotie einher und so hat es mich nicht verwundert, dass man mir, bevor ich nach Barcelona fuhr, sagte, die Menschen dort könnten pikiert reagieren, spräche ich sie auf Spanisch an.

Das ist aber nicht geschehen. Alle, mit denen ich radebrechte, waren sehr freundlich, bis auf die eine, eine Stadtführerin im Touristenbus. Die war ein wenig ruppig, als ich nach einem Zwischenstopp einsteigen wollte, ohne darauf zu warten, dass sie die anderen, die im Gegensatz zu mir noch kein Ticket hatten, abgefertigt hatte.

Nachdem meine Frau mich beschwichtigt und mir davon abgeraten hatte, die Dame körperlich zu züchtigen - konnte selbst ich ihren Unmut verstehen. Aber immerhin, hassen durfte ich sie. Nachdem der Bus dann weiterfuhr und sie übers Mikro verschiedene Sehenswürdigkeiten in Spanisch und Englisch ausrief, hörten wir in Verbindung mit dem in einem bestimmten Kulturzentrum Dargebotenen das Wort: Fuckalamenco.

Da der Spanier (und offenbar auch der Katalane) mit dem Englischen mindenstens so viele Probleme hat wie ich mit dem Spanischen, klang das sehr sehr lustig. Frau M. und ich rollten eine Weile auf dem offenen Deck des Touristenbusses hin und her und hofften insgeheim, dass die Autonomen, die in einem besetzten Haus unterhalb des Park Güell wohnen (siehe Foto) nicht doch schössen. Wir hätten hervorragende Ziele abgegeben.

Aber da der Mensch schlussendlich den materiellen Vorteil seinen eingebildeten oder tatsächlichen Überzeugungen vorzieht, kurvten wir weiter herum und erfreuen uns nach wie vor bester Gesundheit.

PS.: Was nun das spanische Englisch angeht, das versteht kein Mensch, während ich den Eindruck hatte, dass die nach zwei Tagen Barcelona langsam wieder an die Oberfläche steigenden Floskeln, die ich mir vor über dreißig Jahren in Südamerika angeeignet hatte (Huevos con arros), verstanden wurden.

Kurzes, vorgezogenes Fazit: Barcelona ist eine großartige Stadt.

Ich weiß nicht wie es ist, wenn man dort wohnt. Beim Kaffeetrinken etwa erfuhr ich von jemand, der am Plaza de Espana im Südosten der Stadt lebt, dass er für eine 2,5 Zimmer-Wohnung 700 Euro zahlt, für den Besucher aber, der von all dem nichts weiß und vor allem Fassaden bestaunt, ist die Stadt atemberaubend. Großzügig. Voller Visionen. Mutig. Stolz. Usw.

Gut. Man kommt also in eine Stadt, die man nur einmal vorher gesehen hat, vom Bahnhof, während eines Zwischenstopps auf dem Weg nach Genua, vor fast fünfunddreißig Jahren. Damals gab es die grandiose Moderne gerade dieses Viertels noch nicht, was es damals gab, weiß ich nicht, die Gaudi-Kirche, natürlich, an der wird schließlich schon seit über hundert Jahren gebaut.

Ich hatte den Eindruck, Herr Gaudi war ein hochgradig gestörter Mensch, sonst wäre er nie auf die Idee verfallen, zur Ehre Gottes eine derartig ausschweifende Kirche zu projektieren. Sie überrascht an jeder Ecke, sie wird, wenn sie denn im Jahr 2008 endlich als Gotteshaus geweiht und einer Gemeinde übergeben ist, ein weiterer Höhepunkt im Verehrungswahn eines in aller Welt verehrten Hirngespinsts sein.

Am nächsten kommt die Gaudi-Architektur vielleicht den indischen Hindu-Tempeln, wenngleich unser Hirngespinst natürlich nicht mit den Affengöttern dort zu vergleichen ist, woran Sie erkennen mögen, dass jedes, aber wirklich jedes Hirngespinst, und sei es noch so abstrus, verehrt werden darf, also keinen Hochmut bitte, sie Christ Sie.

Gaudi muss ein heißer Hecht gewesen sein, überall in der Stadt hat er bauen dürfen, einen Park hat er gestaltet, und auch dort ist kein Stein Stein geblieben, alles musste sich seiner Diktion unterwerfen, was mich auf den Gedanken gebracht hat, dass er nicht nur ausschweifende Fantasien hatte, sondern auch sehr herrisch gewesen sein muss. Es ist schön anzuschauen, man nennt es Jugendstil, aber ich rieche in allem den Surrealismus (der ja etwa zeitgleich modern wird), der mir überhaupt nicht gefällt.

Die Menschen stolpern herum und bestaunen diesen Gaudi-Wahn, es wird fotografiert, was das Zeug hält, im Park Güell zeichnen Kinder die bunten Mosaike, die vielleicht gar von Miro sind? Ich weiß es nicht, ich mag auch Miro nicht, in dessen Geburtshaus unser Hotel untergebracht war.

