Juni 2015                        www.hermann-mensing.de      

    

mensing literatur
 

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Mo 1.06.15 1:21



Saerbeck WN

Den Kinderbuchautor, geboren in Gronau und in Münster-Roxel lebend, hielt es nur selten auf seinem Platz vor den Schülern. Er brach das Eis mit seiner Ukulele und einem Quatschlied über Schüler Niklas, er wuselte zwischen den Kindern herum, ging auf Tuchfühlung.

Alfred Riese:

Eines kann Hermann Mensing ganz hervorragend: Kinder in Geschichten hineinziehen, sie begeistern, zum Zuhören und Mitdenken und –machen anstiften. Insofern wundert es nicht, dass die St.-Georg-Grundschule ihn immer wieder einlädt, jetzt wieder für Lesungen in den dritten Klassen. Wobei das Wort Lesungen es nicht genau trifft.

Als in der Gruselgeschichte „Sackgasse 13“ das mit allen Wasser gewaschene Kaninchen George, der Katzenschreck, zum ersten Mal auftrat, wollte Hermann Mensing erst einmal wissen, welche Haustiere seine Zuhörer haben und erzählte vom Tod seiner Katze. Er ließ die Drittklässler lärmen und machte daraus zusammen mit ihnen die Vertonung eines Kapitels, er forderte die Fantasie. Aber der Autor, der mit dem ganzen Körper las, konnte es auch ruhig werden lassen – und gruselig.



„Kinder sind freundlich, wenn man freundlich zu ihnen ist“, sagte Mensing und fuhr bei den Drittklässlern in Saerbeck ein weiteres Mal gut mit diesem Motto.

Hallo Herr Mensing

letzte Woche haben Sie uns in der Schule besucht. Das fanden wir sehr gut. Sie haben uns zwei verschiedene Bücher vorgelesen und über Ihre Arbeit erzählt. Am besten hat uns das Vorlesen gefallen. Jetzt wissen wir, dass Autor sein keine leichte Arbeit ist. Jetzt wissen wir auch endlich was für schöne Kinderbücher Sie geschrieben haben.Ich fand Ihr Buch sehr spannend. Ich werde mir Ihr Buch kaufen. „Voll die Meise“ war sehr spannend und Ihr Lied war sehr witzig. Ihre Lesung war sehr gut. . Ich bin gespannt, wie es weiter geht. Ich werde jetzt anfangen Ihre Bücher zu lesen. Ich freue mich auf ein Wiedersehen. Mir hat es viel Spaß gemacht mit Ihnen. Besonders toll fand ich das Muckireiten und das Lied. Ihr Lied war sehr lustig J. Das Buch „Voll die Meise“ war richtig toll. Vielleicht bis bald. Mir hat das Buch „Sackgasse 13“ gefallen. Ich fand es gut, als Tobi bei Tim übernachtet hat. Wie Tobi im Nacken gefasst wurde und wie Georg aus dem Schrank gesprungen ist.Ich war begeistert von dem Buch. Ich hoffe, dass ich das Buch zu Ende hören kann. Am besten hat mir gefallen, dass Sie gesungen haben. Es war schön, dass Sie da waren. Vielen Dank für den schönen Vormittag. Sie waren sehr nett und lustig. Ich würde mich freuen, wenn Sie noch mal wiederkommen. Vielleicht besuchen Sie ja noch mal unsere Schule und lesen aus einem anderen Buch vor.

Liebe Grüße

die Klasse 3a der St. Georg-Grundschule Saerbeck:

Jannik, Felix, Florian, Lya, Juana, Marua, Lena, Hanna, Hannah, Linus, Fatima, Samir, Kim, Marie, Leonie, Johannes, Michel, Tyler, Nico, Luca, Jona, Benedikt, Sander, Thierry, Levin, Ermal, Pia, Leen, Ardian.

14:50

Sie ist alleinerziehend und kommt daher selten zum Tanzen, aber wenn sie kommt, tanze ich mit ihr. Gestern kam sie und sagte, tanzt du mit mir cubanisch, ich hab' keine Lust auf Linie. Gern, sagte ich. Nach drei Tänzen war ich schweißgebadet. Das ist der Zustand, den ich liebe. Tanzen, bis auch der letzte Gedanke verstummt. Wie sie heißt, weiß ich nicht. Vielleicht wusste ich's mal. Wir haben jedenfalls ähnliche Seelen. Zwischen uns liegen dreißig Jahre, aber beim Tanzen zählen die nicht.


Di 2.06.15 00:16

Nachdem man Herrn M. den Goldpokal überreicht hatte, weil man hoffte, er wäre dann endlich still, kaufe sich eine feine neue Limousine mit viel Raum um den Fahrenden, mit Luftsäcken, die in nahezu Lichtgeschwindigkeit von allen Seiten auf ihn einschössen, blieb Herrn M. nun wirklich nichts, als das Gegenteil dessen zu tun, was sie erwarteten. Schon die Hinfahrt bestätigte ihn. Mitten auf der Landstraße nach Amelsbüren geriet er in einen Stau, der ihm sogleich Fragen hinsichtlich der Zukunft der Menschen, ihrer Bestimmung und ihrer Dummheit aufdrängte. Die meisten der von ihnen verübten Tätigkeiten führen zu nichts von Belang oder Bestand. Im Augenblick etwa glaubten sie, dass Industrieparks sie voranbrächten. Sie hatten gerade einen errichtet, der hat eine eigene Autobahnabfahrt, die in Kreisverkehre mündet. Na, und wenn man so etwas errichtet, staut es sich schon mal, weil ja viel Material gebraucht wird. Ständig geht es hin und her. Herr M. scherte aus, und fuhr einen Umweg. Als er die Straße der muselmanischen Autohändler erreicht hatte, wusste er, dass er den Pokal einschmelzen ließe.

