Januar 2014                           www.hermann-mensing.de          

mensing literatur
 

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zum letzten eintrag


Mi 1.01. 14 13:56

Die Pläne lagen auf dem Tisch und die Frage lautete: welchen verwirkliche ich? Die Sofa-Option schied aus, blieb also die Fußvariante. In anderthalb Stunden würde ich mich der Stadt Schritt für Schritt nähern. Ich drehte einen Dreiblatt und verließ das Haus. Durchquerte das Viertel, passierte den kleinen Wald und hatte schon große Freude am Himmel, der weit war und nicht geizte mit Stimmung.

Fernes Leuchten der Stadt und der Dörfer ringsum, dann die Autobahn und die erste Erkenntnis des letzten Abends: die neue Schuhe drücken. Am Dingbänger Weg der Versuch, das Drücken durch Neujustierung der Socken, die ich zwischenzeitlich für das Zwicken verantwortlich machte, zu beseitigen. Beim Hinunterbeugen begann der Himmel ein wenig zu tanzen, beim Aufrichten drehte er sich, aber das war nicht schlimm, schön wie er war.

Durchs Aa-Tal die Wiesen und Felder ruhig liegen zu sehen, abzubiegen zum See, zu gehen, den Schmerz zu ignorieren versuchen, und vorm Wald dann die erste Bank. Ich setzte mich und zog Schuhe und Socken aus. Ich hatte entschieden, es ohne zu versuchen. Leider keine Besserung, sodass am See drei weiteren Pausen nötig wurden, und ich längst wusste, dass es nicht ohne Blasen ausgehen würde.

Von weitem die Belagerung der Nacht. Explosionen mit Echo, krachende Sterne, frohes Neues um zehn. Das Orgelkonzert in der Apostelkirche, zweite Erkenntnis des letzten Abends, würde ich nicht mehr schaffen. Schade, aber nicht mehr zu ändern. Also jetzt treiben. Schönes Licht unter der Tormin Brücke, es schwappt auf See und wirft Schatten, flutendes Adrenalin kurz vorher, weil ich Schatten gesehen hatte, die auf dem Weg auftauchten. Kräftige Menschen mit schwarzen Hoodies. Hi, sagte ich, als ich an ihnen vorbei ging und sie sagten auch Hi.

Unterm Heizstrahler an den Bootsstegen erneute Pause. Ich hatte mich auf einen Campari gefreut, aber draußen sei zu, sagte die Servicekraft, statt ein kleines Geschäft zu machen. Einlauf in die Stadt, vereinzelt Menschen, vor Kneipen Raucher. Ich war durstig und fand einen Platz an der Bar des Mocador. Im großen Spiegel beobachtete ich, was die Menschen hinter mir taten. Nichts Besonderes, bis auf das eine Paar, das sich offensichtlich nicht wohl in seiner Haut fühlte. Ich trank Campari. Auf den Treppen vorm Rathaus zog ich meine Socken wieder an und ging tanzen.

Später dann: zwei blutende Zehen am linken Fuß, zwei dicke Blasen an den Fersen. Schöner Abend.


21:58

Erste Erkenntnis des neuen Jahres: mein Auspuff ist kaputt.


Do 2.01.14 12:06

Das nächste Fest wirft seine Schatten voraus. Am 6. März wird Herr M. fünfundsechzig. Da lässt er natürlich eine Kapelle aufspielen und Feuerwerk wird in den Himmel steigen, ein Umzug durchs Dorf ist geplant, die schönsten Salsatänzerinnen werden im Bikini tanzen, Champagner, legale und illegale Drogen, feinste Esswaren und delikate Gespräche, das alles steht zur Verfügung hunderter, ach, was sage ich, tausender Gäste, Intellektuelle aus dem europäischen Ausland werden in allen bedeutenden Zeitung beweisen, dass hier ein Dichter völlig zu Unrecht nach wie vor ignoriert wird, aber man soll sich nicht täuschen lassen, 2014 wird das Jahr erschütternder Siege.

21:37

Wer hätte gedacht, dass es so schnell geht. Aber so ist das, und schön ist es außerdem. Wird ein schönes Jahr, denke ich also, dachte ich, als ich im Auto saß und aufs Gas trat, damit der Auspuff röhrt wie ein Hirsch. Einzelheiten dessen, wovon ich spreche, unterliegen noch einer Nachrichtensperre, damit es nicht zu internationalen Verwicklungen kommt.

Einer, der auf die 65 zugeht, denkt, das hätte er nie gedacht, nie hatte er auch nur eine vage Vorstellung von dem, was immerzu Zukunft heißt, jeden Tag war er aufs Neue erfreut und geschockt, und so ist das auch heute mit diesem Ereignis, das sich überall auf der Welt untunterbrochen ereignet, und trotzdem jedem Beteiligten das Wunder der Welt vor Augen führt. Man kann von Glück reden.


Fr 3.01.14 10:36

Seewind schleicht ums Haus, Regen ist unterwegs, das Moos auf dem Garagendach meines Nachbarn leuchtet hellgrün. Obwohl der Winter noch nicht begonnen hat, wächst meine Sehnsucht nach Frühling. Und noch etwas zerrt. Ich habe einen Hut gesehen, letztens, als ich mir Schuhe kaufte. Im Sommer in Hamburg hatte ich schon einmal einen gesehen. So ein Hut ist etwas Besonderes, den kann man nicht einfach kaufen wie irgendetwas, der muss sitzen, beim ersten Aufsetzen muss der aussehen, als wäre er schon immer da oben gewesen, so einen Hut hatte ich in Hamburg gesehen und schweren Herzens nicht gekauft, weil die Lage am Finanzmark prekär war, aber diesen Hut, ein Stetson, werde ich mir kaufen. Ein paar Derivate in den Markt schleusen, schon fließt Bares, und dann in die Stadt, ins Paradies des monetären Glücks, wo alles käuflich ist. 2014 will, dass ich in Vorleistung trete.

