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mensing literatur

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Di 1.11.05   14:00

Lotste die Allerheilige durch tiefe Nacht, raschelten durch Laub, bewunderten das schwarze Grün und das grüne Schwarz, holten den Himmel in unser Gespräch und passten auf, nicht in Gräben zu torkeln, malten Nachtbilder mit der Leica, die ich mir kaufen werde, wenn Geld übrig ist, Menschen saßen in Gärten, Trinker torkelten heimwärts, ich lag später noch bäuchlings auf einer Decke vor der weit geöffneten Balkontür, trank Wasser, die milde Nacht wehte herein, duhn der Kopf, müde die Glieder. Heute verharre ich still. Bis auf diese paar Worte.


Mi 2.11.05   8:00

Dann aber ging alles ganz schnell. 15:45. Das Telefon schellte. Ulrich T. war am Apparat und fragte, ob ich die Feuerwehr machen könne? Feuerwehr? Ja. Die Schriftstellerin Jutta R. habe 40 Grad Fieber und abgesagt, in einer Stunde sei Anpfiff, und es wäre doch schade, wenn 300 Kinder da säßen.... Ich erfragte die Konditionen, notierte die Koordinaten des Auftrittsortes (Gmynasium, Schulzentrum, Bielefelder Straße) und saß schon im Auto.

Ulrich ist Organisator eines kleinen Lesefestes in einer niedersächsichen Gemeinde am Südhang des Teutoburger Waldes, etwas mehr als 40 Kilometer von hier. Ich war pünktlich. Das Schulzentrum sah genauso aus, wie man es spricht. Prächtigster 70er Plattenbau mit Wasch- und nacktem Beton in unterschiedlichsten Tönungen.

Der Ort der Lesung: eine Pausenhalle. Weites Rechteck, zur Mitte vertieft, von Säulen gesäumt. Stühle, Tisch/Stuhl für den Dichter, ein Mikrofon, eine Flasche Wasser, ein Glas. Allerdings keine 300 Kinder. 100 etwa, das ist auch schon mehr als genug.

Da ich für den 3.11. schon zu einer Lesung geladen war und vereinbart hatte, Das Vampir Programm zu lesen, beschloss ich die sichere Bank und las Sackgasse 13.

Kämpfte den üblichen Kampf mit dem Mikrofon, das mich an den Fleck zu bannen versuchte. Schiss drauf und sprach schließlich ohne, was deutlich besser war, denn alles szenische, gestische ist vor Mikros kaum zu machen, es sei denn, man trägt ein Headset. Las eine gute Stunde, diskutierte, gab Autogramme und brachte mein Konto auf diese angenehme Art dem Plus-Minus-Null wieder ein wenig näher.

Heute Nacht träumte ich vom Fliegen. Brauchte nur die Oberarme anzulegen, die Unterarme rechwinklig vom Körper zu strecken, schon ging es los. Flog schnell und viel.

Wer hätte das gedacht, gestern um 15:44?

 

Do 3.11.05   17:09

Heute kein Kampf mit dem Mikro. Stattdessen las ich vor versammelter Mannschaft Das Vampir Programm. Sprach laut, leise, mit viel Raum für Tätärätäää und Krachmachen seitens der Kinder, die schenkten mir dafür Aufmerksamkeit. Jetzt weiß ich, wie der Roman funktioniert. So etwas braucht immer eine Weile. Auch bei Voll die Meise ist es mir so ergangen. Eine Weile hatte ich geglaubt, der Roman funktioniere für den Leser besser als für den Vorleser, aber dem war nicht so. Ich muss mir die Texte vor Publikum erarbeiten, ich muss schwitzen und fürchten, ich muss mir den Mund fusslig reden, und dann, plötzlich, klickt es und ich weiß, wieso und weiß auch, dass er ab jetzt (fast) immer funktionieren wird.

Mit einem Wort: ich war gut in Form, ich habe eine ganze Menge Bücher verkauft, und wie es so geht, betrachte ich die heutige Lesung als Generalprobe für die vier Lesungen aus demselben Roman in Mülheim nächste Woche.

Gleich gehe ich mit meiner Familie, die ausnahmsweise vollzählig ist, zum Essen und Trinken in die Gute Quelle, den Geldkreislauf füttern, denn ohne Zirkulation stirbt er, und das soll er doch nicht, oder?
Morgen lese ich zweimal vor 7. und 8. Klassen einer Hauptschule in der Stadtbücherei Emsdetten. Ich lese aus: Große Liebe Nr.1 und Abends am Meer.

So. Feierabend.

PS.
Meine Agentin meldet, Der Vogel und der Zauberer liege zwei Verlagen vor.


Fr 4.11.05   16:04

Endlich November. Grauestes Himmelgrau, während das Land sich in aller Farbenpracht zeigt, nur noch kurz, ruft es, schaut euch wund daran, denn in vier Wochen ist das Vergangenheit, dann ruhen wir bis zum März.

Fuhr durch den Hanseller Floth, träumend eher, noch nicht wach, wenn ich auch Kaffee getrunken und mich mit kaltem Wasser gewaschen hatte, war ich nicht recht bei Sinnen, als plötzlich das Stopp Schild auftauchte. Konnte dennoch rechtzeitig bremsen.

