März 2014                           www.hermann-mensing.de          

mensing literatur
 

Bücher von Hermann Mensing bei: Amazon.de  

zum letzten eintrag


Sa 1.03.14 18:45

Bis jetzt hatte ich ein gutes Leben. Natürlich könnte ich verzweifeln, es gibt tausend Gründe, aber die gab es schon immer. Sie wechseln ständig ihre Namen und wohin man auch geht, sie sind vor einem da. Bis jetzt hatte ich Glück. Ich hoffe, dass es so bleibt.


So 2.03.14 11:02

Bis auf zwei kleine Wellen im Teppichboden, Stauchungen vorm Kleiderschrank, den ich nicht bewegen konnte und wollte (schließlich steht er seit Menschengedenken dort und man weiß nicht, was passiert, wenn man ihn bewegt), liegt alles tadellos. Ich staune. Mit mir staunte auch meine Schwester, die mir das nicht zugetraut hatte, und ehrlich gesagt, ich auch nicht.

Aber wenn man erst einmal begonnen hat, macht sich schnell ein gewisser Hang zur Perfektion breit, über den ich noch mehr staune als über den Impuls, so ein Vorhaben überhaupt begonnen zu haben. Die neuen Böden, das Laminat, die fast gelungenen Gehrungen beim Verlegen der Viertelleisten lassen die nicht renovierten Räumen verwohnt scheinen, und das sind sie ja auch, in jeder Nische ist altes Leben.

Nicht, dass ich jetzt dächte, gut, mach den Rest auch noch, was soll's - nein, es reicht. Ich habe zwei Wochen nichts anderes gedacht und getan, ich habe Lehrgeld gezahlt und kann jetzt mitreden, ich bin stolz und zufrieden, aber langsam wird es wieder Zeit für die literarische Produktion, denn dies ist ein Ort literarischer Produktion, ein Ort, an dem Leben stattfand und stattfindet, ein Ort, an dem sich Buchstaben zu Worten verdichten und diese wieder zu Sätzen, die sich in Geschichten wiederfinden, die sich nur mühsam verkaufen, aber das ist normal.

Matthieu van Delden, der einflussreichste Textilfabrikanten meiner Heimatstadt, hat einmal gesagt, das Herstellen einer Ware sei nicht das Problem, das Verkaufen sei es. Ich bin ein schlechter Verkäufer. Ich habe mich dem Verkauf nie mit der gleichen Energie gewidmet, die ich beim Schreiben aufbringe, ich bin kein Netzwerker,
ich fahre nicht auf Buchmessen, ich fürchte den Literaturbetrieb als eitlen, korrupten Verein, mit dem ich nichts zu tun haben will. Ich will entdeckt werden. Das ist natürlich ein frommer Wunsch, da kann ich lange warten.

Sonntag also, der erste Märzsonntag des Jahres 2014. In vier Tagen werde ich fünfundsechzig. Ich werde ans Meer fahren. X. kommt mit, darauf freue ich mich. Für einen Tag nur und eine Nacht, aber das ist es mir wert. Das Meer ist mein Sehnsuchtsort. Das Fest sollen andere feiern. Die Sonne scheint. Ich werde mich aufs Rad setzen gleich, und mir die Luft um die Nase wehen lassen.


Mo 3.03.14 12:51

Das Hotel in Wijk aan Zee ist gebucht. Am Donnerstag fahren wir. Bis dahin werde ich Zeit vertrödeln, dazu hatte ich in den letzten Wochen kaum Zeit. Die Krokusse blühen, die Narzissen bereiten sich vor, ich bereite mich vor. Guter Plan, sehr guter Plan, ich gehe in Rente und arbeite weiter, wie ich's mir vorgestellt hatte. Zunächst aber wird sauber gemacht.

19:56

Heute nachmittag flog eine Hummel herum. Ich wünschte ihr Glück. Jetzt hängt ein Sichelmond knapp überm Westen.

20:28

Mein Sohn, meine Schwiegertochter, meine Enkel.
Da hat sich ein rheinisches Gen in die Familie geschlichen, anders ist das nicht zu erklären, von mir kann er's nicht haben.





21:30

Ich hatte mir einen Apfel geschält, hörte ein Hörspiel, ich hatte die rechte Hand über die Augen gelegt, die Decke bis zum Kinn, und ganz plötzlich war mir, als wäre ich gar nicht ich, sondern mein Hermann. Ja, ich war mein Hermann, mein Vater, ich fühlte mich wie mein Vater und wenn ich nicht gewusst hätte, dass ich es bin, der glaubt, er fühle sich wie sein Vater, hätte ich schwören mögen, dass er es tatsächlich war, und vielleicht war er's auch, vielleicht wollte er nur mal eben Guten Tag sagen, mal vorbeischaun, wie man bei Söhnen vorbeischaut. Jetzt ist er wieder weg, das Hörspiel ist zuende, der Apfel ist gegessen.


Di 4.03.14
10:24

eine hummel, dick wie brot,
daffodils, vor scham fast rot,
sonne schon zum frühen stück,
und verdauung, zart vor glück.

großes sehnen, herzergreifen,
einen alten mann einseifen,
schwerstes herzgeschütz im wald,
heute ist nicht kalt.

heute rufen vögel heissa
hoppsassa mein eitler schweißer,
brenn mir eine frühlingsnaht,
in den greisen affenbart.


Mittwoch 5.03.14 12:56

Langsam bricht die Sonne das verhaltene Grau, ein Hund bellt, ich habe gebügelt, auf dem Tisch kühlt das Bügeleisen aus, die Abschlussleiste zum Schlafzimmer liegt, nun schließt die Tür nicht mehr richtig, ich werde noch einmal schleifen müssen, die Wäsche ist gemacht, die Wohnung aufgeräumt, ich täte nichts lieber, als sofort zum Meer zu fahren, aber das geht erst morgen. Gestern abend habe ich begonnen, den neuen Murakami zu lesen, und hatte eine Menge Einwände auf den ersten zwanzig, dreißig Seiten. Mal sehn, wie's weitergeht. Wie's bei mir weitergeht, weiß ich noch nicht, ich muss erst Bodenhaftung herstellen. Einen Monat lebe ich jetzt allein. Ich denke viel über Kostenreduktion nach, wo kann gespart werden, was ist verzichtbar, das Kochen für mich allein geht noch nicht von der Hand, ich werde mir Tupperdosen besorgen und Reste einfrieren, mein Sohn fehlt mir, seine Geschichten, sein wildes Temperament, aber ich bin glücklich, dass er auf eigenen Füßen steht. Die Freunde lassen sich nicht sehen, aber ich bin nicht allein, ich habe eine Freundin. Sie ist süß. Und unheimlich. Und alles, was Frauen sind. Und dann ist da natürlich das Schreiben, um das ich große Bögen schlage. Na ja, und 65 Jahre alt zu werden ist auch kein Pappenstil. Aber das wird schon.

