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Liverpool

Am Tag darauf hat der Chauffeur frei. Er frühstückt im Hotel und macht sich auf den Weg zum Bahnhof. Er will nach Liverpool. Er muss seine Jugend erledigen. Freundlichste Bedienung am Ticketschalter im Bahnhof. Er fragt, ob es ein day-return-ticket nach Liverpool gäbe, ja, ja, sagt eine junge Frau, mal sehn, normalerweise kostet das 50 Pfund, aber (sie schaut nach) ich glaube, es geht auch für 40. Ja, es geht, zwei Tickets für die Hin- und zwei für die Rückfahrt. British Rail ist seit Thatcher in viele unterschiedliche Betreiber zerfallen, so dass auf der zweistündigen Strecke in ein und demselben Zug zwei Gesellschaften operieren, also 8:40, York, Leeds, Manchester, Liverpool Lime Street.
Wiesen, Disteln, Eichen, Rotdorn, gewelltes Land, wenig landwirtschaftliche Nutzung, bis auf Kühe, wildes Land, später bergig.

Live at Leeds

Industriebrachen. Noch neblig, aber in Huddersfield bricht die Sonne den Nebel. Sandsteinhäuser.
Mit am Tisch: Oma, Tochter, Enkelin. Kajalaugen die Mutter, Herzen in beiden Ohrläppchen, Kaugummi kauend, Haare geölt, streng zurückgekämmt, so dass sich hinten ein ausladender Busch aus Strähnen bildet. Drahtig. Die Tochter lieblicher und bleich geschminkt. Eine gewisse Trostlosigkeit umweht sie. Schräg gegenüber ein junger Mann in Jeans, grauem Jacket mit Einstecktuch, Kurzhaar bei Glatze, tief liegende, stechende Augen, große Adlernase, große Uhr, scrollt zwischen York und Manchester ununterbrochen sein Smartphone.

Vorm Bahnhof Liverpool Lime Streets rechts gleich die citybike Räder. Der Chauffeur hat eine Kartennummer, eine Pin, er loggt sich ein. Das System sagt, er solle den Knopf drücken, die Frage ist nur, welchen? Den an der Stadtion, an der das Rad festgemacht ist? Wahrscheinlich. Er drückt, aber nichts geschieht. Ein junger Araber kommt vorbei. der Chauffeur fragt, ob er wisse, wie das System funktioniere, nein, sagt er, aber dann zieht er am Rad, und es löst sich vom Lock. Danke.

Vorm Bahnhof Lime Street braust der Verkehr, bisschen unheimlich, um zum ersten Mal auf ein englisches Rad zu steigen und links zu fahren, also schiebt der Chauffeur es erst einmal übern Bürgersteig um zwei Ecken und landet ohne zu wissen wie in einer stinkigen Gasse, in dem früher der Cavern Club war. Nicht, dass es ihn jetzt ungeworfen hätte, aber schön war es dennoch. Er radelte zum Mersey hinunter, der weit ist und wild strömt, überall wird vorm Baden gewarnt. Er radelt den Fluß hoch. Noch 2000 waren die Docks eine einzige Brache, dann kam die EU und hat sie aufgehübscht, 2008 war Liverpool europäische Kulturhauptstadt, jetzt ist es schick, very chique.

Nach einer dreiviertel Stunde, die Stadt lag schon weit hinter ihm, ist er seinem inneren Navigator gefolgt, der sagte, dass er zur Penny Lane links abbiegen müsse, links, durch den Otterspool Park, zwei Gesprächspartner weiter, die ihm bestätigten, auf dem richtigen Weg zu sein und ihn noch mit Einzelheiten von ihrem Smartphone versorgten, durchquert er den Sefton Park und landet schließlich an einer Ecke, an der auffallend viele Menschen standen. Er fragt, wo die Penny Lane sei. Ein Mann in schwarzem Lederjacket sagt, er solle sich umdrehen. Das Schild war hinter ihm, alle ließen sich davor fotografieren, der Chauffeur auch. Hier also hat es alles begonnen. Hier irgendwo wohnten Paul und John, Ringo da hinten, George ein bisschen weiter nordöstlich, Strawberry Fields war einmal ein Kinderheim. Es gibt Barbershops in der Penny Lane. Es gibt einen Kreisverkehr. In seinen Ohren klingelte es. Er schaute sich wund, die suburban skies blau und weit über ihm. Der Chauffeur war glücklich und rief seine Liebste an.

 

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