Hinterm Autohof war eine Moschee. Irgendwas Pakistanisches, der Händler wusste es auch nicht, jedenfalls weder Schiiten noch Sunniten. Am Zaun vor der Moschee stand das Auto, das Herr M. ins Auge gefasst hatte. Der junge Händler, dick, wie junge Menschen im Westen häufig dick sind, Sohn des bärtigen, des Deutschen nur bruchstückhaft mächtigen Orientalen, der auf dem Hof stand, sagte in einwandfreiem Deutsch, der Wagen sei verkauft, ob Herr M. nicht den daneben stehenden kaufen wolle.

Herr M. wusste von diesem Wagen. Er hatte ihn im Internet betrachtet, wie man im Internet alte Kühlschränke, Möbel, Schuhe (Herr M. betrachtete gern Schuhe) Teppiche und nackte Frauen betrachtete, die ihre Scham auseinanderzogen, als gälte es, einer Kompanie Pimmel Unterschlupf zu geben. Herr M. kannte also das Auto daneben und wusste, was man sich von ihm erzählte. Ja, vielleicht sollte er es probefahren.

Schon das Einsteigen war schrecklich. Nach dem Benz irgendwie beleidigend. Als er vom Hof auf die Straße fuhr und Gas gab, kam Klarheit in die Sache. Dreimal nein, er würde keinen neuen Wagen kaufen. Das Gefühl sagte, wenn diese wunderbare Benz erst mal weg ist, wird Erleichterung einsetzen. Das Gefühl hatte das schon letzte Woche gesagt. Erst wenn er reich wäre, würde er wieder auf Vernunft pfeifen. Er könnte sich ein modernes Fahrrad kaufen.

So erlöst von den Zweifeln hinsichtlich seines Fortkommens als Mensch, fiel es Herrn M. leicht, seinen neuen, temporären Mitbewohner vom Bahnhof abzuholen. Ein Sprachstudent, 25. Er ist recht klein, dunkelhäutig, spricht gut Englisch, kann sogar schon ein paar Brocken Deutsch und will alles wissen, sofort.

Herr M. fragte, ob er wisse, dass viele Menschen im Westen glaubten, dass Asien in absehbarer Zeit die Welt regieren werde. Davon hatte er noch nicht gehört, oder er wollte es nicht zugeben. Asien ist groß und er kommt aus Indonesien. Herr M. würde ihn bremsen müssen. Er hatte den Schlüssel, den Herr M. ihm gleich nach dem Empfang gegeben hatte, verlegt. Das machte ihn unruhig. Herr M. sagte, er solle den Schlüssel vergessen und erst einmal seinen Eltern eine SMS schicken. Fünf Minuten später hatte er das Handy in einen Selfie-Verlängerungsarm geklemmt, und bat Herrn M., neben ihm Modell zu stehen. Das tat Herr M. gern.



Mi 3.06.15 13:39

Mahmud saß hinterm Schreibtisch in seinem Container. Er hat am Stadtrand eine fußballfeldgroße Fläche gemietet, auf denen dichtgedrängt alte PKW stehen. Nebenan sind zwei weitere große Flächen voll alter PKW. Auch dort sitzen Orientalen in Containern wie Spinnen im Netz, trinken Kaffee, rauchen und warten auf Kunden. Geschäfte werden bar abgewickelt. Mahmud griff in seine Hosentasche, holte ein dickes Bündel 50er heraus und zählte 9 ab. Unterschrieben wurde nichts, das Geld wurde ausgehändigt, damit gehörte mein alter Benz ihm. Bisschen wehmütig verließ ich das Gelände, um festzustellen, dass schräg gegenüber ein Fahrradgroßhandel war. Ich ging hinein. Ich probierte mehrere Räder. Eines gefiel mir sehr, aber ich brachte es nicht übers Herz, den Erlös für den Benz in ein Fahrrad zu inverstieren. Ich fand, dass mein Benz mehr wert wäre, aber das ist eine unzutreffende, romantische Betrachtung. Fakt ist, dass mir 50 Euro geblieben wären, wenn ich das Rad gekauft hätte. Nun also hocke ich hier ohne Benz und ohne neues Fahrrad. Heute früh zahlte ich das Geld auf mein Konto ein. Ich steckte es in eine Maschine, die 8 von 9 Scheinen klaglos akzeptierte, aber den 9ten zurückwies. Ich ging auf den Markt und kaufte Erdbeeren und Spargel damit.

23:34

Hab mir nun doch einen neuen Mercedes gekauft.





