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Hermann Mensing

Para kalor, na pli rosso

 

Samstag 2.Juli 05 11:19

Herr und Frau M. sitzen im Flugzeug.
Herr M. betet. Dein Wille geschehe sagt er, aber heimlich.
Das Flugzeug summt. Norah Jones singt.

11:32

Das Flugzeug rollt zur Startposition.
Natürlich hat Herr M. Angst. Jeder hier hat die.

11:33

Schub und los.

11:34

Wir fliegen eine Rechtskurve.
Diesig da unten: das Münsterland.
In zwei Stunden werden wir in Griechenland sein.

11:44

Das Land liegt unter Wolken.

12:10

Über Stuttgart.

12:20

Über den Alpen.
Die Wolken reißen auf. Innsbruck: schätze ich.

12:35

Venedig da unten: die blaue Adria, die latrinenbraune Lagune.

13:46

Gelandet.

17:31

Ein Wind weht.
Da hinten: die Bucht.
Vorm Balkon: Ein kleiner Rasen.
Links Schilf. Oleander. Getünchte Baumstämme.
Ein Hund bellt.
Hinterm Rasen: der Hof und die Taverne.
Der Strand gleich dahinter. Tamarinden am Weg.
Jetzt fällt die Angst ab. Im Anflug habe ich unsere Bucht schon gesehen.
Wir flogen südwärts, der Westküste folgend, drehten über Lake Korission bei, überquerten die Insel und flogen an der Ostküste entlang den Flughafen an.
Anspruchsvolle Landung mit konkurrierenden Auf- und Abwinden von See, Bergen und Stadt. Der Pilot musste arbeiten, um die Maschine nach unten zu bringen. Dann, kaum aufgesetzt, auch schon Gegenschub, denn die Startbahn in Corfu ist kurz.

18:43 Ortszeit.

Das Meer ist samtweich, sehr salzig, faustgroße Kiesel am Strand, man eiert ins Wasser, ein paar Regentropfen sind gefallen, wir wissen: entweder werden wir hier verrückt oder wir erholen uns.

Das Aufsteigen heute morgen war von panischen Schreien eines Kindes begleitet, der plötzliche Schub, ein gewalttätiges Vorwärtsschieben, die unterdrückte Furcht aller, dann ist man auch schon in der Luft, der Dunst, dann Wolken, unter denen sich das Land verliert, mehr Wolken, noch immer aufsteigend, ein kreuzendes Flugzeug, die Anspannung löst sich ein wenig, der Kapitän sagt, man wäre über Stuttgart.

Bei Innsbruck reißt der Himmel auf: Schneeflecken, Straßen, Dörfer: das komplizierte Leben in den Bergen von oben, die Adria bald, Venedig, der Canale Grande, der Lido, die kroatische Küste mit vorgelagerten Inseln, Schaumkronen, Fähren, Segelboote, das Rütteln beim Sinkflug, die dichten Wolken über Albanien, der Anflug, die Landung.

Ich grüße die beiden jungen Polizisten, die im Wagen auf dem Vorfeld des Flugplatzes stehen, als wir zur Halle gehen. Sie grüßen zurück. Eh die Koffer kommen, vergeht eine Stunde, dann fahren wir mit einem Kleinbus hinauf in die Berge, schmaler und schmaler werden die Straßen, Olivenhaine, am Boden geraffte schwarze Netze, die zur Ernte gespannt die von den Bäumen fallenden Oliven auffangen.

20:52

Aß gegrillte Sardinen, Fritten, Salat und einen schmackhaften Gemüsetopf (Briami), der kräfige Wind jagt Wellenfelder zur Bucht hinaus, eine Bewegung nicht unähnlich der auf den Gerstefeldern bei uns, ein rennendes, zartes Kräuseln.

Die hohen Berge im Süden der Bucht liegen jetzt auch im Schatten.
Wir sind angekommen. Taverna Vrachos. Die junge Kellnerin hat ein herzerfrischendes Lachen und schiefe Zähne. Der Verdauungsprozess setzt ein. Herr M. wird noch einen Metaxa bestellen und dann machen Herr und Frau M. einen Spaziergang, oder?

