Januar 2013                                        www.hermann-mensing.de          

mensing literatur
 

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Di 1.01.13 15:21

heute wird das schwere leicht
schwebt, zerplatzt, wird unauffindbar
wird von mir an dich gereicht
denn du bist ja unverwundbar

dir kann niemand, du bist gott
mir kann jeder, du bist tot
dir droht allerdings die auferstehung
und verehrung bis zur wortverdrehung

mir hingegen lauert stille
und im winkel hinterm augenlicht
wütet schon mein letzter wille
wille will schon, oder will er nicht

ach, egal, ich bürste meinen hobel
weiß ja nicht, was da noch kommt
als galan getarnt und nobel
werde ich dezent besonnt

seh schon aus wie eine frikadelle
macht nichts, auch der papst kackt braun
schiebe eine meterhohe welle
vorsichtig an meinen gartenzaun

lasse drohnen steigen und gerät
das laut knallt und feinde brät
hebe hier und da den saum der schönen
frohes neues, ich lass mich verwöhnen


Mi 2.01.13 11:34

Das neue Jahr beginnt mit Korrekturen. Erstaunlich,was man sich so zusammen schreibt. Aber zum Glück gibt es ja Papier und Papier ist geduldig. Also weg damit und neues bedruckt, dann wird es schon werden.

14:25

Komm doch, du Napoleon Schnitte,
schneid mich mitten durch die Mitte,
lutsch mir Zucker von der Kruste,
lutsche mich ins Unbewusste,
erst, wenn nichts mehr übrig bleibt,
fühl ich mich befreit.


Do 3.01.13
10:21

Merkwürdiges Traumland, dieses Land. Ich war mit meinem kosovarischen Nachbarn auf dem Motorrad unterwegs. Glaube mich zu erinnern, dass es ein Fußballspiel gab, irgendwo. Mein Nachbar fuhr gegen jede Regel. Irgendwann erreichten wir einen Feldrand. Er redete, aufgeregt, fand ich, aber ich verstand ihn nicht. Er fuhr querfeldein. Wir kamen an eine Dorfstraße. Auf der einen Seite standen zwei Frauen. Eine war jung, eine alt. Sie hatten weite Röcke an, farbenfroh, Sinti oder Roma. Auf Tischen boten sie Dinge an, ich weiß aber nicht mehr, was für Dinge. Gegenüber standen Tische. Darauf lagen gelbrote, dicke Kirschen. Die junge Frau von Gegenüber bot ihre Brüste an. Sie hielt sie wie Pfirsiche zwischen den Händen. Die alte Frau lachte viel. Mehr weiß ich nicht. Geträumt irgendwann heute früh zwischen fünf und sechs.

15:03

Schlag mir Sahne aus der Mango,
komm schon, tu, als wäre Tango,
nimm die Gabel, steche zu,
und dann hat sie Seele Ruh.


Fr 4.01.13 10:14

Heute tu ich mir Gutes an. Ich werde spazieren gehen, ich werde den Tag vertrödeln, am Abend werde ich auf einer Session in A. Schlagzeug spielen, meinen Roman aber werde ich weiträumig meiden. Der Wille ist Meister, ohne Wille schreibt niemand auch nur eine Seite, und dieser Wille hat heute frei. Gestern hat der Wille getobt. Vorgestern auch. Ich bin bei fast 80 Seiten, ich bin zuversichtlich, aber heute bin ich erschöpft. So eine Willensleistung fährt ins System wie ein Schock. Ich komme schlecht in den Schlaf, und wenn ich schlafe, schlafe ich unruhig, und wenn ich erwache, ist mein erster Gedanke Roman. Warum tu ich mir so etwas an? Weil ich es kann, deshalb. Und weil ich es will.


So 6.01.13 12:12

Es war diesig. Es regnete fein. Nicht einmal Hunderbesitzer waren unterwegs. Der Sportplatz war ausgestorben, nur in der äußersten Ecke waren zwei Menschen. Ein Mann um die siebzig und eine Frau. Der Mann trug einen blauen Trainingsanzug und eine Basecap. Die Frau war wesentlich jünger. Sie hatte ein Maßband, das ausgerollt auf dem den rostroten, gewalzten Boden lag. Siebenmeterzwölf! rief sie. Der Mann sagte, er wolle es noch einmal probieren, hob eine Kugel in Position zwischen Kinn und rechter Schulter, suchte einen festen Stand, konzentrierte sich und stieß. Die Frau maß erneut. Der Stoß lag unter sieben Meter.