Dann schließlich die Stadtbücherei, der Tisch, der Sessel, Getränke, die erste siebte Klasse. Ich lese aus Abends am Meer. Die Klasse ist in keiner Weise vorbereitet. Die Schüler wissen nicht einmal, dass ich das Buch, aus dem ich lese, selbst geschrieben habe.

Fragen sind nicht vorbereitet, nur mit Mühe kommt ein Gespräch in Gang. Erschütterndstes Ereignis der Lesung: einer dieser Britney Spears Klone, die die Welt mit blonden Pferdeschwänzen zu verzaubern suchen, reckt sich die Müdigkeit aus dem Leib und untersucht dabei voller Interesse ihren Bauchnabel. Na, noch da? frage ich. Ein Glück, dass ich keine Töchter habe,diese Art Freizügigkeit machte mir Sorgen.

Dann Pause.

Eine Stunde sitze ich im Lesecafé der Bücherei, studiere den Rolling Stone, lese einen Artikel zur neuen Kate Bush Platte, und noch während ich lese, kommt die zweite Gruppe. Die gleiche Schule, statt einer diesmal zwei Klassen, begleitet von zwei jungen Lehrern. Einer lässt die Kinder vorm Eingang antreten und hält eine Rede, deren Inhalt ich zwar nicht verstehe, aber ich begreife, worum es geht. Aha, denke ich, also...

Ich hatte von Kindern der ersten Gruppe erfahren, dass man in den 7. Klassen augenblicklich Erich Kästner liest, Emil und die Detektive, ich frage, wie man das Buch fände. Ein Ahmed, der neben einem der Lehrer sitzen muss und von diesem in Schach gehalten wird, sagt: "Scheiße doof!" Danke, sage ich und denke, dumm, aber immerhin ehrlich. Auch in dieser Gruppe: keinerlei Vorbereitung auf die Veranstaltung. Gerade, dass man weiß, dass sie heute stattfindet, heute um 11:00 Uhr.

Ich entschließe mich, aus Der heilige Bimbam zu lesen.
Danach ein paar mehr Fragen als in der Gruppe vorher, Tenor bleibt dennoch: schnell weg hier. Die Lehrer sagen nicht einmal danke, sie wirken erleichtert, dass zwei Stunden vorüber sind, jetzt aber ist Feierabend.

Liebe Lehrer: lasst es einfach!

Wenn es euch nicht einmal gelingt, eure Klasse für eine Lesung zu präparieren, lasst es.
Verblödet gemeinsam mit euren Schülern, das ist gerechter als so zu tun, als hättet ihr es versucht.
Leid tut es mir nur um die Kinder, die sind liebenswert, liebenswert und - in diesem Falle - allein gelassen, was sie nicht verdient haben.

Morgen Abend dann Mein Prinz. Vorm Heimatverein Roxel. Sind wir gespannt? Ja. Wir sind gespannt.

Aloha.


Sa 5.11.05   10:12

Duisburg, Mercator Halle, 1979: Alfred Biolek schwebt ein, er ist auf der Höhe seines Ruhms, junge Männer umschwirren ihn, Putzerfische. Ich rief, wie gut ich ihn fände, den Star, ganz in meiner Nähe. Dafür schäme ich mich noch heute.

Die Lichter gingen aus, und Kate Bush inszenierte ein grandioses Konzert. Wahrscheinlich verstand ich nicht einmal die Hälfte ihrer seltsam schwülstigen Texte, wenngleich ich gut Englisch spreche, ich war fasziniert von ihr, wenn auch hin und wieder genervt von ihrem hohen, schrillen Sopran.

Jetzt gibt es eine neue Platte. Der Rolling Stone berichtet, in der Rundschau wird sie heute besprochen, wir haben die Doppel-CD gekauft und sind enttäuscht. Ihre Stimme ist erwachsener, runder, aber der Zauber ist fort, Lieder über Waschmaschinen und ihren Sohn Bertie hätte sie sich sparen können, auch den anderen fehlt die melodramatische Wucht.

Sollten Sie also Kate Bush je geliebt haben, verzichten sie auf die neue CD. Sie ist überflüssig wie ein Kropf. Hören Sie stattdessen ihre alten Platten.

Sonnenschein. Gleich gehen wir bummeln und hoffen, die CD zurückgeben zu können. Zu tauschen gegen etwas, von dem wir noch nicht wissen, was es sein könnte.


So 6.11.05   9:59

Roxel, Realschule; gestern Abend 19:00: kaum habe ich die Pausenhalle betreten, stürzt ein dickliches Blondchen auf mich zu, sagt, es sei von der WN und beginnt, noch während ich meine Utensilien auf dem Tisch sortiere, um mich ein wenig mit dem Ort vertraut zu machen, aufdringlich Fragen zu stellen. Ich verweise auf meine Webseite, dort fände sie alles Wissenswerte, aber nein, sie fragt weiter. Will sogar wissen, ob ich Roxel liebe! Schließlich dann auch noch Fotos. Stellen Sie sich mal hierhin, nein, lieber dorthin, sagt sie und hält mir ihre Digitalkamera vor die Nase. Ich fürchte, sie wird aus mir den schreibenden Lokalpatrioten Mensing machen.