Dattelpalmen. Zypressen.


Sonntag 3. Juli 2005

Herr M. und seine Muse - nein. Das ist kein Anfang.

Vielleicht sollte Herr M. vom Geräusch der über die Kiesel laufenden Jungen schreiben, vom Wind, vom schwappenden Meer, das heute sehr kühl ist, eiskalt kam es ihm vor, vorhin um sieben, als er erwacht, die paar Schritte zum Meer gegangen und geschwommen war, den leichtes Kater des Bieres, der Metaxa und des Ouzo vom Chef der Taverne per Kälteschock vertrieben hatte, eiskalt auch jetzt, wo schon Mittag sein mag, und Herr M. sonnengeschützt unter Hut und Handtuch dicht beim Wasser sitzt und die Ruhe trinkt.

Gestern Abend spazierten wir hinauf in das Dorf Afionas. Dort ist ein Platz hoch überm Meer mit vorgelagerten schroffen Felseninseln, dort geht die die Sonne unter, sonst nichts. Eine halbe Stunde läuft man hinauf.

Eiskalt und glasklar ist das Meer, sehr salzig und also sehr tragend.
Der kräftige ablandige Wind, spekuliere ich, treibt das warme Oberflächenwasser aus der Bucht, kaltes bleibt, sehr kaltes, 16 Grad hörte ich jemanden sagen. Das aber könne sich innerhalb Stunden ändern, offenbar also ein ortsbekanntes Phänomen.

Haben den Tag im Schatten verbracht, lange Mittagsruhe gehalten, Herr M. hat zwei der mitgebrachten Bücher schon aussortiert: einen Max Frisch des Traumhaften wegen, eine Felicitas Hoppe des völlig fehlenden Interesses wegen. Nehmen wir uns also den Feuchtwanger vor.

Aßen köstliches griechisches Backwerk, nicht vor Süße triefend wie das türkische, das man hin und wieder auch zu Hause isst, sondern süß, zimtig, herzhaft mit Pistazien. Nun wird der Körper gesalbt, dann trifft der Neckermann seinen Reisebegleiter zum Empfang.


Montag 4. Juli 2005

Dank griechischen Essens gelingen variantenreich modulierte Flatulenzen zu jeder Tages und Nachtzeit.
Wenn man nicht wüsste, dass man erst seit Samstag hier ist, genau genommen erst seit Sonntag, denn der Samstag war ja ein Anreisetag mit all den nutzlosen Warteschleifen, die sich um die eigentliche Flugzeit winden, wenn man all das nicht wüsste, könnte man glauben, man sei immer schon hier gewesen, habe schon seit Jahrtausenden hier gesessen und zugeschaut, wie die Zeit in pauschal gebuchtem Stillstand verschwindet.

Heute Nacht aber weigerte sich die gekaufte schönste Zeit des Jahres plötzlich weiter mitzuspielen und riss mich mit dem furchtbarsten Gedanken, den ein Vater denken kann, aus dem Schlaf.

Ich ging auf den Balkon, ich versuchte mich mit Sternenzählen, ich sprach mir all die Belanglosigkeiten vor, die Schrecken vertreiben, aber es gelang nicht. Eine gute schlechte halbe Stunde quälte mich das, dann hatte ich den Gedanken so weit eingekreist, dass ich ihm als Nachtmahr die Luft abschnüren konnte. Wie groß die Erleichterung war, als ich heute früh eine SMS auf dem Display vorfand, muss nicht mehr gesagt werden.

Unser Balkon hat Sonne am Morgen, liegt aber ab Mittag in angenehmem Schatten, ich könnte jetzt, zurück von einem Gang auf die andere Seite der Bucht Richtung Makrades auf staubigen Wegen hügelan, durch schattige Olivenhaine, hier sitzen und lesen, stattdessen schreibe ich, glücklich, dass die Nacht vorüber ist, hoffend, dass das Glück, das seit 56 Jahren an meiner Seite ist, sich nicht launisch zurückzieht, wie es das alle Tag überall tut, wenn es sich erst einmal entschlossen hat, Schicksal zu spielen.