Traf meinen ältesten Enkel in der Stadt. Komm mal, Opa, ich muss dir was zeigen, sagte er. Ich folgte ihm zu einem Schaufenster. Darin standen Schaufensterpuppen. Sie hatten keine Köpfe, stattdessen mandarinengroße Metallkugeln. Die haben komische Köpfe, oder?, sagte er. Das sind Schaufensterpuppen, sagte ich. Dann sind die wahrscheinlich tot, sagte er.


Mo 7.01.13 14:12

Herr M. spricht die ersten 80 Seiten seines neuen Romans in sein Diktiergerät.
Er tut das in der Hoffnung, dass nicht alles Mist ist.
(Herr Dordrecht wollte glücklich sein)

16:29

Auf die Frage, ob der Text, den ich ihm vor einem halben Jahr zugesandt hätte, noch in der Röhre läge oder schon verbrannt sei, antwortete mein Verleger, um so etwas zu veröffentlichen, müsste ich schon Peter Handke heißen. Beschloss darauf, mich Handke zu nennen.

17:54

Herr M. hört, was er eingesprochen hat.
Natürlich ist Mist dabei, aber es ist nicht überwiegend Mist.
Das hatte Herr M. erwartet. Morgen wird er wieder schreiben.


Di 8.01.13 10:32

Nach 22 Uhr sollte niemand arbeiten, der mitten in einem Roman steckt. Aber Dummheit ist nun einmal nicht totzukriegen, und so machte ich mich gegen 22:30 auf den Weg, hatte das Diktiergerät in der Jackentasche und den Kopfhörer auf. Der Tag war, wie bisher fast alle Tage des neuen Jahres, dunkel und grau gewesen, kein Grund zu Stimmungsaufhellung, nun war es nur noch dunkel, ein wenig feucht war es auch, und der Mann, der da atemlos in meinem Kopfhörer Worte heraussprudelte, musste entweder verrückt sein oder ein Dichter.

Ich beschloss, dass er ein Dichter wäre. Um alles zu hören, was ich bisher eingesprochen hatte, hätte ich zwei Stunden spazieren gehen müssen, aber die längste denkbare Runde ums Dorf dauert eine dreiviertel Stunde. Ergo war ich unvollendet, als ich heimkehrte. Mir schwirrte der Kopf, Pro und Contra hatten Stellung bezogen, Kürzungen waren abgemacht und wieder verworfen, alles schwebte im Raum, so war an Schlaf nicht zu denken. Entsprechend fühle ich mich heute. Es ist immer noch grau, nirgendwo Anzeichen möglicher Sonneneinstrahlung. Um den Kopf ruhig zu stellen, werde ich bügeln. Danach stelle ich mich.

14:41

Herr M. geht in Klausur für heute.


Mi 9.01.13 17:09

Was soll man sagen: die Sonne fehlt. Wo man hin hört, allgemeine Wehklagen. Für mich stellt sich die Sache ein wenig anders dar. Mir fehlt sie zwar auch, aber bei dieser matten Dunkelheit lässt sich gut arbeiten. Wie sagt der Westfale: wat den enen sien Uhl, is den annern sien Nachtechall.


Do 10.01.12 10:43

Wie diese Figur heißt, die wir gestern tanzten, weiß ich nicht mehr. Im Grunde ist sie sehr simpel. Man hebt den rechten Arm der Dame, und dann weiß sie, dass sie sich drehen soll. So einfach ist das beim Tanzen, die Dame muss immer tun, was der Herr will. Damit Sie das nicht missverstehen, das ist nicht das wirkliche Leben, sondern nur eine Vereinbarung über die Choreographie.

Da die Dame jung und lebensfroh war, gern mit mir tanzt, und wir als Tänzer blendend zueinander passen, hatten wir bei einer vorangegangenen Doppeldrehung schon einmal darüber gescherzt, wie viele Drehungen wir wohl hinbringen würde. Wir müssten das ausprobieren, hatte ich gesagt. Vielleicht zwölf, hatte sie geantwortet.

