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Hermann Mensing

Romananfang 14

Während der Philosoph P. noch auf der Suche nach einer Toilette in der Halle umherirrte, hatte N. seine Wohnung erreicht und dachte darüber nach, welche Arten es gäbe, sich das Leben zu nehmen? Er malte sich eine wie die andere aus und beschloss, so etwas könne man der Schöpfung nicht zumuten, selbst wenn man wisse, dass man nichts wisse, der Beweis für ein Höheres Wesen also im Nebel, aber (dachte er froh) ebenso denkbar und möglich wie undenkbar und unmöglich.

Kein Unterschied also, woraus er folgerte, dass es nicht schaden könne, hin und wieder mit ihm zu sprechen. Er müsse ja nicht gleich eine Fahne heraushängen, er könne das Gespräch ja persönlich halten und weitersehen.

Freddie Tres Bollas, könnte es an seiner Statt tun, das ist ja das schöne an Romanfiguren, er könnte es ihn auf spanisch-britische Art tun lassen, trocken, voll von schwarzem Humor, voller Leidenschaft und Blutverlust, vielleicht - wenn Freddie zu den Seven Sisters nach Hastings reiste und sich mit seinem Maserati Cambiocorsa ins Nichts stürzte, hunderfünfzig Meter hinab, das hätte Stil, doch dann fiel N. ein, dass sein Verleger dramatische Wendungen in den wöchentlichen Liebesromanen zwar schätzte, aber immer darauf drang, das Leben seiner Helden zu schonen.

Also schickte er Freddie stattdessen zu einem Stierkampf, der, das wusste er jetzt noch nicht, dramatischer endete, als er es sich hätte ausdenken können, denn einer der Stiere war so wild, dass fünf Piccadores ihn nicht davon abhalten konnten, die Stierkampfarena mit einem Sprung über die Balustrade zu verlassen, was zu einer Massenpanik führte, bei der zehn Menschen ums Leben kamen, Freddie war einer von ihnen.

So getröstet mit dem heiligen Unsinn der Realität, beschloss N., die Professorin um Verzeihung zu bitten, während der Philosoph zu seiner Stretchlimousine zurückkehrte, sich in den Sitz fallen ließ, mir zulächelte und dem Chauffeur die Anweisung gab, in das Restaurant Zur Herberge zu fahren, wo er essen und mir erläutern wollte, was es mit dem Leben, dem Glück und der Hoffnung der Menschen auf sich habe.

Alles, memorierte er kurz, damit er es gleich nicht vergäße, alles hänge am seidenen Faden des Wahnsinns, alles sei jederzeit möglich und der Mensch, hineingeworfen in diese Turbulenzen, habe nur eine Wahl: das Beste daraus zu machen. Alles Hadern führe zu nichts, alle Philosophie sei nichts weiter als Philosophie, der die Realität widersprach oder zustimmte, je nach Laune.

Ich genoss die Fahrt in der Stretchlimousine und dachte, dass es nicht schlecht wäre, reich zu sein, wenngleich ich mir nie ein amerikanisches Auto kaufen würde, ich träumte von einem jadegrünen Jaguar älteren Baujahres, den ich mir vom Erlös meiner Romananfänge sicher bald kaufen konnte.

Dann traf ich Vorbereitungen für meine Abreise. Ich führe auf eine Insel, soviel war klar. Und die, die ich mehr liebte als mein Leben, führe mit, wenngleich in einem anderen Aggregatzustand als der Rest der Menschheit, aber das machte nichts, ich hatte es ihr versprochen. (Hören Sie dazu: Bericht von der Insel)

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