November 2018                      www.hermann-mensing.de      

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Do. 1.11.18 16:14 neblig trüb

Der November hat sonnig begonnen, aber während ich schlummerte, um die Geburtstagsfeier auszudünsten, ist er trüb geworden und feucht, so wie ein 1. November sein muss, genau so. Gleich mache ich mich auf den Weg in die Stadt zu einem Wildschweinessen. Das Fleisch gart seit Stunden bei 80 Grad. Ich würde gern laufen, aber es regnet zu stark.


Fr. 2.11.18 12:05 trüb, mild aber

Ich habe mir eine Strickjacke von Fred Perry gekauft. Fred Perry war ein britischer Tennis-Champion. Er hat eine Modefirma gegründet, und aus Gründen, die nur Eingeweihte kennen, sind seine Textilien in manchen Szenen das non plus ultra. Ich bin also up-to-date. Up-to-date und ausgeschlafen. Ich habe meine Leica D-Lux 5 verkauft. Nach Dessau. Ins Herz des Bauhaus. Und ich habe Ideen. Was also will der Mensch mehr. Wenn ich den Dekorationen des Supermarktes meines Vertrauens glaube, ist morgen Weihnachten. Das Jahr darf also abgehakt werden.


13:13

Am Mittwoch den 17.10. gegen fünf parkten wir unser Mietauto vor der Jakobshütte in Elsoff. Die Vermieterin kam aus ihrem Wohnzimmer über die Veranda zu uns und sagte, sie hätte schon gedacht, wir kämen gar nicht mehr. Ich hatte aber doch angerufen, sagte ich. Ja, ja, sagte sie lachend, schloss das Haus auf und zeigte uns alles. Es ist ein kleines Haus vor einem steilen Hang. Angenommen, der Hang entschiede sich zu rutschen, fiele das Haus um. Wir räumten ein. Wir tranken Kaffee. Wir machten einen Gang durchs Dorf. Am nächsten Tag wanderten wir. Zwei, drei Stunden waren wir unterwegs. Nachmittags fuhren wir nach Bad Berleburg. Sie brauchte eine Creme, ich schaute mich derweil bei REWE um, sah eine tiefgefrorene Gänsebrust und hätte sie fast gekauft. Am Freitag machten wir uns auf den Weg nach Kühhude, zur Schanze und zum Kyrillpfad. Wir wanderten. Am Ende hatten wir Wadenreißen. Am Samstag haben wir das Goldene Ei gesucht und gefunden. Anschließend fuhren wir zum Pilzmuseum in Bad Laasphe. Am Sonntag sind wir durch den Nationalpark Rothaargebirge in die Grafschaft gefahren, um den Blinker II von Timm Ulrichs anzuschauen. Er war nicht einfach zu finden. Von dort ging es zum Kahlen Asten, an Winterberg vorbei zur Hennetalsperre, in Meschede dann auf die Autobahn nach Hause.


So. 4.11.18 18:51

ich bin mein engel
und mein augenlicht
mein lang gehütetes vergissmeinnicht
ich bin mein charme
die fragen und die ahnungslosigkeit
besitze nichts und bin bereit


22:18

ich bin ein engel
und ein augenlicht
ein lang gehütetes vergissmeinnicht
ich bin der charme
die fragen und die ahnungslosigkeit
besitze nichts und bin bereit


Mo 5.11.18 19:41

ich bin dein engel
und dein augenlicht
dein lang gehütetes vergissmeinnicht
ich bin dein charme
die fragen und die ahnungslosigkeit
besitze nichts und bin bereit


Fr. 9.11.18 13:51 sonnig, frühlingshaft

Nichts ist mit grauem November, noch nicht. Herr M. hat begonnen, einen Roman zu schreiben. Das mag Verzweiflung sein, kann aber auch bedeuten, dass grundloser Optimismus und Lebensfreude dieses aussichtslose Unternehmen befeuern. Mücken tanzen in der Sonne. Seit drei Tagen liegt ein neuer Teppich im Wohnzimmer und veredelt das sogenannte Ambiente. Unterm Teppich liegen jetzt all die abgetretenen Tretford Interland Ziegenhaarteppichfliesen, die vierzig Jahre alles ertragen mussten, was Familien mit Kindern ertragen müssen. Genauso hatte Herr M. sich das vorgestellt. Der erste, der jetzt Flecken auf diesem Vintageteppich hinterlässt, wird schwer büßen. Soviel zu heute. Ach, eh ich es vergesse. Mein Nachbar H. ist gestorben. Vor vierzehn Tagen hat ihn ein Schlaganfall getroffen, alles sah gut aus, er war bei vollem Verstand, er konnte die Extremitäten bewegen, Grund also für Optimismus. So kann man sich täuschen.



So 11.11.18 11:50 bewölkt, windig ...