Wieso gerade zwölf, weiß ich nicht mehr, aber dann spielte der DJ ein Stück in mittlerem Tempo, und da hob ich den Arm der Dame. Nicht, dass sie das Heben mit einem festen Griff assoziieren, nein, das geht sehr zart vor sich, im Grunde führe ich sie mit zwei Fingern, und dann drehte sie und drehte und ich dachte, jetzt schaffen wir zwölf. Nicht als olympische Disziplin, nein, zwölf Drehungen zur reinen Freude, zwölf Drehungen gegen das schlechte Wetter, zwölf Pirhouetten. Auf der folgenden Eins waren wir wieder da, wo wir begonnen hatten. Der Dame war ein klein wenig schwindlig, aber wir waren glücklich. So einfach ist das manchmal.

15:23

Schwarzwälder Kirsch

Im schwarzen Wald wurd' eine Torte
von vorn und hint' besahnt,
die Torte nahm es ohne Worte,
sie hatte es geahnt.


Fr 11.01.13
20:32

Mühsam hat sich das Eichhörnchen heute ernährt. Es konnte die Nüsse nicht wiederfinden, die es in den letzten Tagen versteckt hatte. Den ganzen Tag ist es herum gerannt, hat hier geschnüffelt und da gegraben. Zu guter Letzt hat es dann doch noch etwas gefunden. Man nennt so etwas: Romane schreiben.


Sa. 12.01.13
11:28

Im Augenblick ruht der Baum. Er hat Winterpause, seine Säfte steigen nirgendwohin, er wartet wie alle Kreaturen, denen nichts anderes übrig bleibt. Aber da alle wissen, dass es kommt, wie es kommt, können sie damit leben. Manchmal lamentieren sie, aber dann scheint für ein paar Stunden mal wieder die Sonne und alles ist gut.

Manche dieser Bäume aber haben zu ihrer Unterhaltung Gäste geladen. Abendgäste vornehmlich, die sich dort nach Sonnenuntergang einfinden, noch ein wenig schwatzen, um dann dicht beieinander hockend die Nacht zu verbringen.

Unter so einem Baum parkte ich gestern in Osnabrück, ohne zu wissen, dass dieser Baum einer ganz besonderen Spezies angehört, ein Toilettenbaum. Die Gäste, die dort innerhalb weniger Stunden ihre Geschäfte verrichteten, waren zahlreich, und groß müssen sie gewesen sein, sehr groß, ich tippe auf Tauben.

Als ich vom Tanzen im Haus der Jugend zu meinem Auto kam, war die Kühlerhaube großräumig zugeschissen. Und was das für Exkremente waren. Groß wie ein Schokoladentaler und größer, grüngrau in der Mitte mit krönendem weißen Ring.

Mit einem Tempo war ihnen nicht beizukommen, so dass mir nichts blieb, als die nächste Tankstelle an der Autobahn anzufahren, mir dort einen Eimer mit Wasser zu greifen und einen fürs Scheibenwischen hineingestellten Wischer, um die Sauerei zu beseitigen, denn aus Erfahrung weiß ich, dass derartige Hinterlassenschaften schnell eintrocknen und hart werden wie Stein, so dass man sie später nur noch mit größter Mühe entfernen kann. Mir taten die Nachfolgenden leid, die unter Umständen nur ihre Scheiben wischen wollten. Die würden sich wundern. Aber das bekäme ich nicht mehr mit, ich wäre da längst über alle Berge.


So 13.01.13
11:58

Voila. Es schneit. Mich schreckt es nicht, ich habe mein Tagwerk organisiert. Wäsche ist in der Maschine, die Pizza für heute abend ist vorbereitet, dazu Musik. Gestern habe ich mich bei Spotify Unlimited angemeldet, um meine Playlists ohne Werbung hören zu können. Damit schließt sich ein Kreis. Zu analogen Zeiten habe ich Mixtapes geschnitten, jetzt schneide ich Playlists. Sieben Stunden Jazz, zehn Stunden quer durch das Repertoire der Rockmusik und vier Stunden klassische Musik. Die letzten Tage habe ich mit Korrekturen verbracht, habe gekürzt, verdichtet, Motive herausgearbeit un deutlich verankert, Hinweise für spätere Wiederaufnahmen gegeben, kurzum, nach 80 Seiten bin ich jetzt an einem Punkt, an dem ich den Fortgang der Geschichte bis zum Ende vor Augen habe, und der werde ich mich in den nächsten Wochen widmen. Darauf freue ich mich sehr. Die abenteuerlich Idee und das bisher Geschriebene haben gehalten, was ich erhofft hatte. Es hätte auch anders ausgehen können.