Do 4.06.15 9:42

Gleich am ersten Tag fragt mein neuer Untermieter, ob er mich, wenn er im September nach Hannover zieht zum studieren, auch einmal besuchen könne. Ich sage ja, natürlich, kein Problem. Dann will er wissen, ob Mineralwasser dick macht. Nicht, dass ich wüsste, sage ich. Es sei nämlich so, sagt er, dass Bata, Menschen aus Nordsumatra, woher seine Eltern stammen, zur Fettleibigkeit neigten, weshalb er bemüht sei, auf seinen Body-Index zu achten, wenngleich Bata natürlich schwere Knochen hätten. Er wäre mal dick gewesen, sagt er, und in Indonesien wäre sowieso viele zu dick, weil niemand sich bewege, keiner zu Fuß ginge oder Fahrrad führe. Indonesien klingt in seinen Erzählungen wie ein Land verfettender Herz- und Kreislaufgeschädigter. Zum Frühstück isst er allerdings Brot mit Nutella. Er ist ein seltsam unruhiger Geist. Er will Dinge wissen, die er jetzt noch gar nicht verstehen kann. Gestern etwa bat er mich, ihm einen Roman zu empfehlen. Ich riet ihm, es zunächst mit der Tageszeitung zu versuchen. Ihn wundert, dass ich kaum fernsehe. Woher ich denn meine Informationen bekäme? Radfahren kann er, sagt er, aber er fürchte sich, man führe hier so schnell. Schwimmen kann er nicht.


22:21

Erst war der Enkel gar nicht gut drauf, er hatte seinen Mittagsschlaf verpasst, aber dann wurde es besser und besser und besser.





Sa 6.06.15 7:55

der regen trommelt
schwarze nacht
mir scheint die welt sturztrunken,
und jedes einzelne geräusch
ist tief in mich gesunken.

vielleicht schlägt weißes licht herab,
ich trinke schweren, bitteren kakao,
ich geh herum und schau
und bin in mich versunken.

noch eine zigarette, sage ich,
noch eine liebe, liebe mich,
noch ein gedanke, der nur mir gehört,
und nichts mehr, was mich stört.

aloha, wünsche eine gute nacht,
ich habe nichts verhindert, nichts vollbracht,
ich bin ein kleines, helles licht,
mehr nicht.


8:12

Mein Untermieter steht um 5 Uhr auf und rennt 10 Kilometer. Seit Montag in Deutschland hat er sich schon für den Volksbank Marathon im September registriert. Gestern fragte er, wo er Wintersachen kaufen könne, und ob es Rabatte gäbe? Ich sagte, der Sommer habe noch nicht einmal begonnen, eins nach dem anderen, crazy asian. Er lacht.

Zur Eröffnung des Hafenfestes sprangen Fallschirmspringer aus großer Höhe aus Flugzeugen, um im Hafenbecken zu landen. Bis auf einen, der aus Nordost einsegelte, kamen alle aus Südwest. Dieser eine nun stellte in der finalen Phase des Landeanfluges fest, dass der Arm eines Kranes ihm im Wege war, und wechselte abrupt die Richtung. Das sah abenteuerlich aus, und führte dazu, dass er weitab vom offiziellen Landepunkt, wo die DRLG Retter stationiert waren, wasserte.

12:03

Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte ich es für ein Wunder halten. Kaum habe ich mir im Netz eine bestimmte Ware angeschaut, erscheint beim nächsten Internetbesuch eine Anzeige dafür. Wow, denke ich, der Kapitalismus ist clever. Der war schon clever, als ich noch an Rock 'n Roll glaubte, aber das stimmte nicht, sie haben mich schon damals verarscht, Rock 'n Roll war ein Geschäft, und die Hintermänner waren schon damals clever, schon immer waren die clever, so clever müsste ein wie auch immer gearteter Sozialismus erst einmal sein.

21:26

kaum aus dem bett
denke ich
ich zwinge mich
ich mache kaffee
ich spüre die stiche
und denke
es geht nicht
es geht nicht
es könnte schön sein
schön
es geht
es geht nicht
es geht
es geht nicht
es ist zuviel
viel zuviel
ich sehe
wie der feine staub
über die engelmansduin weht
und dann
denke ich dreizehn
und die stiche
die stiche kehren zurück
und ich denke
und denke
und denke
ich denke und denke
es geht es geht nicht es geht
es geht nicht es geht


So 7.06.15 22:40

Mein neues Rad ist so schnell, dass ich die Vögel kaum singen höre, weil mir der Wind um die Ohren pfeift. Denke schon über einen Helm nach. Mein Untermieter lacht über meine Scherze, aber heute am späten Nachmittag war ich mir plötzlich nicht mehr sicher, ob er auch versteht, worüber er lacht. Möglich, dass er nur höflich sein will. Jedenfalls ist er sehr ordentlich und - wie soll ich das sagen - vorausschauend gehorsam. Ich könnte ihn als Hausdiener gegen Kost und Logis im Keller einsperren. Müsste da unten dann nur noch ein Glöckchen anbringen, dass ich durch Knopfdruck von hier oben auslösen könnte. Ich weiß noch, wie ich 89 in Sanscoussi staunte, wieviele Klingelknöpfe für verschiedene Diener es gab. So etwas will ich auch. Und da ich ja keine Auto mehr habe, könnte ich mir das leisten.