14:35

der mond
hängt überm nachbarhaus
der mann ist still und langweilt sich
paar mücken treiben teufel aus
jemand stößt an den tisch

die nacht
packt aus was ihn erschreckt
zum ende wird sie hilflos
jemand hat namen ausgeheckt
und fühlt sich ziemlich schamlos

der schlaf
hat viel zu viele viele türen
er hat schon andere verstört
als würde er ihn in die irre führen
und niemand hätte ihn gehört

der tag
danach kommt als geschenk
und fragt nach milchkaffee
jemand hat nachts den mond erhängt
der mann fährt an die see

18:48

Der Abend haucht aus, die Tür zum Balkon steht offen, Amseln singen ihr letztes Lied vor der Nacht. Noch 5 Stunden und 12 Minuten bis zur Rente.


Sa 8.03.14
11:40



Rene, der Sänger aus Wijk, der den großen Sängern dieser Welt in nichts nachsteht, aber das Singen nur als Hobby betreibt, weil er Drucker ist, Rene sagt, es gibt Krieg, der Wind weht von See über die Dünen, die Nacht hängt schief, drinnen im Café des Hotel Sonnenvanck sitzt ein grauhaariger Pianist flankiert von zwei Gitarristen vor einem Flügel und verliert sich in Harmonien und jemand ruft, Rene, komm singen. Rene hat uns Calvados spendiert und begeistert erzählt, dass er Berlin großartig findet, jetzt steht er auf, ein kräftiger, großer Mann, dreitagebärtig, geht hinein und singt. Im Cafè sind die Menschen fröhlich, sie essen, sie trinken, und wir sitzen, staunen und denken, da haben wir Glück, dies ist ein guter Platz.

Künstlerdorf, hat Nies gesagt, Renes Freund, der Möbel aus China importiert oder so ähnlich und einen uralten 500er Benz fährt. Ein Künstlerdorf, dieses Wijk aan Zee mit seinen Kontrasten, die an der nordholländischen Küste ihresgleichen suchen. Wir trinken mit, wir sitzen drinnen und draussen, draussen vor allem wegen der Joints, die wir zusammen rauchen, und manchmal weht über die hohe Düne ein dunkles Grollen, als würde gerade ein Hochofen angestochen. Jetzt bin ich zurück, die Sonne scheint und alles ruft, Scheiß auf den Krieg, Scheiß auf die Oligarchenbrut, mit mir macht ihr das nicht, ihr Lieben, ich mache nicht mit, ihr könnt mich am Arsch lecken, und zwar sowas von....

21:19

Zwei gute Tage, schon hängt Herr M. tief im Seil, dabei geht es ihm eigentlich gut. Nur eben heute nicht. Heute weiß er nichts mit sich anzufangen, außer ein bisschen Tippen im Netz, aber auch das ist nur Langeweile. Er hat in der Sonne gelegen, das war angenehm, aber die Autos haben gestört, ständig fuhr eines vorbei, und in all den Jahren hat er es nicht geschafft, sie zu ignorieren. Auf dem Sofa hat er versucht, dem Tag nach den schönen Tagen zu entrinnen, aber wie soll das gehen. Er ist wieder allein. Es fällt ihm schwer, zu kochen. Er hat noch keine Idee, wie das gehen soll. Die Portionen stimmen nicht. Die letzten fünf Jahre hatte er abends um sechs das Essen auf dem Tisch, immer genug, dass ein plötzlicher Gast hätte mitessen können, jetzt aber - kaum Anstrengungen. Was denn? Eher wird etwas zu sich genommen. Gegessen wird nur, wenn er bei M. zu Besuch ist. Die kocht wunderbar, und macht eine Show draus, da bleibt kein Gemüse ungelobt.

Abend.

Für's Zubettgehen ist es noch zu früh, für's Ausgehen ist er zu lustlos. Er könnte er lesen, seine Schwester hat ihm Die Pilgerjahre des farblosen Herr Tazaki geschenkt, er hat Murakami immer gern gelesen, aber diesmal hat er ihn auf den ersten dreißig Seiten drei Mal bei haarsträubenden Dopplungen ertappt, da kann die Geschichte noch so gut sein, da schnappt er ein. Da ist er beleidigt und denkt, wie kann man einem das durchgehen lassen, weshalb ist der berühmt und ich nicht. Er wird trotzdem lesen. Seine Katze hat sich zu ihm aufs Sofa gelegt. Irgendwas muss er ja machen.

So 9.03.14 10:39

Die erste große Fahrt mit dem Benz liegt hinter mir. Ich war gespannt, schließlich ist das ein altes Auto, da weiß man nie, was passiert, aber die Spannung legte sich bald. Ich hatte vollgetankt und nach Rückkehr (530 Kilometer) war der Tank noch halb voll. Außerdem hat sich die Fernbedienung auf mysteriöse Weise besonnen, zu funktionieren. Wieso und weshalb ist mir ein ebensolches Rätsel wie ihr Nichtfunktionieren vorher, allerdings hatte ich mich mit ihr vor ein paar Tagen in den Wagen gesetzt, beide Knöpfe gedrückt und sie in Richtung Spiegel fokussiert. Irgendwo hatte ich gelesen, dass so etwas helfen könne. Falls sie sich jedoch wieder weigert, die Türen zu öffnen, habe ich ja auch einen normalen Schlüssel. Cool aber finde ich es schon, auf das Auto zuzugehen und klack, leuchtet es rundum kurz auf und das Auto ist fahrbereit. Vielleicht ist es das letzte meines Lebens. Das habe ich beim Mitsubishi zwar auch schon gedacht, aber irgendwann kommt der Tag, an dem es besser ist, sich als älterer Herr diesem automobilen Wahn, der auf den Straßen herrscht, nicht mehr auszusetzen, wenngleich es auf den Autobahnen in Holland nicht so rasant zugeht wie bei uns, da halten sich die meisten an 130. Höhere Geschwindigkeiten überfordern mein System, da fühle ich mich nicht mehr wohl, aber mit vier Airbags bei 130, das geht, das fühlt sich gut an, das rollt so vor sich hin, meine Beifahrerin erfüllt mir Fahrerwünsche, ein Apfelschnitz, ein Schluck Wasser, jetzt muss ich nur noch sehen, dass ich mein altes Autoradio einbauen lasse, beim gegenwärtigen funktioniert der CD Player nicht. Und Musik beim Fahren ist wichtig.

11:39

Dunkles Grollen gerade, eine schwarze Harley mit breiten Hinterreifen, auf der ein düster entschlossener Mann sitzt. Er hat einen schwarzen Stahlhelm auf und trägt eine Kutte. Ein Emblem hinten drauf, aber ich erkenne es nicht. Er ist der schwarze Mann. Alle werden ihn sehen und manche vielleicht sogar ein bisschen fürchten, weil man soviel liest von schwarzen Männern auf schweren Motorrädern.