Mo 14.01.13
18:54

Wie sehr die digitale Technik auf Dauer verblödet, stellte ich heute an mir fest. Ich war für eine Lesung in meiner Heimatstadt gebucht, wusste, in welchem Viertel die Schule liegt, programmierte aber dennoch mein Navi. Bei Hausnummer gab ich Straßenmitte ein, weil ich die Nummer nicht zu Hand hatte. Als ich am Zielort von der neuen B54 abbog, sagte das Navi, ich solle links statt rechts abbiegen. Ich bog nicht links ab, das wusste ich besser. Auf der alten B54 stadteinwärts sagte es wieder, ich solle links abbiegen, obwohl ich sicher war, dass die Schule rechts lag, dennoch kamen mir Zweifel. Es hätte ja sein können, dass die Schule ein neues Gebäude bezogen hat. Schließlich habe ich die Stadt vor 40 Jahren verlassen. Also fuhr ich die nächste Tankstelle an und fragte, wo die Schule sei, aber die Frau an der Kasse wusste es nicht. Ich setzte mich ins Auto. Keine zwanzig Meter hinter der Tankstelle war die Straße, die ich suchte, und keine hundertfünfzig Meter weiter die Schule.


Di 15.01.13
11:53

Gestern las ich aus: Der zehnte Mond.

Vor Jahren war ich einmal im Bergischen Land zu einer Lesung und stellte schnell fest, dass die Kinder gerade erst eingeschult und kaum in der Lage waren, mehr als einem Satz zuzuhören. In meiner Not fing ich an, den Roman szenisch mit ihnen darzustellen.

Das musste ich gestern auch tun. Es geht um einen Jungen, der in seinem Zimmer aus Playmobil ein Indianerlager gebaut hat. Die drei Kinder mit hochgereckten Armen sind das Tipi, am Boden hockt das Feuer, davor zwei Kinder, die das Feuer angezündet haben, während die Klasse pustend versucht, es zum Lodern zu bringen. Die beiden Mädchen links sind Pferde.

Dieses Aufstellen macht immer viel Spaß und danach fällt das Lesen leicht.




13:44

Leise rieselt den Schnee,
schön, aber nirgends ein Reh,
nirgends ein kräftiges Weib,
schade für'n Unterleib.

17:06

existenzielle frage 1 von unendlich

langsam kriecht das grau der nacht
über schnee und eis,
hab ich's heute gut gemacht
oder war's nur scheiß?

Mi 16.01.13


18:20 und die Welt liegt unter
zentimeterhohem Matsch,
Meister Mensing schreibt sich munter
durch den tiefsten Quatsch.



Do 17.01.13
11:59

ich werd ab heute etwas seltsam,
igle mich ein und meide das geschlecht,
ich weiß viel, ich bin manchmal einsam,
doch lieber das, als ungerecht.

das schlachtfeld überlasse ich jetzt andren,
ich hatte, und das neue hat nicht überzeugt,
ich habe zeit, zu mir zu wandern,
und tu das ungebeugt.

ich wundre mich, ich neide nicht,
ich schlafe gut, ich liebe nicht,
ich glaube nichts, ich bin verrückt,
nur eines nicht, nicht eingeknickt.


Fr 18.01.13
10:29

Rechner hochgefahren.
Datei geladen. Gleich der erste Satz.
Seite 90. Andiamo...


14:30

Herr Mensing ist gut heute, es flutscht....
Seite 94. Könnte bis 100 kommen, muss aber noch auf den Markt und dann sehen, dass es was zu Essen gibt.

17:14

Seite 96.
Feierabend für heute.
Vielleicht später noch Tanzen.

Markt fällt aus. Essen Fritten.