Mo 8.06.15 19:03

Um meinem Lampenfieber vorzubeugen, nahm ich ein Viertel einer Mirta TAD Filmtablette ein, ein vom Doktor verschriebenes, sedierendes Mittel.
Ich schlief wunderbar. Es war nicht dieses ewige Herumwälzen bis zum Morgen, das mich vor Lesungen immer zermürbt, aber als ich erwachte, war die Welt wie im Nebel. Ich hatte schon einmal eine dieser Tabletten genommen, ich wusste also, dass ich hochsensibel auf die Einnahme psychoaktiver Drogen reagiere, aber dass es auch bei einem Viertel so schlimm käme, hatte ich nicht erwartet. Ich duschte eiskalt und heiß in mehrfachem Wechsel, aber das half nicht. Ich hoffte, wenn ich mich gleich aufs Rad setzte und losführe, würde es besser, aber das wurde es nicht. Der Schleier blieb. Ich kämpfte mich durch zwei Lesungen. Ich bin nicht aus Watte, ich machte meine Sache nicht schlecht, aber Wachsein fühlt sich anders an. Als ich gegen Mittag zuhause war, habe ich mich hingelegt, und gerade erst bin ich aufgestanden.


Di 9.06.15 10:23

Die Gruppe hat einen Kreis gebildet. Ich bin Teil dieses Kreises, aber ich mag Gruppen nicht, die Kreise bilden und Kennenlernspiele veranstalten, in denen sich alle der Reihe nach vorstellen. Das soll aber keine Ausrede sein, denn fast alle (bis auf eine, die sich rundum weigerte) konnten sich an die Namen und typischen Handbewegungen erinnern, mit denen sich jedes der schätzungsweise 30 Mitglieder vorstellte: Ich heiße Achim und angle. Ich bin Helga und häkle ... etc. Ich war etwa an 25ter Stelle und konnte kaum die ersten zehn erinnern. Derart durchgefallen scheint es mir daher vernünftiger, Mitglied einer Demenzgruppe zu werden, statt weiter einer Gruppe anzugehören, die sich für ein Projekt gemeinschaftlichen Wohnens stark macht, in das ich nur eingetreten bin, weil sie dabei ist. Ich bin nicht vernünftig. Ich bin nicht sozial. Ich weiß überhaupt nicht, was ich bin und was ich in der Welt zu suchen habe. Ich hatte immer gehofft, das würde sich mir mit zunehmendem Alter erschließen, aber das stimmt nicht.


Mi 10.06.15 10:43

Morgens um sechs steht er in der Küche und kocht. Gegen acht ist er aus dem Haus und gegen halb drei wieder zurück. Dann kocht er wieder. Und putzt die Küche blitzblank. Legt das Spültuch gefaltet auf die Anrichte. Ich mag schon gar nichts mehr liegenlassen. Oft lernt er bis abends. Nun könnte man denken, so einen Sohn hätte man gern, aber ich nicht. Ich mag meine Söhne lieber. Mein fernöstlicher Gast wird mir ein wenig unheimlich.



Fr 12.06.15 16:06

Schweißtreibend, mit dem Rad in die Stadt zu fahren und wieder zurück, aber es musste sein, ich hatte bei ebay einen Harman Kardon CD Player gekauft, der wollte abgeholt werden. Der alte, ein NAD, hat nie zuverlässig funktioniert, immer hatte er Aussetzer, ein neuer Laser hat das nicht beheben können, deshalb kommt er nun auf den Müll. Harman Kardon, deutsches Produkt, dachte ich, stimmt aber nicht, ist auch in China zusammengeschraubt, wie die ganze westliche Welt in China zusammengeschraubt wird. Nicht so das Auto meiner Schwester, das ich mir, da ich nun in der zweiten Woche ohne PKW durchs Leben gehe, leihen musste, denn der CD Player steht außerorts. Mazda, japanisch, klein, Kombi, ordentlich in der Spur, nur leider fand ich den Knopf zum Ausschalten des Autoradios nicht. An der Lenksäule ist zwar ein Multifunktionshebel, aber damit ging es nicht. Blieb nur Leisestellen, und so fuhr ich über Land
nach Hilter am Rande des Teutoburger Waldes, dort wechselte der CD Player für 50 Euro den Besitzer. Unterwegs hatte man mir zweimal die Vorfahrt genommen, einmal wurde ich haarsträubend überholt, so dass ich dem Fahrer des SUV sofortiges Abschmieren in die Rabatten wünschte. Stille jetzt und Musik hören.


23:40

Das Rad ist über eine Woche im Gebrauch und heute habe ich
rausgekriegt, wie es bewege, ohne außer Atem zu geraten. In den Tagen zuvor war das Fahren eine einzige atemberaubende Raserei, ich habe sieben Gänge, und ich weiß nicht, wieso, irgendwie haben die mich vor sich hergetrieben, ich fuhr immer Höchstgeschwindigkeit. Da das Rad leicht läuft, ist das nicht wenig. Vorhin nun, unterwegs zu einem Rendevous im Schrebergarten, war das anders. Hatte mir jemand gesagt, ich könne auch langsam fahren? War ich von selbst drauf gekommen? Ich weiß es nicht, die simplen Dinge versteht man ja manchmal erst spät. Jetzt jedenfalls weiß ich's. Ich fuhr entsprechend, war nicht außer Atem, als ich ankam, und auf dem Rückweg am See entlang, durch den Wald, vorbei an hüfthoher Gerste, habe ich das Rad geradezu genossen. Oder anders: ich habe die Welt genossen, durch die ich glitt, ja, so, war's.


Sa 13.06.15 10:51

Das bahnt sich was an. Heute früh schrie ein Pfau, vorhin heulte ein Hund.


