März 2012                                        www.hermann-mensing.de          

mensing literatur
 

Bücher von Hermann Mensing bei: Amazon.de  

zum letzten eintrag

Do 1.03.12 11:26

Das grüne Kleid im März 2009 in Wien.

12:52

Viele die glauben, halbwegs verständliche Sätze schreiben zu können, verfassen heute Kriminalromane. Jedem Kaff seinen Kommissar. So lange es sich verkauft, und im Fernsehen kaum noch anderes stattfindet als Mord und Totschlag, sollte das eigentlich nicht verwundern. Aber es nervt. Es nervt mich so, dass ich vorschlage, all diese Regionalkrimis in die Osterfeuer zu werfen. Bücherverbrennung, genau, Sie dürfen jetzt aufschreien und Mahnwachen installieren. Ob in Münster, Köln, in der Südeifel oder am Bodensee gemeuchelt, schlecht recherchiert und haarsträubend ermittelt wird, geht mir am Arsch vorbei. Nichts für ungut, liebe Kollegen aus dem VS., die ihr ja auch häufig Großmeister der literarischen Langeweile seid.

16:06

Ich habe heute einen so gesunden Hass auf alles, herrlich!

16:29

Mein neues Sakko ....



Fr 2.03.12 9:46

Es geht gegen zehn, irgendwo wird Krach gemacht, immer wird irgendwo Krach gemacht, ein
Jumbo der Singapur Air-Cargo zieht in zehn Kilometer Höhe von Ost nach West, aus südlichen Landesteilen wird gemeldet, dass dort gestern sonnige 16 Grad herrschten, hier stagniert das Thermometer bei 9,4 Grad, und die einzig frohe Botschaft kommt von den Schneeglöckchen, aber immerhin, vorgestern habe ich die erste Amsel dieses Jahres gehört.

Aber ich schweife ab. Ich dachte an Frauen, die für mich Hoffnung sind, und als ich gestern überlegte, einer dieser Hoffnungsträgerinnen, die eigentlich nichts weiter tun müssen, als mir dann und wann ein wenig Zeit zu schenken, Ian Dury's Sex & Drugs & Rock n Roll auf die Facebookseite zu posten, wurde mir klar, dass sie zur Hochzeit Ian Durys noch gar nicht geboren war. Und dass ihr Humor ein anderer ist, ihre Sozialisation sich so grundlegend von meiner unterscheidet, dass es kaum Anknüpfungspunkte gibt, außer, dass wir fast täglich über FB in Kontakt sind.

Ich hatte Ian Dury als Replik auf einen nachmittäglichen Dialog gedacht, ließ es aber, der Erklärungsbedarf wäre zu groß gewesen. Und als ich dann auch noch auf ein spätes Video stieß, das Ian Dury dreißig Jahre danach zeigt, dick und aufgeschwemmt Lieder seiner Jugend singend, wurde mir schwer ums Herz und ich dachte, ein Glück, dass ich nie Popstar war, einer, der in seinen frühen Jahren berühmt war und seitdem reproduzierend auf sein Ableben wartet. Ein Glück, dass ich, seit ich denken kann, tue und lasse, was ich will, das ist ein großes Glück, davon profitiere ich sehr.

11:34

Gestern hatte ich Besuch von meinem Sponsor. Er ist bereit, auch bei meinem neuen Roman finanziell einzusteigen. Als er ging, sah er im Flur ein Bild. Offenbar gefiel es ihm. Du kannst es kaufen, sagte ich. Ich besitze eine ganze Menge Bilder, die ich schätze, dazu vier kleinere Skulpturen, die könnte ich alle verkaufen, denn Kunst wird ja nur zur Kunst, wenn der, der sie anschaut, sie zur Kunst erhebt und kauft. Tut das niemand, was oft vorkommt, bleibt sie nichts als Leinwand und Ölfarbe. Wieviel? fragte er. Ich sagte, wieviel zahlst du? Tausend, sagte er, aber nur, wenn du dir davon einen Urlaub leistest, Ameland zum Beispiel. Ich sagte, ich denke darüber nach, aber ich werde das Bild nicht verkaufen, es ist Chris, mir und unseren Kindern gewidmet.

Die Sonne kommt durch.

19:44

Stand mit der Käsefrau nebem dem Käsestand, wir rauchten eine Zigarette, Halloooo Herr Mensing, ruft sie, wenn ich komme und schneidet mir große Probierstücke. Wenn ich sie bitte, mir eine Käsetüte für 5 Euro zu füllen, füllt sie sie reichlich. Trug mein neues Sakko, es passte zum Nachmittagsfrühling, der kurz vor Mittag begann und sich jetzt hinter der Nacht duckt. Aber spüren kann ich ihn noch.

22.55

Heute geht nur Prosa.


Sa 3.03.12 15:58

Rom

Am Nachmittag
waren wir, aus Trastevere kommend, auf den M. Gianicolo gestiegen, wo ein Reiterstandbild an Garibaldi erinnert und man über die Stadt sehen kann. Ein kleines Karussell dreht sich, Kinder können auf Ponies reiten, es gibt Eis und Cola. Wenn man zum Vatikan wieder absteigt, kommt man einer Baumruine vorbei. Wir hätten sie nicht beachtet, hätte da nicht ein Mann Fotos gemacht, den ich für Deutsch hielt, und so fragte ich: Und was sehen wir hier? - Hier hat Tasso sein Werk vollendet. - Tasso??? - Goethe, sagte Chris, die viel klüger ist als ich. Goethe hat ein Stück über ihn geschrieben. Ach ja? - Ja. Torquato Tasso, italienischer Dichter, Kollege in Diensten verschiedener hoher Herren, ehe er sich selbst der Häresie bezichtigt, von der Inquisition verurteilt wird, in einem Irrenhaus landet, frei kommt und schließlich in Rom stirbt. 


