Juni 2006                                        www.hermann-mensing.de      

mensing literatur
 

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Do 1.06.06   9:15

Sensationell!!!
Die Mensings spielen Southpark.


Endlich ein deutscher Beitrag zur Weltkultur.

13:16

Habe auf Maxim Billers Rat begonnen, den großen Gatsby zu lesen. Skeptisch erst, denn ich mag Maxim Biller nicht. Manchmal halte ich ihn für einen arroganten Juden, dann wieder für einen Juden, der den arroganten Juden spielt, um uns schuldgekrümmte Deutsche aus der Deckung zu locken, dann wieder halte ich ihn schlicht und weg für ein Arschloch, dem ich zutraue, Kinder zu ficken.

Das liegt wohl an seinem Roman Die Tochter.
Ich finde diesen Roman brillant, wenngleich ich ihn nicht zuende lesen werde.

Aber wie gesagt, seine Kolumnen lese ich und der große Gatsby, von dem Biller sagt, dass er auf einer Seite erhellendere Gesellschaftsanalysen liefert als Thomas Manns pseudogelehrte Zauberberg Monologe über 10 Seiten zu liefern vermögen, ist in der Tat ein sehr empfehlenswertes Buch.

Sonst noch?
Ja. Der Pilot unserer Soap ist fertig.
Vielleicht noch ein wenig Feinschliff in den nächsten Tagen, aber dann...

18:15

Auf BFBS sprechen sie über No-Go-Areas für Farbige in Deutschland.
Betroffene berichten, es gäbe einige solcher Gebiete in großen deutschen Städten und zeigen sich verwundert, dass die Regierung der BRD Demonstrationen von Rechten nicht verbietet.

Das ist interessant.
Flüchtlinge, die sich vor wirtschaftlichen- und politischen Katastrophen hierher gerettet haben, fordern, dass demokratische Rechte eingeschränkt werden.

Ich verstehe schon, worum es ihnen geht.
Aber sollen wegen Rechten (die bei Wahlen der letzten Jahre nie mehr als 3-5% der Stimmen bekommen haben) demokratische Grundrechte eingeschränkt werden?

Ja??? - Gut. - Wer darf dann als nächster nicht mehr demonstrieren???

NO-GO.

17 Jahre nach der Einheit sind wir da, wo die anderen seit langem sind.
Auch ich kenne Gegenden, in die ich nicht gehe, wenn Nacht ist. Sogar in Münster.
Da schlügen mich dann nicht Nazis zu Brei, sondern eher Türken, Russen, Polen, Albaner etc.
Schon als Jugendlicher gab es da, wo ich herkomme, Straßen, wo ich mich besser nicht blicken ließ. Da ging es noch nicht um ethnische Auseinandersetzungen, sondern schlicht um Herkunft.

Vater: Arbeiter. Ja. Nein. Eins auf die Fresse.

Am Besten fände ich, die Zeitungsverleger Deutschlands entschlössen sich, nicht mehr über Nazi-Demos zu berichten. Das machte sie mundtot.

Ansonsten:

Beobachtet sie.
Schnappt sie, wo ihr sie kriegen könnt.

Aber: es gilt das Grundgesetz. Auch für Idioten.

 

Fr 2.06.06   12:55

Dürfen Schriftsteller Sonderangebote machen? -
Scheiß drauf, dachte der in der Welt der Hochkultur weithin unbekannte Blender und Hochstapler Mensing und formulierte folgendes Angebot: liebe Grundschulen, schrieb er, der Dichter M. plant nach seiner erfolgreichen Lesetour im Frühjahr 2006 seine Herbsttour und das nahende Weihnachtsfest. Und was läge da näher, eine Überraschung zu präsentieren.
Hört, hört: wer Mensing im Dezember bucht, bekommt zwei Lesungen zum Preis von einer.
Plus Fahrtkosten.
Nun ist der Dichter gespannt, wie man darauf reagiert.

So, und nun weiter im Text:
Herr M. tippt sechstellige Schul-E-Mail-Adressen in seine Verteilerlisten.
Eine schöne Arbeit. Eher eine Meditationsform.

17:30

Freudiger Schreck in der Warteschlange vor der EXTRA-Kasse.
Mein Führer!
Er sah blendend aus.
Hat sich wahrscheinlich jahrzehntelang Frischzellenkuren verpassen lassen.
Dabei müsste er doch bald 100 sein, naja, manch einer hält sich.
Jedenfalls er: die Statur, die Frisur, der graue Anzug, alles 1a, bis auf den Schnäuzer, den hat er sich abnehmen lassen, und das greise Haar wohl blondiert.
Schick.
Ich also zu ihm und sage: Mein Führer, Sie hätten doch sicher nichts dagegen, wenn wir Sie nun, nach all den Jahren, endlich in kleine Stücke zerhacken, pürieren, auf einen großen Platz häufeln, damit das Volk sie zuscheißen kann?

Natürrrlich nicht, antwortete der Führer, ganz Obergefreiter des 1.Weltkrieges, ich habe das immer erwartet, aber nie hat es einer gewagt, nie hat mein Volk sich erhoben, dieses jämmerliche, dem Untergang geweihte Volk. Nun denn, junger Mann, ich stehe ihnen zur Verfügung.

Sekunde! antwortete ich, ging zum Türken, der im Foyer Feta verkauft und Oliven und bat ihn um sein schärfstes Messer. Er gab es mir. Ich schaute meinem Führer noch einmal tief in die Augen und stach zu. Er brach merkwürdig gurgelnd zusammen. Ich urinierte auf die Leiche, besorgte eine Kettensäge und zerlegte ihn ihn handbreite Schreiben.
Heute Abend nun wird er zugeschissen. Endlich.