Immer noch Wind, aber erst seit etwa zwei Stunden, heute früh war es ruhig.
Und noch immer eisiges Wasser.
Das hätte ich nicht erwartet. So weit im Süden.


Dienstag 5. Juli 2005

Der in der Bucht liegende Katamaran wird aufgetakelt, das Frühstück ist verzehrt, Wellen schlagen an den Strand, der Anfang ist für den Arsch... Heißen nämlich, ihm als Leitmotiv vorstehend, sollte der Morgen eröffnet werden mit dem all-griechischen Ruf:

Para kalor, na pli rosso. Bitte, darf ich zahlen.

Womit ich beim Eigentlichen meiner westfälisch-friesischen Natur angelangt bin.


Was kostet das alles?

In etwa so viel wie zu Hause. Kostenvorteile wegen Verlassen des Heimatlandes, Überfliegen weiter Landstriche bis schließlich zur Landung auf einer der kürzesten Pisten Europas, all diese nicht ungefährlichen Anstrengungen, die dem Neckermann zum Kostenvorteil gereichen sollten, gereichen ihm nicht. Der Euro gleicht Preise fast überall an.

Fazit: Herr M., einer der unternehmungslustigstens Reisenden des vorigen Jahrhunderts, ist in diesem, das gleichzeitig ein neues Jahrtausend eingeläutet hat, dort angekommen, wo er nie anzukommen geglaubt hätte. Bei Neckermann. Aller Wahrscheinlichkeit ist er auch noch fast der Älteste in dieser Pension, die gottlob eine griechische ist. Einfach. Vor allem aber weit genug entfernt von den übrigen Neckermännern, Menschen, die - wie ich nun, in meinem sechsten Lebensjahrzehnt angekommen, zugeben muss, mit Recht die schönsten Wochen des Jahres genießen wollen.

Eine junge Frau in adrettem Kostüm schaut alle zwei Tage vorbei, um uns unsere Wünsche von den Lippen abzulesen. Also hat sie erraten, dass wir am Samstag eine Bootsfahrt mit Bar B Q unternehmen werden.

Noch einmal also: Herr M. schwächelt ein wenig heute früh. Der lange Marsch durch die Olivenhaine war anstrengend. Muskelfasern wurden über Gebühr gedehnt, Gelenke beansprucht, daher ist die Devise für heute eindeutig: Null Bewegung. Stabile Seitenlage im Schatten.

Mittag

Das Wasser wird wärmer. Der Herz- und alle anderen Muskeln krampfen nicht mehr, wenn man hinein geht, der Wind ist mäßig, man staunt, dass man nachts schläft, wo man doch tagsüber nichts als Nichts tut.

Nachmittag

Noch immer staunt man, dass man den südeuropäischen Mittag tatsächlich verschläft, nicht nur ruht, still, in der Kühle des Zimmers, nein, schnarchend womöglich schläft, bis um halb fünf jemand Hermann sagt und man aufschaut, erstaunt.

Man geht wieder die wenigen Schritte zum Strand. Dort warten Liege und Sonnenschirm. Und die Nachbarn, über die noch zu sprechen sein wird, wie man über Nachbarn spricht, vornehmlich Deutsche und Österreicher, wie gesagt: Herr und Frau M. fast die Ältesten, bis auf das Paar in 108.

Ganz offenbar kehren mit wärmer werdendem Wasser auch die Fische zurück, denn Samstag und Sonntag, als ich es kurz mit der Taucherbrille versuchte, sah ich nicht einen. Heute, mit Schnorchel, eine ganze Menge: sandfarben mit schwarzer Zeichnung an den Seiten die einen, sardinengroß etwa, elypsenförmig die anderen, handgroß und silberfarben mit schwarz umlaufendem Streif vor der Rückenflosse, ein dichter Schwarm fast durchsichtiger, kleiner Fische, kleiner als Böhnchen, viel kleiner.