Zwanzig, dreißig Gäste waren da, die meisten kannte ich vom Sehen, und denen las ich vor. Die weggezauberten Eltern zum Einstieg, dann den Prinzen.

Von meiner Frau belauschter Kommentar eines Zuhörers: es war ein herrlicher Abend.

Verkaufte eine ganze Menge Bücher und hinterließ ein hervorragenden Eindruck. Was ja nie weg ist. Seid umschlungen, Roxelaner, kann ich da nur sagen, wenngleich die, die eine Weile um mich herumscharwenzelten und so taten, als hätten sie den Dorfdichter entdeckt, gestern Abend nicht da waren. Lagen wahrscheinlich auf dem Sofa und schauten Wetten dass....

 

Mo 7.11.05   10:40

Wie dumm Frauen sind! Da setzt sich einer Kopfhörer auf, um niemanden mit lauter Musik zu stören, einer mummelt sich in eine Sofaecke, dennoch ist es nicht gut. Daraus soll einer schlau werden. Das Beste wäre, er hätte nichts mit Frauen zu tun. Er hätte nie eine kennengelernt, und wenn, hätte er sie auf der Stelle mit grober Keule erschlagen. Oder in den nächsten Sumpf gejagt.

Aber nein. Frauen haben ja immer ein gewisses Interesse, einen zutiefst egoistischen Wunsch, den nur Männer erfüllen können. Danach wären sie, wie bei vielen anderen Arten üblich, eigentlich überflüssig. Hin und wieder werden sie sogar gefressen, ziehen sich zurück, um sich nicht dem eifersüchtigen Zorn der Weiblichkeit auszusetzen. Der Homo Sapiens jedoch hat sich (weil er sich selbst reflektieren kann) uneinhaltbare Regeln verordnet: Einehe, hohe moralische Standards, all diesen human-quark, über den der aufrecht gehende Affe seit Jahrtausenden reflektiert, ohne auch nur einen Schritt weiter gekommen zu sein. Hohe Vorsätze werden jederzeit ad absurdum geführt, hehre Ideale haben blutige Kehrseiten, Mann und Frau sind Modelle, die in ihrer Geschlechtlichkeit hin und wieder zusammen gehen, der Rest ist Illusion. Danke sehr. Auf Wiedersehn.

 

Di 8.11.05   9:15

Große Werke deutscher Lührick:

Auch wenn der Arsch mit Grundeis geht
der Dichter auf der Bühne steht... (Narhalla Marsch)

15:34

Bei meinen Lesungen in der Grundschule K.-West heute morgen half kein Trick, kein Flüstern, kein Spiel, nichts. Immer fiel einer vom Stuhl, redete mit seinem Nachbarn, ruckelte, schuckelte. Grandioses Gefühl des Scheitern. Hätte sprengen können.

 

Mi 9.11.05   9:05

Es sagt sich leicht: ich bin gescheitert. Schwerer wird es, den Abgrund zu beschreiben, in den ich schaue, wenn ich mein Ziel nicht erreiche. Wenn ich es versuche, aber nicht ankomme. Dass die Gründe plausibel sind, dass sie nicht selbstverschuldet und Alltag einer multikulturellen Gesellschaft sind, ist zweitrangig.

Was zählt ist das Scheitern.

Für wen sollte eine Geschichte geschrieben sein, wenn nicht für Leser, in diesem Fall: Hörer.

Letzte Woche also der Blick aus großer Höhe, diese Woche der deprimierende Marsch durch das Tal der nur bedingt Deutsch sprechenden Migrantenkinder, der Blick auf eine Zukunft versperrter Chancen, die Hoffnungslosigkeit der Heimatvertriebenen, die im Wunderland Deutschland auf die glänzende Warenwelt starren und doch nur stammeln können.

Für Lehrer ist das Alltag.

Für den Alltag des Schriftstellers M. ist das Ausnahme. Lehrreiche Ausnahme, ja, aber ich könnte gut ohne sie leben, ich hätte lieber mein stilles Zimmer, pflegte die Illusion des menschlichen Miteinander, die Quadratur des Kreises, zöge das verlässliche Haben dem ständigen Kampf gegen das Soll vor und schaute den Wolken nach.

Stattdessen stehe ich vor fünfzig Kindern oder vor hundert, und beziehe jede Unaufmerksamkeit auf mich. Alles ist meine Schuld, ich habe nicht gegeben, was verlangt war, ich hätte es besser machen können, es ist mein Buch, das sie nicht verstehen, es ist meine Schuld, alles ist meine Schuld.

Ein Glück nur, dass heute die Sonne scheint und ich die Höhen schon wieder sehen kann. Vielleicht war es zu viel in den letzten zwei Wochen, vielleicht steht mir auch die Furcht vor weiteren Lesungen in "Brennpunktschulen" auf die Stirn geschrieben, ganz bestimmt nagt auch die Ungewissheit über meine und die Zukunft meiner Leute an mir, aber: ich habe eine Frau. Ich habe zwei Söhne. Wir sind gesund. Punkt. Ich habe eine Agentin. Es gibt Gespräche. Es gibt Geschichten.