 

So 4.06.06   18:40

Ich habe sie immer so lieb gehabt,
Die lieben, guten Westfalen,
Ein Volk, so fest, so sicher, so treu,

Ganz ohne Gleißen und Prahlen.

Sie fechten gut, sie trinken gut,
Und wenn sie die Hand dir reichen
Zum Freundschaftsbündnis,
dann weinen sie:
Sind sentimentale Eichen.

(Heinrich Heine aus: Deutschland, ein Wintermärchen 1844)

 

Mo 5.06.06   12:45

Am Schreibtisch. Vor mir: der feingeschliffene Pilot der Soap. Draußen: der westfälische Juni. Immerhin, es hat nicht geregnet in den letzten vier Tagen. Haben den Sonntag für einen kleinen Ausritt zum Hafenfest genutzt, haben gesessen, die Flanierenden mit Subtext bedacht, eine Walking-Band gesehen, die Lieder meiner Jugend spielte, beim Italiener Panini gegessen, den Tag vertrödelt. Die letzten zwei Nächte habe ich unter zwei Bettdecken verschwitzt, um der Erkältung Herr zu werden, die mich am Freitagabend ansprang. Bin noch immer verschnupft, aber auf dem Wege der Besserung.

 

Di 6.06.06  66:66

Einiges ist schief gegangen. Die Uhren weigern sich, die korrekte Zeit anzuzeigen, die weltweiten Spekulanten treiben Ölpreise in die Höhe, um sich mit den Profiten ihre Ärsche zu salben, das vom Zeitchaos gebeutelte Volk rettet sich in hirnlose Unterhaltung, es ist Juni, mein Konto weist Guthaben auf, es ist Juni, mein Kopf schweigt angesichts der globalen Verdummung, es ist Juni, jetzt geben sogar Wüsten ihren Geist auf, es ist Juni, ich will's nicht mehr hören, ich wollte's schon lang nicht mehr hören, ich höre's nicht mehr und nehme es mit in unruhigen Schlaf, es ist Juni, wo es weiter rumort, wo es fragt und stichelt und sagt, Feigling, Feigling, Feigling, aber wie denn, frage ich am Morgen, wir schreiben den 6.06.06, es ist 66:66 Uhr und alle 66 Großmuftis dieser Welt, alle 66 Päpste, alle 66 Präsidenten, Könige und sonstiges Leitvolk steht vor der Wand und ich trau mich nicht, weil ich weiß, dass mit 66 Schüssen nichts zu retten ist, nicht von mir, nicht von dir, nicht von 66 Gerechten, es ist Juni, die einzige Chance, die mir bleibt, ist der Wahn, an die Liebe zu glauben, an dich und an mich, an meine Söhne und daran, dass es 66 Mal gut geht, eh es schief geht, dass ich 66 Mal sterbe, 66 Mal verbrannt werde, an 66 Stränden verstreut 66 Stunden überm Strand schwebe und dann 66 Mal und auf immer dahin bin. Mehr hoffe ich nicht, und das ist schon viel.

17:20

Gegen 14:44 standen zwei junge Frauen vor meiner Tür, sagten, sie seien Praktikantinnen und fragten, ob sie mir drei Fragen stellen dürften. In ihrer Umfrage ginge es in erster Linie um meine Gewohnheiten im Haushalt, die mir immer wieder negativ auffielen und zu einem täglichen Ärgernis würden.

Nur zu, antwortete ich.

Wo steht mein gelber Sack?
Wo hängt mein Trockentuch?
Wer bin ich?

Mehr dazu unter www.contravers.de

 

Mi 7.06.06   13:55

Saßen bis tief in die Nacht gestern: erst zu Dritt, dann nur noch E. und ich, konsumierten, was da war, redeten uns die Köpfe heiß über die aus dem Ruder gelaufenen oder auf der Kippe stehenden Lebensentwürfe der anderen. Das hält einen warm und beruhigt, weiß man doch, dass man im Grunde über sich selbst spricht, ohne es eingestehen zu müssen.

Heute gegen sieben stieg in meinem brummenden Schädel die Frage auf, wie in so einem Zustand ein Tag zu verbringen wäre. Schlafen konnte ich nicht mehr. Ich hatte um vier überlegt, ob es nicht wieder einmal (wie früher) an der Zeit wäre, den Tag auf einer Überlandfahrt zu begrüßen, hatte bejaht und verneint und war trotzig zu Bett gegangen.

Gegen halb acht dachte ich, dass es das Beste wäre, aufzustehen, mich aufs Rad zu setzen und nach Münster zu fahren. Auf dem Wochenmarkt würde ich frühstücken. Dann sähe ich weiter. Und genauso ist es gekommen.

Um 8 Uhr sind viele Berufspendler schon angekommen. Wer mit dem Rad unterwegs ist, kann nur Hausfrau, Rentner oder ... eben Schriftsteller sein. Der schließt sein Rad sorgfältig ab, als er den Domplatz erreicht, setzt sich ins Marktcafé und frühstückt. Das heißt, eigentlich wartet er zehn Minuten, denn vor neun macht das Café nicht auf. Und während er da so sitzt und von Nebentischen Gesprächsfetzen über die Lebensentwürfe der anderen herüberwehen, klaren seine Gedanken langsam auf.

Dieser halluzinogene Mix von Wein, THC und Nikotin!

