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Hermann Mensing

Romananfang 4

Der Himmel hing tief. Seine Laune war trotzdem bestens. Sein Auto lag ruhig auf der Straße. Die Straße war belebt, aber nicht hektisch. Eine Stunde, prognostizierte das Navigationssystem. Er hatte seine Mutter lange nicht mehr besucht. Er freute sich auf sie. Seit sie verhaftet und verurteilt war, hatte er sie nicht mehr gesehen, höchstens in den Medien, die ihren Fall lang und breit verhandelt hatten.

Ein Fall, den man einer Mutter kaum zutrauen würde, der eigenen nie.

Als er ihr eineinhalb Stunden später im Besucherraum gegenübersaß, er fühlte sich unwohl in dieser Umgebung, beugte sie sich plötzlich vor und flüsterte ein Wort, das er noch nie gehört hatte. Wie bitte? Sie wiederholte das Wort und nannte ihm Ort, Datum und Uhrzeit.

Verstehe ich das richtig? fragte er. Ein Aufseher kam. Seine Mutter schaltete auf liebende alte Dame, unschuldig, natürlich unschuldig. Als der Aufseher wieder gegangen war, wiederholte sie das Wort, den Ort, das Datum und die Uhrzeit. Mehr nicht. Mehr könne sie nicht sagen, sagte sie, und dann war die Besuchszeit vorüber.

Er verließ den Besucherraum. Er setzte sich in sein Auto, notierte das, was seine Mutter ihm gesagt hatte und fuhr zurück. Drei Wochen darauf fuhr er an den angegebenen Ort. Es war ein Brunnen in der Einkaufspassage einer Provinzstadt im westlichen Friesland. Als er dort stand und sich umschaute, kam ein Mann auf ihn zu. Er hatte diesen Mann noch nie vorher gesehen. Der Mann fragte nach dem Wort. Er nannte es. Darauf zog der Mann eine Pistole und erschoss ihn.

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