Ich bin gut. ODER

Wickel ich einen Heimatverein nicht ohne mit der Wimper zu zucken um den kleinen Finger? Lasse ich nicht hundert Kinder locker nach meiner Pfeife tanzen? Kann ich nicht trocken Humor versprühen, dass alles nur staunt? - Kann ich.

Ich bin gut. (Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß)

Also von vorn: gleich werde ich mich ins Auto setzen und meiner Literaturwerkstatt Dampf machen. Werde das Ruhrgebiet kreuzen und Geschichten über unbelebte Materie einfordern. Werde, so Gott will, all den Wahnsinn auf deutschen Autobahnen überstehen, drei Kreuze schlagen, Kaffee trinken, zu Abend essen, dieses merkwürdige Buch (1) zu Ende lesen, das ich seit vier Tagen lese, werde mich der Routine beugen und morgen und übermorgen mit dem Frühzug nach Mülheim an der Ruhr reisen, um dort an verschiedensten Plätzen zu lesen.

1000 Euro sind 1000 Euro, also, wir sind nicht wie die Vögel, die nicht säen und dennoch ernten, wir sind Menschen. Wir leben heute. Morgen sind wir vielleicht tot. Also was soll das....

 

Do 10.11.05   18:35

Zweimal in Mülheim Das Vampir Programm gelesen.
Zweimal gewonnen heute.
Morgen fahre ich wieder dorthin und lese noch zweimal.

 

Fr 11.11.05   17:17

Das Unangenehme zuerst. Dann ist es weg und ich muss mich nicht länger ärgern. Auslöser: ein liebloser bis unverschämter Empfang in einer Grundschule in einem besseren Viertel der Stadt, jenseits der Ruhr. Man hebt, als wir nach mehrmaligem Klopfen und einem eher verärgert gerufenen Herein die Tür öffnen, kaum den Kopf, sagt nur, ach ja, als Frau H., die Leiterin der Stadtbibliothek äußert, sie sei von der Stadtbibliothek, mit ihr sei der Autor M., der hier heute läse, man weist uns einsilbig den Weg zu dem Raum, in dem die Lesung stattfinden soll und lässt und allein.

Wir finden den Raum nach einigem Suchen. Dort ist nichts vorbereitet. Es stehen zwar Stühle darin, aber die stehen gestapelt an einer Wand. Was bleibt also, als sie aufzustellen, denn Kindern, die am Boden sitzen, vorzulesen, ist keine gute Idee.

Sechzig Kinder kommen, eine Lehrerin ist bei ihnen, eine Frau mit japanischen Vorfahren, sehr hübsch, sehr mürrisch. Wer weiß, vielleicht hat sie schlecht geschlafen, vielleicht ist ihr das alles auch völlig egal, denn als Gerangel entsteht, wer wo sitzen soll, greift sie nicht ein.

Im Raum steht ein Harmonium, das hatte ich gleich entdeckt. Ich hatte es angeschlossen, es hatte funktioniert. Ich hatte mir eine Akkordfolge für ein Lied ausgedacht.

Der Text ging so:

Im Krähenbusch, im Krähenbusch (so hieß die Schule)
da machen wir heut Krach,
im Krähenbusch, im Krähenbusch,
da werden alle wach.

Nachdem ich mich vorgestellt hatte, stimmte ich dieses Lied an.
Wir sangen es einmal ohne Begleitung, dann mit Begleitung des Harmoniums.
Das Gesicht der Lehrerin blieb steinern. Kein Zeichen von Entspannung.
Ich begann zu lesen. Die Kinder waren aufmerksam. Die Kinder war bereit, mitzuspielen, allerdings waren sie auch sehr zappelig, aber das war nicht schlimm.

Schlimm war, ständig dieses Gesicht zu sehen.

Als die Lesung vorüber war, verschwand die Lehrerin ohne ein Wort.

Frau H. und ich hatten schon nach dem merkwürdig distanzierten, fast abweisenden Empfang Blicke getauscht. Jetzt waren wir uns einig: man hielt sich hier für etwas Besseres. Vielleicht hatte die Stimmung auch mit erhöhtem Zickenalarm zu tun. Zickenalarm herrscht gern an Orten, an denen nur Frauen arbeiten, an dieser jedoch, vor der ich gern warnen will, erschlägt er die Arglosen.

Zweite Lesung, gegen 11 im Zentralgebäude der Stadtbibliothek.

Dritte Klassen diesmal, statt einer drei Lehrerinnen, ein bunter Kulturenmix.
Sehr lebendig, diese Kinder. Auf die Melodie von Frere Jacque singen wir zu Beginn:

Liebe Kinder, liebe Kinder,
macht Radau, macht Radau,
trampelt mit den Füßen,
zappelt mit den Händen,
macht Wau Wau.

Zugegeben, kein sehr tiefschürfender Text, aber wirksam und große Freude verbreitend, so groß, dass es nicht ganz leicht war, wieder Ruhe zu bekommen. Dann aber begann ich zu lesen und stellte schnell fest, dass das Zuhören diese Kinder offenbar mehr anstrengte als andere.