So 14.06.15 13:30

Über der Stadt kreist eine dreimotorige Juncker und ein großer, mausgrauer Doppeldecker. Es scheint, dass Menschen es aufregend finden, mit Flugzeugen, die eine Vergangenheit haben, über die ich lieber nicht nachdenken möchte, über ihren Städten zu kreisen, während unten der Sonntag läutet. Man hört die Kolben stampfen, wenn die JU näher kommt. Der Führer will grüßen. Unten gehen Menschen und recken die Hälse. Einer sitzt auf einer Bank am See. Er versucht zu lesen. Aber einfach ist das nicht. Ständig hört er Schritte. Während der Führer herabschaut, stählen die Nachfahren ihre Körper durch ausdauerndes Rennen. Sie tragen Uniformen, ohne Uniform rennen sie nicht, bunte Uniformen aus atmungsaktiven Kunstfasern und Siebenmeilenstiefel aus reinem Plastik. Viele haben Elektronik um den Bizeps geschnallt, Atem- und Herzschlagmesser, Schrittfrequenzermittler und Blutdruckwächter. Nebenher telefonieren sie oder hören Musik oder beides.

Auf dem See schwimmen Canadagänse. Es werden jährlich mehr. Wenn das so weitergeht, sieht man den See bald vor Gänsen nicht mehr. Dabei hat es vor ein paar Jahren harmlos begonnen, da hatten sich zwei Gänse verflogen und beschlossen, zu bleiben. Tja, so kann es gehen. Die JU kippt übern rechten Flügel und kreist den Dom ein. Ralf hat damals ein Haus gebaut, aber mit Gerda hat es nicht geklappt, hört der Lesende, kennt aber weder Ralf noch Gerda, weiß nicht, wo ihr Haus steht und erfährt nicht, was aus ihnen geworden ist, denn schon kommen Gegenläufige und einer sagt, er könne nicht begreifen, dass er bei Professor Grewe ... und wieder jemand sagt, mit den Russen hat das schon im Mittelater begonnen ...

Alles weht vorüber, und der Lesende, der auf Seite 405 des Roman "Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval" von Lars Saabye Christensen steckt, überlegt, ob er beim nächsten Mal nicht ein digitales Aufnahmegerät mitnehmen sollte, das die Töne der tatsächlichen Welt aufzeichnet, damit er sich nicht immer mit den Stimmen im Kopf auseinandersetzen muss, die versuchen die Welt zu verstehen und sie möglicherweise nachzuahmen, damit man ihn nicht doch als jemanden erkennt, der nichts von den anderen weiß und sich am wohlsten fühlt, wenn sie ihm nicht zu nahe rücken.

Dass man darüber den Kopf verlieren kann, ist klar, und da wäre es natürlich besser, wenn man nur auf sich vertraut und niemanden sonst, und besser wäre es auch, diese Stimmen aufzuzeichnen, ganz bestimmt wäre das vernünftiger, dann hätte man Beweise. So hat man nichts, nur Hirngespinste und was man damit macht, weiß niemand so genau. Manchmal wird das ein oder andere sozusagen geadelt, weil jemand behauptet, es handle sich um Literatur, dann wieder bleibt es Hirngespinst. Bei manchen führt es sogar dazu, dass so genannte Ärzte Tabletten verschreiben.

Hach ja, so ein Sonntag mit dem Flugzeug des Führers ist schön. Da kann man sich vieles vorstellen. Und wenn man bedenkt, dass dem Lesenden über Jahrzehnte eine Frau ganz nahe war, kann man sich eigentlich nur freuen, denn so viel Glück hat nicht jeder, wenngleich er in diesen Tagen ein wenig bedrückt ist, weil sich bald der Tag jährt, an dem sie das Leben verlassen hat, aber den wird er schon überstehen. Und wenn man dann noch bedenkt, dass es gegen jede Erwartung jetzt wieder einen Mensch gibt, der mutig genug war, sich ihm zu nähern, dann mag man sich kaum ausmalen, wie glücklich dieser Mensch sein müsste, und ehrlich gesagt, ist er das auch. Er sagt es nur nicht weiter, damit die Neider nicht aufmerksam werden. Allerdings (und das ist natürlich fatal) kann er es nicht so recht glauben.


Mo 15.06.15 10:35

Um die plötzliche Kehrtwende zu verstehen, muss man wissen, dass Herr M. noch nie ein nagelneues Fahrrad besessen hat. Immer waren es mehr oder minder betagte Modelle, von anderen übernommen und aufgeputzt. Schon das erste, das er mit acht oder neun bekam, gehörte ursprünglich dem Sohn eines dem Vater aus Fußballerzeiten bekannten Polizisten, der an der Dinkelbrücke gegenüber vom Hallenbad lebte. Es wurde vom Vater himmelblau angestrichen. Neu war einzig der Tachometer, über den Herr M. sich beugen konnte, um Höchstgeschwindigkeiten abzulesen. Später ging Herr M. dazu über, Fahrräder zu finden, beim Fundbüro anzumelden, und nach einem halben Jahr der Zwischenlagerung in seinem Keller selbst zu nutzen.