Mo 5.03.12 8:51

Siebentausend Menschen haben gegen den Naziaufmarsch in Münster protestiert, ich nicht, ich war zu faul, ich dachte, jeder macht es am Besten so, wie er es kann, und da im Vorfeld klar geworden war, dass man den Nazis ein abgelegenes und weiträumig abgesperrtes Viertel zur Verfügung gestellt hatte, so dass ich sie nicht einmal von Nahem hätte sehen, geschweige ihnen das ein oder andere aufmunternde Wort hätte zurufen können, saß ich, als sich die friedliebenden Münsteraner versammelten, auf dem Sofa und träumte davon, ich wäre ein "gewaltbereiter linker Chaot", so heißen die meist jungen Menschen, die immer wieder versuchen, sich mit den Nazis zu prügeln.

Aber nicht einmal das hätte ich gekonnt, ich habe gegen jede Art von Aufmarsch und Gewalt, sei sie körperlich oder psychisch, tiefsitzende Aversionen, ergo blieben meine Phantasien unerfüllt, etwa das Entleeren eines mit fünftausend Litern gefüllten Güllewagens über die friedfertigen Nationalsozialisten, das wäre ein schöner Spaß geworden, dafür hätte ich gern Blut gespendet.

Ich blieb also zuhause und versuchte mir vorzustellen, wie man sich fühlt als Nazi aus, sagen wir, Essen-Frillendorf, der an einem Samstagmorgen im Frühmärz mit Gleichgesinnten in einem von der Polizei hofierten und geschützten Sonderzug in die westfälische Metropole aufbricht, um dort in einem schwer bewachten und von Gegendemonstranten weitgehend entleerten Stadtviertel eine Weile um die Häuser zu ziehen und verschiedene Dinge zu rufen, während einem aus großer Entfernung Mittelfinger entgegen gereckt werden und man Transparente ahnt, auf denen Nazis sind doof steht und man mit fast hundertprozentiger Sicherheit davon ausgehen kann, dass diese linken Zecken einem nichts anhaben können.

Ich würde mich gut fühlen. Ich fühlte mich auserwählt, schließlich bin ich Herrenrasse, ich gehe für die Wahrheit auf die Straße, nehme Unbill in kauf, ich bin der Retter des Volkes, ach, was sage ich, des weißen Abendlandes, ich trüge Verantwortung und wäre stolz.

Vielleicht hätte ich auf dem Weg von Frillendorf vorgeglüht, denn was bliebe mir schon, so eine Nazizusammenrottung ist ja nicht gerade der Ort, an dem man attraktive Frauen trifft, während es auf den großen sinnstiftenden Demonstrationen der Siebziger und Achtziger (auch jetzt noch, ich sage nur: Gorleben, Zeltcamp) von paarungswilligen, attraktiven gleichgesinnten Frauen nur so wimmelte.

Bei den Nazis hingegen vornehmlich Männer, gern von massiver Statur, schwarz gekleidet, und oft mundfaul. Dieser rechte Glatzenverein ist ja homophob, was ich verstehe, wer wird schon gern in den Arsch gefickt, aber vielleicht würde so ein aufmunternder Zuruf wie "fickt euch doch selbst" doch einiges in Bewegung bringen, denn ich müsste diese sinnstiftende und mich schützende Gemeinschaft ja bald schon wieder verlassen und heim fahren nach Frillendorf, wo ich eine Dreizimmerwohnung bewohne, und da wäre etwas Nähe und Zuneigung nicht verkehrt. Immer nur Saufen ist auch nicht schön.


13:33

Freitag habe ich mit der Käsefrau über Jobs gesprochen. Sie hat gesagt, sie will sich umhören. Mittwochs und samstags auf dem Markt arbeiten kann ich mir gut vorstellen. Hinter einer Theke, aus sicherer Entfernung also, kann ich sehr freundlich und umgänglich werden. Ich war zwei Jahre Aushilfe in einem syrischen Restaurant. Ich war hinter der Theke und habe gekellnert, die mochten mich da und mir gefiel das. Nur der arabischen Koch war ein Idiot, der warf mir vor, ein Ungläubiger zu sein. Hau doch ab, dachte ich damals, dann wärst du unter Deinesgleichen, könntest sich vom jeweiligen Potentaten verfolgen und foltern lasse, statt mich zu verhöhnen. Ich war eher hier. Ich nehme deine Sitten nicht an. Ich verlange nicht, dass du meine annimmst, aber Respekt muss sein. Und Hohn geht überhaupt nicht, Kamelfritze.

Wie kam ich drauf? Ach ja....

Ich verrichte gern klar definierte Tätigkeiten, ich würde im Rahmen einer verabredeten Dramaturgie bestimmte Dinge tun und Sätze sagen, darf's ein wenig mehr sein, würde ich sagen und wette, es dürfte, meine Eitelkeit spielte keine Rolle, ich wäre für Stunden regelrecht glücklich, mal sehn, am Mittwoch könnte ich sie in Münster treffen, sonst Freitag hier.

Als Schriftsteller ist das Leben komplizierter.


16:04

Knapp 9000 Meter hoch, 868 kmH schnell, auf dem Weg nach Dubai.
Ein Cargo Jet. Sowas kommt hier ständig vorbei, und dann ist der Himmel für zwei, drei Minuten voll von diesem Brüllen, das verhindert, dass mir die Kiste auf den Kopf fällt. Scheint, die haben eine Ost-West-West-Ost Luftautobahn eingerichtet.




17:04

ich sei ein schöner mann,
das sagte ana mir,
an mir sei vieles dran,
rasier dich, bis um vier.

dabei hängt unten was,
und oben wächst nichts mehr,
dies macht mir riesenspaß,
das meistens nicht so sehr.

schau an, der schöne schein,
und dieser kleine bauch,
er wird voll suppe sein,
und darmkeks sicher auch.


Di 6.03.12 12:57

Habe mich aufs Rad gesetzt, um zum Großmarkt in Wildwest zu fahren. Dachte zunächst, ich nähme den kürztesten Weg entlang der Hauptstraße, bog aber ins Aa-Tal ab und kreuzte. Starke Steigung auf dem Hin- und dem Rückweg, das ist gesund. Das Land liegt noch wartend, aber natürlich ist das Wunder längst im Gange, es wundert täglich, nur schlägt sich das in den wenigsten Köpfen nieder. Die Welt ist schön. Eine amoralische Natur, und wir, das einzige Lebenwesen, das sich Moral leistet.