Ich entschloss mich, vieles wegzulassen, häufig nachzufragen, den Kindern Gelegenheit zu geben, mit eigenen kleinen Geschichten meine Geschichte erläuternd zu ergänzen, gegen Ende erzählte ich frei.

Großer Jubel, als ich mich verbeugte, Zugabechöre, eine lebhafte Diskussion mit den immer gleichen Fragen, Autogramme wurden gegeben und Lebensträume verraten. Einer ging mir besonders ans Herz: ein wunderschönes irakisches Mädchen sagte in sehr gebrochenem Deutsch, ihre Mutter würde immer sagen, sie solle Ärztin werden, aber das wolle sie nicht, sie träume davon, Pflanzenforscherin zu werden. Wunderschöner Beruf, sagte ich, vergiss das nicht, werde es.

Jungen sind simpler gestrickt.
Sie wollen nur berühmt werden, mehr nicht: Fußballstars, BMX-Fahrer, Rennfahrer.
Dumme Jungen eben.

Ich habe diese Woche sechsmal gelesen.
Sechsmal alles in die Waagschale geworfen.
Ich lerne. Ich lerne, in Minuten Lieder zu improvisieren, ich lerne, Geschichten frei zu erzählen, ich lerne, jeden Augenblick auf der Hut zu sein, ich lerne, dass ich immer nur so gut sein kann, wie es mein Publikum zulässt.

Jetzt fühle ich mich wie durch die Mangel gedreht.

Der nächste Job ist in Essen.
Dort werd eine noch nicht erfundene Geschichte improvisieren. Das ist abgemacht. Das wird besonders gut bezahlt. Wenngleich ich fürchte, die Bibliothekarin dort hätte lieber den klassischen Autor. Aber Vertrag ist Vertrag, und darin steht, dass ich improvisieren soll.

 

Sa 12.11.05   11:10

Ich denke oft darüber nach, was meine Lesungen ausmacht, meine Texte oder die Art meines Vortrages. Über die Qualität meiner Texte gibt es Äußerungen von Kritikern, die bestätigen, was ich glaube, aber natürlich ist das keine Garantie. Garantien gibt es in diesem Gewerbe nicht. Mutmaßungen, Hoffnungen und Glauben sind alles, worauf ich bauen kann. Es ist also windig auf meinen Bühnen.

Dann kommt noch eine Unwägbarkeit ins Spiel: die Person des Autors.
Ist er schüchtern? Öffnet er sich oder bleibt er verschlossen? Liebt er sein Publikum oder macht es ihm Angst? Unendliche viele Varianten sind denkbar.

Ich bin ein extrovertierter Vorleser.
Ich liebe lebhafte Kinder, ich fordere sie gern auf, mit mir Radau zu machen.
Ich will ihre Erwartungen durchkreuzen.
Ich will die nüchternen Räume, mit denen ich mich meist abplagen muss, weniger nüchtern machen.
Ich will, dass die Tische mit Wasserflaschen und Gläsern, mit Blumenbestecken und (um Weihnachten herum) Kerzen, hinter denen sich Autoren verkriechen, verschwinden.
Ich will, dass meine Zuhörer alles Heilige um das Kulturgut Buch vergessen.

Ich will sie als Teilhaber meiner Geschichten.

Manchmal scheinen sie mich zu verschlingen.
Vorgestern hatte ich fünfzehn Kinder auf der Bühne, die mit mir eine Szene spielten.
Gestern kamen sie in Scharen, um mir Breakdance vorzuführen.
Ich singe mit ihnen gerade erfundene Lieder, die nur deshalb entstehen können, weil ich nicht plane.
Ich passe meine Texte den Gegebenheiten an. Einer Gruppe lese ich dies, der anderen das vor, mal spare ich hier aus, dann dort, aber auf allen Lesungen der letzten zwei Wochen habe ich meine mir gesteckten Ziele erreicht.

Bis auf die eine Lesung in Kinderhaus. Dort habe ich aufgegeben.
Das hätte ich nicht tun sollen, aber ich hatte keine Kraft mehr, weiter gegen die Verständigungsschwierigkeiten mit Kindern aus aller Welt und die dadurch entstandene Unruhe zu kämpfen. Ich wollte nur noch weg, vergessen, Feierabend haben. Nicht, dass ich die Kinder weniger geliebt hätte, nein, aber ich wusste, dass ich sie nie nicht mehr erreichen konnte.

Die letzte Klasse gestern war auch multinational, aber die habe ich erreicht, die hat mich mit lauten Zugabe Zugabe Rufen verabschiedet und mich mit so viel Liebe und Zuneigung überschüttet, dass ich gerührt war.

Festzuhalten bleibt: gute Leser können schlechte Texte in besserem Licht erscheinen lassen. Schlechte Leser lesen die besten Texte zum Teufel. Welcher Art meine Texte sind, wie Sie meine Lesungen beurteilen, müssten Sie selbst herausfinden. Ich jedenfalls habe aufregende Tage hinter mir, zehn Lesungen, zehn verschiedene Orte, zehn verschiedene Millieus, aber immer der gleiche Autor.

Mal sehn, wie das weitergeht.

 

Mo 14.11.05   13:04

Schwitzen gegen den grippalen Infekt heißt die Losung des Tages. Morgen muss Meister M. fit sein.