Die Woche über trägt er Chinos und Jeans, Bundfaltenhosen und Sakkos mit Businesshemd. Die Verwandlung in den düster entschlossenen Biker ist nur ein Rollenspiel von vielen. Wenn er in das Leder gleitet und Reißverschlüsse zieht, wenn er sich das Tuch umknotet, den Helm nimmt, aus dem Haus geht, die Maschine startet, wenn er sich die Handschuhe überstreift und rittlings aufsitzt, wenn das Vibrieren Teil von ihm wird und er ein paarmal Gas gibt im Leerlauf, damit es schön rotzt, vergisst er, was ihn die Woche über gestört hat. Es ist Sonntag und er fährt los. Er kennt schmale Straßen, er liebt es, durch Nachbarschaften zu donnern, er schaut, und ist mit sich und der Maschine zufrieden. Irgendwo kehrt er ein und isst Kuchen, gern unterm Longinusturm, da treffen die Biker sich sonntags.

23:15

Die drei Kröten waren ein wenig forsch, dachten, aha, die Sonne scheint, also rüber zum Tümpel, ficken, doch kaum halb übern Weg hatte man sie schon platt gefahren. Aber sicher kommen andere nach und schaffen das. Ich war auf dem Weg zum Geburtstag des großen Sohnes.
Fuhr über die Autobahnbrücke und freute mich auf das erste Eis der Saison, aber auf der Terrasse der Eisdiele Gievenbeck tobte der Frühling, nicht ein Platz frei und vorm Verkauf eine sehr lange Schlange. Vor der Eisdiele an der Überwasserkirche und in der Königstraße herrschte ähnlicher Andrang, also kein Eis, Kuchen kaufen, dem Sohn gratulieren, ein bisschen den Enkeln zuschauen beim Soppen mit Wasser, beim Hinfallen und Jammern, beim Grüffelo-Pflaster-Kleben, beim Kuchenessen, dann heim.

Am Aasee lagerte der Vordere Orient und grillte. Die Orientalen sind ordentlicher als die Studenten, die immer alles liegen lassen. Es war ein einziges Aufatmen überall. Dabei war gar kein Winter. Aber alle, die ich kenne, lieben den Klimawandel, falls es denn einer ist.


Mo 10.03.14 10:54

Kleidung macht den Menschen. Ich habe ein Arsenal verschiedenster Verkleidungen. Ich kann einen feinen Anzug mit Tricks konterkarrieren, so dass sofort Fragen im Raum stehen. Ein Hut, ein Schal, Schuhe. Eine Kombination verschiedener Stile. Ich liebe das Verkleiden. Es ist Montag. Highlife. Vertrag unterzeichnen, Gedanken nachhängen, Rentner sein. Einer rein, einer raus, nächster sein, Tach Herr Doktor. Jandl.

20:32

So ein Sonnentag mit Rente ist anstrengend und kostet Geld. Nicht, dass ich das geplant hätte, nein, geplant war, am See zu sitzen und erste Gedanken zu meiner Literatour zu fixieren, ich hatte ein Notizbuch und einen Kugelschreiber in der Tasche, aber kaum auf der Bank meiner Wahl angelangt, überkam mich eine wundervolle Müdigkeit. Ich legte mich lang, blinzelte, hörte Schritte und Stimmen und einmal schrak ich auf. Da schrie eine Frau verzweifelt nach ihrem Hund. Filou! Filou, hierher, Filou, aber Filou dachte nicht dran, er wollte einen anderen Hund tot machen und wenn nicht tot, so doch zumindest klarstellen, wer der Chef ist. Filous Besitzerin geriet in Panik. Sie schrie den Hund an, aber Filou hatte kein Ohr für erzieherische Einwände. Der andere Hundebesitzer, dessen Hund souverän und unaufgeregt bliebt, wurde auch laut. Sie solle ihren Hund gefälligst anleinen. Ja Mann, schrie sie, aber sie brauchte drei Versuche, eh sie Filou zu fassen bekam. Auf der Wiese spielten junge Männer Frisbee. Die Notizen sollten warten. Ich hatte Hunger. Im Shadi, einem kleinen persischen Restaurant, aß ich eine persische Bohnensuppe und traf Wolle, den sie hier als Johnny Ketzel kennen. Mit einer Band, in der ich auch eine Zeit lang spielte, trat er auf unserer Hochzeit auf und sang: People you must die. Einmal in der Stadt dachte ich, dass ich mir eine Hose kaufen sollte. Vielleicht eine Chino. Ich probierte eine, aber sie passte nicht recht. Dann sah ich eine Replay, die war teuer, sah gut aus und passte, und ich dachte, Scheiß drauf. Jetzt habe ich sie, und bin immer noch müde. So ein Sonnentag mit Rente ist eben etwas Besonderes. PS.: Die Notizen, zu denen ich aufgebrochen war, machte ich auf dem Rückweg während einer Pause auf einer Bank am Wald.


Di 11.03.14 15:05

Schon mit siebzehn wäre ich gern faul gewesen, aber mein System sah das anders, und so wurde ich fleissig. Ich wurde sehr fleissig, machte Dinge, die niemanden recht interessierten und so ist das heute noch. Meine Festplatten können ein Lied davon singen. Dort lagern Texte zu allen Gelegenheiten neben- und übereinander. Vielleicht werden spätere Generation sie entdecken und mir posthum Denkmäler errichten. Darauf freue ich mich schon sehr. Auch auf den Diskurs, den sie dann führen werden, denn so etwas tun Exegeten gern. In meinem gerade begonnenen 66ten Lebensjahr aber scheint mich die Faulheit geradezu anzuspringen. Das macht mir Vergnügen. Ich lache mir ins Fäustchen, denn ein Rentner darf das, und deshalb verfolge ich heute weiterhin nichts. Ich beobachte nur von fern, was ich tun könnte. Das ist eine schöne Beschäftigung. Die Sonne dazu scheint ganz umsonst.


Do 13.03.14 17:41

Als ich gerade ansetze, einen Ast vom Apfelbaum zu schneiden, klingelt mein Handy. Eine Redakteurin des WDR ist dran und sagt, dass sie mich am Samstagabend in Gronau im Rahmen der Nachteinblicke interviewen wolle. Wäre das möglich? Wenn Sie mir gescheite Fragen stellen, sicher, sage ich. Dann geht es noch ein bisschen hin und her, man muss sich noch mit der Redaktion abstimmen, und wird morgen wieder anrufen. Ich werde also Gelegenheit haben, life in gut 30 Sekunden mein Werk auf den Punkt und die Welt auf den Kopf zu stellen. Ansonsten ruhiges Dahingleiten bei herrlichstem Frühling mit Temperaturen bis 20 Grad, Gartenarbeit, Tanzen, heute abend Seeteufelessen bei der großen Schwester, morgen vielleicht Osnabrück, mal schauen. Keine Ambitionen. Nach Renovierung jetzt erst einmal längere Pause.