17:46




21:03

Das erste Gewitter des Jahres.
Da hatte ich schon gedacht, aha, Wind, Blitz, Hagel, endlich jüngstes Gericht, und dann sowas, dreimal Bumm und vorbei.


Sa 4.01.13
10:47

Auch heute früh keine Nachricht, aber das ist nicht schlimm, ich warte erst seit 40 Jahren, und man weiß ja, dass das Warten einer der erstrebenswertesten Zustände ist. Tag für Tag bin ich in einem Zustand, den Fußballtrainer gern in ihre Spieler implantieren würden. Mehr Gier, propagieren sie, denn nur mit Gier kann man auf Dauer erfolgreich sein. Seit vierzig Jahren habe ich diesen Siegeswillen, diesen brutalen Charme, mit dem ich mir Leser unterwerfe. Das muss mir erst einmal jemand nachmachen. Vierzig Jahre, das hält sonst kein Schwein aus, aber da die gezahlten Gagen, deren Höhe ich lieber verschweige, da dieses Land unter Neid leidet, regelmäßig auf meinen dem Fiskus vorenthaltenen Konten in Offshore-Banken landen, kann ich nicht klagen. Zugegeben, schon zu Leibzeiten eine Legende zu sein, ist nicht einfach, aber ich habe gute Freunde, die sich nie melden und Frauen rennen mir die Tür ein. Alles ist wunderbar, und mit dem neuen Hut wird es noch besser.

15:35

wir haben genügend welt,
und die bürger haben wir auch,
wir haben die köpfe,
wir haben die schönen gedanken
und besitzen allerlei unsinn,
von dem wir uns gerne trennten,
wäre wir halbwegs bei sinnen.


So 5.01.14 21:43

Heute bei der Kunst.


Mo 6.01.14 17:28

Große Depression. Der Auspuff meines PKW kann nicht mehr geschweißt werden, man müsste Teile ersetzen. Diese Investition lohnt nicht, der TÜV läuft im Juni dieses Jahres ab und mein Experte senkt den Daumen für die nächsten zwei Jahre. Ohne PKW käme mein Kerngeschäft zum Erliegen, denn mit öffentlichen Verkehrsmitteln sind die meisten meiner Leseorte nicht erreichbar. Ich werde mich wohl erhängen.

23:22

Schaue aus Verzweiflung einen der sinnlosesten Filme, den ich je gesehen habe. Tom Cruise und Cameron Diaz in "Knight and Day."


Di 7.01.13
9:20

Das Kind kann nicht mehr laufen, sagt es. Da jeder Mensch ab einem bestimmten Zeitpunkt laufen kann, geht es, wenn das Kind so etwas sagt, letztlich um eine Machtfrage. Der Opa, der mit dem Kind von A nach B unterwegs ist, will, dass es läuft, weil er einen anderen Zeitbegriff hat. Das Kind nörgelt, also nimmt der Opa es auf den Arm, was ein Fehler ist. Ein Fehler in jeder Hinsicht, vor allem aber ein Fehler für seine fragile, schon etwas ältere Statik. Das Kind hat längst vergessen, dass es nicht laufen wollte, der Opa aber kommt kaum vom Stuhl hoch, so hat er sich das Kreuz mal wieder verrissen.


12:48

Manchmal vergriff sich Herr M. im Ton, was dazu führte, dass er vor Lachen kaum noch geradeaus schauen konnte. Als es mal wieder so weit war, setzte er eine Brille auf, die er von seinem Vater geerbt hatte, der mit ihm immer Hunder-Meter-Doof-Gucken gespielt hatte. Die Brille funktionierte gut. Diese andere Brille, durch die man Frauen nackt sehen konnte, hatte er leider verlegt. Die hatte er aber nicht von seinem Vater, sondern von Rudi H. auf der Eper Straße.

21:43

Manchmal scheißt Herr M. rote Rosen, aber heute ... nicht eine.


22:42

Manchmal wurde Herr M. geradezu übermütig.

to do list

1. learn to fly
2. fly away



Mi 8.01.14 10:58

Manchmal haut Herr M. richtig zu. Dann macht er ein finsteres Gesicht, legt mir rechts aus und mit links nach, dann fallen die anderen Schreiber um und sagen nichts mehr. Das macht Spaß, ist aber sehr anstrengend. Deshalb bevorzugt Herr M. das bilaterale Gespräch bis tief in Nacht inklusive Verkostung legaler und illegaler Substanzen. Davon fallen auch viele um.


Do 9.01.14 18:51

Formulieren wir es mal ganz vorsichtig. Mitten im Geschwätz, der Roman, an dem ich seit letzten Sommer gearbeitet habe, ist fertig. Es ist die Geschichte des Komikers Karl Kröger, der beim Skifahren in eine Lawine gerät und von Rettung träumt, als eine Pistenwalze auftaucht. Aber die Sache hat einen Haken. Der Pistenwalzenfahrer übersieht ihn und Kröger landet in der Klinik. Ob er tot ist, weiß er nicht. Er ist an einem Ort, an dem er sich seinen Geschichten stellt. Reales, Ersponnenes, Dramatisches, Liebe und Tod, und natürlich seine berühmtesten Auftritte, das alles und noch viel mehr habe ich mir ausgedacht, um mich zu unterhalten.


Fr 10.01.14 16:45

Jedes Mal ist man sprachlos über dieses Wunder.
Mein dritter Enkel Levi. Ich wünsche ihm alles Glück dieser Welt.