Ich benötigte einen Milchschäumer. Um in die entsprechende Abteilung zu gelangen, kreuzte ich die Textilwarenabteilung, kam an Bergen Damenunterwäsche und Nachthemden, Strumpfhosen und BH's vorbei und wünschte mir innig, nie jemanden auskleiden zu müssen, der so was an hat.

Der Mann am Infopult war sehr hilfreich. Er ging mit mir zunächst in die Elektrowarenabteilung, fand aber nichts. Es gäbe aber noch eine Möglichkeit, sagte er, die Haushaltswarenabteilung. Dort steht und hängt viel, er sah den Wald vor lauter Bäumen nicht, ich auch nicht, er rief einen Kollegen an, der sich auskennt, hatte aber seinen Wunsch kaum geäußert, als er den Milchschäumer sah. Direkt vor uns. 4.99. Funktioniert. Warenwert: 15, 20 Cent maximal. Mein Geburtstagsgeschenk.


Mi 7.03.12 13:57

Bin heute derart grundzufrieden, dass mich gar nichts treibt. So ein Rausch hat wohl reinigende Wirkung. Bladnoch, 19 Jahre alt, Lowland Single Malt, wärmstens empfohlen. In diesem Sinne verabschiede mich, lege mich aufs Sofa und lese Dantes Göttliche Komödie auf meinem Kindle-Amazon Reader.

16:23

Mittlerweile ist Nachmittag, Wind rüttelt und pfeift, ich werde nicht rausgehn, ich feiere noch, ja, ich feiere, ich hab es verdient, ich feiere, dass ich da bin, habe 40 Bücher auf meinen Kindle geladen, Schiller, Freud, Zoa, Nietzsche, Klabund, Schopenhauer, Heine ... und übe E-Book lesen. Im Augenblick ist es wie Zappen. Ich verlasse Rilke nach einem Gedicht und tauche mit drei Klicks in die Büchse von Padora von Frank Wedkind. Das ergibt lustige Effekte. Mal sehn, ob es das neue Lesen wird.

22:01

Zum Umblättern beim Kindle tippe ich rechts oder links auf die in den Rahmen eingearbeiteten Tasten. Die große führt vor, die kleinere zurück. Ich kann beidhändig lesen, das Gerät ist leicht, ich halte es oft mit der linken Hand. Störend finde ich, dass ich nie weiß, auf welcher Seite ich bin. Am unteren Bildrand gibt es zwar einen Prozentbalken, aber ich wüsste lieber, wieviele Seiten ich schon gelesen habe und wieviele noch bleiben. Von Thomas Morus Utopia habe ich 20 Prozent gelesen.


Do 8.03.12 9:34

Den Bett-Test hat der Kindle glänzend bestanden. Ich lag, die Decke übern Kopf gezogen, ein Atem- und Sehloch frei, der Kindle zwanzig Zentimeter entfernt aufrecht gegen den Bettpfosten gelehnt, für's Umblättern meine linke Hand in der Nähe.

Das Schriftbild ist gut. Meine Augen machen das mit, sie schmerzen nicht.

Der Kindle demokratisiert Texte. Ohne Einband, der verrät, ob es sich um ein literarisch anspruchsvolles Werk bzw. um einen renommierten Verlag oder um Lesefutter handelt, muss man nun selbst entscheiden, ob etwas gut oder nicht gut ist.

Ich habe mittlerweile 64 Bücher aus dem Netz geladen. Die zu lesen oder auch nur anzulesen werde ich Zeit benötigen, aber immerhin, ich lese im Augenblick simultan (was ich vorher nie getan habe) in folgenden Werken:

Zur Judenfrage, Karl Max.
Deutschland, ein Wintermärchen, Heinrich Heine.
Die Arena, Stephen King.
Utopia, Thomas Morus.
Neue Gedichte, Rainer Maria Rilke.
Die Büchse der Pandora, Frank Wedekind.
Geschichte des dreißigjährigen Krieges, Friedrich Schiller.
Alice im Wunderland, Lewis Carroll.
Die Göttliche Komödie, Dante Alighieri.
Zuversicht süße Lüge, Hermann Mensing.

Das wäre ein Stapel aufgeschlagener oder mit Lesezeichen versehener Bücher, die auf meinem Couchtisch, auf Sofalehnen und sonstwo lägen, im Kindle warten sie in Taschenbuchgröße. Wenn ich mit einem nicht weiterkomme und zu einem anderen klicke, merkt er sich, wo ich den Text verlassen habe, sodass ich beim nächsten Mal ohne Suche weiterlesen kann.

Bis auf meinen Roman sind alle diese Bücher kostenfrei. Ich musste sie nur anklicken, und Amazon schickte sie über mein WLan an mein Lesegerät. Wunder über Wunder, aber ich beschwere mich nicht.

Gestern abend im Bett dachte ich, das ist die neue Zeit: ich rauchte Elektrozigarette und las E-Book. Fehlte eigentlich nur ein Substitut für Rotwein, irgendein Kaubonbon etwa oder ein Schnapsverdampfer. Eine Aufblaspuppe will ich nicht.

13:31

gerade noch schien sonne
und das frühlingssehnen auf der restmülltonne
hatte bikini an und sonnenöl am leib
trank caipirinha und als schönes weib
verriet sie, dass heut tag der frauen ist.

ich riet zum baldigem verkehr
allein, damit sie nicht vergisst
dass alles, was man sonst eher leer
verödet und vertan vergießt
bei dieser tätigkeit ein segen ist.

sie sagte ja, sie dächte drüber nach,
als erster regen aus der wolke brach
ich sagte, schade, siehste, schon vorbei,
zu spät, da kommt noch mehr, bye bye.

18:42

Hatte einen sehr schönen Nachmittag mit einem Nougattörtchen und einer Tochter aus gutem Hause, die das Annanastörtchen aß und die ich seitdem zu meinen Freunden zähle. Wir tranken ihren schlechten Kaffee, aber das ist verziehen, sie ist Teetrinkerin, und hat mir Geschichten erzählt, was mich freut, denn davon lebe ich ja.

Kurzer Zwischenbericht von Simultanlesefest.