Wir hier am westlichen Ende der Bucht müssen damit leben, dass sich der Schattem vom Berg übern Strand legt. Dann geht es auf sieben, Zeit, den Körper zu salben und Essen zu gehen. Heute gehen wir auf eben jenen Berg, der der Sonne im Weg ist. Atemberaubend am Hang und am Rande des Dorfes Afionas liegt dort die Taverne Dionysos. Von dort werden wir über die Bucht schauen.

Späterer Nachmittag

Genauere Angaben sind nicht möglich, denn der Zeitzerhacker steckt im Rucksack und da soll er auch bleiben. Diese zumindest faktische Zeitlosigkeit plus Abwesenheit der Welt in Form von Nachrichten erhöht die Urlaubsfreude gewaltig. Herr M. könnte sich daran gewöhnen.

Früher Abend

Aufstehen, Schwimmen, Duschen, Frühstücken, Strand, leichtes Mittagessen (Salat, Saganaki), Mittagsschlaf, Strand, Körperpflege, Spaziergang nach Afionas, Essen.


Mittwoch 6. Juli 2005

Gegen 10 sitzen wir im klimatisierten Linienbus, der uns nach Kerkyra bringt: Korfu Stadt. Links der geharkte Strand vorm Hotel Belle Helene mit Sonnenschirmen in Farben der Firma Neckermann: blau und gelb.

Mittag in der brütend heißen Stadt. Vor mir das venetianische Fort, links Albanien, rechts Nordgriechenland, Zikaden live zu Jamiroquai, die Esplanaden nicht weit, in Reihe die klimatisierten Busse. Die Devise wird sein: Schritt für Schritt, wo immer Schatten sich bietet.

Mit Rücksicht auf die engen korfiotischen Straßen werden wir auf eine Inselrundreise verzichten.

15:15 im Café Mikro

Ein kleines Café an schattig, leicht windiger Ecke, eine Terrasse im Schnittpunkt zweier Gassen auf verschiedener Höhe, so dass Treppen notwendig sind. Unter Hibiskus. Neben Frau M. ein roter Kater, der gern angefasst wird, ganz im Gegensatz zu den hochbeinigen, dürren Katzen in Agios Geogios.

Wir haben die Stadt gekreuzt, empfangen von sehr dunkelhäutigen Zigeunern in der Nähe des Bushanhofs, Ausgestoßene wie überall. Waren in Seitenstraßen und dann, innerhalb einer Viertelstunde, hatte ich ein Seidenhemd und einen leichten Baumwollpullover gekauft, was meinen Besuch in der Stadt in den geschäftstüchtigen Augen der Korfioten rundum rechtfertigt.

Ich bin willkommen.
In einer Stunde nehmen wir den Bus zurück in unsere kleine Enklave am Meer, auf die ich mich freue.

16:05

Der Rassist outet sich am griechischen Busbahnhof, denn im Grunde seines Herzens kann er sich kaum vorstellen, dass eine auf 16:30 terminierte Abfahrt in seinen Urlaubsort zur vereinbarten Zeit stattfindet. Also umstreicht er misstrauisch die Haltestelle, um nichts zu verpassen.

Wieder im Dorf.

Es geht auf Sieben oder ist es längst. Aufregung nach Rückkehr, elterliche Aufregung, denn mein Handy zeigte einen Anruf während Abwesenheit. Versuchte, zurück zu rufen, aber mein Handy funktionierte nicht. Dinos, der Wirt, ließ mich von seinem Apparat telefonieren. Erreichte zwar nicht den Sohn, der angerufen hatte, aber den anderen, und der hatte gestern seine theoretische Fahrprüfung bestanden. Nun könnte es nur noch sein, dass der Ältere das Auto zu Schrott gefahren hat, da er jedoch versucht hat, mich anzurufen, lebt er, da ist alles andere egal. Darauf einen doppelten Ouzo.

Die Lösung: das ältere Kind hat seine Webdesigner-Prüfung bestanden.
Also zwei Prüfungen, eine je Kind.