Sa 11.01.14 13:38

Mein Doktor hätte wissen können, dass ich für die Rückenschule zu faul bin, er hätte mir beim letzten Hexenschuss einen Stützgürtel verschreiben müssen, aber von so etwas hat er nie geredet, und dann fährt er auch noch in Urlaub, wenn ich ihn brauche. Noch vor drei Tagen blieb ich beim Aufstehen auf halber Höhe wie ein Fragezeichen hängen. Oft setzte ich mich wieder, weil der Schmerz zu heftig war und ich zudem verkrampfte. Stand ich schließlich, war Gehen möglich. Weniger mühsam wurde es, wenn ich mit beiden Händen den Rücken in Nierenhöhe abstützte. Das brachte mich auf die Idee. Mein Nachbar fährt Motorrad. Ich fragte ihn, ob er mir seinen Nierengurt ausleihen könne. Kein Problem, sagte er. Seitdem hat sich mein Rücken stabilisiert. Zwei drei Tage noch, und ich hüpfe wieder herum wie ein Reh.

19:06

Eine saß neben mir, die andere stand am Ende der Bank. Sie hatte aber darum gebeten, ihre Tasche auf der Bank abstellen zu dürfen. Beide warteten auf den Bus. Beide waren auf dem Markt gewesen. Sie kamen ins Gespräch. Wo man herkäme, wo man wohne. Dass sie oft in die Stadt gehe, sagte die eine, und dass sie jetzt eine Pause mache. Dass man raus müsse, die andere. Nicht den ganzen Tag fernsehen könne. Die eine sagte, sie splitte Einkäufe, um häufiger unter Leute zu kommen, und dass sie bei Karstadt die Kasse nur mühsam fände, ärgere sie. Man müsse ja, müsse ja, sagte die andere, das würde ja schlechter, da müsse man sich drauf einstellen, irgendwann käme man doch nicht um Hilfe herum. Ja, ja, ja, man muss damit leben, sagte die neben mir, aber ich glaube, das erlebe ich nicht mehr. Und dann sagten sie sich, wann sie geboren wären. Die Stehende 1924, die Sitzende 1916. Da sind Sie ja bald Hundert, sagte ich. Noch nicht, sagte sie stolz.


So 12.01.14 15:59

Welches Auto nun kaufen? Darum dreht sich alles in den letzten Tagen. Freitagnachmittag sah ich einen Peugeot 306 Kombi, der mir gefiel. Er stand auf einem Autohof nicht weit von hier, also fuhr ich dorthin, schaute ihn mir an, fragte, ob ich damit zu einem Freund fahren könne, der sich auf Autos versteht, und natürlich ging das. Das Auto fuhr sich gut. Ich fühlte mich sicher, ich fuhr auf den Hof des Freundes, der ging um den Wagen, schaute unter die Motorhaube, schaute unter den Wagen, sagte, vergiss es, und erklärte mir, was alles kaputt sei und repariert werden müsse, und dass der Preis schon gar nicht stimme. Gerade besuchte ich meine kosovarischen Nachbarn und erzählte von diesem Auto und diesem Händler. Ein Libanese, sagte mein Nachbar, ich kenne den, du musst nicht bei Ausländern kaufen. Die lügen.


Mo 13.01.14 16:38

Die Autofrage ist gelöst. Heute früh ging plötzlich alles sehr schnell. Ich hatte eine FB Nachricht. M. sagte, sie habe einen 180 C Benz, ein Schätzchen, aber leider, es müsse weg, sie wolle aber nicht, dass es in den Libanon abgeschoben werde, oder schlimmer noch, auf den Schrott, und da habe sie an mich gedacht. Wir kennen uns seit dreißig Jahren, haben uns aber in den letzten zwanzig nur einmal gesehen, auf Rogers Beerdigung vorletztes Jahr. Ich sagte, ich komme, schwang mich aufs Rad und fuhr zu ihr. Unterwegs noch die Nachricht, dass der Kaffeemillionär ein Bild aus meiner Sammlung kauft, die Finanzierung ist also mehr als gesichert. Ich nahm ersten Kontakt zu dem Auto auf, ein Kombi, ich setzte mich rein und fuhr zu Meister U. Der war durchweg zufrieden. Mach es, sagte er. Das Auto hat TÜV bis April 2015, und das, was zu machen ist, neue Kerzen, Ölwechsel, Türschloss, machen wir peu a peu. Morgen wird der alte ab- und der neue angemeldet. Hach. Ich bin jetzt Mercedes Fahrer. Dass ich das noch erleben darf. Und das alles für 500 Euro. Das Leben kann manchmal schön und gerecht sein.

 

Di 14.01.14 18:22

gedicht für die apotheken umschau

gürtelrosen leuchten im garten,
nierensteine und herzklappenkraut,
karzinome von allen arten
arterien, bleich unter winterhaut.

athrosen und bandscheibenvorfall im moos,
schizophrenes mit galle gebraut,

kumulitrunkene, herzzeitlos
gern auch triebe aus lauerkraut.

semiramis garten, ödipale rasur,
bauchspeichelgranaten und fisten,
das alles blüht den sinapsen in dur,
und allen, die darin nisten.