Deutschland, ein Wintermärchen von Heine habe ich fast durch und mag es, von Thomas Morus bin ich begeistert, weil er so früh schon (15 Jhdt.) so grunddemokratisch und den Menschen und ihrem angeborenen Menschenverstand zugewand denkt.

Wedekind und Die Büchse der Pandora ist für Knallchargen, Marx ist interessant, weil er die strikte Trennung von Religion und Staat einfordert. In Arena verwustet Stephen King eine Idee, die er Marlen Haushofer geklaut hat, die das Thema in Die Wand unspektakulär und spannend bearbeitet. Spannend ist King auch, aber bei ihm alles Feuer, Rauch, Explosion, Mord und Totschlag.

Mit Dante bin ich auf der siebten Höllenstufe, und sie schreckt mich nicht, Rilke bezaubert mich dann und wann, am liebsten mag ich sein Gefühl für Rhythmus.

Was noch...?

Ach - Schiller, die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, da kann ich was lernen, Alice im Wunderland ist very british, Hermann Mensing, Zuversicht süße Lüge mein Freund, wenngleich durchaus gekürzt werden könnte.

So weit, so gut.

Der Abend hängt farbig zwischen den Häusern, der Kindle wartet. Dazu ein Glas Rotwein. Ich feiere immer noch, sowas ist mir noch nie passiert, ich bin schon drei Tage glücklich. Und einfach so, ohne irgendein besonderes Ereignis.


Fr 9.03.12 11:55

Heute feiere ich den 31. Geburtstag meines großen Sohnes. Abends fahre ich nach Osnabrück, tanzen. In der Zwischenzeit werde ich Schlagzeug spielen, Kaffee trinken, ein Gedicht vertonen, eines schreiben, Prosa veröffentlichen, aber das meiste zurückhalten, weil ich es für mich haben will. Das ist in etwa der Plan. Das Kindle-Lesen grassiert wie eine Sucht. Wo ich sitze, lese ich, und noch immer lese ich kreuz und quer. Ich kann das nur empfehlen, ein inspirierender Zeitvertreib.


Sa 10.03.12 19:51

Vorhin, als ich am Aa-See entlang radelte, hatten sich Lachmöven auf dem hinteren See versammelt, auf Fußballfeldgröße verteilt schwammen sie, lachten und bereiteten sich auf die Nacht vor.

Jetzt, wo die Schlüssel, die den Winter in warmen Gegenden verbrachten, zurückkehren und ihre verwirrende Reise durch die Vielzahl von Hosen- und Jackentaschen, die der Mensch um sich trägt, wieder aunehmen, ist kein Grund mehr zur Sorge. Auch Kraniche habe ich schon gehört. Die Socken jedoch kehren nicht zurück, denen gefällt es dort besser.

Ich verbrachte die Hälfte des Tages mit einer Geschichte, die viel verspricht und auf deren Fortgang ich mich freue. Alles ist Abenteuer. Das weiß ich seit Chris Tod, und ich bin jetzt schon seit Dienstag in dieser frohen, hoffnungsvoller Verfassung. Ich habe viel gelernt in den letzten drei Jahren. Das ist ein Schatz, mit dem kann ich wuchern. Ich habe mir dennoch vorgenommen, langsam zu gehen, langsam und stürmisch voran, wie immer.

Sah gestern beim Tanzen an Aris, der gerüchteweise 500 T-Shirts besitzt, ein grünes T-Shirt mit der Aufschrift: Tell your titts not to stare at me, will you. Das fand ich passend, denn auch ich bin beim Tanzen häufig Dekolletés ausgesetzt.


So 11.03.12 14:24

Tanzen ist manchmal kompliziert.
Schauen Sie sich das folgende Foto an.
Herr M. aus M. und Frau A. aus B. haben sich in eine Figur manövriert, die nur durch komplexes Drehen und Wenden zu entwirren ist, falls überhaupt.




Mo 12.03.12 13:11

Wie wir heute erfuhren, wurden Herr M. aus M. und Frau A. aus B. während einer zweieinhalbstündigen, äußerst heiklen Notoperation getrennt. Man hört, dass es ihnen schon wieder besser gehe und sie am Mittwoch erneut komplizierte Figuren tanzen wollen. Da niemand für sie haftet, bitten wir um Spenden. Schieben Sie einfach Scheine in Briefumschläge (am besten Trauerpost, die scheint nicht durch).

Was nun Herrn M. aus M. anlangt: seine Stimmung ist noch besser geworden.


Di 13.03.12 10:44

zwei dohlen stelzen
suchend durch das feuchte gras,
der tag ist trüb, die eine stutzt,
die andere schreit, sie findet was,
die stutzt beginnt und putzt.

von allen seiten ruft es frühling,
sie spreizt die federn weit,


Sie sehen, wir kommen hier nicht weiter und werden zunächst einmal bügeln...

12:35

Mittlerweile habe ich gebügelt, die Dohlen sind längst weg, von allen Seiten ruft es noch immer Frühling, mag sein, dass sie die Federn weiter gespreizt hat, aber dann war sie aus meinem Blickfeld und das Gedicht, das ich zu schreiben begonnen hatte, um mich meiner selbst zu vergewissern, ist noch immer in status nascendi. Ich beschließe, es bei einer Strophe zu belassen. Das reicht doch. Also:

zwei dohlen stelzen
suchend durch das feuchte gras,
der tag ist trüb, die eine stutzt,
die andere schreit, sie findet was,
spreizt ihre federn, putzt.


Dohlen sind prächtige Vögel. Als ich Junge war, kannte ich andere Jungen, größere Jungen, die Dohlennester ausnahmen und die Jungvögel aufzogen, die dann ganz zahm wurden und auf ihren Schultern saßen.


Mi 14.03.12 17:13

Der Himmel soll aufreißen, das Wetter soll sein, wie ich mich fühle, sonnig, mild, voller Hoffnung und großem Staunen, stattdessen bewegt sich nichts, dieses Mausgrau hängt ein drei, viertausend Metern Höhe oder auch nur in zweieinhalbtausend, bewegt sich keinen Meter und weicht nicht. Heute abend gehe ich tanzen. Morgen habe ich drei Lesungen. So etwas erdet mich. Danach werde ich wieder denken können.