Als ich Kind war, wurde Alarm gegeben, wenn mein Lieblingsonkel Hans auftauchte. Der setzte nämlich alles daran, meinen Vater zu einer Sauftour zu überreden. Er kam ein- zweimal im Jahr, und je älter mein Vater wurde, desto weniger ließ er sich darauf ein. Wenn ich heute ins Haus komme und sehe, dass E. zu Besuch ist, weiß ich, wie es endet. Zum Glück kommt auch er nur alle paar Monate, sodass diese leicht vernebelten Nächte sogar Spaß machen.

Morgen lese ich in Wuppertal. In knapp zwei Wochen noch einmal. Dann habe ich Ferien.

 

Do 8.06.06   16:32

Während ich den Kindern vorlese, tuscheln in der letzten Reihe zwei junge Lehrerinnen miteinander. Nicht einmal, nicht zweimal, nein, eigentlich tuscheln sie die ganze Zeit. Ich hätte natürlich um Ruhe bitten können, habe es aber gelassen. Habe mir stattdessen im Anschluss mit der Bibliothekarin das Maul über Lehrer im Allgemeinen und im Besonderen zerrissen, was ganz einfach war, denn sie erlebt häufig Lehrer als Begleitpersonen, und die meisten, fand sie, sind Luschen. Daher auch Pisa. Und fast alles Übrige. Immer schön, wenn man Schuldige hat, das macht die Welt übersichtlich und farbenfroh.

 

Fr 9.06.06   9:58

Ich würde gern für ein paar Tage verschwinden.
Bleibt die Frage: wohin?
Und angenommen, das Ziel wäre klar: was dann?
So gehen die Fragen nie aus.

PS. Heute abend besiegte die deutsche Nationalmannschaft im Eröffnungsspiel Costa Rica mit Vier zu Eins.

 

Sa 10.06.06   21:45

Herr, bitte mach, dass Reinhold Beckmann nie wieder ein Mikrofon in die Hand nimmt. Danke.

 

So 11.06.06  11:17

Gläubige, intelligente, hübsche, schlanke, wohlhabende, unabhängige dreißigjährige Juristin sucht einen gläubigen und starken Mann, der acht bis zehn Kinder will, und der mit getrennten Schlafzimmern einverstanden ist. Zuschriften erbeten unter 40005535 FAZ 60267 Ffm.

 

Mo 12.06.06   14:28

Prostituierte warnen: in dem sich in Feierlaune befindlichen Deutschland mit Freunden aus aller Welt ginge der Vorrat an Vaseline rapide dem Ende zu. Was tun? Fickverbot für Ausländer?

 

Di 13.06.06   8:55

"Ich mag Fußball nicht, und ich lese keine Unterhaltungsromane. Ich will nicht unterhalten, sondern herausgefordert werden; ich will kämpfen gegen ein Buch, und es muß gut kämpfen, hart, präzise, intelligent. Ich will von der Welt nicht abgelenkt werden, ich will ihr ins Auge sehen, sie erkennen und ... sie besiegen." (1)

11:00

Am Mittwoch den 14.06.06 besiegte die deutsche Nationalmannschaft Polen mit 2:1 und sicherte sich damit vorzeitig den Einzug ins Achtelfinale.

 

Mi 14.06.06   8:10

Beckmann live:

Da schläfern sie die Kroaten ein, um dann plötzlich zu explodieren.
In der Luft mit der Brust angenommen.
Was ist das, was er da macht, Mücken verjagen? (zu Ronaldo)

9:55

Es gibt Tage, da ist die Einsamkeit unter den Menschen unerträglich. Da würde ich für einen Augenblick eingebildeter Nicht-Einsamkeit alles tun. Heute ist so ein Tag. Eigentlich seltsam, denn überall sind Helfer damit beschäftigt, die gestern abend explodierten Brasilianer vom Pflaster zu kratzen und in Tütchen zu schaufeln, damit ihre DNA festgestellt werden kann.

 

Do 15.06.06   10:55

Das Spiel war gerade vorbei, als ich beschloss, mich aufs Rad zu setzen und ins nächtliche Münster zu fahren. Ich wollte sehen. Ich wollte wissen, wie es sich anfühlt, wenn Menschen spontan Kreuzungen blockieren und Kreisverkehre für jubelnde Runden nutzen, ich wollte Teil sein dieser Begeisterung, die mir bislang nur medial vermittelt worden war.

Tatsächlich war es fast wie im Fernsehen. Junge Menschen vor allem, begeistert Berlin-Berlin-wir fahren nach Berlin skandierend, Schade, Polen, alles ist vorbei singend, als wäre das Aus der Polen nicht tragisch genug.

Mit ein paar Ausnahmen (Beatles Konzert in Essen, Atom Heart Mother - Pink Floyd Free Concert im Hyde Park 1967 - Holland Festival 1971 - Demo gegen Nato-Doppelbeschluss 81 Bonn) habe ich um Massenspektakel immer einen Bogen gemacht. Sie waren mir nie geheuer.

So war es auch gestern.

Ich gönne diesem Land seinen patriotischen Rausch, seine Freude, von Herzen gönne ich ihm, dass es sich endlich so bewegen kann, wie das die anderen schon lange tun, trotzdem bleiben Zweifel. Das ist nicht mehr zu ändern. Das sind typisch deutsche Sozialisations-Zweifel der Nachkriegs-Geborenen.

Ich kreuzte die Promenade, überall rufende, singende Menschen, der Kreisverkehr, ein einziges Brodeln, Jubeln, Hupen, Fahnenschwenken, ich fuhr die Hafenstraße Richtung Hot Jazz Club, ich tanzte ein wenig, aber auf den Straßen war es interessanter.