Mi 15.01.14 15:00

Man muss ständig lernen, dann öffnen sich Türen, aber die Türen meines Benz sind noch ein wenig tricky. Mal funktioniert die Infrarotfernbedienung, dann wieder nicht. Ich glaube aber zu wissen, woran es liegt, der Verschluss ist ein wenig locker, wenn ich daran drücke, funktioniert's. Ansonsten habe ich meiner Schwiegertochter heute eine Polynesia Wellness Behandlung geschenkt. Die ist sehr angenehm, ich selbst habe mal zwei Stunden da gelegen, mich salzen und ölen lassen, und was es sonst noch so gab. Meinen Enkel Levi habe ich bei dieser Gelegenheit zum zweiten Mal gesehen und ein wenig herumgetragen, bis er schlief. Ich habe eben gelernt, wie so etwas geht, und jetzt weiß ich das.

19:41

unwörter der jahre 1991-2013

betriebsratsverseucht (2009)
hockt das tätervolk (2003),
isst peanuts (1994), leidet an rentnerschwemme (1996),
zahlt opfer-abos (2012), kauft wohlstandsmüll (1997)
investiert in humankapital (2004), kassiert herdprämien (2007),
ist nicht ausländerfrei (1991) und alternativlos (2010),
liebt sozialtourismus (2013), befördert freiwillige ausreise (2006)
den notleidenden Banken (2008) vergibt es den kollateralschaden (1999),
der ethnische säuberung (1992) und döner-morde (2011) mit sich bringt,
vor überfremdung (1993) durch sozialverträgliches frühableben (1998) geschützt,
lanciert es kluge diätenanpassung (1995)
und steigert seine entlassungsproduktivität (2005)
zu ehren der Ich AG (2002) und der gotteskrieger (2001)


Do 16.01.13
15:30

Ein neues Automobil, ein Anachronismus, aber leider geil, hat viele Knöpfe. Ich drehe häufig daran, um rauszukriegen, was geschieht, deshalb kann ich von Glück reden, dass ich gestern beim Missachten der Vorfahrt nicht mit Schwung in die Seite eines anderen PKW gekracht bin. Ein Meter fehlte.
Ansonsten überschreite ich keine Höchstgeschwindigkeiten, und versuche mein Bestes, auf der Straße zu bleiben. Das Auto ist behäbiger als mein voriges, es liegt breit und ruhig auf der Straße, so dass sehr entspanntes Fahren möglich ist, was mir entgegenkommt.

Es steckt irgendwie Schwung in diesem neuen Jahr, ein neuer Enkel, erst gestern wieder für eine Lesung gebucht, der Verkauf eines Bildes aus meiner Sammlung, das Auto, heute eine Einladung vom Literarischen Colloqium Berlin zur einer Arbeit über meine Lieblingsorte in Westfalen, eine Literatour sozusagen, die ich zusammen mit einem Fotografen unternehmen werde. Zehn Seiten sind gefragt, ich darf schreiben, was mir gefällt, und wenn der Text fertig ist, werde ich ihn einem Studio einlesen. Das Gesamtergebnis erscheint im Herbst dieses Jahrer auf Literaturport.de


Fr 17.01.14
17:50

Die Wohnung ist ruhig, halbwegs aufgeräumt, ich bin allein. Das ist meine Zukunft - nichts Außergewöhnliches, nur neu. Bald wird niemand mehr da sein, der mir aus dem Leben erzählt. Ich werde mich öffnen und nach der Decke strecken. Dabei halten sich Freude und Schreck die Waage. Alleinsein und die Aussicht auf Neues. Ich erwarte eine Ewigkeit ohne Echo und Nachhall und eine Zukunft voller Getöse. Sie sagen, Älterwerden sei nichts für Feiglinge. Ich bin vorsichtig, aber kein Feigling. Ich will alt werden und leben, so gut es geht. Im Augenblick aber, nach diesem Roman, will ich faul sein. So faul, dass mir nichts als die Glotze bleibt. So faul, dass man mir Essen bringt, selber mach ich mir keines. So faul und noch viel fauler möchte ich sein, und dann möchte es auch noch genießen.

20:36

Meister U. kannte einen Trick, eine Infrarotfernbedienung auf ihre Tauglichkeit zu testen. Er hielt sie vor die Linse seiner Digicam. Im Display hätte er das Signal sehen können, aber es gab nichts zu sehen. Dann testete er die Batterien. Eine war leer. Ich kaufte neue. Die Infrarotfernbedienung funktionierte. Dann funktionierte sie wieder nicht und so weiter und so fort.

Heute entschloss ich mich, zu Mercedes Benz zu fahren. Ortsausgang, große weite Halle voll glänzender Automobile. Haarsträubend gefährliche, weil leicht zu übersehende Stufen quer durch den Raum, eine junge blonde Frau, die auf mich zukommt und nach meinen Wünschen fragt. Ah, sagt sie, Reparatur ganz hinten links.

Ich schildere einem jungen Mann das Problem. Er öffnet die Fernbedienung, er findet, dass alles richtig sei, und die Fernbedienung offenbar kaputt. Eine neue, sagt er, koste 230 Euro. Ich aber weiß aus sicherer Quelle, dass eine Infrarotfernbedienung, nicht mehr, als ein von einem Plastikgehäuse umschlossener Chip mit ein wenig Elektrik, im Einkauf etwa fünfzehn Euro kostet. Dann muss man nur noch das entsprechende Programm aufspielen, den Code also, mit dem sich das Auto entriegeln lässt. Das geht in Blitzesschnelle. Und dafür dann 230? Sie müssen mich für dumm halten. Er schaut beunruhigt. Ich verabschiede mich. Zuhause nehme ich die Fernbedienung auseinander, justiere die Kontakte neu, jetzt funktionieren sie wieder. Wenn sie morgen nicht mehr funktionieren, nehme ich wieder den klassischen Schlüssel.


