März 2017                      www.hermann-mensing.de      

    

mensing literatur
 

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Mi 1.3.17 13:27 überwiegend bewölkt, 7 Grad

Langsames Erwachen aus dem Winterschlaf. Erste Knospen. Winterlinge und Schneeglöckchen blühen schon seit über einer Woche.


Do.2.3.17 19:06 bewölkt, 6 Grad

Der Bus ist ziemlich voll. Neben mir eine Vierzehnjährigen, die alle hässlich finden. Gegenüber ein Syrer. Kurzer Blickkontakt, Andeutung eines Lächelns, keine Gefahr. Er entwirrt seine dünnen Kopfhörerkabel, steckt die Hörer in die Ohrmuscheln und ist woanders. Der Bus hält. Eine Gruppe nahezu gleichgekleideter junger Männer und Frauen steigt ein. Alles sauber, gewichst, gekämmt und die Zähne geputzt. Dunkelblau. An den Revers Schilder: Elder soundso. Oh Gott, Mormonen. Ihr Fickfressen, macht euch weg nach Amerika. Elder Soundso lächelt. Diese geklonte Freundlichkeit macht mich ratlos.

23.28

Ich poste Text, kaum Reaktionen, ich poste Fickfresse, schon geht der Vorhang auf und alle treten vor.

FACEBOOK

Hans: Ich finde ihren Style super, aber ihre Religion sollten sie lassen.
Willi: Hans, wer ist gemeint mit dem ersten "ihren"?
Hans: Die Mormonen. War das nicht deutlichlich? Stand hier eine andere Religion zur Auswahl?
Hans: Nicht, oder?
Willi: Hans, es hätte auch Hermann gemeint sein können .... "nicht oder" .... Auf die Idee, deren (Mormonen) Stil super zu finden, bin ich noch nicht sofort gekommen ... ist auch schwierig.
Hans: Herrn Mensing würde ich natürlich immer mit dem korrekten "ihren" adressieren. Ich habe es einem Mormonen Duo vor Jahren genau so gesagt, als es vor meiner Tür stand. "Passt auf, euren Stil finde ich spitze, aber mit mir und Gott, das wird nix mehr." Fanden sie lustig, auch wenn sie es wohl selbst nicht glauben konnten. Ich finde aber durchaus, dass es das öffentliche Leben Bereichern würde, wenn jeder ein Namensschild auf der Brust hätte. Man dürfte sich aber aussuchen, was draufsteht. Jeden Tag neu. Gut, oder?
Willi: ... ok.
Marie: Ich bin noch nie Bekehrern begegnet, die ihre Opfer verbal agressiver in die Zange nehmen als diese Fickfressen.
Vera: Was hat das bloß für einen Sinn, andere Menschen so zu nennen? Ich muss einen Menschen ja nun nicht angenehm finden, ihn nicht mögen, dennoch heißt es nur immer wieder diese Endlosschleife fortsetzen, die wir Menschen so unglaublich gut gelernt haben zu bedienen.
Ich: es hat gar keinen Sinn, Vera, aber da ich laut dachte, war es nicht zu verhindern.
Will: Marie, nur weil die "mehrere" Frauen haben, sind sie doch keine "F ...fressen"....
Marie: Schön, dass du mir etwas in den Mund legst. Ich habe nichts gegen Vielweiberei. Wie du meine Text entnehmen kannst, kritisiere ich die Methode, wie bekehrt wird. Das "Fickfressen" ist neben der Beleidigung im Bezug zum vom Künstler veröffentlichten Text als Zitat zu betrachten. Da du anscheinend nur diesen einen Aspekt der oben angeführten Glaubensgemeinschaft zu kennen scheinst, führe ich noch mal positiven Aspekt der Sekte an: sie haben ein unglaublich großes Stammbaumarchiv, das sie einem jedem und jerdem einen öffentlichen zur Verfügung stellen