Sa 19.01.13
10:18

Die Frage lautet: gehen wir aus dem Haus? Brauchen wir 4 Frostgrade, um zu Verstand zu kommen? Wahrscheinlich nicht, aber da ein Frikassee geplant ist, und man die frischen Hühner nur auf dem Markt schießen kann, wird uns nichts anderes übrig bleiben. Es wird uns den Kopf frei pusten, denn wir haben Neuland betreten, das alte Land hat uns mit einem fröhlichen Hau ab! aus seinem Reichsgebiet vertrieben, daher gehen wir heute zum Teufel, da ist es warm und einsam, niemand kennt uns und wir sind niemandem Rechenschaft schuldig, da werden wir in aller Stille alt und schrumpelig, aber das schreckt uns nicht, wir sind voller Tatendrang, wir legen den Roman für vierundzwanzig Stunden beiseite und lassen ihn reifen. Also, andiamo, die Kleiderwahl steht noch aus, den nächsten Bus schaffen wir nicht mehr, aber den übernächsten bestimmt. Ja, bestimmt, und wir müssen ja los, denn unsere Brille wartet, die muss abgeholt werden, und in der nächsten Woche müssen wir tief ins Siegerland reisen, um dort zu lesen.


So 20.01.13 11:06

Der Himmel ist grau, ich werde nicht Schlittschuh laufen. Mit dem Wetter von gestern hätte ich meinen Urlaub um einen Tag verlängert, so nicht. Das Arbeitszimmer ist warm, der erste Schock verflogen und mir bleibt erst einmal nichts, als meiner Dummheit eine Kerze anzuzünden. Soviel Dummheit in einer Person ist erschreckend, aber Dummheit ist eine Sache, Verbundenheit mit der Vergangenheit eine andere und 36 Jahre sind 36 Jahre. Vernünftige Gründe für das Neue hat es viele gegeben, sehr viele. Aber ich war nie vernünftig und werde es auch nicht mehr. Und was für ein Schreck, als die beste Tänzerin des gestrigen abends zu mir sagte, ich heiße Martina, und du?


Mo 21.01.13 00:20

tief die nacht, ich bin zu dumm,
geh ins bett, der schnee ist stumm,
roll mich in mein warmes leben,
knapp vorbei ist auch daneben.


10:35

die b. version

tief die nacht, der mensch ist dumm,
geht ins bett, der schnee ist stumm,
rollt sich in sein kleines leben,
knapp vorbei ist auch daneben.

10:38

Als ich dieses Messer zum ersten Mal aus der Schublade einer Freundin zog, dachte ich, das ist ein Mordwerkzeug. Meine Messer sind behäbig, man kann mit ihnen schneiden, aber sie gleiten nicht, es sind Messer aus einem Messerblock mit vier Messern von Ikea, und die können natürlich nicht, was so ein elegantes Messer kann.

Es ist ein dreiviertel Jahr her, dass ich Mord dachte und erschrocken war, dass so ein simples Messer solche Gedanken befördert, aber wie man aus der Diskussion um den freien Waffenkauf in den USA weiß, tötet der ein oder andere ja tatsächlich. Ich wollte nicht töten, ich dachte immer nur Mord, wenn ich es in der Hand hielt, um etwas zu schneiden, und jetzt stecke ich mitten drin. Ich habe gemordet.

Vor hundert Seiten hat das begonnen. Da war es ganz einfach. Acht Wochen später, auf Seite 104 angekommen, wird es immer komplexer. Nichts dass Sie mich falsch verstehen: ich schreibe keinen Krimi. Ich beschreibe den Immobilienkaufmann Jakob Dordrecht, der zufällig mordet, ein paar Tage darauf seinen seit zwei Jahren fälligen Urlaub antritt, auf eine frühlingshafte Insel fliegt, und dort Dinge tut und erlebt, dass ich staune.

So etwas kann passieren, wenn man ein Messer in die Hand nimmt. Ich weiß, wie es ausgeht, aber ich weiß noch nicht, wie es dazu kommt, das weiß ich nicht, so wie auf Seite 1 nicht wusste, was auf Seite 2 steht. So schreibe ich meine Romane. Kleine Abenteuer, damit ich das Leben ertrage.

14:32

Der Preiselbeertorte fehlten die Preisel,
sie ging in den Baumarkt, sie kauft einen Meißel,
sie fuhr hinaus in ein Preiselbeerfeld,
und meißelt die Preiseln, das kostet die Welt!


21:23

Hier fällt selten Schnee, obwohl es in den letzten Jahren zugenommen hat. Aber dass ein Nachbar mit einer motorgetriebenen Schneefräse daherkommt, das ist neu. Er fräst die Gehwege frei, dass die Frauen beistert aus den Türen kommen und rufen, sie würden sich revanchieren.