Fr 14. 03.14 12:52

Eigentlich müsste erst einmal ein Kaffee her, aber die Sonne hat es noch nicht auf meinen Balkon geschafft, ein Viertelstündchen noch, dann hat sie die Kurve gekratzt und ich kann sitzen, Kaffee trinken und davon träumen, wie ich morgen abend an drei verschiedenen Orten ein zwischen noch mehr verschiedenen Orten hin- und her wanderndes Publikum fessle oder vertreibe. Ich bin gespannt. Sollten meine Texte nicht funktionieren, ziehe ich einen meiner Romane und lese daraus vor. Aber Plan A. hat Priorität: kurze Prosa, dämliche Gedichte, ein Mix aus Wahrheit und Lüge, aus Poesie und Banalitäten. Ich habe schon einmal einen Abend mit solchen Texten bestritten und gestaunt, worüber die Menschen sich amüsierten. Ich hoffe, das wird morgen ganz ähnlich. Wir sehn uns: Gronau/Westfalen. 20:00 - 20:30 Glashaus, Lennestraße 4, 21:00 - 21:30 Wasserturm, 23:00 - 23:30 Galerie van Almsick, Epe.

21:31

Eine Succucc hatte ich beim Iraner gleich um die Ecke gesagt und den Grund gleich mitgeliefert, ich bin jetzt alleinstehend, da reicht eine Wurst, hatte ich gesagt und er hatte genickt, ja, ja, klar, und dann hatte ich noch Kartoffeln gekauft, er hatte gewogen und eingepackt und mir die Ware auf die Theke gelegt und den Kassenzettel gleich dazu, weil er weiß, dass Herr M. ein Haushaltsbuch führt, und da lagen zwei Succucc. Natürlich hätte ich sagen können, Chef, ich wollte nur eine, dann hätte er eine abgeschnitten und mir Geld zurückgegeben, aber er spekulierte drauf, dass ich's einfach so hinnähme und ich hab's hingenommen. Ich bin ihm nicht böse, aber er ist ein Schlitzohr, ein verdammtes orientalisches Schlitzohr.

Vorgestern grub ich X.s Garten ein wenig um. Das ist schwere Arbeit, und meine Lieblingsbeschäftigung ist es nicht. X. musste währenddessen mit verschiedensten Pflanzen die Perspektiven der anstehenden Wachstumsphase besprechen und Dünger anbringen, am besten nah, aber auch nicht zu nah an der Wurzel. Bald begann mein Rücken ein wenig zu schmerzen, so dass ich die Arbeit einstellte. Aber als Mann ist man in einem von zwei Frauen geführten Garten natürlich immer gern gesehen. Man darf jederzeit kommen. Vielleicht leihe ich mir demnächst einen Motorpflug und pflüge alles um, was im Boden steckt und vor sich hingammelt, die alten hölzernen Beetfassungen, die Strünke und das allgemeine Gelumpe. Oder sagen wir, ich würde das alles wegpflügen, wenn es mein Garten wäre. Wenn das mein Garten wäre, würde ich gern mal aufräumen, aber es ist zum Glück ja nicht meiner. Ich würde niemals einen Garten mieten. Ich scheue Verantwortung, mir reicht schon, dass ich mich jeden Tag um mich selbst kümmern muss.

Ist es also möglich, dass man mich in eine Falle gelockt hat? Das man will, dass ich mich dennoch um diese sechshundert Quadratmeter Schrebergarten sorge? Hofft man, dass ich da den ganzen Sommer rumkrieche und krauche? - Ja. Das hofft man und ich werde es tun. Ich mach's sogar freiwillig, denn es ist ein wunderschöner Garten, nicht sehr effektiv, aber schön. Ich kann da sitzen und schreiben, und die Rotkehlchen hüpfen herum und X. kriecht in höherem Auftrag wie beschrieben durch ihre Flora, ich verrichte dann und wann einfache Männerarbeit (Rasenmähen, Heckeschneiden, Umgraben), dabei muss ich nicht denken und werde trotzdem von zwei Frauen dafür gelobt. Zwischendurch trinken wir Kaffee und lachen und X. erzählt, wie diese und jene Pflanze sich dank ihrer intensiven Sorge gemacht habe. Sie liebt halt. Sie ist ein Mensch. Was ich bin, weiß ich nicht. Unter Umständen ein Defizit. Mit dem Frühlingswahn ist es vorerst vorbei: die Kälte kehrt zurück, sagt man. Jedenfalls ist es nicht mehr so warm, was ja eigentlich auch gar nicht richtig war, sieht man's meteorologisch.


Sa 15.03.14 11:32

Kaum zu glauben, wieviel Zeit einem Rentner zur Verfügung steht. Und was er alles tun könnte, dabei hat er doch beschlossen, nichts zu tun. Er hat gesagt, meine Damen und Herren, hat er gesagt, das ständige Ausschauhalten nach Verwertbarem, nach "Material", dieses Außenseitertum, das am Romanschreiber klebt, geht mir dermaßen auf die Eier, das lasse ich ruhen, das will ich zugunsten des Lebens vorübergehend in den Hintergrund rücken, nicht wahr, das hatte ich gesagt, und was passiert? Kaum habe ich die Augen aufgeschlagen, fühle und sehe ich Dinge, von denen ich glaube, dass sie erzählt werden müssen, fahre den Rechner hoch und lasse Buchstaben tanzen. Das ist mein größtes Vergnügen. Ich könnte nicht mit einem Stift schreiben, das gelänge mir nie. Ich schreibe mit allen zehn Fingern, und oft glaube ich sogar, dass nicht ich, sondern die zehn Finger für mich denken und schreiben, aber das ist eine andere Geschichte. Soll ich darauf verzichten? Nur, weil ich jetzt Rentner bin? Nein, und überhaupt, dieses Kokettieren hört ab sofort auf. Ich bin kein Rentner. Ich werde schreiben, bis ich tot umfalle. Das hoffe ich jedenfalls. Akzeptabel wäre auch, dass ich während des Schreibens umfalle, oder während des Schlagzeugspielens, des Klavierspielens, oder während eines verspäteten Geschlechtsverkehrs. Mehr Wünsche habe ich eigentlich nicht.

12:56

Noch tiefe Lustlosigkeit, dabei werde ich heute abend auf drei verschiedenen Bühnen stehen und Auftritte absolvieren. Nicht vor Kindern, wie sonst üblich, sondern vor nicht einschätzbaren Erwachsenen. Grauwacke, die Herr Rühmkorff das nannte. Westlichste Westfalen zudem. Das wird nur mit Lust zu meistern sein, aber wie gesagt, bisher eher der Wunsch nach einem Mittagsschlaf.


Mo 17.03.14 12:27

Der Chor hatte sein Konzert beendet, Menschen verließen das Glashaus, hauen die alle ab, dachte ich, denn nun war ich dran und niemand kündigte etwas an, also würde ich es selbst tun, besorgte aber zunächst einen Tisch, stellte ein Mikro auf, pegelte es ein und sagte schließlich Guten Abend, meine Damen und Herren. Ich hatte einen Plan. Gedichte und kurze Prosa wollte ich lesen, weil die Menschen in der Stadt bei den "Nachteinblicke(n)" von einem Veranstaltungsort zum anderen unterwegs waren (Kirchen, Museen, Galerien, Bibliotheken etc.) und ich mit Unruhe rechnete. Daher hatte ich Texte gewählt, die auf Wirkung zielen, ich wollte Kurzweil und Lacher. Lacher sind etwas Schönes, auch Kalauer machen Spaß, aber man muss so etwas dosieren, und ich habe nicht gut dosiert.