Willi: Marie, richtig, ich weiß gar nichts über Mormonen, nachdem ich 25 Jahre in Amerika gelebt habe. Und das FF Wort hat mich schon in Hermanns Text etwas gestört.
Marie: Um so unverständlicher ist es, dass du mir genau diesen Aspekt in den Text legst.
Willi: Marie, lassen Sie es gut sein, bitte ...
Marie: Lieber Willi, ich kann deine Empörung über ein Schimpfwort durchaus verstehen und akzeptiere ein Argument, das dieses nichts in der Öffentlichkeit zu suchen hat als Meinung voll und ganz, nur lasse ich mir nicht nachsagen, intolerant gegenüber persönlichen Lebensweisen zu sein. Intoleranz werde ich gegenüber Unterdrückung und aggressivem Verhalten.
Marie: Und jetzt lasse ich es wirklich gut sein.
Ich: Gut so. Und ich bestätige, dass Fickfresse ordinär ist, aber gerade das gefällt mir, es polter so raus und schon outen sich alle.
Willi: Hermann, keine Panik, ist schon in Ordnung. Ich benutze herbere Wörter mein Le ben lang. Nur nicht mehr in FB., da fühle ich mich dann immer in Gesellschaft von Menschen, mit denen ich nichts zu tun haben will.
Hans: Ich glaube, man kann diese hitzige Diskussion etwas runterkommen. Mir haben die Mormonen noch nie etwas getan. Ich halte sie für einen aus der Zeit gefallenen Kult mit seltsam prätentiösen Sitten und dem sektentypischen Isolationismus. Tut keinen weh, höchstens den Mitgliedern (im Kopf) und den sich dran Störenden (im Gemüt). Ist deren Missionswesen denn wirklich so ätzend? Zu mir waren sie immer nett und verständnisvoll. Sie haben vielmehr immer einen etwas hoffnungslosen Blick drauf, wenn sie mit ihren unförmigen Rucksäcken durch die Straßen trotten. Und ganz bestimmt ficken und fressen sie wie jeder andere auch. Nur nicht gleichzeitig, deas wäre dann wirklich perversers...
Marie: Ich habe halt leider ganz andere Erfahrungen gemacht. Das hier auszuführen würde den Rahmen sprengen. Generell bin ich aber auch der Meinung, jedem seinen Glauben zu lassen. ... Empfinde aber die Methode einiger Menschen, ihren Glauben zu verbreiten, als übergriffig und gefährlich.
Hans: Übergriffig find ich das nicht, tut mir leid. Wie gesagt, das sind meine Erfahrungen. Hallo, möchten Sie ein paar Minuten über Jesus reden? Nein, aber haben Sie vielleicht noch so ein Namensschild? Nein. Okay, dann tschüss. Ich konnte immer einfach meine Tür zumachen. Allerdings sind andere Menschen vielleicht einfach zu höflich und dtada: sitzen zwei Mormonen in ihrer Küche. Keine Ahnung, wie deine Erfahrungen nun waren, aber ich halte es mitunter mit dem alten Sprichwort: Wie man in den Wald hinein ruft...
Werner: Was ist Religion? Philosophier? Ideologie? Doktrin? Propaganda? Welche Idee, außer dem "Kategorischen Imperativ" hat ein Anrecht auf allgemeine Akzeptanz? Religionsfreiheit? Dünnes Eis!!! Ankacken eskaliert jedenfalls Probleme.
Anna: WORD augenzwinkernder Smiley.