Hotel Rialto im gotischen Viertel. Mitten im Herzen der Altstadt. Drei Sterne.

Willkommen in der Mittelklasse, die sich morgens ab 7:30 in den Kellergewölben zum Frühstück trifft. Und wer dort (außer mir und Muse M.) alles herum stolziert. Frisch gewaschen, gefönt, in abenteuerlichsten Verkleidungen, guten oder schlechten Mutes, je nachdem, wie die Nacht verlaufen war.

Ich war einverstanden mit diesem Hotel, denn was wäre ich anders als Mittelklasse, demnächst, wenn meine Rente zur Diskussion steht, werde ich tief tief tief fallen, warum also sollte ich die Mittelklasse, die beschämend langweilig und zu keinerlei Vision fähig ist, nicht lieben?

Erstaunlich, dass ich diesmal nicht das geringste Reisefieber verspürte. Nicht, dass ich mich nicht gefreut hätte, nein, im Gegenteil, ich habe mich gefreut, seit ich die Reise im letzten November gebucht habe, aber das Reisefieber, das einem die letzte Nacht vorm Abflug vergällt, fehlte. Auch die todsichere Überzeugung, dies werde mein letzter Flug, da irgendwo auf dem Weg ein furchtbares Unglück uns den Garaus machen würde, fehlte.

Es war ein schöner Flug, dem ein einfacher Transfer mit dem Bus ins Zentrum der Stadt folgte, von dort nur ein kurzer Spaziergang über die Rambla, schon waren wir in unserem Hotel und wieder auf und davon, die Stadt zu erkunden.

Zum Hafen. Ins erste Café, die Sonne schon halbschräg über der Stadt, aber draußen.
Draußen sitzen, das ist natürlich nicht Mittelklasse, draußen sitzen ist Luxus, zumal am 5. März, und dann sitzen wir da, essen Sardinas, trinken, ein Akkordeonspieler schleimt sich an Muse M., dass der Speichel nur so trieft, aber er spielt gar nicht schlecht.

Um uns Niederländer. Wie wir am ersten Tag fast nur Niederländer sehen und hören. Der Niederländer, der ja eine ganz Weile von den Spaniern besetzt war, will sich vielleicht spät am Spanier rächen, ich weiß es nicht, jedenfalls trifft man ihn überall und er trinkt dann gern Sangria, die es tatsächlich gibt, nicht nur in Erzählungen, und er ist laut, fast so laut wie der Engländer.

Wir, die Deutschen, sind natürlich vornehm und zurückhaltend, nur einmal, wir wollen Karten für die Oper kaufen (Hans Werner Henze: Boulevard Solitude), verlieren wir unsere Contenance, denn die kosten fast 100 Euro das Stück. Das ist uns zu viel, wenngleich wir für Bob Dylan, den wir im April sehen, ohne Zögern siebzig gezahlt haben. Vielleicht war unser Geiz im Hinblick auf Karten für die Oper des Komponisten Henze aber auch eine glückliche Fügung, denn 12-Töner können einem hart zusetzen.

Wir gingen ins Café Opera auf der gegenüberliegenden Straßenseite, tranken Kaffee Solo und Brandy, aßen dies und das und beobachteten drinnen und draußen. Später kamen Orchestermusiker der Oper und taten das Gleiche.

Wir waren höflich und zuvorkommend, sprachen so viel Spanisch wie nur irgend möglich, und das wurde honoriert. In der U-Bahn, in Bussen, in der Tapa Bar am Plaza Reial, einem Platz keine fünf Minuten vom Hotel, erstaunlich unbevölkert, wenngleich die Rambla keine fünfzig Meter entfernt ist, ein Platz mit einem Brunnen in der Mitte, flankiert von haushohen Palmen, wunderschön, wo wir uns durch die Speisekarte essen und uns fragen, wieso zwei Drittel der Bedienung Chinesen sind.

Plaza Reial

Im Verlauf unseres Aufenhaltes wird eine Vermutung zur Gewissheit: Chinesen arbeiten gern in der Gastronomie, selbst wenn es sich um ur-spanische Gastronomie handelt, also Tapas-Restaurants, überall sind Chinesen und sie sprechen fließend Spanisch, nicht so wie der Chinese bei uns.

Der Pakistani und/oder Inder hingegen scheint den Handel mit Touristen Kitsch in Form von Fußball-T-Shirts etc. pp. zu dominieren. Wo der aus Südamerika zugewanderte, bronzefarbene Indio arbeitet, haben wir nicht herausfinden können, wahrscheinlich da, wo man ihn nicht sieht und wo der Spanier nicht freiwillig hingehen würde. Aber man sieht ihn hin und wieder im Stadtbild.

Man sieht auch den völlig aus jedem Rahmen gefallenen Afrikaner, der, nachdem er tagelang in einem Boot übers Meer der Hoffnung entgegen geschaukelt ist, jetzt gar nicht mehr weiß, was er hier soll. Erschreckend, so dass man ihm wünscht, er wäre besser im heimischen Elend geblieben als in diesem, das er nicht einmal versteht.