Als ich mich gegen eins auf den Rückweg machte, waren die Straßen zum großen Teil wieder frei, vor den Kneipen aber standen sie in Rudeln und tranken. Über der Stadt entlud sich ein hohes Gewitter. Fadenlanger Regen fiel. Als ich den Stadtrand erreicht hatte, war das Land immer wieder für Sekunden taghell. Im Aa-Tal feierten Amphibien ein lärmendes Fest. Den in höheren Wolkenschichten zuckenden Blitzen folgten oft Detonationen, als würden auf tiefem Erdinnern Gase aufsteigen, sich Bahn brechen und dann polternd in alle Himmelsrichtungen ausbreiteten. Der Regen wurde stärker. Ich hatte keine Angst. Nach der Hitze der vergangenen Tage war die Luft wundervoll. Mein Regenumhang schützte einigermaßen. Kalt war mir auch nicht.

 

Fr 16.06.06   9:12

Theater ist aufregend, Momente des Scheiterns sind gegenwärtig, hinzu kommen oft atemberaubende Bilder voller Licht und Geheimnis. Schon allein deshalb sollte ich häufiger ins Theater gehen. Café Umberto von Moritz Rinke in einer Inszenierung des Düsseldorfer Schauspielhauses behauptet, das Stück zeige, wie sich ein Leben ohne Lohnarbeit auf unsere Psyche und sozialen Beziehungen auswirkt. Hartz IV und die Folgen. Aktueller und politisch brisanter könne Theater nicht sein.

Aha. Und wenn ich nun Zweifel hege. Wenn ich sage, dass es ein über weite Strecken langweiliges Stück war, seine Personen ohne glaubhafte Motive ins Rennen schickte, ein Stück, das, als Tragikkomödie annonciert, nicht witzig war, ein Stück, das, wenn es politische Aussagen formulierte, dies in Form von in den Raum gestellten Monologen tat, ein Stück, dessen erzählte Geschichten farblos blieben.

Manchmal glaube ich, Kunst mit dem Anspruch, gesellschaftliche Missstände zu thematisieren, aufzurütteln, wie man gern sagt, muss über die Maßen gut sein, um nicht zu nerven, denn jemand, der Zeitungen liest, weiß, worum es geht. Jemand, der Zeitungen liest und Nachrichten hört, will vielleicht gar nichts anderes, als unterhalten sein. Manchmal glaube ich, die einzig gesellschaftlich relevante Kunst ist die Unterhaltungskunst, alles andere ist prätentiöse Augenwischerei für Eliten, die ihre Schäfchen längst im Trockenen haben.

Typisches Theaterpublikum eben.
Man sieht es ihm an.
Menschen wie meine Frau und ich und die andern.

Aber das NRW Theaterfestival läuft noch bis Ende Juni, so dass es Alternativen zur Fußball WM gibt.
Vorgemerkt: Die Letzten, ein Schauspiel von Maxim Gorki und ein Klassiker aus meiner Reclam-Heft-Zeit: Die Räuber, Friedrich Schiller.

 

Sa 17.06.06   10:24

Herr, hatten wir nicht vereinbart, Reinhold Beckmann explodieren zu lassen, damit er ein für alle Male sein dummschwätzerisches Maul hält (Da stehen sie wie Litfasssäulen) und uns in Frieden Fußballspiele genießen lässt? Sollte Herr Beckmann (Er hat bisher noch keine Gelegenheit gehabt, heldische Momente zu erzeugen) also noch einmal auftauchen, werde ich allen verraten, dass du nichts weiter als ein Hirngespinst bist, das sich die Spezies Mensch über die Jahrtausende ausgedacht hat, weil sie ihre Existenz sonst nicht ertragen hätte. Also, Herr, du bist gewarnt.

17:45

Wenn Herr M. und Frau M. in die Stadt fuhren, konnte Herr M. sicher sein, dass er Dinge kaufen würde, die er nicht bräuchte. Schließlich hatte er alles. Es gab zu Essen, zu Trinken, es gab Kleidung für jede Jahreszeit, es gab genügend Bücher, es gab Musik aus vierzig Jahren Pop- und Jazz-Geschichte, Kunst stand in Ecken, weil an den Wänden kein Platz mehr war, neue aufzuhängen.

Trotzdem endeten Ausflüge mit Frau M. immer mit dem Erwerb von etwas Neuem. Heute waren das der Reihe nach: eine Strickjacke für sie (€ 30,00), eine Strickjacke für ihn (€ 20,00), schließlich naht der Winter. Ein Jackett für ihn (€ 6,50). Eine Sommerjacke für sie (€ 0,50). Spültücher/Leinen aus Omas Aussteuer (€ 5,00). Später fast noch ein Bild eines Malers aus den 50er Jahren. Dann, auf dem Rückweg durch die Stadt: vier Bücher und ein paar Stiefel, von denen sie schon seit hundert Jahren träumte.

Beladen mit Tüten schlängelt man sich durch die von sommerlich gekleiderten Menschen bevölkerte Innenstadt, passiert zwei junge Frauen, die bettelnd vor Geschäften hocken, fragt sich, ob das auch von rumänischen Mafiabanden erpresste Bettelsklaven sind, wo sie doch attraktiv, gut gekleidet und gar nicht ärmlich aussehen, oder ob es sich vielleicht um Erlebnis-Touristen handelt, die mit ihrer Psycho-Gruppe testen, wie sich der Bettler am verkaufsoffenen Samstag fühlt.

Zuhause dann packt man alles aus und verstaut es in Schränke. Abends wird man ausgehen. Und vor Augenblicken hat man beim Gespräch mit dem Neffen von einem die internationale Gemeinschaft beunruhigenden neuen Schachzug des iranischen Präsidenten gehört: der Iran-Anreicherung.

 

So 18.06.06   17:41

Wegen Hitze geschlossen.

 

Mo 19.06.06   9:15

Wegen Unlust geschlossen.