Fr 3.3.17 16:44 bewölkt 11 Grad

Unsere Kleidung wird von Entrechteten in Asien hergestellt, Butter kommt aus Holland, wo unzählige Kühe Faulgase in die Atmosphäre ablassen, Tomaten kommen aus hightech-Laboren auch daher, Wein stammt aus Frankreich, es muss um Bordeaux ungeheure Vorkommen geben, eingerichtet werden wir von Schweden, das sind Menschen, die pro Jahr nur drei Monate Zeit zum Leben haben, der Rest ist Winter, verköstigt werden wir von den Brüdern Aldi Nord und Süd, die allerdings tot sind, was sie nicht daran hindert, nach China zu expandieren, Musik kommt aus der ganzen Welt, Blumen kommen über Holland aus Afrika, Flüchtlinge ertrinken, die anderen kommen hierher, weil sie sonst keiner will, wir eigentlich auch nicht, Rechte haben wir über Jahrzehnte domestiziert, sodass sie jetzt sogar im Fernsehen reden, wir dürfen uns nicht beschweren, das Leben ist ein grauenhafter Taumel mit entzückenden Momenten.


Sa 4.3.17 22:22 bewölkt 12 Grad

heute ist die stimmung heiter
und mein frühling ruft hinaus
also trage ich mein reittier
durch den keller außer haus
sprossen lenker die mechanik
alles bestens und bereit
aufstieg dann und der balance kick
blick nach westen der schon schreit
wald und berg und berg und tal
ebene und spaß final
dieses reittier bringt mich still
dahin wo ich will

(roxel-billerbeck-münster-roxel)


So 5.3.17 22:08 regnerisch, 6 Grad

Es ist Nacht, im Südwesten steht eine leuchtende, weiße Wolke, aber da hinten sind keine Dörfer. Fußball spielen sie so spät auch nicht mehr, nachts erholen sie sich vom Spielen und Trinken. Dieser quellende Wolkenpilz in nachtgrauer Umgebung ist schön. Überm Aasee höre ich Rufe von Kranichen. Sehen kann ich sie erst, als ich vom Rad steige und konzentriert hochschaue. Eine schwarze, flügelschwingende Formation in Form einer Eins. Bisschen mehr links. Links? Nicht eher rechts? Ja, eher rechts, rufen sie. Über die Stadt sehe ich welche, die vom Streulicht weiß leuchten.


Di 7.3.17 regnerisch, 8 Grad

Ich bin 68, ich habe Sex, ich nehme
Drogen (Kaffee, Torte, Gras, Alkohol), ich führe Gespräche und bin doch nie eins. Ja, sage ich, das haben wir gut gemacht, trinke irischen 14jährigen Single Malt, nehme das Messer, das sie mir geschenkt hat, streiche mit der Fingerkuppe über den feinen Schliff, aus einem hauchzarten Schnitt tritt ein Blutstropfen. Jetzt kann nichts mehr passieren, alles kann jederzeit sein, aber ich fürchte mich nicht. Ich tanze, ich spiele Schlagzeug in einer unberechenbaren Kapelle, ich nudle das Klavier, dann und wann bin ich im Himmel. Meine einzige Sorge ist die Zukunft meiner Kinder und Enkel.



Mi 8.3.17 Regen, 7 Grad

Das reicht. Da will ich nicht vor die Tür. Zum Glück habe ich nichts zu tun, das unterhält und schärft den Geist.


18:55

Das Niesen überfiel mich. Erruptiv und mit Geschwindigkeiten bis zu 200 KmH verließen Bakterien meine Stirnhöhlen und verbreiteten sich unter höhnischem Johlen im Raum, der nun, wo der Anfall vorüber ist, hoch kontaminiert, zunächst versiegelt wird, damit kein größeres Unheil seinen Lauf in die Welt nimmt, denn das fehlte uns von allen guten Geistern Verlassenen gerade noch, ein weltweite Epedimie mit hoher Mortalitätsrate, andererseits, wer weiß, vielleicht fehlt uns gerade das.

Ich jedenfalls sitze im Auge des Hurrican, Papiertaschentücher, so weit das Auge reicht, und warte auf nichts. Eine Woche lang feiere man in Brasilien Geburtstag, erfuhr ich von jemandem, der dort 25 Jahre gelebt hat, was also sollte mich hindern. Geburtstagswhisky ist noch reichlich vorhanden.

Um abzuschließen, noch folgender Hinweis an einen jungen, heruntergekommenen Mann, der gegen halb zwölf an der Bushaltestelle LWL Museum in die Linie 14 (glaube ich) stieg. Eh er einstieg, nahm er einen letzten Schluck aus seiner Flasche Brinkmann Pils und stellte sie mitten auf dem Bürgersteig ab. Mögen die ewigen Gesetze des Universums dich strafen, Idiot.


Fr 10.03.17 17:38

Der Frühling ist spürbar. Ich rasierte mir den Kopf. Meine Untermieter hat glänzend schwarzes Haar, das er mit Styling Gel in Form zwingt. Ich habe eine Glatze, die ich sehr mag. Er hat viele Dosen und Tuben. Ich nahm Gel aus einem der durchsichtigen Plastiktöpfchen und schmierte es mir in den Bart. Es verhärtete schnell und fühlte sich an wie Sperma. Aber das war viel zu weit weg, nicht mal als junger Mann hätte ich das geschafft. Ich wusch den Bart wieder aus. So wollte ich nicht vor die Tür.