Sa 18.01.14 10:24

Wenn ich demnächst allein bin, werde ich Dinge entsorgen, die schon seit Jahr und Tag hier und da liegen, schließlich lebe ich seit vierzig Jahren auf diesen 93 Quadratmetern, da bleibt einiges liegen. Weg damit, ohne noch einmal hinzuschauen, auf den Müll, zu Oxfam, wohin auch immer, Hauptsache weg.

Da aber das Jahr 2014 mein Jahr werden soll, fliegt meine Hoffnung höher als je zuvor. Ich werde, hoffe ich, meine Romane losschlagen, ich werde, hoffe ich, diese Wohnung weiterhin zahlen können, wenn aber nicht, werde ich mich umschauen müssen nach bezahlbarem Wohnraum. Aber wie gesagt, die Hoffnung fliegt, und es gibt einige Anzeichen, die mich bestätigen. Das Literarische Colloquium Berlin ist eine sehr gute Adresse, damit kann ich prollen, kann sagen, hört mal, ich und Berlin, und dann kann ich ja auch noch sagen, ich und New York, denn da sitzen Germanisten gerade an einem meiner Texte und transponieren ihn.

Heute aber ist erst einmal Samstag, die Infrarotfernbedienung funktioniert, der Himmel streckt sich in flachem Taubenblau, es ist frisch aber nicht kalt, ein Hund bellt, meine Katze schläft, Kaffee hat das System längst geflutet, die Winterlinge in Gs. Garten blühen, alle warten gespannt, ob der Winter noch kommt (ich glaube, er kommt noch), und was ich als nächstes schreibe, steht in den Sternen. Dächte ich ökonomisch, müsste ein Hörspiel her. Aber ich denke so gut wie nie, ich mache nur. Und während ich mache, hoffe ich, dass es jemand bemerkt. Dreamer, you stupid little dreamer.


So 19.01.14 18:04

Lege mich gemütlich mit Zettels Traum aufs Sofa und lasse den Sonntag ausklingen.


Mo 20.01.14 10:36

Der Hund war so groß wie eine Schuhschachtel, die Herrin wie eine Bohnenstange. Sie war Mitte 30, trug einen schwarzen, gesteppten Mantel und eine elegante Sonnenbrille. Vielleicht wollte sie inkognito sein, denn der kleine Hund hatte sich gerade ein Eckchen gesucht, um sein Geschäft zu erledigen.

Es war kurz vor acht, verhangen und grau, und ich versuchte mir vorzustellen, wie ihr Tag weitergeht. Setzte sie den kleinen Hund zuhause in ein Körbchen und verließ das Haus, um in einem Büro Wichtiges zu erledigen, oder gab es nichts zu erledigen, kein Kind, kein Büro, nur der lange Tag und das Warten auf einen Mann, der irgendwann wiederkäme und Essen verlangte und seine Ruhe? Oder gar nichts von allem?

Wer weiß. Ich selbst habe lange Tage, und wenn es mir gelingt, ihnen eine Struktur zu verleihen, habe ich etwas geleistet. Ich leiste ja ohne Anweisung, ich erfinde mich jeden Tag, und wenn auch nicht jeder Tag Neues bringt, ist das doch anstrengend genug. Ich schaute den beiden ein wenig nach und tauchte dann in den Trubel des Dorfes.

Die kleine, Kette rauchende dicke Frau mit Rollator, Herzfehler und einem missgelaunten Yorkshire Terrier saß wie jeden Morgen beim Bäcker. Sie hatte wie immer ein kleines Kissen dabei, auf dem der Hund sitzen darf, bestellte Kaffee und redete mit der Bedienung und ihrem Hund. Manchmal weiß man nicht, mit wem sie gerade redet.

Um die Kirche strichen alte Männer, der Iraner sortierte Gemüse in seinem Laden, die Fleischfachverkäuferin lachte eine Kundin an, alle wussten, dass Montag ist, aber was dieser Tag bringt, wussten sie nicht. Es wird kälter, sagte meine alte Nachbarin, die ich vor ihrer Haustür traf. Seit vier Wochen wohnt sie jetzt in einer betreuten Altenwohnung, ich hatte sie besuchen wollen. Ob sie schon wisse, dass Herr X. tot sei, fragte ich. Ja, sagte sie, und der hatte doch nie was. Ja, ja, sagte ich, ich sah ihn letzte Woche noch auf dem Rad. Herzinfarkt wohl, sagte sie, sie haben ihn wiederbelebt, aber da war es zu spät. Er war Polizist. Sein sandfarbener Polizeipullover mit dem Landeswappen hängt noch immer an der Garderobe, dreizehn Jahre sind seit seiner Pensionierung vergangen. Ich hatte vorgestern kondoliert, hatte die Hand der Witwe gehalten, ach, Sie wissen ja selbst, wie das ist, hatte sie gesagt, und ich hatte geantwortet, ja, das weiß ich, irgendwann trifft es jeden.

Und immer steht die Frage im Raum, wer der nächste ist. Auch Dreißigjährige können tot umfallen, und Hunderjährige sehr lebendig sein, da gibt es kein Muster, nur Schicksal.