Do 15.03.12 14:58

Der Himmel ist aufgerissen. Und diese latente Unruhe, verbunden mit der Furcht, all das, was mich als Vorleser ausmacht, habe sich seit meiner letzten Lesung verflüchtigt, sei sozusagen abhanden gekommen, ohne dass ich es bemerkt hätte, war umsonst.

Drei Lesungen in zweiten Klassen. Die erste kurz nach acht war die Schwierigste, aber nicht, weil es die erste war, sondern weil die Klasse sich zunächst nicht bewegen wollte, weil ich den Kindern jedes Wort aus der Nase ziehen musste, aber schlecht war sie nicht.

Vielleicht war sie sogar besser, als ich denke, das müssen aber andere entscheiden, die, die hinten drin saßen, die Frau von der Zeitung, die Frau vom Förderverein und der Lehrer, der in der Pause Billigzigaretten von Aldi raucht, der letzte, der da noch raucht, diskriminiert, er muss vor die Tür gehen, dahin, wo ihn möglichst niemand sieht.

Ich trank Kaffee im Sekretariat und wartete, bis man mich nach der großen Pause in die nächste Klasse brachte. Der ersten Klasse hatte ich aus Der zehnte Mond vorgelesen, der zweiten las ich aus Voll die Meise, und schon nach den ersten Sätzen war klar, dass hier ein anderer Wind wehte, binnendifferenziert hat man die Kinder wahrscheinlich in Leistungsgruppen sortiert. Diese zweite Klasse also war aufnahmebereit und auskunftswillig, die dritte, sagte man mir, sei schwierig, aber der Eindruck verfestigte sich bei mir nicht.

Dreimal gelesen. Geld verdient, was kann es Schöneres geben für einen Schriftsteller. Aber da ja noch etwas viel Größeres. Es stand an der Kasse bei Oxfam, freute sich, mich nach zweieinhalb Jahren wieder zu sehen und schlug vor, mit mir Kaffee zu trinken. So einfach ist das machmal, und wenn ich jetzt meinen Kopf ausschalten könnte, diesen 63jährigen Kopf, der JA und NEIN gleichzeitig ruft, ein Marodeur, den niemand besänftigen kann und der keine Vernunft annimmt, dann wäre ich aller Wahrscheinlichkeit nach glücklich.



Sa 17.03.12 11:11

mir hat's das kreuz verrissen,
bakterien sind vor ort,
und die, die alles wissen,
erklären es sofort.

sie sagen, hätt'ste man,
und rufen, siehste wohl,
ich sage, es fing an,
und zwar genau am pol.

von dort stieg's auf, ich lache
und löse mich in luft,
ich leuchte bei der sache,
und meine furcht verpufft.

ich hör', es war ein schütze,
der da im anschlag lag,
und schiebe meine mütze
fort und sag, dass ich das mag. 


So 18.03.12 16:01


die räume wurden eingerichtet,
als hätten sie sich selbst möbliert
sie waren leicht und schwer gewichtet,
und wo ich geh und steh bin ich zu viert.

ich speise, früchte sind genügend da,
ich trinke, proste lang vergess'nem zu,
ich hatte damals dies und jenes jahr,
jetzt hab ich keine ruh.

ich greife, wenn ich greifen will,
bin überwältigt, dass es alles gratis gibt,
mein blondes licht ist selten still,
und hat noch nicht genug geliebt.

ich aber, ich ich ich und wir,
wir hatten dinge, die unteilbar sind,
sie stehen außer konkurrenz zur zier
auf meinem vertiko und zeit verrinnt.

und hinter allem licht steht zweifel,
und hinter allem zweifel steht ein kasten bier,
und hinterm kasten hockt der teufel,
und lacht, mit mir, dem eitlen und nur hier.


Mo 19.03.12 13:42

Frühling rundum. Meister M. liegt flach. Er schnauft. In ihm rasselt's und pfeift's, sein Kopf ist ein wenig duhn. Wer weiß, vielleicht kommt's von den Enkeln, vielleicht von zu viel Freikörperkultur, jedenfalls ist sie jetzt da, die Erkältung, und wird mit Hausmitteln bekämpft. Erkältungsbad, Salbe auf der Brust, Berge Tempotaschentücher
, denn bis Donnerstag muss der Meister fit sein, da liest er im Niederrheinischen, dreimal liest er da und da darf er nicht krank sein. Also zieht er sich die Decke unter die Nase, aber das Liegen passt ihm nicht, nee, gar nicht passt ihm das, draußen wäre es schöner, aber nun, er hatte sich wohl zu sicher gefühlt, hatte gedacht, die ganze verdammte Saison über war ich gesund wie ein Fisch, aber auf der Zielgeraden hat's ihn doch noch erwischt. Kann man nichts machen, nichts machen kann man da, drei Tage kommt sie, drei Tage bleibt sie, drei Tage geht sie, also, Augen zu und durch.


Di 20.03.12 18:21

Starkes Geschütz seit heute: die Drei-Tage-Antibiotika-Kur. Erbärmliches Rasseln bis in die Tiefen, fühle mich schwach, hach, mag gar nicht daran denken, wie gut ich mich fühlen werde, wenn ich wieder gesund bin.



Mi 21.03.12 8:26

und was mir alles um die ohren flog
in diesen letzten tagen,
in träumen, schweißnass, nachts,
und was zu wagen ich mich traute,
und was ich alles tat und bog,
und wo ich ehrlich war und staunte
und nicht log, und was da aufschien,
kaum zu glauben, dass es hier ist,
nach zukunft riecht, und dass es frühling wird,
es mich bewegt und auf der hand liegt,
und dass es so sein kann und alles anders,
und dass ich mutig bin und feige,
und dass es mich verwirrt, und dass ich mich verneige,
ich hatte es vermisst, ein wirbel,
ja, doch hintendran hängt trauer,
hängt schmerzt und für die dauer
glaube ich
nichts und hoffe alles,
mache mich unsichtbar und liege auf der lauer,
ich sage ja, ich sage nein,
ich rufe hier, es möge bitte sein,
ich bete, dass es nicht nur traum ist,
und wenn es traum ist, dass es hier im raum ist,
ich weiß nichts, doch es könnte groß sein,
es könnte schein sein und doch reiner wein sein,
ich schalte mich vorübergehend aus,
ich atme tief und trete ein in dieses neue haus,
wo alles, alles anders ist,
und jeder schritt der erste und der letzte ist.