Mo 13.3.17 sonnig, 13 Grad

Joggerinnen mit hin und her fliegenden Pferdeschwänzen in Leggins und Pos von fester Strutur. Ich sonne mich auf einer Bank, und schaue hinauf in eine Platane, um ein Vogelnest in einer Astgabel zu bestaunen. Es hat Winter, Wind und Wetter überstanden und wird neu bezogen. Auf der Wiese eine Krähe, die Baumrinde in passende Streifen reißt. Auf einer anderen Bank eine Frau mit dem Gesicht eines alten Apfel voller Runzeln und Falten. Jetzt, wo ich selbst älter werde, kann ich die Schönheit in solchen Gesichtern sehen. Ich fahre weiter. Meine Beine müde vom Tangofestival. Von acht bis tief in die Nacht habe ich kaum einen Tanz ausgelassen. Ich hatte gute Tänzerinnen, es gab kaum Missverständnisse beim Führen der komplexen Figuren, eine Band spielte und mein Ego wurde groß die der Mond.


Mi 15.3.17 8 Grad

Z
ehn Kilometer habe ich hinter, und zehn zurück vor mir, in den Zwischenzeit werde Stunden tanzen, aber eh ich ins Bett falle, muss ich erst einmal den Tanzsaal finden. Er ist hier, wahrscheinlich kann ich ihn sehen, aber ich erkenne ihn nicht zwischen all dem Neugebauten, den Parkplätzen und Rasenflächen, bis ich auf eine Gruppe junger Leute aus aller Herren Länder stoße, Jungen, zwei Mädchen. Wo die Meerwiese sei, frage ich, und sie bestätigen, was ich längst wusste, da vorn. Ich bedanke mich. Wir wünschen uns einen schönen Abend.

Der Saal ist groß, es sind noch nicht viele Menschen da, und wenn es so bliebe, wäre es traurig, aber er wird voll, und es wird ein rauschendes Tangofest mit festlich, wenn auch nicht übertrieben gekleideten Menschen.

Ich lege meinen Rucksack auf einen Stuhl an einem noch unbesetzten Tisch und gehe vor die Tür, eine rauchen. Während ich mir eine Zigarette drehe, flöte ich. Fünf Meter entfernt steht jemand, der mein Thema aufgreift und mitflötet. Wir sollten gleich als Kunstflöter auf die Bühne gehen, sage ich. Er versteht nicht. Welche Sprache er spräche, frage ich. Spanisch, Englisch und Holländisch. Gut, sage ich, Holländisch also. Ob er eine Zigarette wolle? Nein, sagt er, er habe aufgehört, schon vor Jahren, aber ein Joint wäre nicht schlecht. Ich sage, das ließe sich machen. Juan, sagt er. Hermann, sage ich und wir setzen uns ein wenig abseits auf eine Bank. Juan ist Pianist der Band, die gleich spielt. Nach zwei Sätzen sind wir bei der Freiheit der Musik, der Kunst und des Lebens, die von allen Seiten reguliert und eingeschränkt wird. Si Senor, sagt er. Der Vollmond steht am Himmel. Gott ist auch nicht weit. Ach Gott, ja, Gott. Si Senor. Ich erzähle ihm von dem Philosophiestudenten, der seinen Professor fragt, ob Gott existiert. Das hat Gott gar nicht nötig, antwortet der Professor. Si Senor, sagt Juan.


Fr 17.3.17 leicht bewölkt 10 Grad

Gegen 2:00 Uhr fahre ich mit dem Rad durch die Stadt. Hier und da singen Vögel. Ich schiebe das auf die klimatischen Bedingungen des besiedelten Raumes, hier geht der Wind anders, es herrschen andere Temperaturen, also verhalten sich auch die Vögel anders, jedenfalls schien mir das logisch, aber ich wusste nicht, wer da singt. Als ich den Stadtkern verlasse und immer weiter ins Land komme, singen hier und da auch Vögel, obwohl bis Sonnenaufgang noch viel Zeit ist. Wer also singt da? Der Gartenrotschwanz, einer der ersten vor Sonnenaufgang. Die Singdrossel, das Rotkehlchen oder die Amsel, die Goldammer (ca 50 Min. vorher) die Mönchsgrasmücke, der Zaunkönig oder die Blaumeise, der Zilpzalpt oder die Kohlemeise (45-35 Min. vorher)? Verdammt, so etwas würde es gern wissen. Am Tag drauf googelte ich eine Seite des NABU, die nähere Auskunft gibt, MP3 mit Vogelgesang inklusive, aber ich halte die Stimmen nicht auseinander. Der enttäuschendste Sänger ist der Star, der krächzt, kein Wunder, er zählt zu den Rabenvögeln.