Was ist demnach das beste Rezept
für ein Erdenleben überhaupt, oben wie unten? : "Aufs Dorf ziehen. Doof sein. Rammeln. Maul halten. Kirche gehen. Wenn 'n großer Mann in der Nähe auftaucht, in 'n Stall verschwinden: dahin kommt er kaum nach! Gegen Schreibe und Leseunterricht stimmen, für die Wiederaufrüstung; Atombomben!" (Arno Schmidt: Tina oder über die Unsterblichkeit - Ausgewählte Erzählungen, Fischer Taschenbuch 1998)

12:11

Sie haben zwei Kinder, die längst außer Haus sind, sie haben Eigentum und gehen sich aus dem Weg. Sie haben ein Haus am Fluss, da ist er normalerweise, sie haben eine Stadtwohnung, dort ist sie, aber wenn sie nicht dort ist, ist er dort und ficht einen absurden Streit mit einer fetten Nachbarin aus, die dort ebenso lange lebt wie sie und er. Diese Nachbarin ist ganz und gar allein, sie steckt ihre Nase in alles, sie trifft Entscheidungen, die nur die Besitzer gemeinsam treffen könnten, und das macht ihn wild. Wenn er sich also in der Stadtwohnung aufhält, hat er Vergnügen daran, direkt über ihrer Wohnung herumzustampfen. Er steht auf der Stelle und stampft. Man hört es noch zwei Stockwerke tiefer. Irgendwann wird er dabei tot umfallen.

16:02

Ein Vorwiderstand des Heizungsgebläses hat sich verabschiedet. Zwei, drei Tage, dann ist das Ersatzteil bestellt und eingebaut, sehr teuer wird's nicht, aber bis dahin ist es frisch im Wagen. Es ist eben ein altes Auto und ich wusste, dass noch so dies und das repariert werden muss.

18:51

Meister U. hatte alle Sicherungen geprüft und festgestellt, dass Strom floss, das Gebläse aber dennoch nicht ansprang. Die Vorbesitzerin meines Autos hatte einem libanesischen Schrauber vertraut, zu dem fuhr ich, und der stellte die Diagnose. Als ich in seine Werkstatt kam, arbeitete er an Bremsen für einen Opel Astra. Er hatte sie auseinandergenommen und war dabei, alle Teile auf einer kleinen Werkbank zu sortieren. Ich erzählte Meister U. davon. Meister U. tut so etwas nicht, er weiß, welche Teile wohin gehören, er hat das im Kopf, er hat eine Vorstellung von der Maschine, und belächelt Schrauber, die alles der Reihe nach sortieren müssen, um es wieder zusammensetzen zu können. Einem Freund, der nach dieser Methode arbeitet, habe er einmal Schrauben vertauscht, um dessen Verwirrung zu sehen. Die sei groß gewesen, und alle außer ihm hätten herzlich gelacht.


Di 21.01.14
12:30

Tagebuch 9.Januar 1985.
Unser Sohn Jan schwärmt von Vulkanen.
Wir hatten Tove Janson gelesen und ihm einen National Geographic über Vulkane gegeben.

Hier ist der große Rauch. Und hier ist die große Rauchwolke und da ist der richtige Rauch. Da ist der richtige Rauch und da ist die große Rauchwolke Und der hat auch richtigen Rauch, hat der auch. Und hier, in einem Staub, aus einem Stein kommt ja tatsächlich Staub raus. Ja. im Stein, in dem Stein hat der Vulkan - der große Vulkan - überall Staub rein geworfen von dem. Siehste. Hier purzeln die alle auf den Bora Berg runter. Siehste. Die purzeln alle auf einem Feuerberg rum. Die purzeln alle auf einem Feuerberg rum, siehste, da sind die ganz Steine auf'm Feuerberg. Und die kugeln da rum, die kugeln da wieder in die Löcher rein. Bumm bumm bumm bumm. Und dann sind 'se alle auf'm Vulkanberg weg. Dann sind 'se alle da drin. Die kugeln neue da drauf und dann wieder Bumm. Mal hören?

17:25

Für seine Ballade "Hügelan stürmten Horden in hochroten Hosen" erhielt der chinesisch/westfälische Heimatdichter H. M. Sing gestern den "Gelben Engel" vom ADAC. Wir gratulieren.

17:40

Romananfänge (18)

Ein Paar im Streit. Man verfolgt sich durch die Zimmer der Wohnung. Er immer knapp hinter ihr. Sie schlägt Türen. Er verliert (abgeklemmt) nach und nach Finger, linke Hand, Penis. Dann küssen sie sich. Geigen. Sie heiraten, und als sie im Licht vorm Altar stehen, bringt der Priester Finger mit Ring, linke Hand und Penis. Kinder im Weiß vorm Portal werfen Reis und Büstenhalter.


Mi 22.01.14 14:37

Und jetzt also dieser Brief mit der Nominierung.
Sehr geehrter Herr Mensing undsoweiter ...
wollen Sie mitmachen? Frau A. Frau B. Triple AAA Literaturhaus im dicken B.

Will ich mitmachen?
Klein Hermann, hast du gehört? Willst du? 'Türlich, 'türlich.

Ich ließ ein paar Tage vergehen, eh ich antwortete, damit sie nicht bemerkten, wie notgeil ich bin.
Aber wem sollte ich schreiben - Frau A. oder Frau B?
Ich beschränkte mich auf ein Guten Tag und verschickte den Brief ein paar Tage später. Am folgenden Montag rief ich Frau A. an. Das Risiko, mit der Falschen zu sprechen, wäre auch mit Frau B. nicht unter die 50% zu bringen gewesen.

Jetzt weiß ich noch immer nicht, wie die Hierarchie im Triple AAA Literaturhaus strukturiert ist, aber Frau A. und ich haben lange telefoniert. Ich habe von meinem Plan erzählt, sie fand ihn gut und und da habe ich gleich Rechte angemeldet, nicht, dass mir einer der übrigen Nominierten noch quer schießt. ´

Ob ich denn wissen wolle, wer außer mir nominiert sei? fragte sie.
Gut, dass ich nicht gefragt habe, dachte ich.
Ja, sagte ich. Ja, das wolle ich wissen.