Da er nun aber ein nagelneues Fahrrad besitzt, das ihm über den Verlust seines Benz hinweghelfen muss, hat er eine gewisse Sorgfalt an sich entdeckt, die er an anderen immer verachtet hatte, eine Putzwut, könnte man sagen, um den Bestand im Wert zu erhalten. Dass ein neues Fahrrad ihn dem bürgerlichen Lager, dem er sich nie nahe gefühlt hat, näher bringen könnte, hätte er nie gedacht. Gestern etwa hat er einige Zeit darauf verwendet, einen vom Fahrradhändler angebrachten Sticker unterhalb der Lenksäule mühsam abzulösen, weil er ihn aus ästhetischen Gründen störte. Auch ist es so, dass er Staub auf den Schutzblechen kaum duldet. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass man ähnliche Anwandlungen an Herrn M. nach Erwerb des gebrauchten Benz nicht beobachten konnte, im Gegenteil, damal tat er alles, um den Stern auf deutschen Straßen zu konterkarrieren, aber das ist vielleicht eine andere Geschichte.

20:04

Als er den Garten betrat, wälzte sich ein brauner Hund auf dem Rasen und präsentierte seine erstaunlich großen Geschlechtsteile. Auf der Bank saßen zwei Frauen, beide über sechzig. Eine kannte er. Er war in bester Absicht gekommen. Was zu tun wäre, würde er fragen, und vielleicht würden sie den Abend miteinander verbringen. Die Frau mit dem der Hund verabschiedete sich. Die andere Frau nannte sie eine Klatschbase. Aha, sagte er. Schließlich fragte er, was zu tun sei. Die Bank wäre zu reparieren. Und die Stühle vielleicht. Er machte sich an die Arbeit. Die Frau allerdings hatte Einwände, viele Einwände, und so verbrachte er den Abend lieber allein.


Di 16.06.15 11:46

Hundert Mal geht es gut, einmal nicht. Ich habe aufgepasst, trotzdem. Ich frage mich, wieso hundert Mal vorher? Ich finde keine Antwort. Ich weiß nicht, wer den Körper dirigiert, ich jedenfalls nicht. Ich bewohne ihn, ich habe ihn zugeteilt bekommen, mit seiner Hilfe übe ich verschiedene Tätigkeiten aus, aber Macht habe ich nicht über ihn. Der Körper tut, was er will. Oft scheint er andere Dinge zu wollen als ich, was nicht heißt, ich wüsste, wer ICH ist. Ich weiß nur, dass ICH den Körper irgendwann mit ungewissem Ziel verlasse, wie DU deinen verlassen hast. Als DU schon fort warst, habe ich dir das grüne Kleid angezogen, weißt du noch?


Mi 17.06.15 10:26

Chris 13.02.1953 - 17.06.2009




wenn wir anfingen
sprachen wir bände
wir liebten unsinn
als aber der satz fiel
verstummten wir
weil er drohte
und wir - keine krieger
und die waffen nicht scharf
trotzdem
mussten wir in den krieg
wir lasen die bulletins
anfangs noch frohe botschaften
aber wie in jedem krieg
täglich düsterer und die einschläge
schließlich tödlich
so kam mir der unsinn abhanden
und alles übrige auch



Do 18.06.15 21:17

Wir treiben durch die Stadt, den Flurstücken hinterher, folgen einer russischen Tanzcompagnie von der Stubengasse zur Stadtbücherei, von dort zum Rathausinnenhof und schließlich zum Kunstmuseum. An jedem Ort wird getanzt, uns gefällt, dass ringsum die Welt weitermacht, aber es rührt uns nicht.

Anarcho-Comiker schieben eine Schubkarre mit einem toten Schwein durch die Stadt, das später gegrillt werden soll. Sie sprechen und singen französisch, eine Traube Menschen folgt ihnen, später hören wir, dass sie das Schwein auf dem Altar einer Kirche gesegnet haben. Sauereien also, wovon sich die Welt aber nicht ändert. Hätten wir's gewusst, wären wir der Sensation halber gefolgt, so aber ließen wir das Schwein und die Franzosen ziehen und fuhren mit dem Rad zum stillgelegten Fußgängertunnel am H1. Dort eine Videoinstallation.

Wir sind entweder zu abgebrüht, zu alt, zu erfahren oder zu dumm, denn auch dort sind wir nicht beeindruckt. Beeindruckt wären wir gewesen, hätte jemand den Goldmann - Sachs Tower in New Jersey gesprengt.

Aber schön ist es schon, so herumzugehen und Menschen zu sehen, die Kunst sehen oder das, was sie für Kunst halten. Alles ist umsonst, alles ist draußen, ein frischer Wind weht. Ein Wind, der seit sechs, acht Wochen das Radfahren schwerer als nötig macht. Dabei ist es zu kühl und zu trocken



Fr 19.06.15 9:45

Ich träume viel letzte Zeit. Wer weiß, wozu das gut ist.


So 21.06.15 00:10

Flurstücke

Auf dem Schlossplatz trat das Wired Aerial Theater aus Liverpool auf. In "As the world tipped" dreht sich alles um das Verschwinden der Arten. Die Welt geht unter, das lese ich täglich. Dass Politiker auf Klimakonferenzen Eiertänze tanzen, weiß ich ebenfalls. Ich weiß, dass es im Rhein wieder Lachse gibt, aber ich fürchte, dass der Mensch trotzdem keine Chance hat, es sei denn, er kommt zur Vernunft, die seine Sache nie war.

Das ist alles nicht neu, aber wenn man nun Theater draus macht, wie könnte oder müsste das aussehen? So spektakulär, wie die Inszenierung des Wired Aerial Theaters, deren Tänzer vor einer riesigen, senkrecht von einem Kran hängenden Plattform, die auch Projektionsfläche ist, an Seilen den Untergang tanzen, damit auch der letzte Idiot begreift, was die Uhr geschlagen hat?

