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Cuzco

Natürlich hatte ich diese Adresse. Schon seit Medellin hatte ich sie. Eine deutsche Jüdin, die nach Peru emigriert war und in Cuzco ein Hotel führte. Ein billiges Hotel. Nicht weit vom zentralen Platz, nicht weit von den berühmten aufeinandergeschichteten Steinen, von denen man sagt, niemand weiß, wie die Inkas das hingekriegt haben. Nicht eine Briefmarke passe zwischen sie.
Wie das Hotel heißt, weiß ich nicht mehr. Das Bolivar? - Ja, ich glaube, so hieß es.
Man geht eine von der Plaza wegführenden steilen, mit Kopfsteinen gepflasterten Gassen hügelan, wendet sich nach links, kommt an ein grünes Hoftor, öffnet es und geht hindurch. Links liegt ein flacher, langgestreckter Schuppen. Rechts das Haus, in dem die Deutsche wohnt, eine große, grauhaarige Frau. Sie spricht einen süddeutschen Akzent. Der Hof ist ungepflastert. In dem Schuppen reihen sich Zimmer aneinander. Möglich, dass es zehn sind, das weiß ich nicht mehr.
Aber ich weiß, dass ich froh war, nach 34stündiger Reise dort anzukommen. Und Hoffnungen hatte. Hoffnungen auf eine Erorberung. Und Pläne. Ich wollte nach Macchu Picchu. Ich würde zu Fuß dorthin gehen, den alten Inka-Pfad nehmen, so viel war klar.
Nur allein wollte ich das nicht tun, und im Augenblick war ich allein.
Von Bruno und John hatte ich mich in Lima getrennt. Die beiden wollten den Amazonas befahren. Ich nicht. Aber das ist nicht die Geschichte, die ich erzählen wollte.
Ich machte eine Erorberung, ja, aber nicht die, die es eigentlich hätte sein sollen. Eine Verlegenheitseroberung, aber das war mir egal. Als sie und ich nach vierzehn Tagen Cuzco verließen, stahl ich eine Bettdecke. Eine aus Lama-Wolle gewebte Decke mit gelb-grauem Grundton. Ich dachte mir nichts weiter dabei, ich steckte sie einfach in meinen Rucksack und ging.
Wir saßen schon im Zug, als ich sah, dass jemand vom Hotel ins Abteil kam. Er kam auf mich zu. Ich wusste, weshalb. Er sprach mit mir. Er machte das ganz ruhig und mir blieb nichts, als meinen Rucksack zu öffnen und ihm die Decke zurück zu geben.
Meine Eroberung (eine Holländerin) und ich fuhren dritter Klasse. Wir saßen also in einem bis zum äußersten besetzten Abteil und wurden vor aller Augen des Diebstahls entlarvt. Nie vorher und nie nachher habe ich mich so geschämt.

 

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