Im Wasserturm habe ich mich regelrecht rangeschmissen ans Publikum, nicht, dass ich mich angeschleimt hätte, nein, aber viel gefehlt hat da nicht. Erst beim dritten Auftritt an diesem Abend in der Galerie van Almsick hatte ich die richtige Mischung, da hätte ich den Abend gern noch einmal von vorn begonnen, aber so geht's, man lernt und dann weiß man wieder ein wenig mehr, man hat sich gemerkt, welcher Text funktioniert, und wenn man's jetzt noch zehn Mal machte, hätte man mit Sicherheit ein Repertoire, das funktioniert, vorausgesetzt, man strebt so etwas überhaupt an.

20:26

Jetzt hinein in den Abend, einen Malt bitte. Mit oder ohne Eis? Ohne, ich trinke Malt immer ohne und am liebsten allein. Niemand soll sprechen, niemand soll außer mir atmen, mir reicht ICH und die Katze. Ich habe zwei Söhne, drei Enkel, meine Frau ist seit fünf Jahren tot, jetzt kämpfe ich mal mit etwas anderem, nicht mehr mit dem Familienalltag, sondern mit mir, das ist heroisch und lustig, dazu gibt es frische Musik und ein leichtes Reißen im Kreuz, aber ich weiß, wovon's kommt, ich habe mich heute zu wenig bewegt, ich habe gesessen, gelegen, ich habe Zeitung gelesen, war mal kurz Einkaufen, kurz in B., ansonsten aber feinstes Faulsein, große Tat. Nikotin ist nicht im Haus, das soll so sein, das ist schon seit Tagen so, aber wenn ich irgendwo eine Zigarette sehe, um die ich bitten kann, bitte ich drum und rauche sie. Schade, dass ich das mit dem Bevorraten und dem Rauchen nicht hinkriege. Es soll Menschen geben, die können Tabak im Hause haben und nur abends mal eine rauchen. Ich nicht. Ich kann zwar tagelang nicht rauchen, aber wenn Rauchware da ist, rauch' ich sie weg.


Di 18.03.14 10:21

Gleich wird Erbsensuppe gekocht. Aus Worten, die wie Ersatzspieler am Spielfeldrand der großen Bundesliga-Arenen hocken und auf ihren Einsatz warten, mache ich Literatur für zwischendurch, jetzt aber werde ich auf den Dachboden steigen und die Gardinen, die X. für mich genäht hat, abnehmen und bügeln.

18:40

Völlig ereignisloser Tag. Das darf eine Weile so weitergehen.


19:58

Samstag gegen 23:25 in der Galerie van Almsick in Epe.




21:53

Nach vielfachem Rat, wie das Kochen für einen Alleinstehenden am besten zu organisieren sei, habe ich heute zum ersten Mal eingefroren. Es handelt sich um Erbsensuppe. Sie wird zu einem grünen Klump gefrieren und hat dann zwei Möglichkeiten: entweder, ich vergesse sie (wird nicht passieren, habe Datum draufgeschrieben) oder ich kriege sie nie wieder aufgetaut. Man wird sehen. Bin aber ganz stolz. Werde wohl fortan große Portionen kochen und mich dumm und dämlich frieren.


Mi 19.03.14 11:15

Wenn ich alles tun würde, was ich tun könnte, hätte ich nie Zeit. Ich muss also von dem, was ich tun könnte, auswählen, um es beizeiten zu tun. Das allerdings ist vertrackt, so dass es immer wieder Zeiten gibt, in denen ich gar nichts tun kann. Außer vielleicht dann und wann ein Notizbuch zu zücken, um etwas hineinzuschreiben, was ich später unter Umständen nicht mehr verstehe. Wenn ich mir auch noch eingestehe, dass offenbar niemand irgendetwas versteht, ja, dass das Verstehen auch nicht die Aufgabe unseres vorübergehenden Aufenthaltes ist, wird die Sache schon einfacher. Dann fange ich an zu begreifen, dass ich nichts weiter will, als Lust gewinnen und Schmerz vermeiden. Dem ordnet sich alles unter. Wie ich das erreiche, steht mir frei. Ich neige dazu, an den freien Willen zu glauben, sicher bin ich mir nicht. Aber Sicherheit gibt es nicht, alles ist jederzeit möglich. Da hilft nur Demut. Das ist ein altes, geschundenes Wort, aber ein besseres kenne ich nicht.

23:19

Bisschen geschrieben und nachtmittags Text vertont. Ansonsten trank ich Kaffee, aß unterm Ginko ein Eis, bereitete Lachs zu und war streng mit der Katze. Mopsi glaubt, ich müsse ihr ständig zu Essen geben, und das glaube ich nicht. Manchmal ignoriere ich sie, heute schmiss ich sie raus. Ich mag meine veränderte Wohnung sehr. Ich mag auch die Stellen, denen man ansieht, wie lange es her ist, dass dort gestrichen wurde. Das Alte und Neue harmoniert auf mich sehr beruhigende Art. Ob ich schon fertig bin mit der Wohnung weiß ich nicht. Könnte sein, dass da noch was kommt. Ob sich noch jemand für meine Arbeit interessiert, weiß ich auch nicht. Immer häufiger wird es mir auch egal. Zudem ist es lästig, daran zu denken. Ich mache sie einfach und fertig.


Do 20.03.14 10:08

Vier Polizisten vorm Haus. Sie haben ihren Laser positioniert, um Schnellfahrer standrechtlich zu verdampfen. Bot ihnen Kaffee an, wollten aber nicht bestochen werden. Werde gleich meine Vorhänge aufhängen, vorher muss ich zum Baumarkt für die herrschenden Klassen, Rollen und Klipse kaufen. Der Himmel ist weltallblau. Ich habe prächtig geschlafen. Das Leben hat Überraschungen im Gepäck, mal sehn, wie es sich anfühlt, wenn sie ausgepackt sind.

20:57

In Vorbereitung auf meine literarische Reise bin ich heute meine Strecke gefahren westwärts gefahren. Bin über Land gerollt, habe links und rechts geschaut und mir gemerkt: Hängeweide gleich hinter der Aa, senfgelb leuchtende Trauer, Marienaltare, gern auch en miniature in Vorgärten großer Höfe, ein Jesus später, alle nicht älter als hundert Jahre, durch die Bauerschaft Beerlage, die, seit die kurvenreiche Straße dort neu asphaltiert ist, sogar neunzig zulässt. Da ich alle Kurven auf mehr als hundert Meter überschauen kann, erlaube ich mir, Ideallinien zu fahren. Hach, bin ich mutig, ein Rennfahrer mit jetzt fast 95, rechts fliegt Altenberge übern Horizont, links verbergen sich Havix- und Billerbeck. Die alte Windmühle in Höpingen auf dem Berg. Parallel dazu ein für westfälische Verhältnisse steile Abfahrt, waren es 7 oder 17 Prozent, ich weiß nicht, aber es ist steil, ich bin mal mit dem Rad runtergebraust.