15:20

Heute früh zu heiß gebadet. Danach Schweißausbrüche, allgemeine Schwäche und große Sehnsucht nach Trost. Gegen Mittag Besserung und Sichtung 1. einer dicken Hummel und 2. eines Zitronenfalters. Soeben nun hat unsere Katze diesem (oder einem weiteren hinzugekommenen) Zitronenfalter den Garaus gemacht. Ich sag' es ja, die Natur ist fies und gemein, Erkältungen der Atemwege gehören verboten, das Denken abgeschafft. Ansonsten: gute Besserung Welt, an mir soll es nicht scheitern.


Fr. 23.03.12 12:17

Ich hatte kaum geschlafen, es lag daran, dass ich in den beiden Tagen vorher das Bett gehütet hatte, was auch nicht so einfach ist, ich bin nicht gern bettlägerig, ich bin lieber auf den Beinen und sehe und höre und mache wir einen Reim, aber ich konnte es nicht ändern, die Nacht kroch, schließlich war ich um halb fünf auf den Beinen, saß eine Viertelstunde später vorm Müsli in der Küche, die Zeitung vor mir, aber ich hatte kein rechtes Interesse auf die Verwicklungen der Welt, sie hat sich das ja alles selbst eingebrockt, wir brocken uns ununterbrochen alles selbst ein und neigen dazu, es den anderen zuzuschieben, dabei stimmt das nicht, hat nie gestimmt und wird auch nie stimmen.

Gegen sechs saß ich im Auto, Bodennebel hing hier und da über den Feldern und Wiesen, und als das Ruhrgebiet sich langsam vor mir öffnete und die Sonne den Horizont im Vorüberziehen bestrich, war er noch immer da, der Verkehr wurde dichter, aber ich passierte die kritischen Orte ohne große Verzögerungen: Gladbeck, Bottroper Kreuz, Oberhausener Kreuz, Duisburg, Kamp-Lintfort, und eine Viertelstunde vor Lesungsbeginn hatte ich Mühlhausen erreicht, platter Niederrhein, die bischöfliche Liebfrauenschule, dahinter ein weiter Park, ein hagerer Mann mit mausgrauem Dreitagebart empfängt mich reserviert, aber nicht unfreundlich.

Dreimal kommen 5te Klassen, jedes Mal fast 60 Kinder, ich bete, dass meine Stimme mich nicht verlässt, ich staune, wie groß die Mädchen schon sind und wie klein die Jungen, ich halte zwei Bücher hinterm Rücken und lasse ihnen die Wahl, rechte oder linke Hand, frage ich, und so kommt es, dass ich die erste Lesung mit Flanken, Fouls und fiese Tricks starte, eine Geschichte, die sich um Fußball dreht, deren eigentliches Thema aber der Sündenbock ist. Dennoch denke ich, oh, das könnte eine komplizierte Wahl gewesen sein, weil zwei Drittel der Klasse Mädchen sind, dann aber frage ich nach, wer von ihnen aktiv Fußball spielt, und da zeigt sich, dass das weit über die Hälfte der Mädchen tun. Die Lesung ist lebendig, die Stimme hält.

Die Lesung nach der Pause führt nach Publikumsvotum zu Der Heilige Bimbam, die dritte zu Räuber, Schattengeister und ein Karpfen im Mühlteich. Und als ich nachfrage, ob jemand weiß, was ein Schiffshebewerk ist, steht ein Hänfling mit ordentlich gescheiteltem Haar auf und sagt, ja, das wisse er, ich bitte ihn zu mir und er hält einen kurzen, druckreifen Vortrag über das Schiffshebewerk und die angewendeten Techniken, ich staune nur und frage, du willst wahrscheinlich Ingenieuer werden, oder, nein, sagt er, Staatsanwalt. Vor dem wird man sich in acht nehmen müssen.

Auf der Rückfahrt rollt es sich durch dichten Verkehr, als ich zuhause bin, bin ich erschöpft. Das bin ich auch heute noch, die Bronchitis ist noch nicht ausgestanden, aber ich stehe auf den Beinen, denn so lange man stehen kann, ist es gar nicht so schlimm, wenn man mal krank ist, wenn man aber liegt, denkt man die ganze Zeit, hach, bin ich krank. Also, auf die Beine, Völker, hört die Signale. Wir haben die Macht, wenn wir wollen. Ich aber will sie nicht.


Sa 24.03.12 15:37

Gegen dreiviertel Neun saß ich auf dem Balkon am Bockhorn und schaute dem Raubvogel zu, der überm Wäldchen am Rande der Siedlung kreiste, eine Krähe dichtauf, aber während er ruhig auf der Thermik lag, hatte die Krähe alle Flügel voll zu tun, in der Luft zu bleiben, um ihn zu attackieren. Und wie dieser Raubvogel so kreiste, dachte ich Gabelweihe, denn seine Schwanzfedern bildeten ein Dreieck, das an der Grundline einen nach innen weisenden Knick aufwies, und als ich Gabelweihe dachte, dachte ich, gibt es überhaupt Gabelweihen?

Später, als Weltpölzer mit Brötchen zum Frühstück kam, Weltpölzer, mit dem ich am Abend vorher im Attic eine Session gespielt hatte, unser erstes gemeinsames Musizieren nach über zwanzig Jahren, erzählte ich von diesem Vogel und er sagte, eine Weihe. Größer als ein Bussard, auch die Flügelform anders, rasanter, fand ich, also doch, dachte ich, eine Gabelweihe. Falls es dennoch keine Gabelweihen gibt, erfinde ich sie, prächtige Vögel.

Weltpölzer war Gitarrist bei den Groove Missiles, der Name stammte von ihm, ich spielte Schlagzeug, Helmut N. war Bassist, und es gibt jemanden, der glaubt, das größte Konzert, das er je gehört hat, war ein Konzert der Groove Missiles in Billerbeck.