 

Di 15.11.05   15:20

Sehr geehrte Leser,

ich bitte Sie, meinen heutigen Auftritt zu vergessen.
Tun Sie einfach so, als hätte er nie stattgefunden.
Stellen Sie sich stattdessen einen Park im Essener Südosten vor, leuchtendes Laub, sonnendurchflutet am Rande des Parks: die Stadtteilbücherei, darin der Dichter M. auf dem Höhepunkt seiner Improvisationskunst: spritzig, witzig, jedes ihm zugeworfene Wort auf Tauglichkeit für den Fortgang der Geschichte prüfend.

Stellen Sie sich vor, wie die Augen der Kinder der Morunger Grundschule leuchten, denken Sie sich einen vor Gesundheit und Zuversicht strotzenden Dichter, nicht diesen kränkelnden Mann, der trotz Grog und Erkältungsbad ungesund schwitzt und am liebsten im Erdboden versänke.

Haben Sie das? Gut.

Dann sehen Sie ihn (verschämt lächelnd), wie er seine Gage einsteckt, schleunigst seinen Mantel anzieht, das Gebäude verlässt, sich rechts hält, den Hügel bis zur Bushaltestelle hoch läuft, in den gleich darauf haltenden Bus 184 steigt, der ihn quer durch Stadtviertel über eine Paßstraße zum Bahnhof Steele bringt, wo er in die S Bahn wechselt und zum Essener Hauptbahnhof fährt. Dort hilft er einem Blinden die Treppe hinab, isst eine Riesencurrywurst, informiert sich über die Abfahrt des nächsten Zuges und fährt kleinlaut heim.

Dort ist er nun und bittet um Vergebung.

Hochachtungsvoll.

Ihr:

400 Euro for nothing and chicks for free.

 

Mi 16.11.05 9:00

Nun stellen Sie sich bloß nicht an, Herr M., die Rolling Stones, im Schnitt fünf Jahre älter als Sie, touren jahrelang. Abend für Abend mischen sie riesige Hallen auf mit ihrer altväterlichen Wut, da werden Sie als Alleinunterhalter für Kinder doch wohl müde 10 Lesungen in knapp vierzehn Tagen überstehen, oder?

Na also, wir hatten es gleich gewusst! Wir wussten doch, dass Sie das nicht umhaut. Nun gut, ein grippaler Infekt ist natürlich nicht witzig, aber ist das ein Grund, öffentlich zu jammern? Nein. Also, Kopf hoch, Herr M. Es ist ja fast überstanden. Samstag müssen Sie noch einmal ran, am 1. Dezember noch einmal, dann dürfen Sie sich von diesem Jahr verabschieden, dürfen wieder im stillen Kämmerlein über Pro und Kontra nachdenken, dürfen als Mensch ohne Abitur über die Ungerechtigkeiten der Welt räsonieren und nebenbei die nächste Geschichte entwickeln.

Was für eine Überraschung gerade, als Sie MOPSI unter Stapeln Papier auf ihrem Schreibtisch entdeckten, die Geschichte, die Sie vor noch nicht vierzehn Tagen (vielleicht sind es auch drei Wochen) beendet und weggelegt hatten. So gut weggelegt, dass Sie fast erschraken, als Sie auftauchte. Seltsam, wie schnell Sie vergessen können.

Und das gestern war doch so schlimm eigentlich nicht. Sie haben doch Lieder improvisiert, die Geschichte hat sich doch bis zu einem gewissen Grad aus dem Nichts entwickelt, und hätten die beiden blutjungen Pädagoginnen nicht eingegriffen, als die Kinder phantasievolle Zaubersprüche erfanden (Kackarschnase komm hervor! und Ähnliches), wer weiß, wohin das alles noch geführt hätte. Aber solche Wörter sollten die Kinder nicht sagen, und schließlich hatten Sie dann auch keine Lust mehr, so war es doch, oder?

Ja, so ähnlich war das, wenngleich mich etwas schmerzt. Ich hatte gerade den Bogen von der frei erfundenen Geschichte zum 10 Mond gekriegt, einer der Akteure hatte das Stichwort gegeben, ich sah es als Wink des Himmels, das Zauberwort war nämlich nicht Kackarschnase, sondern Mond, also beeilte ich mich zu sagen, so, bis hierher, und nun lese ich euch noch ein wenig aus dem 10. Mond vor, als ein Zweitklässler mit Rechtsscheitel und rundem Gesicht mich ernst anschaute und sagte: das wäre aber doch gar nicht unsere Geschichte. Was denn mit unserer Geschichte wäre?

Und da begriff ich: er hatte geglaubt, wir würden eine Geschichte erfinden, die dann im Anschluss gleich auf wundersame Weise in Buchform vorläge. Oder? Ich glaube ja. Ich glaube, ich habe ihn enttäuscht, und das wollte ich nicht.

10:30

Dicke Birne. Husten. Allgemeiner Schwindel. Wieder ins Bett. Basta. Jetzt sofort.