Also, ich weiß es nicht, für mich muss so ein Spektakel nicht sein. Agit Prop mochte ich noch nie. Ich mag die Welt, ich wünsche ihr alles Gute, aber die Welt ändert sich nur mit jedem Einzelnen, nicht mit auf Politiker und Konferenzen projizierte Hoffnungen, mit Theater leider auch nicht. Tja. Und so bleiben ein paar spektakuläre Bilder, und der Heimweg durch kühle Luft.

21:43

Der längste Tag, die kürzeste Nacht, es geht abwärts, dabei hat es noch nicht einmal richtig begonnen.


Mo 22.06.15 15:41

Mein Untermieter studiert von früh bis spät Deutsch. Dass es auch Deutsche gibt und ihr Land ringsum, dass es Kultur gibt, am vergangenen Wochenende etwa die Flurstücke und die Grünflächenunterhaltung, bringt ihn nicht vor die Tür, obwohl ich es ihm schmackhaft zu machen versuche. Er kocht morgens zwischen 6 und sieben sein Mittagessen, duscht, fährt los und studiert. Wenn er heimkommt, erledigt er Hausaufgaben und geht zu Bett. Verrückter Asiat, sage ich. Du wirst die Welt erobern. Er findet mich immer noch lustig. Ich ihn auch, irgendwie, aber die Diskussionen, die ich mit dem Chilenen, der im Winter bei mir wohnte, geführt habe, führe ich mit ihm nicht. Heute ist er mit seiner Schule für drei Tage nach Berlin gefahren. Ich nehme an, sie absolvieren das übliche Berlinprogramm ohne Mauer. Früher wurden solche Reise vom Senat und vom Bund gesponsort. Da musste man Mauer gucken und Plötzensee. Vielleicht diesmal das Holocaust Denkmal? Auf jeden Fall aber Reichstag. Aber über die Stränge schlagen wird er bestimmt nicht, wetten ...

22:12

Es dämmert, ich habe mich in eine Decke gewickelt, es fühlt sich an wie Herbst. Einen Roman schreiben könnte helfen, fragt sich nur: worüber? Ich wüsste nichts.


Di 23.06.15 12:26

Will man nicht. Hat man noch nie gewollt. Tut man nicht. Täte man, wenn die Umstände anders wären. Weiß man nicht. Würde man wissen, wenn man Herz hätte. Hat man aber nicht. Hätte man, wenn die Umstände anders gewesen wären. Dann ja. Dann hätte man Pfunde Herz, und dann schriebe man es auf ein Transparent und hängte es über die Stadt. Über die ganze Stadt hängte man es, und dann könnten alle es lesen. Habe Herz. Tu es. Will es. Ein riesiges Transparent. Und während alles hinaufstarrten, säße man unten und rieb sich die Hände. Man hätte ja jetzt endlich etwas getan. Man hätte etwas getan, das zu nichts nutze wäre, aber ein frohes inneres Kribbeln verursachte, das hätte man schließlich getan, und das wäre doch etwas. Endlich wäre das etwas, das man selbst getan hätte, für sich, nicht gegen Geld. Und während die Schlagzeilen sich von Tag zu Tag herumpolterten und so täten, als würde irgendetwas Sinn machen, hinge das Transparent Tag und Nacht und jeder könnte es lesen. Habe Herz. Tu es. Will es.


Mi 24.06.15 18:23

Nun war er im Dicken B., und ist nicht über die Stränge geschlagen. Stattdessen beschwert er sich über Engländer, die im Hostel um zwei in der Früh noch gefeiert hätten. Aber X., möchte ich sagen, das ist doch der Grund eines Berlinaufenthaltes. Im Hostel trinkt man so lange weiter, bis es nicht mehr geht, das wussten wir schon als Fünfzehnjährige. Er lacht, aber lustig kann er das nicht finden. Er wird einmal zur Elite seines Landes gehören
, eine Elite, die vom Taumel der Jugend nichts mitbekommen hat.


Do 25.06.15 15:07

Ich höre. Was sagt der Bauch?


Fr 26.06.15 19:03

Aus. Aus. Auuuuuuus. Das Spiel ist aus.


Sa 27.06.15 20:12

Romananfang 19

Vier Männer gehen in einem Raum möbliert mit Sperrmüll, Verstärkern, Schlagzeugen und technischem Zubehör mit windmühlenförmig vorgetragenen Schlägen aufeinander los, treffen Körperteile, häufig auch andere hochgereckte Arme, manchmal Gesichter. Es scheint, als kämpften alle gegen alle. Nach einer Weile wird klar, dass einer mit kleinem Gesicht und kleinem Bauch und einer mit Glatze und langem Chinesenbart zusammenarbeiten, jedenfalls gehen sie nicht gegeneinander vor. (mehr Romananfänge)


So 28.06.15 19:04

Die Gerste ist fast golden. Mit dem prognostizierten Sommer der nächsten Tage wird den Bauern nichts anderes bleiben, als ihre Maschinen auf die Felder zu treiben und die Gerste zu schneiden.