Vor etwa einem Jahr kaufte ich Damastbettwäsche. Ich dachte, wenn der eigene Körper schon von Tag zu Tag mehr verfällt, sollte zumindest Bettwäsche ein wenig Eleganz verbreiten. Vor ein paar Tagen kam mir die Idee, die Wäsche zu stärken. Ich hatte so etwas noch nie getan, ich hatte nicht einmal darüber nachgedacht, aber die plötzliche Erinnerung an gestärkte Damastbettwäsche in Hotels trieb mich in einen Supermarkt. Ich hatte mit mehreren Euro gerechnet, die das Mittel kosten würde, irgendeine Chemie von Henkel, stattdessen fand ich einen kleinen roten Karton mit Reisstärke zu 99 Cent. Die habe ich angerührt und der Gebrauchsanweisung folgend verwendet. Nun steht die gestärkte Bettwäsche frisch gebügelt an der Wand im Schlafzimmer. Ein schöner Anblick.


23:32

Zum Teufel mit den Tangotänzern.



Mo. 12.11.18
10:18 bewölkt, feucht, frisch

Sie wissen, wie gern Herr M. tanzt. Was Sie nicht wissen, und was er Ihnen auch nie auf die Nase binden wird, sind die Eitelkeiten dieser eher akademisch geprägten Szene, in der (wie in allen Szenen) jeder jeden beobachtet und nach Können und Leistung beurteilt. Tango ist ein Jahrmarkt der Eitelkeiten und nie eingelösten Versprechen. Man solle die Nähe genießen, sie aber nie ernst nehmen, wird einem geraten. Also ist alles falsch am Tango, nur das Tanzen ist wundervoll. Was die Nähe angeht, waren es, was Herr M. betrifft, immer die Frauen, die Nähe suchten. Herr M. müht sich, sie zu genießen, statt sie miss zu verstehen, aber das gelingt nicht immer.


Di 13.11.18 14:56 wechselnd bewölkt, Sonne, mild

Die japanische Kirsche hat alle Blätter verloren, die übrigen Bäume ringsum zögern noch, aber es geht voran. Wenngleich es zu warm ist. Ich werde heute faulenzen. Ich bin müde und lustlos.


Mi 14.11.18 16:01 sonnig, frischer als gestern

Der Standartenträger des Schützenvereins touchierte eine der an langen Kabeln von der Decke der Friedhofskapelle hängenden Lampen, die dann während der kurzen Feier noch eine ganze Weile hin und her schwang. Der Priester, ein großer, dunkelblonder Mann in den späten Dreißigern, hatte eine leicht brüchigen Tenor, aber das klang schön, es klang weniger rituell, wie ich es von katholischen Priestern in Erinnerung hatte. Verstehen konnte ich ihn weder hier, noch kurz darauf bei der Eucharistiefeier in der Kirche. Dort klang er wie ein fernes, sprudelnd sprechendes Geräusch, und erst nach geraumer Zeit wurde ihm durch Handzeichen aus den Reihen der Zuhörer klar, dass wohl die Mikrofone nicht funktionierten. Er besorgte ein neues, ob es besser sei, fragte er, es regte sich kein Widerspruch, aber hier und da wurden Köpfe verneinend geschüttelt. Meist ältere Köpfe. Es waren nicht die Mikrophone, es waren die Lautsprecher. Man sang natürlich, u.a. We shall overcome in der Kapelle, und Morning has broken in der Kirche. Der Priester predigte gestikulierend. Manchmal legte er die rechte Hand mit abgespreiztem Daumen aufs Herz, manchmal unterstütze diese oder die linke seine Rede, er neigte zum aufgerichteten Zeigefinger, zu abwägenden oder aufmunternden Gesten, er schien häufig zu lächeln, und machte einen insgesamt heiteren Eindruck, was mir gut tat, denn ich und die anderen ebenso verstanden kein Wort von dem, was er redete, trotzdem und vielleicht gerade deshalb nahm er der Trauerfeier die Schwere, die sonst gern im Raum ist. Manchmal jedoch wurde das Unverständliche so unverständlich, dass ich Mühe hatte, nicht zu lachen. Als die Männer mit den Körben kamen, stand ich auf und machte mich auf den Heimweg. König H. ist begraben. Das Loch, in das man ihn abgesenkt hat, war verdammt tief. In so etwas will ich nicht rein.


So 18.11.18 20:53

Als ich den Supermarkt verließ, geriet ich in eine dieser Windhosen, die manchmal um Ecken tanzen. Ahornblätter umkreisten mich. Wie schön, dich zu sehen, sagte ich. Ja, Hermann, flüsterte Chris.