Er lacht und tut so, als wäre das eine Selbstverständlichkeit. Er ist stolz wie Oskar auf seine Maschine. Außer ihm hat niemand so ein Gerät. Alle schrappen und schuffeln mit Schiebern, die, falls aus Weißblech, an den Ecken umknicken, falls aus Plastik, überhaupt nicht zu gebrauchen sind.

Ich überlege, ob er seinen Rasenmäher umgebaut hat, er ist gelernter Automechaniker, vielleicht kann man so etwas dann. Oder gibt es Rasenmäher, die man mit einem Aufsatz umrüsten kann? Auf jeden Fall haben ihn heute fünfzig Meter links und rechts der Straße alle geliebt. Bei uns war er nicht, wir wohnen zu weit weg. Bei uns räumt ein Räumdienst, für den wir eine Pauschale entrichten, aber bis jetzt war er noch nicht da. Davon abgesehen fanden der motorisierte Nachbar und ich, dass dieses Schneeräumen eigentlich dummes Zeug ist, auf Schnee kann man viel besser laufen als auf geräumten Wegen, die werden spiegelglatt, wenn die Nässe friert.


Di 22.01.13
9:49


feinstes wetter, hach, mein herz
wurde unter schnee begraben,
unbeschreiblich, dieser schmerz,
da die knochen eisfrei haben,
und nicht mal mein arsch sich traut,
wird es zeit, dass es bald taut.

20:38

wenn ich keine fragen frage
nachts nicht, tags nicht, untertage,
überhaupt und nirgendwo,
wär ich froh.

da ich nachts und tags jedoch,
himmelhoch, im tiefsten loch,
allerorten fragen stelle,
hilft nicht mal die hellste helle.

frauen nicht und kein verkehr,
leidenschaften auch nicht mehr,
und mit größter sicherheit,
macht die nächste sich bereit.

meister m., sind sie bescheuert,
ruft sie, während sie beschwört,
dass nur dem die welt gehört,
der bei lust und liebe heuert.

fazit also: letzte strophe,
jede neue katastrophe,
jede höchstselbt eingebrockt,
weil westfale und verstockt.

21:01

Gegen vier heute nachmittag schellte meine Telefon. Die Zahnarztpraxis von nebenan. Eine Sprechstundenhilfe sagte, Herr Mensing, an ihrem Auto brennt Licht. Sie kann das sehen, von den Praxisräumen schaut man auf die Garage.

Oh Mist! Ich hatte zwei Stunden vorher getankt und Öl nachgefüllt, denn ich muss morgen nach Siegen. Ich zog mir einen Mantel über, ging zur Garage, setzte mich ins Auto und startete. Nichts. Was nun? Batterieladegerät? Habe ich nicht. Also den Nachbarn aktivieren, mit Startkabel starten, eine halbe Stunde herumfahren, dass müsste reichen, die Batterie ist erst ein Jahr alt. Gerade habe den Wagen gestartet. Er läuft. Hoffen wir, dass er das morgen früh auch tut.


Mi 23.01.13
15:33

Nach Lesungen verbeuge ich mich. Da Kinder dieses Ritual nicht immer auf Anhieb verstehen, sage ich manchmal, was ich erwarte. Heute, im tiefsten Siegerland, sagte ich: was passiert, wenn sich ein älterer Herr nach seiner Lesung verbeugt. Ein blondes Mädchen meldete sich und sagte: seine Hose platzt.


Ein Junge sagte, dann kriegt er es mit dem Rücken. Das ließ ich nicht auf mir sitzen. Ich habe von Natur aus ein sehr geschmeidiges Rückgrat, ich kann mich vorbeugen und beide Handflächen auf den Boden legen, ohne die Knie zu beugen. Das machte ich vor und forderte drei, vier Kinder auf, es mir nachzutun. Nur eins schaffte es.

19:02

Heute kam eine Mail vom Verlag in Wien, der großes Interesse an Benni Bohnensack hat, ein Text, der über zwanzig Jahre alt ist. Man soll eben nichts wegwerfen. Angenommen, das würde ein Erfolg, ich hätte noch mindestens zehn solcher Texte. Ich habe überhaupt einen Arsch voller Texte. Also, Leute, kauft kauft.