Womit sich ein Kreis schließt, denn der Bewohner der Wohnung am Bockhorn, bei dem ich gestern übernachtete, stammt aus Billerbeck, ein Bassist, und auch mit dem habe ich gestern abend zum ersten Mal seit Jahren wieder gespielt. Wir liefen heim, es war schon tiefe Nacht, ich war verschwitzt, und es scheint, dass meine Erkältung, diese Vergrätzung meiner Atemwege, vor allem abends aktiv wird, denn am Vortag, als ich drei Lesungen las, ging es mir gut, da hatte ich geglaubt, nun sei ich über den Berg.

Ich schlief auf einer sich selbst aufblasenden Isomatte auf Laminat. Zum Glück habe ich schon seit einiger Zeit immer zwei Schlafsäcke in meinem Auto, deshalb war es zwar nicht bequem, aber ich konnte ein wenig schlafen. Zu wenig, finde ich, in den letzten Tagen hatte ich zu wenig Schlaf, viel Gefühl, und heute, wo die Sonne scheint, muss ja Text geschrieben werden, denn ohne Text keine Welt und ohne Welt keine Liebe, kein Schmerz, kein gar nichts.

Bedingt durch wenig und nicht sehr tiefen Schlaf habe ich in den letzten Tag viel Text geträumt, komplette Romane rauschten mir vorm inneren Auge vorbei, aber natürlich ist das Traumtext, der nicht in den Tag gerettet werden kann. Ich bin mir aber sicher, dass sich da etwas vorbereitet, denn so geht es immer los, und tatsächlich ist es so, dass von den Traumtexten zumindest Titel übrig geblieben sind, und wenn man so einen Titel hat, hat man schon fast eine Blaupause, die eigentlich nur noch zuende gezeichnet werden muss.

Samstag also, jetzt wieder allein zuhaus, der Sohn wahrscheinlich bei den Preußen irgendwo in der Welt, ich muss noch einkaufen, und ich muss noch meine hellgraue Jeans in die Waschmaschine werfen, denn beim Spülen vorhin habe ich mir die Fingerkuppe des Mittelfingers der linken Hand an der Zitronenpresse geritzt und die Jeans prompt voll geblutet, was mich ärgert, denn das ist eine schöne Hose und man will ja gern gut gekleidet sein.

Samstag, leicht dämmrig mein Zustand, und gespannt, wie das Wochenende sich wohl entwickeln wird. Champagner, schlage ich vor, Champagner könnte der Sache den richtigen Dreh geben.

Mo 26.3.12 11:18

Der Übergang zur Sommerzeit verlief smooth, wie der Amerikaner sagen würde, der, das sollten Sie sich hinters Ohr schreiben, zwar große Stücke auf sich und seine Smooth-Heit hält, ihr aber nicht im Geringsten gerecht wird, denn er ist ja noch vor der muslimischen Bedrohung, die eigentlich gar keine wäre, die größte Bedrohung, die diesen Planeten ständig und ununterbrochen heimsucht, woraus Sie entnehmen mögen, dass ich ein Freund der Amerikaner bin.

Ich mag sie, diese naiven Burger-Konsumenten, die jedem ein Stipendium geben, der einen Basketball präzis genug werfen kann. Seine auf den Weltmärkten feilgebotenen Konsumgüter sind, sofern es sich um Hardware handelt, wenig innovativ, geht es aber um Software, geht es immer nur um das Eine, Protektionismus, Ausgrenzung anderer Produkte, maximalen Profit.

Ich weiß gar nicht, wieso ich an einem sonnigen Montagmorgen auf Amerikaner zu sprechen komme, sie haben mir doch nichts getan, aber nun, ich kann es nicht ändern, hier steht es, also stimmt es oder es stimmt nicht, das müssen Sie selbst entscheiden. Am Ende ist es gar Literatur, dann hätten natürlich Sie die Arschkarte und ich wüsche meine Hände in Unschuld, was ich in vierzehn Tagen sowieso tun werde, zu Ostern.

Schon am Gründonnerstag werde ich damit beginnen, dann treffen die The Real Fullmooners wieder aufeinander und werden den Karfreitag in Stücke hacken, dass es eine Pracht wird. Bis dahin jedoch werde ich mich der Minne widmen, ein sehr schönes, wenngleich ein wenig anstrengendes Geschäft, zumal ich auf die siebzig zugehe.

So weit zunächst. Jetzt werde ich bügeln. Später werde ich Ihnen eine Geschichte über einen Kopfschlächter zu erzählen.

13:04

Der Kopfschlächter hatte es nicht länger ertragen können. Immer diese Blicke. Schweine können sehr intensiv schauen, ihre Augen haben Ausdruck und sie gleichen unseren in Vielem, sie sind oft blau, vielleicht sogar immer, das weiß ich nicht, aber wie dem auch sei, der Kopfschlächter schaute immer in diese Augen, eh er das Bolzenschussgerät ansetzte, um die Schweine vom Leben zum Tode zu befördern, jeden Tag hatte er in diese Augen schauen müssen, jede Woche, jeden Monat, jedes Jahr, bis er es nicht mehr aushielt, und als er es nicht mehr aushielt, begann er zu trinken und trank immer mehr, trank schon am frühen Morgen, und irgendwann dann hatte er genug getrunken und wurde in eine Klinik eingewiesen. Dort sitzt der Kopfschlächter nun und sagt, man sähe es den Kopfschlächtern an, dieser Beruf bringe früher oder später jeden um, niemand könne dieses angsterfüllte Geschrei ertragen und diese Blicke, niemand, der ein Herz habe, und er habe eins. Das hat er gesagt, der Kopfschlächter, als ich mit ihm sprach, und die Augen niedergeschlagen, denn das, sagte der Kopfschlächter auch, werde eine regelrecht fixe Idee, man möge niemandem mehr in die Augen schauen, weil man ja wisse, was dem folge, Bolzenschuss, sagte er, Bolzenschuss und wieder und wieder, und dann setzt man sich eine Sonnebrille auf, möglichst eine, die keinen Einblick erlaubt, dann ist man einigermaßen geschützt, aber auch nur einigermaßen, denn nachts, nachts blinkt der Himmel vor Augenpaaren und das ist unterträglich.