Sa 18.3.17 22:29

Sie, groß, dunkelblond, das Haar schulterlang, schmales Gesicht, grüne Augen, die Augenbrauen nachgezogen (es muss da einen Stift geben, der solche vollen Brauen täuschend echt simuliert) freundlicher Mund, Zahnspange, Brille. Tippe auf polnische Gene. Er, Balkan, einen Kopf kleiner, schwarze Lederjacke mit gepolsterten Schultern, schöner Wollpullover in rot, schwarz, grau, schwarze Jeans, rote Sneakers, noch hübschere Brauen als sie, ganz schwarz, Uppercut, blondes, schwarz gefärbtes Haar, man sieht's an der auswachsenden Farbe der Wurzeln, sehr sinnlicher Mund, freundliches Gesicht, aber doch irgendwie auf Krawall gebürstet, so sitzen sie im Bus, er in Fahrtrichtung, sie versetzt gegenüber. Die Hälfte des Weges telefoniert sie mit ihrer Mutter, dann wendet sie sich ihm zu. Er erzählt, dass er zur Fachoberschule will. Sie hört aufmerksam zu, lächelt häufig, lacht laut. Beide sind nicht älter als sechzehn, siebzehn. Sie putzt ihre Brille, und wie zufällig fällt ihr das Putztuch von Fielman aus der Hand. Schon hat er es aufgehoben.


So 19.3.17 17:34 bewölkt 12 Grad

So ein Flashmob, habe ich immer gedacht, entsteht aus der Menge. Aus dieser Menge schälen sich plötzlich Menschen, tun etwas, tun das für eine bestimmte Zeit, vielleicht für oder gegen eine bestimmte Sache, und dann verschwinden sie wieder, als wäre nie was gewesen. Aber wir sind in Deutschland, und da muss ein Flashmob für/gegen irgendetwas angemeldet werden, und die Polizei ist natürlich vor Ort, als der Flashmob Tanzen gegen Rassismus die Stubengasse für zehn Minuten mit Beschlag belegt, während nur fünfzig Meter weiter eine Veranstaltung für die Autonomie der Frau, für ihr ihr Selbstbestimmungsrecht etc. pp. stattfindet. Mehr als genügend Polizisten sind da, junge Menschen, die es an so einem Samstagmorgen natürlich viel schlimmer hätten treffen können, wenn sie z.B. rivalisierende Fußballfans davon abhalten müssten, aufeinander loszugehen. Hier geht niemand aufeinander los, zum Glück nicht. Fünfzig Menschen tanzen. Sie tragen Flaggen ihrer Heimatländer, Musik schallt über den Platz, Zuschauer sammeln sich, der Flashmob tanzt und dann ist er Vergangenheit. Ich war dabei, gut, was kann man schon tun gegen die Idiotie der Welt. Tanzen. Bitte, dann eben tanzen.


Mo 20.03.17 regnerisch 10 Grad

nie vergess ich
unseren ersten tag am meer,
wie es zahm war, und doch wild,
wie es sang, und mir seither
jede sehnsucht stillt,
nie vergesse ich sein brüllen,
diese wut, sein auf und ab,
seine güte, seinen mut,
und am ende schenkt' ich's dir als grab,
das dich bis in ewigkeit
von der lebenslast befreit.

13:12

Er sieht aus, wie ein Stehaufmännchen. Um seinen enormen Bauch trägt er einen Gürtel mit Dokumententasche, die unterm Nabel hängt. Er hat immer eine gelbe Warnjacke an, dunkelblondes, zurückgekämmtes Haar, enorm große Ohrläppchen und eine Brille mit sehr dicken Gläsern, was ihn ein wenig irre wirken lässt. Früher sah ich ihn oft auf einem dreirädrigen Liegerad, auf dem er eine seltsame Figur abgab, so dass ich lange dachte, er müsse irgendeine Art von Behinderung haben. Hat er aber wohl nicht, oder vielleicht doch, ich weiß es nicht. Seit einiger Zeit treffe ich ihn regelmäßig auf Ausstellungseröffnungen. Er steht da meist mit einem Glas Wein in der Hand, ist interessiert, redselig, oft inmitten einer Menschentraube, und spricht mich, wenn er mich sieht, sofort an. Ich muss gestehen, dass ich mich kaum auf ihn einlasse. Er ist mir unheimlich. Und er sagt auch nichts, was meine Neugierde weckt. Ob ich mit dem Rad da sei, etwa, oder, dass er jetzt die Seniorenkarte 60plus habe, da lasse er sein Liegerad lieber stehen. Freitagabend sah ich ihn in der Kunsthalle. Ein großer Raum mit einer Baustelleninstallation. Was das soll, verstehe ich nicht, ich halte es weder für Kunst noch für sonst irgendetwas, aber das ist eine andere Geschichte. Gegenwartskunst ist wohl immer nur dann relevant, wenn man sie dafür hält, und ich halte auch Isa Genzken nicht für eine große Künstlerin, obwohl sie weltweit ausstellt und renommiert ist. Geschmacksache? Ich weiß nicht einmal das.