An unserem ersten Abend gondeln wir in einer Seilbahn übern Hafen, treffen im Park Monjuic auf eine Gruppe kiffender Jugendlicher, die uns ein wenig böse anschauen, grüßen die Welt mit Kolumbus, der auf einer Säule steht und seinen Arm hinaus in die weite Welt reckt, paradieren die Rambla, wo der Tierschützer leicht in Harnisch geraten könnte, wenn er sieht, was man dort alles verkauft - und falls nicht - über Nacht in verdunkelten, zusammenklappbaren Verkaufsständen verwahrt, wir durchstreifen die Gassen des gotischen Viertels, überall sind kleine und kleinste Geschäfte, und in einem entdecke ich ein Herrenhemd von solcher Eleganz, dass ich beschließe, es an einem der nächsten Tage näher anzusehen und vielleicht zu kaufen.

Zwei Tage später betrete ich das Hemdenfachgeschäft tatsächlich, ein Räucherstäbchen brennt, eine Frau mit gefärbtem Blondhaar (die Spanierin scheint gefärbtes Blondhaar zu lieben) in einem sehr schönen Strickkostüm fragt nach meinem Wunsch, ich nenne ihn, sie fragt nach meiner Größe, sie nimmt Maß, aus einem nach hinten liegenden Raum tritt ein bärtiger Mann und grüßt in Erwartung des abzuschließenen Geschäftes freundlich, ich schaue mir das Hemd an, sehe den Preis, sage, dass ich das nicht bezahlen könne und wie immer, wenn mein Sprachschatz nicht reicht, spreche ich Deutsch, schaue meinem Gegenüber jedoch in die Augen, spreche langsam und unterstütze meine Rede mit Mimik und Gestik, was meist verstanden wird.

Muse M. hatte längst zwei Paar Schuhe erstanden.

Der erste Abend im Zimmer 314 des Hotel Rialto bringt uns einen totalen Strom- und Wasserausfall. Der Stromausfall wird behoben, der Wasserausfall auch, aber der erst am nächsten Morgen. Das Leben hat kleine Tücken, und die machen, dass der ein oder andere aus der Deckung tritt und unsereins beobachten kann, wie er mit diesem und jenem droht.

Das Wunderbarste unseres Zimmers ist das Bidet. So eines hätte ich gern zuhause.

Das Eigentümlichste: als wir auf die Frage eines Kellners, wie groß unser Bier sein solle, pequenio sagten, erhielten wir das hier....

Sie trinken aus solchen Gläsern auch Wein, was sich die Puristen hierzulande hinter die Ohren schreiben sollten, die schon die Nase rümpfen, wenn man sich erdreistet, Wein aus - sagen wir - Wassergläsern zu trinken. Diese Deppen.

But now back to something completely different.

Das Abenteuerlichste unserer Reise nach Barcelona war, dass ich, als ich von Plüffs Tod erfuhr, beschloss, das Rauchen jetzt endgültig aufzugeben, nachdem ich schon einmal zehn Jahre nicht geraucht hatte. So ein Vorsatz ist für jemanden, der mit Muse M. reist, sehr sehr groß, denn sie raucht gern und wird das bis an ihr Lebensende tun. Aber ich hatte es mir vorgenommen, und so konnte ich weder nach überstandenem Flug, noch am Abend des ersten Tages, weder nach dem Frühstück des nächsten noch sonstwo eine Zigarette rauchen.

Erwachte jeden Tag stolz, dass ich nicht geraucht hatte, aber die Süchtigen unter ihnen werden wissen, dass das noch gar nichts bedeutet, schließlich habe ich schon einmal nach zehn Jahren Nichtrauchen wieder damit begonnen.

Wir haben die Stadt, die Altes und Neues vereint, das Alte in unserem Viertel, dem Barri Gotic, das Neue kreuz und quer verteilt an großzügigen Boulevards, zu Fuß erobert, vorbei an den kleinen Klitschen und den großen Namen, den Guccis, Armanis etc. pp., wir sind mit dem Touristenbus gefahren, was sehr zu empfehlen ist, wir haben die alten Männer beneidet, die Under the Boardwalk am Strand Barcelonas schon am Morgen beisammen saßen und Domino spielten, die in Parks boulten und für ihre Boule-Kugeln Bänder mit Magneten hatten, damit sie sich nicht bücken mussten, wir haben die schreienden Vögel in Bäumen gesehen, ein Mittelding zwischen Wellensittich und dem, was wir Papagei nennen, die Stadt lag uns zu Füßen, während ich Geburtstag hatte, weit fort war und froh darüber.

Das Gemeinste aber ist, dass ich nun zurück bin im grauen Westfalen und noch spüre, dass ich nur zwei Stunden fliegen müsste, um wieder dort zu sein und dass so ein Flug hin und zurück beschämend billig ist, billiger als eine Tankfüllung für mein Auto.

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