 

Do 17.11.05   9:34

Es ist erstaunlich, wie klein Details sein können, die eine Lesung in diese oder jene Richtung drängen, vorausgesetzt, man hat Mut, sich ihnen anzuvertrauen. Dieses Anfangsklatschen, das mir den Kontakt zu den Kindern erleichtert und deren Scheu während der letzten Lesungen weggepustet hat, begann in Bad Iburg. Dort hatte mich eine Lehrerin vorgestellt und die Kinder hatten in dissonantem Chor Gu-ten Mor-gen Herr Men-sing gerufen.

Ich hatte ihnen dafür Beifall geklatscht, worauf Kinder der ersten Reihe begannen, mitzuklatschen. Darauf verstärkte ich meinen Applaus. 100 Kinder klatschten begeistert mit. Da wir schon einmal so weit waren, dachte ich, dass es nicht schlecht wäre, die Arme hochzureißen und den Ausbruch der Raserei zu proben, in der Hoffnung, hinterher doppelte Aufmerksamkeit zu genießen.

Ich erklärte den Ablauf, ich erklärte, mit welcher Geste ich sekundenbruchteilgenau wieder Ruhe herstellen wollte und fragte, ob man sich dazu in der Lage sähe. Allgemeine Zustimmung. Leise Klatschten, Hochreißen der Arme, Schreien, Stille.

Wunderbar.

Noch einmal das ganze. Schneller jetzt, viel schneller. Und Stille.

Das zwei- dreimal vor jeder Lesung, und die erste Barriere ist überwunden.

Ich setze das nicht wahllos ein, es gibt auch Klassen, die sehen aus, als würde sie das aus der Bahn werfen, da halte ich mich lieber zurück, aber im Prinzip funktioniert es fast bei allen. Ich hab's ja probiert. Und wenn es im Verlauf der Lesung wieder unruhig werden sollte, unterbreche ich und wiederhole die Raserei. Triebabfuhr quasi Hilfsausdruck.

Bleiben die Pädagogen, denen hin und wieder die Kinnlade herunterfällt, wenn ich da vorn den Zampano spiele und Spaß habe.

20:30

Angenommen, nach einer Lesung wären die Kinder um eine Erfahrung reicher, hätte ich gewonnen.

 

Fr 18.11.05   13:26

Well well well, my beloved carpet crawlers, your's sincerly Mister M. has hypocritical tendencies. Yet, he won't tell you why. You will learn that later. So stay tuned, piggies...


Sa 19.11.05  8:59

Frotz. Nacktfrotz mit Hebel. Schön.

 

So 20.11.05   18:02

Besinnlicher Herbst

Schau doch, die Planate
ist' s die, unter der Renate
mir erstmals den schönen Ton entlockte
oder die, in deren Schatten einst ich flennend hockte
als die große Krise war???

Weiß nicht mehr, war tortzdem wunberdar.

Bin ja auch ein wenig älter
freu mich auf die Melodien für Melonen
meine Töne sind ein wenig kälter
dennoch würde es sich jederzeit noch lohnen.

Wäre schon gespannt, wie das jetzt klänge
käme sicher langsam in die Gänge 
hätte sicher dieses zu bemängeln
oder jenes, und man sollt' nicht drängeln.

Basta! Herbst ist!
Schau doch, wie die Blätter fallen
wie sie bäuchlings auf die Erde knallen
wie der Nebel alles stranguliert
und das Lebensende suggeriert.

Daher nun: Aloh Aheh
kiffen Sie, dann tut's nicht weh
saufen Sie, dann wird es bunter
spülen Sie es einfach runter.

 

Di 22.11.05   14:44

Wegen Krankheit vorübergehend geschlossen.

 

Mi 23.11.05   10:52

Krankheit, Unlust, Herbst, alles in einen Sack stecken und draufhauen.
Sind sie tot? Nein. Sie wimmern. Also noch einmal: drauf. -
Endlich. Ruhe.

 

Do 24.11.05   18:30

Räumte den Keller auf (Manuskripte links, Rummel rechts), bügelte, schrieb eine fordernde Mail, zog mich warm an, trug mein Rad in den Hof und flüchtete über Land. Dreißig Kilometer fuhr ich durch trübe Sicht, keiner davon war umsonst, denn ich merke es schon, ich beginne wieder zu leben.

Nächster Schritt: ich werde den verfluchten Fluss einer letzten Korrektur unterziehen.

Hoch fliegen, landen, klein wieder anfangen.

 

Fr 25.11.05   9:40

Ein bescheidener Schneesturm pfeift ums Haus, es schellt, ich öffne, ein alter Mann bringt neue Telefonbücher, ich sage, "da haben Sie sich aber ein Wetter ausgesucht", er darauf: "No je, Gott hat es so gewollt, nicht jeden Tag kann Sonne scheinen."

Ein Russlanddeutscher, frohgemut offenbar und so arm, dass er noch mit über siebzig Hilfsarbeiten verrichten muss in der herbeigesehnten Heimat, die er nie vorher gesehen-, von der man ihm nur erzählt hatte, deren Gebete er sein Leben lang sprach in diesem seltsam rückwärts gewandten Dialekt derer, die vor dreihundert Jahren auf der Suche nach Glück dorthin auswanderten.

Schnee verweht.
Herr M. ist froh, dass er gestern geflohen ist, heute wäre keine Flucht möglich.