Di 20.11.18 17:41

Leichter Schneegriesel am späten Nachmittag, wie vorhergesagt. Ich habe meinen Drucker nicht dazu bringen können, zu drucken. Gestern hatte er einen Druckauftrag angenommen, von siebzehn Seiten dreizehn gedruckt, und den Betrieb eingestellt. Ich arbeite an einem Roman, und hätte gern die ersten Seiten auf Papier, um mir einen Überblick zu verschaffen, fürchte aber, das wird mich noch Nerven kosten. Was er hat, habe ich nicht rausgekriegt. HP lässt mich nicht an die Druckertreiber ran. Ich solle mich erst registrieren, heißt es. Meine E-Mail haben sie, aber ich habe kein Passwort. Die Funktion, das vergessene Passwort durch ein neues zu ersetzen, funktioniert auch nicht. Also keine Technik.


Fr 23.11.18 11:52 sonnig und kalt

Noch keine Entwarnung an der Druckerfront. Es ist zum Schreien.


Sa 24.11.18 10:39 bewölkt

Gleich kommt Besuch aus Berlin. Später fahre ich aufs Land und treffe die alten Männer. Wir werden Musik machen.


So 25.11.18 19:13

als akademiker
suche ich eine akademie
an der in meinen abschluss machen darf
ich habe kein latinum
darf ich mich akademiker nennen
ich habe keinen namen
bin ich mit mir verwandt
ist sonntag oder ist die welt untergegangen


22:27

Unterm Tacho leuchtet ein rotes Licht, darin ein stilisierter weißer Schraubenschlüssel. Das beunruhigt mich, bis ich begreife, dass das Licht wohl nur eine baldige Inspektion anmahnt, nichts Akutes also. Ich finde, es leuchtet zu Recht. Der Motor, das Chassis und die Karrosse klingen, als vibrierten da Dinge, die nicht vibrieren sollten, und die Kupplung greift sehr sehr spät. Die Mietwagen, mit denen ich zuletzt unterwegs war, waren topgepflegt und leise, sie schnurrten. Da kann dieser Renault Clio Grand Tour, ein Stadtteilauto, nicht mithalten. Es hat mich nach Überwasser gebracht, auf den Hof, auf dem The Real Fullmooners hin und wieder Musik machen. Der Hof ist verkauft. Noch ist den Mietern nicht gekündigt, aber wenn die Kündigung erfolgt, bleiben ihnen neun Monate. Für uns, die alte Männer Band, wird damit ein Kapitel zuende gehen. Das ist schade, denn die Bedingungen hier, weit draußen vor der Stadt, sind unschlagbar. Selbst, wenn sich irgendwo ein anderer Hof fände, glaube ich nicht, dass wir uns noch einmal einen neuen Proberaum bauen, geschweige dennleisten könnten.


Mo 26.11.18 18:07 bewölkt, kaum 8 Grad

Die Tage verstreichen ohne mein Zutun. Manchmal erschreckt mich das. Heute eher nicht.


Do 29.11.18 10:43 bewölkt, leichter Regen

Der gregorianische Kalender mit 365,2425 Tagen legt nahe, dass heute Donnerstag ist. Vorgestern war ich auf der Kutsche. Die Stadt ist hermetisch abgeriegelt. Um auf den Prinzipalmarkt zu gelangen, musste ich einen weiten Umweg fahren. Einmal dort, blieb nichts, als auf und ab zu fahren, in der Hoffnung, dass jemand einsteigt. Zweimal stiegen Menschen zu, beide Male Niederländer, die ganz scharf auf die münsterschen Weihnachtsmärkte sind.

Jedes Mal, wenn ich die Datei öffne, springt er mich an und will, dass ich neu beginne und Seiten ausdrucke. Da ich keinen meiner beiden uralten Drucker dazu bringen konnte, habe ich mir einen neuen gekauft, dessen Patronen man nachfüllt, nicht wechselt. Naiv wie ich bin,verknüpfe ich das Schicksal des Romans mit diesem Drucker, denn Text als Datei ist trotz gleicher Buchstabenanordnung grundlegend anders, als Text auf Papier. Ich weiß nicht, woran das liegt, aber die Erkenntnis ist auch nicht neu. Der neue Drucker funktioniert. Ob es dem Roman hilft, weiß ich noch nicht. Wenn nicht, kann ich es auch nicht ändern. Ich bin ein alter Mann. Ich muss keine Romane mehr schreiben.

13:43

spät wird es licht
früh wieder dunkel
das leichteste wird davon schwer
wie ein gedicht aus buchstabengefunkel
doch nachher sieht man es nicht mehr
man weiß nicht
wo es hin ist
doch man weiß
dass tage fliegen
man hat es froh begrüßt
und lässt es achtlos liegen
erst wenn das licht zurück ist
und auf länger bleibt
ist man bereit


Fr 30.11.18 16:44 bewölkt

Ich habe mich wieder im Arbeitszimmer eingerichtet, das ich vor zwei, drei Jahren verlassen hatte, weil ich Blick auf den Hof und die Abwesenheit von sicht- und hörbarem Leben nicht mehr ausstehen konnte. Der Blick ist derselbe, aber ich bin ein anderer. Vielleicht gelingt es mir hier.