 

Di 20.06.06   8:22

Edmund, einer meiner Lieblingspolitiker, langjähriger Duz-Freund und Patenonkel unserer Kinder aus Zeiten, als wir noch in Bayern Urlaub machten, Press-Säcke aßen und uns an Maßbieren versuchten, Edmund, den wir auf Spaziergängen durch tiefen Wald kennen- und lieben lernten, mit dem wir unsere Erektionen maßen und Witze erzählten, dieser Edmund will, dass Blasphemie mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft wird.

"Hallo Edmund!"

Was aber ist Gotteslästerung? Wenn ich behaupte, Gott sei verantwortlich für die in seinem Namen getöteten Millionen und Aber-Millionen Menschen seit Rom Weltmacht war und als Verbreiter eines Glaubens fungierte, dessen kulturelle Wurzeln so gar nichts mit den unseren zu tun hatten, ist das Gotteslästerung? -

Nein. Natürlich nicht.

Gott, dieses Hirngespinst mit so vielen Namen in so vielen unterschiedlichen Kulturen kann für etwas so menschliches wie das Töten eines anderen Menschen zum eigenen Vorteil nicht verantwortlich gemacht werden. Wo kämen wir da hin.

Das scheidet also als Grund für die von Edmund angedachte Höchststrafe von drei Jahren aus.

Wenn ich aber sage, Gott hat einen zu kleinen Schwanz, was dann? -
Ich meine, ich versuche einen Tatbestand zu klären, insofern verzeihen Sie bitte, dass ich vulgär werde, irgendwo muss ich ja ansetzen.
Wäre also Vulgarität in Zusammenhang mit Gott = Gotteslästerung??? -

Hmmm. Tja. Was mich angeht, nein. Schließlich hat er uns nach seinem Ebenbild gemacht, da wird man doch über anatomische Besonderheiten sprechen dürfen.

Was also könnte Gott sonst lästern? -
Dass man sagt, es gibt ihn überhaupt nicht? -
Nein, darüber wird schon gestritten, seit es Gott gibt.

Aah, ich weiß was!
Ich sage, Gott hat die Frau eines Hirten gefickt, behauptet, es wäre der Heilige Geist gewesen, um sich vor der Zahlung von Alimenten zu drücken, das könnte funktionieren. Dafür könnte ich ins Gefängsnis gehen.

Oder, Edmund?
Wie hast du dir das vorgestellt? -
Hast gedacht, jetzt wo der bayerische Ratze, Hüter des wahren Glaubens, Ex-Vorsitzender der Inquisition, die natürlich heute nicht mehr so heißt, in Rom segensreich waltet, wäre so ein Vorstoß vertretbar, verstehe.

Wenngleich mir immer noch nicht klar ist, welcher Tatbestand als blasphemisch zu bewerten ist.
Aber ich wette, das dürfen wir getrost unserem bayerischen Potentaten überlassen, der und seine bayerische Religionspolizei (blaue, bodenlange Kutten, Drittes Auge, schwarzes Eisenkreuz zum Zuschlagen) wird es richten.

Now to something completely different.

Wie recht wir mit unserer Einschätzung zu Café Umberto von Moritz Rinke hatten, konnten wir gestern feststellen. Da nämlich spielte das Theater Bonn im Rahmen des NRW Theaterfestivals Die Letzten von Maxim Gorki. Die gleiche Bühne: ein elektrisierendes Ensemble, das das Leben einer zerrissenen Familie im zaristischen Russland vor der Oktoberrevolution darstellt.

Dichte Handlung, Gegenwartstheater, nichts von der Brisanz des Stückes ist über fast hundert Jahre verloren gegangen. Unterhaltsam bis zur Schmerzgrenze. Vor allem: plausible Geschichten. Also, Herr Rinke, beim nächsten Stück besser aufpassen, den Schauspielern bessere Texte schreiben, dann wird es vielleicht doch noch was.

 

Mi 21.06.06   12:50

Sie wissen, wie vorsichtig man sein muss, wenn man versucht, eigene Leistungen einzuschätzen. Heute habe ich in Wuppertal aus Das Vampir Programm gelesen. Ich will also bescheiden sein. Ich will es kurz halten. Ich will mich mit einem stillen MEIN GOTT WAR ICH GUT nicht zu sehr aus dem Fenster hängen und alle weiteren Beurteilungen meinen Lesern überlassen. Mein Gott....

PS.

Morgen schaltet die Telecom meinen analogen Anschluss auf DSL um. Eh ich meinen Rechner auf die neue Zugangssoftware konfiguriert habe, werden einige Tage vergehen, denn ich bin nur Nutznießer dieser Technik und beherrsche die dazu notwendigen Apparaturen nicht oder nur in eingeschränkter Weise. Bleiben Sie mir also bis dahin treu, wir sprechen uns...

 

Do 22.06.06   11:25

Noch einmal Theater. Diesmal: Der Bus von Lukas Bärfuss, in einer Produktion der Wuppertaler Bühnen. Großer schwarzer Bühnenkasten. Hinter mir monieren zwei Frauen Anfang sechzig, es wäre doch schön, wenn zumindest irgendetwas angedeutet wäre. Bäume z.B.

Dann geht das Licht aus, aus dem schwarzen Kasten wird ein in der Tiefe illuminierter Raum mit dreidimensionalem Wald, kitschigem Sternenhimmel, einem parkenden Bus.
Das hätten sich die beiden Frauen nicht besser wünschen können.