Lasse Darfeld links liegen. Dort ist ein altes Schloss mit einer herrlichen Allee, Kastanien, glaube ich, aber da muss ich noch nachschauen. Rechts, wieder links Richtung Schöppingen, dann auf Asbeck zu, die lange, gewellte Gerade, über zwei, drei Kilometer, entspanntestes Gleiten weil zu jeder Tageszeit kaum mal Gegenverkehr, an dem kleinen Haus vorbei, dass hinter Buchen und Eiche oberhalb einer leicht abfallenden Weide liegt, ein Haus, in dem ich gern wohnen würde, aber es ist mir zu einsam dort, über die Lindenallee, deren Bäume so eng beieinander stehen, dass man gut lenken müsste, um bei einem Unfall keinen zu treffen, Asbeck, das Pflaumendorf, hübsch, und es sieht tatsächlich alt aus an ein paar Ecken, da hindurch, es schlängelt sich so, und dann geht es einen Weg links ab über die Felder. Links ein große Hof mit Silos, Riesenwindräder und die Kühe in Halbtrauer, dann rechts und gleich wieder links nach Düstermühle, weil es dort noch eine Birkenallee gibt, nicht sehr lang, aber eben Birkenalle bis zur Hauptstraße, dann links auf Ahaus zu, an den gelben Kreuzen der Atomkraftgegner vorbei, die hier an vielen Stellen stehen, weil die Stadt sich ihre Modernisierung in den Siebzigern mit dem Standort eines atomaren Zwischenlagers erkauft hat. Durch Vorstadtgewerbegebiete über die neue Umgehung nach Gras und zu X. ins Studio. Saßen vorm Haus, tranken Kaffee, sprachen von Pflanzen und Frauen, gingen hinein, X. spielte den All Blues auf seinem Kontrabass, ich klimperte sechs Töne dazu, schöne Sache, kleine Reise, gut für die Seele. Zum Abschluss noch auf einen Sprung zum Kaffeemillionär, aber der war nicht zuhause, kurz zu meiner alten Klassenkameradin X, die Hematome unterm linken Fuss hat und schlecht gehen kann, tja, und jetzt wieder hier. Gleich geht's mit dem Rest meines Geburtstagswhiskys aufs Sofa, Zeitung lesen und Murakami. Diesmal Kafka am Strand. Guten Abend.


Fr 21.03.14 15:12

schaffen wir alles fort
was fort muss,
bleibt es trotzdem im herz,
aber gut ist,
dass wir es fortgeschafft haben.

schaffen wir nichts fort
was fort muss,
bricht es irgendwann über uns,
jeder weiß das.

also fort,
alles fort,
notfalls farbe drauf,
namen ändern,
sich austragen aus allen registern:
ich bin nicht mehr der,
der mal war, sage ich,
aber niemand glaubt mir,
nicht mal ich selbst.


Sa 22.03.14 9:54

Zehn Menschen, Schriftsteller, und ich stehe wieder mal rum und habe keine Wörter, die ich tauschen könnte, weil ich nur tauschen kann, wenn mir die Menschen vertraut sind. Also erst einmal nichts sagen, die Sahne vom Kakao löffeln, keine missverständlichen Scherze. Jeder stellt sein Projekt vor. Die meisten hängen sich hinter historisches, kulturhistorisches, nur der eine nicht, der mit dem Moped herumfahren will und meint seine 650 Enduro, die andere, die mit einem Kajak ein Stück Ems abfahren- und noch einer, der im Teuto den Töddenweg wandern will. Und ihr Angebot, Herr M.? Nun, sage ich, nichts historisches, nur Bäume, Bäche, Wiesen, ein Berg, eine Geschichte dazu, aber eine Geschichte worüber? Ich werde schon sehen.

11:23

Die Toilette ist frisch gestrichen, n bisschen nachbessern musste ich vorhin noch, danach auf den Knien mit dem Frosch alle Ecken geleckt, anschließend Bilder gehängt. Nichts ist mehr wie vorher, es ist übersichtlicher, neutraler, könnte man sagen, vielleicht bringt das dem Leben mehr Schwung, vielleicht nicht. Ich experimentiere. Das ist ja auch was. Ansonsten Schweigen im Wald, merkwürdige Strategie, Konflikte zu lösen, finde ich, düster also, bisschen aufgeheitert durch X. gestern beim Tanzen, die zu mir aufs Sofa kam, mir über den Kopf strich und sagte, sie habe mich ganz lieb. Hach. Rührung. Trotzdem schlecht geschlafen.


So 23.03.14 13:22

frischer frühling
ich bin gut zu vögeln
und mein hausttier schläft,
zeit, die fantasien auszubügeln,
und was sonst mich ungefragt berät.

führe gern in eine schonung,
wüsste noch genau die stelle,
grübe mir im laube eine wohnung
das ergäbe helle.

laute flirrten, vögel sängen,
bernsteinaugen von der see,
alles dürfte, niemand würde drängen,
und erst nachher herzweh.

jagt' den fuchs fort, trieb den teufel,
hier würd' nichts entschieden,
glitte sanft und voller zweifel,
in den venusfrieden.

16 :54

Ich dachte an Trommeln und Baströcke, buntes Baumwolltuch und Barfüßer, als jemand fragte, ob ich Lust auf afrikanischen Tanz hätte. Ich wollte die Tarvitja Bros. sehen, ein mazedonisches Jazztrio im Hot Jazz Club und sagte nein. Drei Stunden später sagte die Band das Konzert ab, also fuhr ich zur Völkerschau für das linksliberale Publikum. Afrikanischer Tanz. Kein Vodoo. Kein Dance Trance. Im Gegenteil. Afrikanische Gegenwart vom Vuyani Dance Theatre mit zwei Choreographien: Wake Up und Between Us. In der ersten zwei Tänzer in Khakishorts, Poloshirts, schwarze Brillen, barfuß, die sich stoßen, verbiegen, Gemeinheiten austeilen und still ihren Humor teilen. In der zweiten tanzen vier Männer und zwei Frauen. Worum geht's? Ich weiß nicht recht. Um Gewalt. Um die Verwerfungen einer von Mandela in die Demokratie geführten, schwer verletzten Gesellschaft? Ich diskutiere das mit einer Dramaturgin vor der Tür. Sie sagt, ihr fehle die Geschichte. Ich sage, ich schaue Tanztheater nicht der Geschichten wegen, ich muss auch nicht verstehen, mir reichen Menschen in Bewegung. Das ist der Dramaturgin nicht genug.