Schließlich hatte in dem Brief gestanden, ich sei eine der wichtigen Personen/Multiplikatoren etc. pp...
Die übrigen neun, ergo auch wichtige Personen etc. pp., sind - wie ich - Mitglieder in Vereinen und Organisationen, deren Aufgabe das Abgreifen von Subventionen für Schrifsteller ist. Solche Vereine sind vornehmlich mit sich, ihren Eitelkeiten und dem paritätischen Verschachern von Lesungen befasst, so dass ich nie zu deren Treffen gehe.

Denen werde ich eine Geschichte um die Ohren hauen, dass sie vor Neid grün werden. Schriftsteller sind wie Fußballer. Das Runde muss ins Eckige, nichts anderes zählt. Der Schriftsteller gibt das natürlich nicht gern zu. Stattdessen pflegt er seine Launen, kriegt Magengeschwüre und träumt von einer Quote für Kultur, wie es Frauenquoten gibt und Behindertenquoten. Ich hingegen will, dass nur die an die Töpfe kommen, die gute Arbeit leisten, ganz gleich, wer oder was sie sind.

Ende. 16:05. Jetzt einen Kaffee. Ich bin müde. Ich bin früh raus, bin mit einem Auto ohne Heizung hundert Kilometer gefahren, ich habe eine ordentliche Lesung abgeliefert, jetzt ist Feierabend.


Do 23.02.14 12:16

angenommen,
ich wäre ein dichter und jedes wort,
dass ich mir von den fingern lecke,
wäre unerhört und hätte folgen,
nur mal angenommen,
worte, schatten, nächtliche stürme
und mühsam getürmtes,
das hier und dort wartet und wartet,
ergäbe einen sinn,
wäre das nicht ein fest,
gäbe das nicht hoffnung und grund,
stolz zu sein auf die jahre,
bisschen nur, klein bisschen stolz???

stattdessen kaum regung,
oft weiß ich nicht einmal,
ob es mich gibt
oder ob alles traum ist
in den nächten, die sich um die welt spannen,
mit arabesken von frauen, kindern und enkeln,
leben und tod
und immer der nächsten frage.

bissken stolz, mehr träumen,
mehr wachen und schließlich:
werk oder mensch, mensch oder werk?
woraus bestehe ich?
wo komme ich her? wo gehe ich hin?
kann ich noch allein aufs klo
oder bin ich schon inkontinent?

15:46

Wir nannten ihn Charlotte, Carlotta und schließlich Max. he's leaving home.


Fr 24.01.14 13:23

lied für die apotheken-umschau

gürtelrosen leuchten im garten,
nierensteine und herzklappenkraut,
karzinome von allen arten
arterien, bleich unter winterhaut.

athrosen und bandscheibenvorfall im moos,
schizophrenes mit galle gebraut,
kumulitrunken und herzzeitlos
gern auch triebe aus lauerkraut.

semiramis garten, ödipale rasur,
bauchspeichelgranaten und fisten,
das alles blüht den sinapsen in dur,
und allen, die darin nisten.



Sa 25.01.14 22:34

Kartons stehen im Flur, die Klebemaschine kreischt, wenn M. einen Karton zuklebt. Als ich's zum ersten Mal hörte, erschrak ich. Klang menschlich. M. bereitet seinen Aufzug vor. Eine Woche noch, dann ist er fort, dann bin ich allein und ich freue ich mich darauf. Ich werde ausmisten, sobald ich die Wohnung für mich habe. Weg mit allem, was im Keller steht und in Regalen verstaubt. Neustart. Ich werde meinen Speiseplan umstellen. Für M. ist Fleisch das Gemüse. Ich hingegen freue mich auf Avocados, Salat, Käse und Brot, Fleisch dann und wann, und nicht jeden Tag warm. Das Alleinsein wird schrecklich und schön. Bald kehrt das Licht kehrt zurück, dann ist Frühling. Den Rest werden wir sehen. Wer so lange mit sich gelebt hat wie ich, glaubt an gar nichts mehr.


So 26.01.14 11:51

Wenn ich alles glauben würde, was mir tagein tagaus durch den Kopf schießt, hätte ich keine Chance mehr. Also bemühe ich mich, auszusortieren. Das geht sehr gut. Vor allem nachts, wenn die Welt den Atem anhält. Am Tag verwirbeln alles wieder sofort. Macht aber nix. Iss ja schön hier. So schön, dass ich's kaum in Worte fassen kann.

Morgen wird der Vorwiderstand ins Auto gebaut, dann funktioniert das Heizungsgebläse, und dann mache ich eine Rundfahrt. Trödle über Land, verbrenne fossilen Brennstoff, halte hier und dort, freue und schäme mich.

Heute früh gleich nach dem Aufstehen beim Spazierengehen die Scham über all diese Autos. Über das tote Kapital, das an den Straßenrändern steht. Eigentlich bräuchte sie niemand mehr. Würde man den Nahverkehr kostenlos anbieten, hätte man die Städte frei, die Luft wäre besser, aber es ist so bequem, so bequem in ein Auto zu steigen und davon zu fahren. So bequem, einfach unschlagbar.


Mo 27.01.13 12:38

Auf der Brücke am Aa-See stehen Kindergärtnerinnen mit Kindern. Eines sagt: sind da Blauwale drin?

15:02

Habe in den letzten Tagen viel Nutzloses gedacht. Immer drehte sich alles ums Auto, insbesondere um den Funkschlüssel. Ich habe mit verschiedensten Spezialisten konferiert und erfahren, dass man Funkschlüssel auch Scheißdinger nennt. Alte verfickte Scheißdinger auch. Trotzdem werde ich noch einen Versuch unternehmen, ihn reparieren zu lassen. Es gibt eine Firma in Hamburg, die kann das vielleicht. Wenn nicht, ist es auch nicht schlimm, denn heute habe ich mir einen neuen Schlüssel schneiden lassen, so dass ich das Auto jetzt auch auf herkömmliche Weise öffnen und schließen kann.

