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Kaunas/Litauen

Der Bahnhof von Kaunas war wegen Gleisarbeiten geschlossen, weshalb wir an einer Station fünfzehn Kilometer östlich hatten aussteigen müssen, um mit einem Shuttlebus in die Stadt zu fahren. Ein Gewitter zog auf, als wir uns vor eine Kneipe am Busbahnhof setzten, um durchzuatmen und erst mal ein Bier zu trinken. Kaunas hatte noch kein Gesicht, bis auf die breite, in die Stadt führende, von sozialistischem Plattenbau gesäumt Allee, nicht sehr ansehnlich. Eine blonde Mittdreißigerin bedient uns sehr freundlich, ein Bahnhofstrinker setzt sich zu uns und will wissen, woher wir kommen. Von Vilnius, sagen wir. Und aus welchem Land? Aus Deutschland. Aha. Die Blonde bestellt uns ein Taxi. Wir haben ein Zimmer in der Altstadt, St. Getrudis Appartment. Ich hatte es online gebucht, weil es ungewöhnlich war, roh gemauerte Wände, Bögen, Mamorfußböden, ich hatte angenommen, es sei ein Zimmer in einem ehemaligen Kloster. Der Taxifahrer konnte wegen einer Baustelle nur knapp hundert Meter entfernt halten, das Gewitter war nun über der Stadt, ein Wolkenbruch ging nieder, wir retteten uns in den Eingang einer Drogerie, um das Schlimmste abzuwarten. Ich rief den Vermieter an. Er sagte, er sei in fünf Minuten dort. Fünf Minuten später stolperten wir bei pladderndem Regen eine heruntergekommene Treppe hinab ins Appartment. Alles war wie auf dem Foto, bogenförmige Durchgänge, die moderne Küche, die Betthöhle. Wir zahlen, der Vermieter geht, wir stellen unser Gepäck ab, wir setzen uns auf ein barockes Sofa und realisieren, dass wir in einem feuchten Kellerloch mit kleinen Fenstern hoch unter der Decke gelandet sind. Es müffelt. Das Bettzeug ist aus Kunstfaser, die Handtücher sind alt, alles ist eklig. Wir beschließen, die Nacht über zu bleiben, wollen aber am gleichen Abend ein anderes Hotel für die nächste Nacht buchen. Das Gewitter hat sich verzogen, die Klospülung funktioniert nur unzureichend, das WLan geht gar nicht. Wir erkunden die Stadt, eine schöne Stadt mit lebendigen Cafés, wir halten Ausschau nach Hotels, finden aber erst spät ein Zimmern im Best Western zu einem unschlagbarem Preis. Die Nacht im St. Getrudis Appartment ist unangenehm, und um ein Haar wären wir mit unserem Schlüssel nicht einmal in den Innenhof gelangt, wo die Treppe zu unserem Kellerappartment lag. Das große Hoftor war mit einer Ketter gesichert, und der uns vom Vermieter ausgehändigte Schlüssel passte nicht. Zum Glück hatten wir Paul und Jurga kennengelernt, mit denen wir ein Bier getrunken und uns gut unterhalten hatten. Die brachten uns zum Hotel, und als der Schlüssel nicht passen wollte, kannte Paul einen Weg in den Hinterhof. Wir schliefen angezogen, um Kontakt mit der Bettwäsche zu meiden. Um sechs war ich auf den Beinen, gegenüber hatte ein Kiosk geöffnet, ich besorgte uns zwei Becher Kaffee, wir schrieben dem Vermieter, dass wir das Appartment verlassen würden, und dass er, falls er ein Mann von Ehre sei, uns anrufen und die Hälfte des gezahlten Mietpreises zurückerstatten müsse. Die Tür zum Appartment ließen wir offen, und brachten unser Gepäck ins Best Western, wo wir frühstückten. Dann erkundeten wir die Stadt. Mittags checkten wir im Best Western ein. Wunderbar behäbig, amerikanisch-großbürgerliche Behaglichkeit mit frisch bestärkt bezogenen Betten. Im Keller war eine Lounge, eine Bar, ein Flügel, den ich spielen durfte.

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