Di 21.3.17 wechselnd bewölkt 8 Grad

Traumnacht. Gegen drei, dann wieder gegen sechs erwacht. Ich war auf einem Schiff unterwegs. Mein Lieblingsmatrose war Mann und Frau zugleich und hieß Brandies. Irgendwann kam der Befehl, die Fluchttüren zu öffen. Wir kletterten in die Aufbauten. Von schwerer See war nichts zu sehen. Wir lagen in Schlafsäcken und kamen überein, dass Zelte besseren Schutz böten. Zum Schluss gewann, wem die meisten Nägel in die Schiffswand getrieben worden waren. Brandies hatte elf. Brandies hatte mandarinengroße Brüste, die mir sehr gefielen.


9:45

schrift stellt sich ein,
der dichter wittert,
fragt einen, der sein leben twittert,
erfährt, dass er vor jedem anfang zittert,
und gern um inspiration bittert.

aha, denkt er, so ist das also,
nimmt's morgenblatt und geht aufs klo.


Do. 23.3.17 sonnig 9 Grad 10:18

Ich hatte mich der Abfahrtzeiten der Nachtbusse vergewissert und darauf eingestellt, um 00:05 heimzufahren. Die vorletzte Abfahrt, danach gäbe es nur noch den Nachtbus um 1:15. Im Bremer Tunnel sprach mich ein junger Bettler an, ich möge einem heimatlosen Deutschen etwas geben. Ich gab nichts. Am Ende des Tunnels sprach mich ein arabisch aussehender Bettler an, dem gab ich, und der wünschte mir derart überzeugend Gottes Segen, dass ich beseelt eine Tüte Fritten kaufte, und mich ein Stäbchen nach dem anderen aus der Tüte fischend auf den Weg zum Hot Jazz Club machte.

Vor der Watussi Bar winkte mir jemand zu, ach, S., grüß dich. Ob ich mal ziehen wolle, fragte er. Ich sagte, ja, gern, und zog. Nicht das Kraut diesmal, sondern Harz ging in Rauch auf, was mich sehr angenehm befeuerte. Wir saßen eine Weile beisammen, und als ich schließlich losging, war klar, dass ich es langsam angehen lassen müsste.

Im Club begrüßte ich eine paar Tänzerinnen, ging zur Bar, trank einen Schnaps, dann einen Capuccino, und beobachtete, wie sich meine Tanzpartnerin, mit der ich seit sechs Jahren tanze, unruhig nach mir umschaute, denn Männer sind beim Tanzen Mangelware, das erhöht ihren Wert. Es machte mir ein höllisches Vergnügen, sie warten zu lassen. Dann tanzte ich. Ich tanzte mit ihr und anderen Frauen, eine war herausragend, und wir beide wussten, dass wir eine gute Figur abgaben.


Fr. 24.3.17 sonnig 9 Grad 10:20

Ich bin nicht ganz dicht.
Wie meinen?
Nicht dicht.
Wie das?
Ich hatte mal ein Loch im Kopf.
Und?
Das ist nie zugegangen, irgendwie.
Aber das kann doch gar nicht sein.
Ich weiß, ja, ja, man sieht es auch nicht, aber da ist trotzdem ein Loch.
Und?
Da sickert was rein, oder da tropft was raus, ich weiß es auch nicht.
Und das bedeutet?
Nichts. Es bedeutet nichts. Es ist nur ...
Ja?
... ich meine ...
Ja?
... ich weiß es einfach nicht. Irgendwas stimmt nicht.
Ich glaube, das bilden Sie sich ein.


Di 28.03.17 sonnig 12 Grad

Und...?
Nein.
...und wenn doch?
Nee. Glaub ich nicht.
Aber vielleicht...
... ach Quatsch.
Sieh mal, es könnte doch...
Ja. Natürlich. Ist aber sinnlos.
Warum?
Darum.
Stimmt.
Sag ich ja.


zum April 2017