Im Haus sitze ich eine Weile mit anderen, wir plauschen, als jemand kommt und sagt, draußen sei Polizei, das ist doch dein Benz. Ich raus. Will zum Auto, es wegfahren, aber der Polizeiwagen steht direkt vor der Tür, der Fahrer blinkt mich an und steigt aus. Ich gehe zu ihm. Wie ich darauf gekommen wäre, da zu parken. Ach, Rudelparken, sage ich, als ich kam, standen da schon zwei andere. Das ist aber gefährlich da, sagt er und ich sage, ja, ja. Ob ich getrunken hätte, will er wissen, ich sage, ja, Bionade. Dann solle ich da jetzt mal auf der Stelle weg, sagt er und verabschiedet sich.


Mo 24.03.14 9:53

Wenn ich die Zeitung aufschlage wird mir schlecht. Diese ständige Drohen kann auf Dauer nicht gut gehen, da muss nur irgendein Subalterner die Nerven verlieren und zu schießen beginnen, ein anderer schießt zurück, schon schießen alle und dann Gnade uns Gott. Soll man da noch Gardinen aufhängen, oder sich freiwillig melden für den nächsten Krieg? Ich weiß es nicht. Natürlich haben alle Interessen, und je nach Blickwinkel kann man sie sogar verstehen, alles kann man verstehen, nur die Menschen nicht, die werden getrieben, ich nehme an, das Kapital treibt sie vor sich her wie Knechte, denn das Kapital ist kein Mensch, das Kapital ist ein Monster, es hat längst verwirklicht, worüber die Politiker sich täglich streiten, es ist word-wide, es schert sich weder um Zivilgesellschaften noch um Landesgrenzen, es ist immer da, wo es fressen kann. Aber wie schafft man das Kapital ab? Mit Köpfen abschneiden funktioniert es nicht, das wissen wir. Also wie?

14:00

Mittagsschlaf im neuen Zimmer.


19:08

Den ganzen Tag müde und lustlos, wenngleich ich die von X. in wochenlanger Arbeit aus altem Damast genähten Gardinen in Falten aufgehängt habe, man tut das, man faltet sie, damit sie Falten werfen, das wirkt beschwingt, und das hatte ich nicht gewusst. Und tatsächlich, sie werfen Falten. Sie werfen so umwerfend schöne Falten, dass ich mich nach getaner Tat erst einmal ins Bett gelegt habe, um sie anzuschauen. Ansonsten aber, kaum ein eigener Gedanke. Stillstand da oben, wahrscheinlich das zurückgekehrte, kühle Märzwetter, eigentlich normal, aber man gewöhnt sich gern an warme Frühlingstage. Sollte also jemand heute einen eigenen Gedanken gedacht haben, den er mir schenken kann, bitte, nur zu, ich schreibe dann Mensing drunter und schon gehört er mir.

19:27

Ich benötigte Gardinenrollen, an die ich Klipse befestigen konnte, besser gleich welche mit angehängten Klipsen. Ich fand welche für T-Schienen. Ich weiß nicht, wie man meine Schiene nennt, aber eine T-Schiene ist es nicht. Ein Mitarbeiter von Hornbach begriff und schlug vor, sie mal auszuprobieren. Sie waren nicht richtig, ich meine, es wäre gegangen, aber nicht wie es soll, also suchte er weiter und wurde fündig. Mitarbeiter, die Spaß an Kunden haben, sind wunderbar.


Di 25.03.14 10:16

Der Tag hat gar nicht genügend Stunden, um zu erledigen, was zu erledigen ist. Da ist nichts als das Nichtstun, mit dem ich mich nun schon seit geraumer Zeit beschäftige. Quasi mit dem Erwachen sitzt es auf meiner Bettkante und fragt, was wir heute wieder nicht tun werden, und ich antworte, es solle mir noch einen Augenblick gönnen, eh ich zu mir gekommen sei und die Frage beantworten könne. Es murrt dann, und ich sage gut, rolle mich aus dem Bett, berausche mich an dem Licht und den Schattenspielen auf meinen Gardinen, ich gehe nach nebenan und spiele ein paar Akkorde Klavier, während es hinter mir steht und seltsame Töne von sich gibt, ein Heulen fast, ein um Hilfe bittendes Jammern. Ich ignoriere das, ich fühle mich erpresst, meine Dummheit spottet jeder Beschreibung. Es will das Beste, aber ich kann es nicht annehmen, tief in mir lauert ein Misstrauen, das in der Bismarckstraße gesät wurde und nicht zu besiegen ist. So gehen die Tage und das Gute, das man wir zukommen lässt, verpufft im Dampfkessel meiner Furcht. Ich schaue aus dem Küchenfenster und sehe zu, wie die japanische Kirsche sich vorbereitet. Es ist kalt und sonnig, aber nicht aufzuhalten. Mütter schieben ihre Kinder von A. nach B., und das Glück fliegt schweigend davon. Das Allerseltsamste daran ist, dass ich dabei nicht unglücklich bin, im Gegenteil, ich fühle mich wohl in meiner Haut, obwohl ich nicht weiß, wie ich hineingekommen bin und noch weniger weiß ich, wo ich hingehe, wenn ich sie einmal verlasse.

16:08

Manchmal gerate ich beim Denken so tief in mich hinein, dass ich erschrocken einhalte. Da drin ist ein tiefer Wald, ich muss vorsichtig sein, aber das bin ich. Was immer geschehen wird, ich bin die Ursache jeden Kummers und jeder Freude. Zu meiner Entschuldigung ist nichts vorzubringen. Ich kann aber sagen, dass ich von Anfang vor mir gewarnt habe. Ich habe nicht hinterm Berg gehalten. Ich bin ein offenes Buch. Aber eh jemand etwas in mich hineinschreibt, prüfe ich sorgfältig. Ich schrecke vor keiner Dummheit zurück. Trotzdem lerne ich mich zu lieben. Noch nicht sehr, aber immer mehr. Diese letzten Tage, das Nichtstun, die neue Wohnung, das ist so angenehm, dass ich sogar auf's Rausgehen verzichte. Ich setze mich auf den Balkon in die Sonne. Ich trinke Kaffe. Meine Katze weiß nicht, ob sie die dicke Hummel fangen soll oder nicht. Sie ist sehr aufgeregt. Ich rate der Hummel, sich nicht zu bewegen.


Mi 26.03.14 10:46

Gestern Abend tauchte Frau Z. auf. Seitdem darf ich ohne Rücksicht auf lebende Personen alles sagen. Frau Z. existiert nämlich nicht. Oder anders: Frau Z. existiert, aber sie existiert nicht so, wie ich sie schildere. Frau Z. kann aus vielen anderen zusammengesetzt sein. Deshalb glauben Sie nichts von dem, was Sie über Frau Z., Herrn X. oder Frau Y. demnächst lesen. Es ist alles gelogen und wahr, zum Beispiel, dass ich Herrn X., den Mann von Frau Z., für einen ausgemachten Idioten halte.


