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Hermann Mensing

Romananfang 16

Damals stand eine Orgie ins Haus. Er war jung, ich war jung, je nachdem, wie wir das halten mit der Identität des Erzählers und der seiner Helden, mir ist das einerlei, ich darf alles, ich bin der Erzähler, stellen Sie sich also vor, was Sie wollen.

Sie waren jung, Sie hatten sich auf dieses Abend eingelassen, Sie hatten vielleicht eine Freundin oder einen Freund, und dann entwickelt sich diese Party, auf die Sie durch Zufall gerieten, seltsam schwül, etwas stieg ihnen in die Nase, das Sie nicht riechen konnten, es schwirrte irreal um Sie, und eine innere Stimme riet Ihnen, möglichst schnell zu verschwinden.

Sie kennen die Menschen ja nicht, Sie haben nicht das Gefühl, mit ihnen das tun zu wollen, was Sie sonst nur mit ausgewählten Menschen tun, vielleicht aber auch noch nie getan haben, weil Sie so jung sind, so unerfahren, so etwas wollen Sie nicht, damit haben Sie nichts zu tun, also verschwinden Sie schleunigst.

In diesem Roman aber, der achte in Serie, könnten Sie sich das vorstellen.
Der Nachmittag ist verregnet, man sitzt in einer kleinen Küche, man trinkt Kaffee, man raucht Zigaretten, isst Schokolade und redet über dies und das, der Kreis ist überschaubar, die Frage ist nur, wie stellt man das an, wie kommt so etwas in Gang, ohne die Intimsphäre der Menschen zu verletzen?

Könnte man nicht einfach sagen, lasst uns das und das tun, und so lang, wie es Freude macht?

Vielleicht, denken Sie, aber dann denken Sie wieder, dass man so etwas doch nicht tut, und dass man, angenommen, man schlüge es vor, Porzellan zertrampelte, das man nicht zertrampeln will, und dass das alles zu komplizierten Verwicklungen führen könnte, und dann erinnern Sie sich, dass sie damals, als diese Orgie ins Haus stand, die Sie in Eile verließen, eh sie richtig begann, froh waren, dass Sie sie verlassen hatten, doch dann hörten Sie am nächsten Morgen von ihrem Verlauf, und ehrlich gesagt, war das denn so schlimm?

Sie wissen es nicht, Sie waren ja nicht dabei, aber an diesem Nachmittag hat es geklappt, an diesem Nachmittag hatte es sich ergeben, und so lagen Sie da zwischen zwei molligen, hübschen Frauen oder zwei Männern (welches Geschlecht, dick, dünn, jung alt und wieviele bleibt Ihnen überlassen), tranken Kaffee, rauchten Zigaretten, aßen immer noch Schokolade, und dachten, dass es schön war, es war ein angenehmer Zeitvertreib, niemand wurde zu irgendetwas gezwungen, man hatte gelacht und gealbert, also denken Sie, dieses Romaneschreiben ist doch eine feine Sache, was man da alles machen kann, was man sonst nie täte, und niemand bemerkt es, weil niemand weiß, ob es wahr ist oder nur Fiktion.

Und dann schieben Sie, der Sie jetzt der Erzähler sind, der auktoriale Erzähler, den finalen Satz hinterher: es war alles nur ausgedacht. Es gibt keinerlei Übereinstimmungen mit dem realen Leben, weder mit dem des Schriftstellers (also mit Ihnen, wenn Sie wollen, mit mir oder sonst wem), keine lebenden oder nicht mehr lebenden Personen sind involviert, es ist nichts weiter, als das, was es immer ist, es ist, was es ist, ein Roman, erstunken, erlogen und nur dazu da, Ihnen für kurze Zeit die Zeit zu vertreiben.

Mehr nicht, nicht weniger, alle dem Roman (und der Literatur) darüber hinaus angedichtete Hochkultur ist Hochkulturgerede und soll nur davon ablenken, dass es im Brecht'schen Sinne um Ficken, Fressen und Saufen geht, und natürlich ums Sterben.

Wir melden uns also wieder, wenn der Roman Nr 9 beginnt, von dem niemand (weder Sie noch ich) weiß, wie er beginnt, wo er hinführt und wie er endet. Dieser endet mit den angenehmsten Erinnerungen an etwas, das nie geschehen ist und nie geschehen wird, oder vielleicht doch, nichts als Einbildung also, wie die ganze Welt mit all ihren mit unseren Sinnen wahrnehmbaren Ereignissen nichts als eingebildet ist, denn wer garantiert Ihnen, dass die Welt, wenn Sie die Augen schließen, noch genau dieselbe Welt ist, wie die, die Sie Augenblicke zuvor wahrgenommen haben?

Sehen Sie: niemand.
Sie berufen sich auf das Gesetz der Wahrscheinlichkeit?
Bitte. Auch das ist nur Einbildung.

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