Die Geschichte beginnt. Eine zutiefst beunruhigende Geschichte. Ein Busfahrer, unterwegs zu einem Kurhotel, hat eine Schwarzfahrerin dingfest gemacht, die von sich behauptet, sie wolle nach Tschenstochau, zur schwarzen Madonna, sie habe einen göttlichen Auftrag, müsse eine Katastrophe verhindern. Der Busfahrer glaubt ihr nicht. Er stellt sie zur Rede. Sofort wird klar, dass es sich bei ihm um einen zynischen Gewalttäter handelt. Bedrohlich. Ein Mann, der im Namen von Recht und Ordnung, die er auf seiner Seite wähnt, in dem Augenblick, wo keine Zeugen zugegen sind und er keine Nachforschungen befürchten muss, bereit ist, zu töten.

Darauf läuft es hinaus.

Das Stück bietet drei mögliche Schlüsse: der erste, nicht ganz nachvollziehbare, ist, dass die junge Frau den Busfahrer bekehrt, im reinen Wortsinn bekehrt. Im zweiten Ende, das einem wie eine Vision vorkommt, stellt sich heraus, dass die wiedererweckte junge Frau in Wirklichkeit das ist, was der Busfahrer von Anfang an von ihr geglaubt hat, eine Schwarzfahrerin auf dem Weg nach Polen, um Drogen zu besorgen. Der von ihr bekehrte Busfahrer tötet sie nicht, sie kommt bei einem Tankstellenbesitzer unter, ein der Welt abgewandter, romantischer Zivilisationsflüchtling. In dieser Phase des Stücks gibt es einige Hänger, vor allem, wenn die Weltlage angeprangert wird. Der Bus verunglückt. Alle Insassen sterben.

Im dritten Schluss tötet der Busfahrer das Mädchen. In einem letzten Satz, er hat sie gerade mit einem Klappspaten erschlagen, dreht er sich zum Publikum und sagt: Ich hab es gewusst, Sie schauen zu.... Spannendes Theater war das. Und jetzt, nach drei Inszenierungen in einer Woche wird auch klarer, dass alle drei Autoren ihre Geschichten in eine Welt verorten, die jede moralische Grundierung verloren hat, in der die Individuen ziel- und haltlos unterwegs sind. Eine traurige Welt.

Die Räuber sind leider ausverkauft, aber vielleicht gibt es am Freitag noch die Möglichkeit, Die Grönholm Methode von Jordi Galceran in einer Produktion der Städtischen Bühnen Krefeld/Mönchengladbach zu sehen.

 

Fr 23.06.06

Ich träum von einem Land, das hier ist, nur nicht jetzt.

 

Di 27.06.06   9:29

Gut, eins nach dem anderen jetzt.

Zuerst meine Abenteuer aus der Welt der Telekommunikation, der ich mich seit Jahren verbunden fühle. Einer von Millionen Kunden, auf Wegen durch die Labyrinthe des Kundenservice, die - seit gestern weiß ich es definitiv - Kafkaeske Irrwege sein können.

Zu Anfang, letzte Woche, war noch alles ganz einfach. Da machte es keine Mühe, ein beim T-Punkt bestelltes Gerät (DSL-Modem) innerhalb weniger Minuten mit Hilfe eines sprachgewandten Computers an einen lebenden Menschen weitergeleitet, zu stornieren und stattdessen einen WL-Lan Router zu ordern.

Als dem nach zwei Tagen gelieferten Router der Splitter fehlte, ließ auch der sich innerhalb vierundzwanzig Stunden nachliefern. Als ich dann aber nach stundenlangen fruchtlosen Versuchen, den Router mit meinem Rechner bekannt zu machen, mit der Erkenntnis aufgab, dass mir Zugangsdaten fehlten, offenbar nicht mitgelieferte Daten, mich erneut in den Dschungel der Telecom-Auskunft warf und dort von einem ostdeutsch sprechenden, wahrscheinlich brandenburgischen Nazi-Schläger erfahren musste, meine Daten seien noch im Computer, der aber sei kaputt, die Techniker arbeiteten gerade daran, mehr könne er auch nicht sagen und tun, Beschwerde höheren Orts sei nicht möglich, ich möge doch bitte Mitte der Woche noch einmal nachfragen, stieg kalte Wut in mir auf.

Nicht nur Wut über meine gehegten Vorurteile gegenüber Ostdeutschen, nein, auch Wut über meine Wut und die Hilflosigkeit, die mich überkam. Ich könne höchstens ein Fax senden, mich beschweren, hatte dieser tatsächliche Mensch am tatsächlich anderen Ende des Telefons mir dann doch noch mit auf den Weg gegeben, ich habe das auch getan, aber weiter sind die Dinge nicht gediehen.

Wobei ich beim zweiten Teil meiner Erzählung über die Erlebnisse eines Schriftstellers im Umgang mit der Telecom im Allgemeinen und dem mit einem IBM Think-Pad im Besonderen angelangt bin. Denn hier, vor der Tastatur meines Rechners, haben meine Versuche, mich der Welt des blitzschnellen Datenaustausches zu nähern, geradezu tragische Dimensionen angenommen.

Aber gemach, der Reihe nach.

Gestern morgen begann ich zunächst, die Verbindungen von Telefonbuchse zu Splitter, von Splitter zu Router, von Telefon zum Amt und wer weiß sonst noch wohin zu legen. Ich saß dabei auf dem Boden, umringt von Kabeln verschiedener Länge, verschiedener Farbe, umringt von Router, Splitter, Bedienungsanleitungen und Bauplänen. Schweiß auf der Stirn, denn die Herausforderungen des Schriftstellers sind in der Regel andere als solche. Nach einer guten Weile hatte ich alle Kabel gesteckt und das Telefon funktionierte.