Der Computer wartet schon.

Der verfluchte Fluss beginnt so....

Eine Eule schwebte über den Fluss, strich knapp über ein Zelt am Ufer, senkte sich herab und schlug Beute. Ein spitzer, kaum hörbarer Todesschrei drillte sich in Jakis Gehörgänge.
Jaki drehte sich auf die Seite.
Die Eule flog lautlos davon. Etwas Blut tropfte aufs Zelt. Das rote Kanu auf der Böschung kippte zur Seite.
Es klang, als hätte jemand eine Trommel geschlagen.
"Mama?"
Jakis Stimme klang, als riefe jemand von fern und ein Echo antworte ihm.
Mama - Mama....
Jaki öffnete die Augen, aber zu sehen war nichts. Er war eingehüllt in nachtschwarzes Nichts. Schauer rieselten seinen Rücken hinab. Seine Nackenhaare richteten sich auf, und er beschloss, dass es besser wäre, die Augen sofort wieder zu schließen und sich tief in seinem Schlafsack zu verkriechen.

13:17

Schmerzt im Herbst der linke Hoden,
friert es sicher bald am Boden;
zieht der Schmerz ins rechte Ei,
fällt auch Schnee dabei.


Sa 26.11.05   10:30

Worüber ich nicht lachen kann?
Über die USA. Über die CIA. Über Idioten.
Über gemeingefährliche Idioten.

Im Übrigen herrscht Schneechaos in Westfalen, wovon ich allerdings wenig spüre, denn ich bleibe im Haus. Hier ist es warm und Elektrizität gibt es auch. Dazu trinke ich Tee und esse Kekse.
Zwischendurch schippe ich Schnee.

 

So 27.11.05   14:10

Aufstehen, lange beim Frühstück sitzen, sich in die Sofaecke kuscheln, lesen, Musik hören, ein zweites Frühstück nehmen, einen Spaziergang machen, auf dem Rückweg Kuchen kaufen, Kakao mit Sahne trinken, Kuchen essen, gleich wird es dunkel, sich in die Sofaecke kuscheln, lesen, nichts weiter sonst...

15:15

Das Buch:
Eveline Hasler: Der Riese im Baum, Roman, Nagel & Kimche, Zürich 1988

Der Inhalt:
Melchior Thut, der Riese, und Karl Eugen, der Fürst: eine Geschichte von Gegensätzen, von Machthabern und Opfern, von Pracht und Elend.

Das Zitat:
Thut weiß: Jedes Vorwärtsgehen ist, wenn man auf dem Höhepunkt seiner Möglichkeit ist, nur noch eine Talfahrt.

 

Mo 28.11.05   16:00

Weiß Mensing das auch? Ja. Aber er ist noch nicht oben.

 

Di 29.11.05   10:25

Wüsste Mensing sonst noch was? - Nein. Kaum vorstellbar. Jedenfalls nicht zur Zeit.

15:50

Falls Schreiten möglich wäre, dachte Herr M., sollte er schreiten, sich nicht einlassen auf Rennen, Schieben, Eilen, Hasten. Falls Schreiten möglich wäre! Stattdessen wurde er angerempelt, mit Weihnachtsmusik penetriert, Frittenfett parfümiert, wurde mit Blicken gevierteilt und war, kurz vorm Ziel, bereit zu glauben, jetzt, jeden Augenblick, müsse geschehen, worauf er schon so lange wartete, aber dann fand er sich eingekeilt zwischen jungen Russen, wand sich heraus, überließ die Transformation von diesem in den anderen, in den wünschenswerteren Zustand weiter der Zukunft und übergab sich wieder der Gegenwart: schmutziger Schnee. Flacher, mausgrauer Himmel. Im Schritt fahrendes Autos. Unnütze Angebote wohin er schaute. Dafür, dachte M., haben sich Menschen also Jahrtausende den Kopf zerbrochen?

 

Mi 30.11.05 17:35

Sprach mit den Teilnehmern meiner Literaturwerkstatt über Erzählperspektiven und gelangte plötzlich zu der einen, alle bewegenden Perspektive: was geschieht, wenn wir sterben? Erstaunlicherweise glaubten von 13 Teilnehmern mindestens 8 an die ein oder andere Form der Reinkarnation. Das Himmel-Hölle Konzept wurde von zweien vertreten, einem Zeugen Jehovas und einer Anhängerin der Neu Apostolischen Kirche. Der einzige Muslim der Gruppe, der in seinen Geschichten gern die Gewalt-Videos und Filme variiert, die er sieht, wenn er, wie er sagt, allein zu Hause ist, hatte die erstaunlichste aller Antworten: er sei nicht gläubig, denke aber, dass jeder für sich selbst verantwortlich sei, und man diese Verantwortung auf keinen wie auch immer geglaubten Gott abschieben könne.

Da soll einer sagen, zwölf- bis fünfzehnjährige Menschen könnten solche Fragen nicht diskutieren.


 

 

 


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1. Walter Laufenberg, Hitlers Double, Tatsachenroman, Oberbaum, 2000 // 2. Eveline Hasler, Der Riese im Baum, Roman,
Nagel & Kimche, Zürich 1988 //

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