Di 27.03.12 10:01

Den Winter lang habe ich Sandalen getragen, erstens, weil ich dachte, mal sehn, ob das meine Gesundheit stärkt, zweitens, weil ich keine vernünftigen Winterschuhe hatte. Ich hätte natürlich welche kaufen können, aber ein Paar Winterschuhe kostet Geld, na ja, wie auch immer, wir sind hier eher arm als reich, wir verzichten schon einmal, und der erhoffte gesundheitliche Effekt, die intendierte Immunstärkung war wohl das stärkere Argument. Seit aber nun fast zehn Tagen treibt mich diese Bronchitis vor sich her und will und will nicht weggehen. Morgens denke ich, aha, heute ist es schon viel viel besser, gegen Mittag merke ich, dass es nicht besser ist.


16:11

Gerade ist mein Gast abgereist. Heute abend wird er in Oberhausen auftreten. Er ist Clown. Oder vielleicht ist Kommödiant der bessere Ausdruck. Er spielt in einem Duo den tragisch komischen Part. Gestern kam er, wir haben eine Radtour gemacht, haben gesessen, Kaffee getrunken, Dinge beredet, vor allem Dinge mit Frauen. Das ist immer interessant, so etwas, da staunt man, wenn man hört, wie andere Menschen ihre Lebensentwürfe vor die Wand fahren und dennoch weiterleben, man staunt und hofft, dass die involvierten Kinder heil aus der Sache herauskommen, kann es sich aber kaum vorstellen. Und nun sitzt man hier und wüsste, was man am liebsten täte. Ruft man an oder ruft man nicht an?


Mi 28.03.12 10:09


ich darf nicht lange denken,
lieber schaue ich hinaus,
ich kann mir alles schenken,
und bin doch nicht zuhaus.

da draußen die forsytie,
vorm kopf das fette brett,
im bett die allerliebstie,
ich singe im falsett.

ich werde weiter fahren,
mit dir und ohne ziel,
zuhause in den jahren
es ist so viel, so viel.

es schwirrt und es benebelt,
es hebt mich fort und drängt,
es kitzelt und es knebelt,
fühl mich wie ausgehängt.

wie eingepackt und luftig,
wie sonderangebot,
ach, nehmen sie mich duftig,
denn morgen bin ich tot.

15:22

Ich bin ja eigentlich Revolutionär, nur wofür ist mir in den letzten 63 Jahren nicht klar geworden. Heute mittag, ich hatte eine Fußgängerpassage durchquert und stieg in Erwartung auf flotte Weiterfahrt schon mal auf mein Rad, blaffte ein Mann in grundroter Freizeitkleidung, der auf den ersten Blick eher einen entspannten Eindruck machte, dass hier Fußgängerzone sei. Nun herrscht bei mir und der Revolution immer das reziproke Verhältnis, ist also einer dagegen, bin ich schon dafür und vice versa. Derart angeblafft blieb mir nichts als mit einem militärischen Jawoll ja zu antworten, was wiederum ihn sehr verletzte. Damit hatte er nicht gerechnet, ich hingegen freute mich, dass der revolutionäre Impuls in mir noch immer lebendig ist, zudem muss der Ortsfremde wissen, dass der Radfahrer in Münster überall Rad fährt, er kennt da keine Eltern. Das war bislang mein schönstes Erlebnis heute, ich werde einen Aufsatz darüber schreiben, These, Antithese, Synthese, Sie werden sich erinnern.


Do 29.03.12 13:13


Schrift stellt sich ein, der Autor wittert,
fragt einen Dichter, der sein Leben twittert,
erfährt, dass er vor jedem Anfang zittert,
und gern um inspiration bittert.

Aha, denkt er, so ist das also,
nimmt's Morgenblatt und geht aufs Klo.


Fr 30.03.12 10:04

Als der Kindle Reader zu meinem Geburtstag auftauchte, machte ich mich gleich daran, ihn mit Literatur zu befüllen und las in der ersten Woche fünf oder sechs Autoren simultan, was sehr viel Spaß machte. Dann fiel mein Fokus auf Die Arena von Stephen King. Ich hatte seit einem Jahrzehnt oder mehr keinen King mehr gelesen, dieser fand sich als Grundausstattung auf dem Reader, offenbar ein Geschenk. Der Roman ist spannend, von einer zur nächsten und wieder zur nächsten Seite. Der Angelsachse nennt solche Romane pageturner. Anfang der Woche nun, ich hatte bereits 78% des Romans gelesen, verschwand er plötzlich vom Reader und tauchte nicht wieder auf.

Ich vermute dahinter den perfiden Plan eines Programmierers. Wahrscheinlich war ein betriebsinternes Programm so eingerichtet, dass sich der Roman nach Erreichen eines festgesetzten Punktes oder nach Ablauf einer bestimmten Zeit selbst eliminiert, was den angefixten Leser in Unruhe stürzen und veranlassen soll, sich den Roman zu kaufen, um auch den Rest lesen zu können.

Das habe ich getan. Allerdings habe ich ihn mir als gebraucht deklariertes Hardcover bei Amazon für 4,39 Euro bestellt. Gestern kam das Paket. Ein dicker Brocken von fast 1300 Seiten. Die lese ich jetzt analog. Bequem ist das nicht, denn 1300 Seiten Hardcover kann man kaum entspannt lesen, die Hände fallen einem ab, die Arme werden schwer, aber was hilft's, ich will den Roman zuende lesen.

17:14

Seit über einer Woche schleppe ich diese Erkältung mit mir herum, die Bronchien rasseln, wenngleich schon nicht mehr so, wie vor ein paar Tagen. Ich nehme Erkältungsbäder, ich stopfe mich mit homöopathischen Mitteln, es hilft alles nichts, ich bin grundmüde, fühle mich wie ein alter Sack, ich will, dass das weg geht, ich habe die Nase voll.


Sa 31.03.12 17:38

und immer noch die müdigkeit,
die mattheit und der alte gang,
dabei gibt's tausend gründe für die freud,
und lust und liebe nächtelang.

 

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