Aha, dachte ich, Mensing ist doch nicht so doof, wie er gedacht hatte. Und begann, den Router zu konfigurieren. Zu diesem Zeitpunkt war mir noch nicht klar, dass mir (wie schon angedeutet) wichtige Zugangsdaten fehlten. Auch unklar war (und ist), was dann im Verlauf der nächsten Stunden geschah.

Zunächst gelang es mir, meinen Rechner mehrfach zum Absturz zu führen. Dann gelang mir eine epochale Neuerung: der wieder erwachte Rechner forderte mich auf, meine Zugangspasswörter einzugeben, andernfalls versage er mir den Dienst. Ich hatte nie Zugangspasswörter generiert, saß also perplex, starrte auf das kleine rechteckige, von mir auszufüllende Formular und fürchtete, nun sei alles vorüber.

In den folgenden eineinhalb Stunden versuchte ich jede nur denkbare Variante der mir bekannten, möglichweise als Vorlage für Passwörter dienenden Menschen, ohne Erfolg. Ich warf dem Hammer, mit dem ich Kabelschellen angebracht hatte, um das Wirrwarr der konkurrierenden Kabel ein wenig unter Kontrolle zu bringen, bedeutungsvolle Blicke zu, ließ aber doch davon ab, ihn in die Hand zu nehmen und zuzuschlagen. Stattdessen drückte ich irgendwann mehr oder weniger bewusstlos auf OK und siehe, der Rechner gestattete Zugang.

Beim weiteren Bemühen, Probleme der Konfiguration zu lösen, gelang es mir schließlich, mein E-Mail Konto abzuschießen. Die Versuche, es neu zu konfigurieren, (von ca. 15:30 bis 19:00) scheiterten, bis wenig später mein großer Sohn auftauchte und mir in Sekunden klar machte, dass ich das .de am Ende des Benutzernamens vergessen hatte.

Heute früh bin ich zwar noch immer nicht Teilnehmer der weltweiten DSL-Surfer, aber immerhin funktioniert mein Rechner wieder. Außerdem kann ich sagen, dass alle Arbeit getan ist, dass ich schon Lesungen für den Dezember buche, dass ich noch weit entfernt vom nächsten Roman, vom nächsten Hörspiel oder sonst einer eitlen Dummheit bin, stattdesse sehe ich mich wieder einmal mit der größten aller Herausforderungen konfrontiert, dem Überleben des Nichtstuns.

Ein Luxusproblem, werden Sie sagen, worauf ich nur antworten kann, dass ich im Verlauf des ersten Halbjahres ein Theaterstück geschrieben, einen Hörspielworkshop geleitet und genügend Lesungen durchgeführt habe. Ich darf mich also guten Gewissens zurücklehnen, Geldmittel sind vorhanden, Schulden sind keine da, und die, die mich kennen, werden wissen, dass ich der Literatur (abgesehen von den ideellen Freuden, die unbezahlbar sind) nur insofern Wert beimesse, als sie mich bescheiden ernährt.

Außerdem bin ich der Ansicht, dass jeder, der in den Genuss dieser Aufzeichnungen kommt, moralisch verpflichtet ist, auf der Stelle einen Buchladen seiner Wahl aufzusuchen, um meine Bücher zu erwerben. Sollten sie sich herausreden, wie das gern geschieht, verfolge ich sie mit Verwünschungen aller Art und wünsche was. Was, dürfen Sie sich aussuchen.

17:55

Herr, mach, dass diese marinierten Brasilianer, die nur hinten drin stehen und auf "geniale" Momente warten, trotz ihrer Führung von 2 : 0 gegen Ghana dennoch verlieren, weinend vom Platz gehen, und hilf, dass wir im Endspiel gegen Ghana verlieren, auf dass Afrika triumphiere, Amen.

 

Mi 28.06.06   10:50

Mal sehn, wie lange Herr M. diesen Zustand noch aushält. Lange nicht mehr, glaubt er, dann wird er sich etwas ausdenken müssen. Bis dahin aber heißt es: Langeweile ist lustig, Langeweile ist schön, Langeweile macht munter, ist zuweilen obszön....

 

Do 29.06.06   10:00

Als man das Theater verließ, stieß man auf Frau T. Frau T.'s Hauptbeschäftigung ist die Aromen-Therapie, zudem das Hantieren mit heilkräftigen Steinen. Sie tut das im Schatten ihres leicht vertrottelten Mannes, der, so sagt man, lieb sein soll, ein Professor.

Man weiß, was so ein Professor verdient, man gönnt es ihm, und man sieht Frau T. an, dass sie sich nicht sorgen muss. Ihre Haut ist seltsam straff, vielleicht das Ergebnis fortwährenden Heilens mit Schotter, Splitt und anderem Steinmaterial, das sich ganz in der Nähe ihre Hauses zu einer Autobahn materialisiert hat.

Vorm Haus brennen schon tags Öllampen, um den ganz und gar neben sich stehenden Kunden zu signalisieren, hier brennt der Docht am richtigen Ort, hier wird dir, armer Seele, heimgeleuchtet, was hier so seltsam riecht, stinkt nicht, sondern hilft deiner Psyche aufzusteigen aus dem Hades hinauf in lichte Höhen.

Frau T. hatte dasselbe Stück gesehen: Die Grönholm Methode, ein perfider Eignungstest für Führungskräfte, in dessen Verlauf hinterhältige Fragen, Tricks und Kniffe schließlich darauf hinaus laufen, dass von den angeblich vier Bewerbern für eine Führungsposition tatsächlich drei getarnte Psychologen des Hauses sind. Und nun wollte sie darüber sprechen. Kund tun, dass sie sich auskennt.