22:21

Der älteste Enkel feiert seinen Geburtstag. Die Eltern haben einen Peter Lustig Wagen gemietet. Die kleinen Gäste haben es gut hier, es gibt Süsses, Gesundes und Ungesundes. Die Sonne scheint durch leichte Wolken, so dass man es aushalten kann. Die Linden blühen. Über die Wiese watscheln Laufenten. Ein Hund liegt hinterm Zaun und schläft. In einem Gehege einen Steinwurf entfernt grasen außerordentlich große Ziegen. Die Kinder können überall hin. Sie suchen einen Schatz. Für jedes Kind ist eine kleine Überraschungstüte drin. Die Erwachsenen sitzen, essen, trinken und schwatzen. Zum Kaffeetrinken muss man rüber in das Café des Stiftes. Dort sitzen die Verrückten im Sonntagsstaat und staunen Touristen an. Irgendwann kommt leichter Regen. Jemand mit einer Wetter-App prognostiziert eine Front. Ich setze mich aufs Rad und fahre schnell heim. Mein Untermieter kocht Glasnudeln aus dem Asienshop. Als er isst, hängt er überm Teller und schaufelt sie sich hinein. Schön sieht das nicht aus, aber Asiaten essen wohl so. Ich esse griechischen Käse, eine Tomate, eine Scheibe Brot, einen Matjes. Ich lege mich aufs Sofa. Ich lese. Ich öffne Facebook und gerate in eine Diskussion über Griechenland. Ich kommentiere, sofort geht das Dissen los. Alle haben eine Meinung, also lösche ich meine Kommentare und rauch ein Pfeifchen. Schreiben kann ich nicht. Schreiben ist fadenscheinig, madig und eitel. Kokett außerdem. Wäre ja gelacht, wenn ich Koketterie nicht beherrschte. Ansonsten noch unter Schock. Seit meine Katze tot ist, ist meine Wohnung ein Mausoleum. Dass ein Tier eine solche Lücke reißt! Ich würde gern raus hier, fragt sich, wohin? Für's Altenheim ist es noch zu früh. Das generationenübergreifende Wohnprojekt, in dem ich mich eigentlich nur der Freundin wegen engagiere, ist mir nicht geheuer. Es ist mir zu gut gemeint. Pft. Das einzige, was ich will, ist stilles Ruhen im Hermann ohne ständigen Einspruch.


Mo 29.06.15 14:12

ich spür, gleich nimmt es überhand,
hab aber keinen sprengsatz,
steh mit dem rücken flach zur wand,
und warte auf den einsatz.

ich hab die worte schon sortiert,
hab ihnen nie vertraut,
tief drinnen wütet's ungeniert,
ich weiß, gleich werd' ich vorlaut.

ich könnte jetzt die flucht ergreifen,
mich elegant entleiben,
ich könnte auch ein liedchen pfeifen,
nur eins nicht, länger bleiben.

ich muss jetzt raus, egal, wohin,
nicht einmal güte hilft noch,
die welt ist gänzlich ohne sinn,
ein bittersüßes arschloch.

ich schafft's zum auto, atme tief,
der warenwelt entkommen,
ringsum der mief
des industriegebiets, verkommen.

nur ruhig, ich fass mir an die stirn,
ich hebele einen gang ein,
fast automatisch lenkt das hirn
nach hause, heim zum standbein.

da komm ich an, bin schweißgebadet,
hab wieder einmal überlebt,
ich staune, ich bin unbeschadet,
und spür', die erde lebt.


Di 30.06.15 14:33

Seit vier Wochen bin ich ohne Auto, aber geheilt bin ich noch längst nicht. Ich war vierzig Jahre mobil. Vierzig Jahre bestand die Option, jederzeit aufbrechen zu können. Natürlich bricht man in der Regel nicht auf, aber das macht nichts, es geht einzig um die Option. Man könnte. Ich kann nicht mehr, und das fühlt sich nicht gut an. Wenn es sich ganz schlecht anfühlt, suche ich im Netz nach Gebrauchtwagen. Gestern hätte ich fast zugeschlagen, dann habe ich mich nach den Kosten für die Versicherung erkundigt und erfahren, dass selbst so ein 1,4 Liter Golf mit Schiebedach (falls je wieder ein Auto, dann nur eines mit Schiebedach, am liebsten ein Cabrio, aber da passt mein Schlagzeug nicht rein, als Alternative bleibt ein Twingo im Gespräch) nur dreißig Euro weniger kostet als mein alter Benz. Das steht in keinem Verhältnis, wenn man den Komfort der beiden Fahrzeuge vergleicht.

Also doch kein Auto. Ich komme ja rum. Gestern war ich mit dem Bus in der Stadt. Das ist interessant. Ich kann beobachten. Die Stadt schaukelt vorbei und ich muß mich um nichts kümmern. Vom vielen Fahrradfahren habe ich augenblicklich erschwerte Knochen, aber das wird sich ändern, sobald ich einen neuen Vorbau für meinen Lenker habe. Überhaupt, die Perspektive auf dem Rad ist wundervoll. Die Stadt selbst reizt, aber schöner ist es hier draußen.

Heute früh träumte ich von meiner Frau. Wir hatten uns gesucht, wir suchten in den Außenbezirken einer unwirtlichen Stadt. Als wir uns endlich trafen, beschlossen wir zu heiraten. Ich war schon halb wach. Sie lag neben mir, ich könnte sie spüren, ich wusste, dass ich träume und blieb noch eine Weile so liegen, eh ich die Augen aufschlug. Sechs Jahre lebe ich ohne sie, und es gibt so viele Dinge, die ich nur mit ihr teilen könnte. Ich fühle mich oft überfordert.