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Hermann Mensing

Romananfang 12

Jeden Tag zwischen vier und fünf, wenn sie nicht nach Hause kommt, frage ich mich, wie das gehen soll, ohne sie, die so eng mit der Gegenwart verknüpft war, dass die Welt augenblicklich Sinn machte, wenn sie heim kam, nur sie schaffte das.

Aber sie kommt nicht mehr. Sie ist fort. Sie hat sich nicht von mir getrennt. Sie ist tot. Sie ist den gemeinen Tod der Gegenwart gestorben, den Krebstod, und ich schreibe Romananfänge, schneide Loops und singsange Texte, ich flüchte in Bücher, Gespräche, Abende im Theater, in Reisen hierhin und dorthin, aber tatsächlich bin ich allein.

So kam es, dass ich den Philosophen P. besuchte, der im Sauerland Liebesromane schrieb, und ihn fragte, ob und wenn ja, wie es ihm gelänge, Sinn in sein Leben zu bringen.

Der kleine, mit Neurodermitispickeln übersäte Mann lachte und bat mich, in seine Stretchlimousine zu steigen und eine Spritztour mit ihm zu machen. Eine Spritztour? Ja, allerdings brauche er noch einen Augenblick, er müsse etwas erledigen, er leide, wie ich wohl wisse, unter Harndrang, der zu beschwichtigen keinerlei Aufschub mehr dulde.

Kein Problem, sagte ich.

Während er ausstieg und im Foyer der Halle, in der an diesem Abend keine Lesung stattgefunden hatte, nach einer Toilette suchte, begann ich mir Notizen zu machen. Der Verleger drängte auf ein wenig mehr Pikanterie in den wöchentlich erscheinenden Liebesromanen, und da galt es, nachzurüsten.

Zunächst entschloss ich mich, einen Spanier englischer Herkunft namens Freddie Tres Bollas einzuführen, dem ich gleich auf der ersten Seite ein derart blamables Liebesversagen auf den Lingnam schrieb, dass es eine Pracht war. Als ich überlegte, worauf ich dies zurückführen könne, schien es logisch, dass Freddie Manali geraucht haben müsse, das würde jeder sofort verstehen, selbst wenn er annähme, THC werde injiziert, führe augenblicklich zu körperlichem Verfall, lebenslanger Sucht und ewigem Schwachsinn.

Kaum notiert, tauchte der Herr N. auf und behauptete, Frau Professor Dr. O. habe sich zwar entkleidet, was er zunächst nicht habe glauben wollen, danach aber sei alles ganz anders gekommen.

Er nämlich habe nach anfänglich leichtem Ekel gedacht, es könne nicht schaden, eine 60jährige zu ficken, die sein Doktorvater sei, und tatsächlich, es habe nicht geschadet, wenngleich es auch mühsam gewesen sei, aber geschadet, nein, im Gegenteil, er habe mit besten Noten promoviert und nun sei die Professorin bereit, ihm überall hin zu folgen, und seien es die Höhlen in Tamil Nadu, nach denen er sich noch oft sehne.

Wo immer du hin willst, hatte sie gesagt, nachdem sie ihr Gebiss, das beim Küssen erheblich gestört hatte, wieder eingesetzt hatte. Worauf er ihr eine Reise nach England vorgeschlagen habe. (Hören Sie dazu: Die Überfahrt)

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