Wir aber, Lichtgestalten von Kenntnis, Wissen und Geschmack, ließen Frau T. (silber-grau schimmerndes Haar, lachrosa Jäckchen, Bürgelfalthose und esoterisches Strahlen) gegen die Wand rennen, dass es nur so krachte, denn eines muss klar sein: nicht jeder darf mitmischen, es muss auch Doofe geben, und wir hatten schon vor Jahren beschlossen, dass Frau T. doof ist.

Schön, wenn man Dinge klar und deutlich benennen kann. Auch schön, wenn man Meinungen hat, die man mit kaum einem teilt. Schön, dass man ignorant sein darf. Ignorant, dass es schmerzt.

Man ließ Frau T. schließlich gehen, nicht ohne sich zu vergewissern, wie doof man sie findet, überquerte verschiedene Straßen und machte sich auf den Weg zur Sommerkirmes, einem Ereignis im Herzen der Stadt, das jedes Mal Menschen anzieht, die man in dieser Stadt sonst eher selten zu Gesicht bekommt.

Grund genug, dort herumzugehen und ein wenig zu schauen.
Der andere Grund war, dass Herr M. auf der Suche nach einem Aufsatz für den heimischen Staubsauger war, der Katzenhaare entfernt. Er hatte einen ins Auge gefasst, vor Wochen, als man im Westmünsterland auf der Suche nach einem neuen Auto unterwegs war, ein wahres Wunderding, vorgeführt von einem Promoter auf einem Flohmarkt, aber Frau M. hatte vom Kauf abgeraten.

So etwas könne nicht sein, hatte sie gemutmaßt, nicht ganz zu Unrecht, denn Wunder auf Flohmärkten, Stadtfesten und der Kirmes sind oft einfach zu wunderbar, um wahr sein zu können. Der Mann mit der Fleckenpaste zum Beispiel, den Herr M. seit Jahrzehnten bestaunt.

Kaum aber hatte man den Kirmes-Bereich betreten, der Wundern vorbehalten ist, Pfannen-Wundern, Putz-Wundern, Gemüse-Häcksel-Wundern und was es dergleichen Wunder sonst gibt, fiel Herrn M. ein Vorwerk Stand ins Auge. Er assoziierte: Qualität, trat näher heran, sah einen in Frage kommenden Staubsaugeraufsatz, ergriff ihn, ließ sich versichern, er könne ihn jederzeit zurückbringen, falls der Aufsatz die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfülle, kaufte, eilte nach Hause, unternahm gegen 23:30 noch einen Feldversuch und war auf der Stelle mit sich, mit Frau T., mit der Welt im Allgemeinen und im Besonderen versöhnt.

Jetzt aber wird Herr M. noch einmal versuchen, das zu tun, was er vor einigen Tagen schon einmal versucht- und was, mangels Kenntnis und Zugangsdaten, zu einem deprimierenden Ende geführt hatte: er wird den W-Lan Router konfigurieren, denn soeben sind die Zugangsdaten eingetroffen.

17:30

Ich rekapituliere: soeben erreichte Herr M. eine Lieferung der Telecom.
Die ursprüngliche Bestellung: der kabelgebundene Router plus Splitter plus Zugangsdaten.
Man hatte Herrn M. im örtlichen T-Punkt angedeutet, wahrscheinlich sei die Änderung seiner Bestellung flinker geliefert worden, als die eigentliche Bestellung, daher das Fehlen der Zugangsdaten.

Kurz vor Mittag begann Herr M. mit der Neukonfiguration der zu konfigurierenden Hardware. Zugangspasswörter, Kennungen etc., ZACK, alles da. Alles richtig. Eine Verbindung kam dennoch nicht zustande. Zustande kam ein vorübergehender Ausfall der Telefonie, den Herr M., wie ein Gedankenblitz offenbarte, beim Konfigurieren selbst verursacht hatte und wieder rückgängig machte.

Danach: Telefon: ok. , DSL jedoch nicht.
Ständig leuchtete die DSL Anzeige des Routers Alarmrot.

Herr M. führte das auf eigene Dummheit zurück, konfigurierte sich den Arsch wund, bis am frühen Nachmittag mit Hilfe des Gitarristen der weltabgewandten Band Albert Early Bird & The Working Worms die Ahnung aufstieg, die DSL Leitung könne von Seiten der Telecom noch nicht synchronisiert sein!!!

Ein Anruf brachte Erleuchtung.
Dem sei wohl so, sagte eine Frau Walter und versprach, morgen früh zwischen 8 und 12 werde man sich der Synchronisation annehmen. Hoffnung also. Hoffnung, dass morgen, wenn das rote Lämpchen nicht mehr leuchten sollte, endlich der rauschhafte Zugang zum Netz mit unglaublicher Geschwindigkeit möglich sein wird. Andernfalls: Prozess am Hals!!!

 

Fr 30.06.06   16:05

Und nun fragen Sie, wieso das rote Lämpchen in Wirklichkeit leuchtete? Ganz einfach. Herr M. war zu blöd, die Kabel zu stecken. Diese Erkenntnis hat ihn Anfahrt und eine halbe Technikerstunde gekostet. Man soll aber nicht glauben, dass danach sofort alles besser gewesen wäre. Nein, nein, die Installation des D-Links, der die Funkstrecke vom Rechner zum WLan-Router herstellt, brauchte noch einmal Hilfe von außen. Jetzt aber bricht die neue Zeit an. Jetzt kann jeder Mist angeschaut werden. Zunächst aber, eh wir uns im Juli zurückmelden, spielen wir gegen Argentinien und wünschen viel Glück.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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1. Uwe Tellkamp "Der Eisvogel" Rowohlt 2006 //

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