18:47

Gut also, das Mantra summen. Das Leben ist schön. Mir geht es gut. Man kann sich alles einreden. Ich rede und summe, während ich versuche rauszukriegen, wieviel Meter ich mit einer Pedalumrundung zurücklege. An den Bürgersteigen könnte ich's messen, an der Einfahrt da, ja, vier Meter, das könnte hinkommen, vier also, kommt natürlich auch darauf an, mit welcher Übersetzung ich trete. Das Mantra ist weg. Ich hol es zurück, aber jetzt funktioniert es nicht mehr.

Das Leben ist überhaupt nicht schön. Mir ist kalt. Trotzdem schwitze ich und die Schultern tun weh. In den Wiesen stehen Störche. Sie stehen da, starr ins feuchtkalte Gras blickend und dann und wann zuschlagend mit roten, langen und spitzen Schnäbeln. Hört man Geschrei? Nein, ich höre nichts, aber ich bin sicher, dass es Spezies gibt, die so etwas hören. Frösche schreien bestimmt, wenn sie aufgespießt werden. Jede Kreatur schreit, wenn man ihr Schmerz zufügt.

Also Mantra raus: das Leben ist schön. Siehste, geht doch. Muss ich das jetzt den ganzen Tag denken? Komme dann ja zu nichts mehr. Nehme ein anderes. Lasse die Natur Mantra sein und was sehe ich? Der Fluss ist bis an den Rand gefüllt. Er mäandert. Seit seiner Renaturierung mäandert er schicklich von links nach rechts und wieder nach rechts, die Fluten wühlen ein bisschen im Untergrund und werfen braunen Schlamm nach oben.

Das Leben ist beschissen schön, wie wär es damit? Funktioniert auch nicht. Stattdessen registriere ich Gegenwind. Stärke 3 bis 4 schätze ich, da muss ich mich anpassen, sonst wird das ein Kampf. Zuhause dann Großalarm. Ich finde meine Hausschlüssel nirgendwo. Ich telefoniere. Hab ich sie in der Stadt liegen gelassen, beim Schlüsseldienst? Ironie. Nein, habe ich nicht. Ich gehe zur Kellertür. Sie ist offen. Der Schlüssel steckt innen. Wie war noch das Mantra. Jetzt stimmt es wieder. Wenn ich jetzt auch noch wüsste, wie Liebe mit Lebenden geht, wäre es noch viel schöner. Aber ich will bescheiden bleiben. Man kann nicht immer alles haben. Die Wolken, was ist bloß mit den Wolken los heute? Sie geben der Sonne keine Chance. Und auf Ibiza? Sitzen welche am Strand. Die brauchen kein Mantra.

22:04

Noch eins? Nein, keins mehr. - Doch, noch eins, hilft nichts, ohne Wörter bin ich nicht zufrieden. Mit Wörtern auch nicht, trotzdem, lieber noch eins, vielleicht eins, das dem nächsten Beine macht. Darauf hoffend sitze und schreibe ich und nichts kommt dabei raus. Könnte mir die Haare raufen, hätte ich welche. Könnte mir den Bart raufen, das könnte ich machen, raufen und einen auf dieses Verwirrspiel lassen, dass vor Farben, Gerüchen, Geräuschen und Gefühlen vibriert, als hätte ich nicht Wichtigeres zu tun. Aber was?


Di 28.01.14 17:46

Drei Mann stehen in der Werkstatt, einer davon ein Kunde. Ich komme hinzu. Der Chef telefoniert. Sein Gehilfe fragt, worum es ginge. Ich sage, dass ich die Sommerreifen abholen will. Das weiß der Chef, sagt der Gehilfe. Der Chef telefoniert eine Weile. Es geht um komplizierte Inhalte, soziales Miteinander, Ämter offenbar, Vereinbarungen die so und nicht so getroffen worden sind. Er spricht einwandfrei Deutsch. Sein Gehilfe, Orientale wie er, radebrecht eher. Das Telefonat ist zuende. Der Chef kommt zu mir, ich sage ihm das mit den Reifen. Ahhh, sagt er, die stehn da, und dann geht er sofort los, und bringt den ersten Reifen zum Wagen. Ich nehme auch einen. Machen Sie sich nicht dreckig, sagt er. Ich antworte, mein Problem wäre eher der Rücken. Der Gehilfe steht noch immer da. Der Chef holt4 die übrigen Reifen. Wäre ich Chef, hätte der Gehilfe jetzt einen Anschiss.

 

Mi 29.01.14 19:40

Weißt du noch, wird man sagen, niemand hat begriffen, wie die Frauen es mit ihm aushalten konnten. Ja, das hat niemand begriffen, seine Geschwister nicht, seine engsten Freunde - selbst die nicht, trotzdem hatte er immer die Schönsten und Klügsten. - Der konnte irgendwas, was wir nicht können. - Quatsch, was denn wohl. Hast du den je arbeiten sehen? - Der musste nicht arbeiten, der hat doch geschrieben.


Fr 31.01.14 15:54

Als ich gestern am Schulhof der Grundschule vorbei kam, standen zwei blonde, etwa 8jährigen Jungen am Zaun und feixten. Ich feixte zurück. Ich ließ einen Mundfurz. Das erheiterte sie sehr. Ich ging weiter, und sie riefen "ey du schwuler Opa" hinter mir her. Ich ging einfach weiter. So schnell kann das gehen. Vorgestern noch heterosexuell, am nächsten Tag schon ein schwuler Opa.


















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