Do 27.03.14 00:01

Eigentlich ist Müßiggang Schwerstarbeit, denn während ich müßig gehe, warte ich auf eine Idee. Schließlich muss ich demnächst mit einem Fotografen eine Strecke von A. nach B. fahren. Von hier bis ans Meer. Wir werden Orte aufsuchen und ich werde Geschichten dazu erzählen, während er fotografiert. Nicht, dass ich nicht wüsste, welche Orte ich sehen und welche Geschichten ich erzählen will, in den letzten Tagen sind mir noch eine Menge eingefallen, es sind eher zu viele, so dass ich reduzieren muss, das aber ist nicht das Problem. Das Problem ist die Idee. Noch fehlt die Idee, die über allem liegt. Eine möglichst einfache Idee.

Das macht mich ein bisschen unruhig. Und natürlich die Tatsache, dass diese Reise ein Auftrag ist. Es geht also auch um Ruhm und Ehre. Und ich will natürlich nicht alt aussehen bei der Konkurrenz. Dieser Auftrag ist genau das, was ich mir schon seit hundert Jahren wünsche, noch dazu einer, bei dem ich tun und lassen kann, was ich will. Ich freue mich sehr darauf, weil ich den Fotografen mag und er mich, wir werden Spaß haben, trotzdem habe ich jetzt den Salat.

Ein Glück, dass ich tanzen kann. Ein Glück, dass es Tänzerinnen gibt, die gern mit mir tanzen. Ein Glück, dass ich dieses neue Zimmer habe, das so atemberaubend leer ist und leer bleiben wird. Fehlt eigentlich nur noch die Buddha Statue, aber da sei Gott vor.

Gerade schob sich meine Katze über die Sofalehne heran und mogelte ihren Kopf unter meine schreibende linke Hand. Ich musste sie überzeugen, dass es jetzt nicht geht. Zum Glück begreift sie schnell. Selbst, wenn ich böse werde, zurecht oder zu unrecht, ist sie nicht eingeschnappt, sie wird einfach unsichtbar.

So sollten Frauen sein. Sind sie aber nicht. A. war kompliziert, B, C, D....Z ... alle waren kompliziert, keine möchte ich missen, aber schön wär's mal unklompliziert.

Mit Tigern könnte ich's besser, genausogut, wie ich's mit meiner Katze kann, mit Frauen kann ich es nicht. Nicht, dass ich es nicht versuchte. Ich versuche es im Grunde ständig. Eines Tages tauchte Z. auf und ich dachte, aaaaaah, wunderbar, alles bestens, doch schon fiel mir ein, wie lange wunderbar dauert, man kann das ja nachlesen, aber ich weiß es. Wunderbar ist leider nur momentan, und für jedes Wunder muss man beten und schwer arbeiten.

C. und ich haben das lange getan. Wir waren immer wieder glücklich und unglücklich, aber grundsätzlich waren wir glücklich, das hätte bis zum Lebensende so gehen sollen, so hatten wir uns das vorgestellt, aber manches kommt anders. Trotzdem. Ich habe Glück gehabt, ich kann's oft selbst nicht glauben, ich sehe, wie manchen die Kinnlade runterfällt, wenn ich sage, wie ich lebe, dass ich nichts habe und mit wenig auskomme, dass ich tagelang sitze und denke, dass ich versuche, mit der Zeit zu treiben, und nicht, mich von ihr treiben zu lassen. Aber ob ich für "wunderbar" noch mal so ranklotzen will, weiß ich nicht. Mein Bauch sagt mal dies und dann das.

Es gibt so viel zu bedenken im Augenblick.

Ich bin ganz und gar nicht damit einverstanden, dass Amerika versucht, Europa in eine engere Allianz gegen Russland zu treiben. Obama spricht von Aufrüstung, unsere Verteidigungsministerin zeigt Muskeln. Haben die endgültig den Verstand verloren? Ab 9/11 war es schon schlimm, aber es war immer woanders, zudem waren es die "Muslime", die als Erzfreinde verkauft wurden, jetzt sind es wieder die Russen, und die wohnen zwei Flugstunden von hier, am Rande Europas, aber in Europa. Da muss erst ein Altkanzler ran und sagen, dass er dieses Verhalten für dummes Zeug hält.

Gefahr Gefahr rufen alle, dabei haben sie Russland vor den Kopf gestoßen mit ihren Nato-Erweiterungen. Statt Russland einzubeziehen, es an Europa zu binden, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch und vor allem kulturell, damit es sich zugehörig fühlt und nicht fortgestoßen, wird es von Schulmeistern gemaßgeregelt, die sich an die eigene Nase fassen sollten.

Das stinkt. Ich lese natürlich, dass auf der diplomatische Ebene viel und auch nicht über die Maßen bösartig miteinander geredet wird, und wo geredet wird, besteht immer Hoffnung, ich glaube auch nicht wirklich an einen Krieg, aber es stinkt, es stinkt verdammt, und wenn ich dann noch lese, dass die Banken in alter Risikofreude längst wieder bei den Geschäften sind, die niemand versteht, die niemandem gut tun und eigentlich verboten gehören, bin ich besorgt. Ich sorge mich nicht um mich, ich sorge mich um meine Kinder und meine Enkel.

Warum gibt es keine Kundgebung mit 500000 oder mehr, wie beim Nato-Doppelbeschluss, dieser Pershing Geschichte damals in Bonn, 81, glaube ich. Wo sind die Menschen, lassen sie alles mit sich machen? Wo sind die Jungen? Haben sie keine anderen Probleme, als veganes Essen und Elterngeld?

Ich geh ins Bett. Gute Nacht.


Fr 28.03.14 12:16

Ich will nicht. Ich kann nicht. Ich denke heute nur positiv.


Sa 29.03.14 13:13

Zwei Tage noch, würde ich sagen, dann öffnen sich die Blüten der japanischen Kirsche vorm Küchenfenster, exakt drei Wochen vor der Zeit, denn ich beobachte sie ja nun schon seit mehreren Jahrzehnten, und nie ist sie vorm letzten Drittel des April aufgeblüht. Klimawandel also, oder einfach nur ein ungewöhnliches Jahr, denn mir schwirrt durch den Kopf, dass man mir immer erzählte, bei meiner Geburt hätten die Kastanien geblüht. Vielleicht nur eine urbane Legende, aber sie macht sich gut in meiner Biografie.

Gestern traf ich die große Tochter, das war schön. Sie ist aus München angereist und bleibt übers Wochenende. Seit gestern habe ich wieder Musik im Auto, die ich steuern kann. Mein altes Radio ist eingebaut, ich kann mit Scofield in meiner Limousine herumfahren, was Freude bereitet.

Und was mache ich heute? Mache ich jemanden glücklich? Womöglich mich selbst? Ich werde es versuchen. Es gibt verschiedene Optionen. Die Kapelle Petra in der Sputnikhalle zum Beispiel, moderner Tanz im Pumpenhaus, Salsa in Osnabrück. Noch ist nichts entschieden.