Müde bin ich, hundemüde.

Ich war um 6 aufgestanden, ich hatte schlecht geschlafen, denn ich habe vor Lesungen immer noch Lampenfieber, zumal fürchtete ich die Reise wegen des Wetters ein wenig. Zerschlagen fädelte ich mich um sieben auf der A1 ein. Zum Glück war es nicht glatt. Die erste Stunde war ich in tiefer Düsternis unterwegs. Nichts als Rücklichter und gleißende Scheinwerfer auf der Gegenfahrbahn. Dann das langsame Tageserwachen. Grau über weißem Land. Sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückweg lief alles glatt. Die Lesungen haben Spaß gemacht, jetzt rolle ich mich auf mein Sofa, und später gehe ich Tanzen. Tanzen muss sein, auch wenn ich tot umfalle.

19:27

damals, als noch eier sprangen,
hab ich damit angefangen,
jeden sprung genau zu messen,
dann hab ich's vergessen.


Do 24.01.13 12:52

wie sie lag und beine spreizte,
nicht mit ihren reizen geizte,
und ich dachte, mann o mann,
da geh ich nicht ran.


15:06

Die Schule lag auf dem Berg. Die schmale Straßen hinauf an der Grenze zur Eisbahn. Ein weiß-blauer Plattenbau aus den späten sechzigern mit großen Buchstaben an der Front: A B C D. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Alle Türen im Innern abgechlossen, Folge der Amokläufe der letzten Jahre, sagte man mir. Deutschgründlich, dachte ich. Eine sehr lebendige Lesung vor Drittklässlern, eine eher reservierte vor Viertklässlern. Eine engagierte Bibliothekarin, die vier meiner Romane gekauft und der Schule geschenkt hatte. Ich signierte sie, trank noch einen Kaffee, aß auf der Raststätte Siegerland Ost schlechte Pommes und schwer verdauliche Krakauer, trank eine Cola und fuhr zuügig heim.

18:17

abendlied

hohe minne an der pinne
ist vergangenheit
doch wenn ich mich recht besinne,
kömmt doch heiterkeit.



Fr 25.01.13 12:05

Sammle schon seit Jahren Pickel,
mache daraus Pumpernickel,
und aus Popeln jeder Sorte,
backe ich die feinste Torte.


15:44

Es war einmal ein Limetten-Baiser,
dem taten die Limetten weh,
auch andere Teile schmerzten und kniffen,
da kauft' es sich einen Pickel zum Kiffen.


Sa 26.01.13 11:13

Der Preiselbeertorte fehlten die Preisel,
sie ging in den Baumarkt, sie kauft einen Meißel,
sie fuhr hinaus in ein Preiselbeerfeld,
und meißelt die Preiseln, das kostet die Welt!


So 27.01.13 18:09

Törtchen, komm, wir tanzen Tango,
abends schleck ich deine Mango,
und am nächsten Morgen dann,
fangen wir von vorne an.

23:06

Im Augenblick atemberaubender Stillstand.
Er reicht nur zu Vierzeilern. Der Roman bockt.


Di 29.01.13 10:28

komm doch, bitte,
schreib mir ein gedicht,
sag mir, dass ich dumm bin,
schau, ich leg dir alles hin,
sag's mir bitte nicht.

spürst du,

wie die worte fliehen,
schweige, schau mich an,
lass mich wieder dahin ziehen,
wo ich einst begann.

hilf mir,
hintersinn ist spröde,
was ich greifen kann, ist da,
dieser kopftanz ist so öde,
und so wunderbar.

weißt du
ich bin eine seele
ich komm nicht von hier,
weiß nicht, warum ich mich quäle,
bitte, glaube mir.

denn ich glaube mir ja auch nicht,
niemand hat mich je gefragt,
ich will auch nicht deine nachsicht,
ich will es gewagt.

tu nur eins nicht,
sag nie zukunft,
sag nie, morgen kann es sein,
lass mich nur auf übereinkunft
und nur heute auf dich ein.


Mi 30.01.13 15:26

Der Roman macht wieder Sinn, jetzt nur nichts übereilen.


Do 31.01.13 15:42

Bisschen Kunst, wenn's draußen schon regnet.
Heute früh auf dem Rundgang der Kunstakademie aufgenommen.


































 

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