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Rom

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Wie wir da rumirren zwischen den Stelzen einer Hochstraße, Absperrungen einer Baustelle und Wegweisern, die hierhin und dorthin zeigen. Vielleicht schlafen wir noch. Vielleicht haben wir in der S-Bahn-Station nicht aufgepasst. Es ist feuchtkalt und menschenleer. Vier Uhr. Eine Viertelstunde später haben wir den Shuttle Bus gefunden. Als wir einsteigen, blickt der Fahrer müde von seiner Zeitung hoch, faltet sie, startet den Motor und fährt los. Grau ist die vorherrschende Farbe. Das Terminal leuchtet rot-weiß. Corporate identity nennt man das. Es gibt schon Kaffee. Beim Check-In sagt eine Angestellte zu ihrer Kollegin, R. hat sich krank gemeldet, deshalb bin ich hier, ich kann mir aber was besseres vorstellen. Haben Sie nur eine Tasche? Ich nicke. Und ich wette, die ist gar nicht krank. Ich säße gern am Fenster. Ja, das geht. Gate 93. Danke. Noch etwa zwei Stunden. Fliegen geht schnell. Die An- und Abreise zum Flughafen und das Drumrum sind quälend. Wenn ich heute sterbe, will ich hocherhobenen Hauptes sterben. Gut angezogen bin ich sowieso. Ich will mich den Römern zeigen. Bestes irisches Leinen. - Und ab. Neben uns sitzt einer, der in aggressivem Rasierwasser gebadet hat, eine jämmerliche Figur mit Doppelkinn und Hundeblick, ein rheinischer Witzbold, der mir allerdings eines voraus hat: er schläft gleich nach dem Start tief und fest. Zum Glück sabbert er nicht. Ich klebe am Fenster. Keine Sekunde würde ich ertragen mit dem Gedanken ans Sterben, wenn ich nicht wenigstens sehen könnte, wohin ich stürzte. In ein watteweiches Meer, das mit jeder Minute leuchtender wird, bis die aufgehende Sonne seinen Rand in gleißendes Licht taucht. - Rom. Fiumuncino. Kurz nach neun. Wir verlassen das Terminal. Ich trage meinen Mantel überm Arm. Ein Bus bringt uns zum Hotel. Unterwegs machen wir doofe Witze. Sprechen Italienisch. Hängen allem ein I an. Sagen: Salati. Grabi. Palmi. Omi. Wir lachen uns schlapp. - Via Veneto. Die spanische Treppe. Rom zu unseren Füssen. Der Vatikan. Wir ersteigen die Kuppel. Piazza Navona. Das Pantheon. Der Trevi-Brunen. Wir sind kaum im Hotel, als wir es schon wieder verlassen, um die Stadt laufend zu erobern. Bon giorno. Si. Tutti va bene. Die Preise für Capuccino variieren. Im Café El Grecco kostet er 10.000 Lire, in einer Bar abseits 1.500. Japan ist komplett angereist. Hat sich mit hochmodernem Gerät ausgestattet, trägt Gucci-Tüten, Versace- Einkaufstaschen, ist oft sehr jung und falls weiblich ausgesprochen süß. So handlich. Wir lassen flanieren und schauen uns die Augen wund. Nein. Wir träumen nicht. Wir sind in Rom. Und wir beginnen zu begreifen, dass das Leben schön ist, wenn der Mensch schon am 15. März gegen zehn in einem Straßencafé sitzen kann, ohne zu frieren. -

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Im Campo di Fiori. Wir trinken Campari, beobachten einen Lampenmacher in seiner Werkstatt gegenüber, ein mittelgroßer, leicht verfetteter Mann Mitte 60 schlurft über die kleine Piazza de Vicco, wir sind müde nach langem Fußmarsch, aber hier ist ein guter Platz zum Ausruhen, das Viertel scheint klein und vertraut, der Lampenmacher verlässt seine Werkstatt und kommt auf einen Expresso in die Bar, der halbfette Mann mit rotem Pullover scheint betrunken, verloren, oder beides, ein Polizist fährt vor und wartet. Wir spekulieren, dass er seinen Chef abholen muss, dessen Geliebte hier irgendwo wohnt. Nun muss er pünktlich um sechs zu Hause sein. Dann taucht ein Mops auf. Mit Frauchen. Die beiden nähern sich einem schwarzen Müllsack an der Ecke. Schon mehrere Hunde hatten ihn markiert. Der Mops riecht daran, dreht sich um seine Achse, legt noch eine halbe Drehung nach, stemmt seine Hinterbeine gegen den schwarzen Sack, markiert im Handstand und folgt Frauchen.

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Am Nachmittag waren wir aus Trastevere kommend auf den M. Gianicolo gestiegen, wo ein Reiterstandbild an Garibaldi erinnert und man über die Stadt sehen kann. Ein kleines Karussell dreht sich, Kinder können auf Ponies reiten, es gibt Eis und Cola. Wenn man in Richtung Vatikan absteigt, kommt man einer Baumruine vorbei. Wir hätten sie nicht beachtet, hätte da nicht ein Mann Fotos gemacht, den ich für Deutsch hielt und so fragte ich: Und was sehen wir hier? - Hier hat Tasso sein Werk vollendet,  antwortete er, unter diesem Baum. - Tasso??? - Goethe, sagte Chris, die viel klüger ist als ich. Goethe hat ein Stück über ihn geschrieben. Ach ja? Ja. Torquato Tasso: italienischer Dichter, Kollege in Diensten verschiedener hoher Herren, ehe er sich selbst der Häresie bezichtigt, von der Inquisition verurteilt wird, in einem Irrenhaus landet, frei kommt und schließlich in Rom stirbt.  

 

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