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Hermann Mensing

Romananfang 3

Van Dijk hätte Haare gehabt, aber er liebte Glatzen. Van Dijk hatte auch Schuhe, aber er liebte es, barfuß zu gehen. Die Saison mochte sein, wie sie war.

Als van Dijk noch in Amsterdam lebte, hatte er natürlich Schuhe getragen. Spitz zulaufende schwarze Stiefel mit hohem Absatz. Van Dijk war kräftig gebaut. Die Leute erzählten Geschichten, sie hielten ihn für gefährlich und natürlich kam ihm das entgegen. In seinem Beruf war man besser gefährlich.

Noch besser war es natürlich, man hatte Personal, das für die latente Bedrohung zuständig war, aber so weit hatte van Dijk es noch nicht gebracht. Er hoffte, eines Tages dort anzukommen, wo die, die er bewunderte, schon lange waren.

Dann aber kam ihm etwas dazwischen. Es war eine Frau und van Dijk, der Frauen nie länger als eine Nacht ertragen hatte, hatte plötzlich eine Geliebte. Eine aus besseren Kreisen. Eine, die Schulen besucht und studiert hatte, eine, die über seltsame Dinge redete und genau das mochte, was er nicht war und nie sein würde. Sollte einer die Frauen verstehen.

Zu Anfang hatte van Dijk gedacht, er könne das kontrollieren und sich die Liebe (schon wie er das Wort aussprach, klang seine ganze Verachtung für diesen Zustand mit) vom Halse halten. Aber schon nach kurzer Zeit spürte er, dass von dieser Frau eine Faszination ausging, die er nie gekannt hatte. Sie tat Dinge mit ihm, die er nicht für möglich gehalten hatte. Nichts davon war spektakulär, manchmal war es nicht mehr als ein Blick, doch van Dijk, dieser harte Hund, schmolz.

Sie nahm in mit ins Theater. Sie ging mit ihm ins Museum. Er hörte und sah Dinge, die ihm lächerlich und überflüssig erschienen, während sie das genaue Gegenteil behauptete. Abends schwor er sich, keinen Tag länger mit dieser Frau zu verbringen, aber dann kam der nächste Tag und wieder einer und van Dijk spürte, dass sein bisheriges Leben an Bedeutung verlor.

Eines Tages sagte die Frau, komm, wir fahren ans Meer, ich muss dir was zeigen. Van Dijk nickte. Sie fuhren in einen Badeort. Dort war großes Haus voller Asylanten. Die Frau sagte, das Haus werde demnächst geräumt und sie wolle es kaufen. Kaufen? fragte van Dijk, der sich nicht vorstellen konnte, was man mit so einem Haus anfangen sollte. Ja, sagte sie. Kaufen und in ein Hotel verwandeln.

Und genau das hatte die Frau getan. Van Dijk hatte nie gefragt, woher all das Geld käme, van Dijk hatte sich still gefügt, weil er sich wohl fühlte in ihrer Nähe und weil es ihr nichts auszumachen schien, dass er nach wie vor auf alle gefährlich wirkte, wenn auch nicht mehr so gefährlich, wie in seinen besten Tagen in Amsterdam.

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