Dinos, der meine Sympathie nicht genoss, hat, seit er mich vorhin, als er meine Sorge bemerkte, ohne weitere Fragen telefonieren ließ und meine Frage nach den Kosten mit leichter Hand wegwischte, meine Zuneigung gewonnen.

Abend

Der Rasensprenger zieht Kreise und treibt uns ins hintere Ecke unseres Balkons. Will, eh Schlafnacht ist, noch die Fragmente eines Traumes notieren, den Herr M. letzte Nacht träumte und der um so merkwürdiger wird, wenn man weiß, dass die Toten, die er im letzten Jahrzehnt zu beklagen hatte (Vater, Mutter, Tante) seitdem zum allerersten Mal in seinen Traum auftauchten.

Hier die Bilder:
da ist der Vater, liegend.
Die Tante mit einer Schere in der Hand, die Mutter mit einem Messer.
Beide wollen den Vater abstechen.
Herr M. verhindert das.
Die Tante verflucht ihn.

Sie werden begreifen, dass dieser Traum in vielerlei Hinsicht aus der Luft gegriffen ist. Zudem bestand keinerlei Grund, Herrn M. mit einem Fluch zu belegen. Den Vater abzustechen jedoch mag sich sowohl die Tante als auch die Mutte hin und wieder gewünscht haben.

Landkrank!

Donnerstag 7. Juli 2005

Der Übergang vom Strand zum Wasser ist steinig. Vor ein paar Tagen torkelte ein junger Mann an Land, denn meist geht das nicht anders, man torkelt hinein oder hinaus, weil fester Stand schwer zu finden ist, torkelte also, wie Herr M. auf einem der vielen digitalen Abbilder, die in diesem Sommer auf der Insel Korfu von ihm gemacht wurden, torkelte und rief seiner am Strand wartenden Freundin zu, er sei landkrank.

Ich fand das ein schönes Wort, hatte mir vorgenommen, es zu notieren, es war all die Tage, die noch wie eine Ewigkeit scheinen in meinem Kopf, aber erst jetzt, nach dem Schwimmen, vorm Frühstück, bin ich dazu gekommen.

Nach dem Frühstück

Sprachen gestern Abend über die Zeit.
Fragten uns, ob ihr Charakter sich in der zweiten Wochen ändern wird, ob sie dann nicht mehr endlos scheint wie in den Tagen, seit wir hier sind, sondern stattdessen zu rennen beginnt und es dann nicht mehr heißt....gestrichen.
Faden verloren.
Dringlicher scheint jetzt die Verdauung.

Nach Mittag

Auch wenn es nicht mehr als ein Radebrechen einiger griechischer Phrasen aus dem Reiseführer ist, der Korfiot freut sich, fast immer. Sind allerdings zu viele von uns am gleichen Ort, gestern etwa, im Café am venetianischen Fort, schaut er auch schon einmal halb belustigt, befremdet. Aber ansonsten gilt: er freut sich. Der Busfahrer etwa, bei dem ich mich bedankte, gestern, beim Aussteigen, nachdem er uns sicher durchs Innere der Insel über die Berge auf die andere Seite gebracht hatte.

Und wie steht es mit wilden Tieren? -
Halten sich versteckt. Bis auf die Feuerkopfeche (Zornechse?!) gestern beim Fort, mit stumpfem, gefährlich wirkenden, eher orangefarbenen Kopf. Den Schwanz hatte sie eingebüßt.

Typisch für uns Touristen ist auch, dass alle die gleichen Pfade trampeln. Verlässt man die nur um ein paar Meter, wird aus Trubel sofort mediterrane Ruhe mit schläfrigen Gassen, kleinen, von niemandem ge- oder besuchten Kirchen, Plätzen mit venetianischen Brunnen, gespannter Wäsche und - aussterbend - uralten, schwarz gekleideten Griechinnen, Relikte aus ferner Vergangenheit, die man als Postkartenmotiv kaufen und in die Welt versenden kann.

Es ist leicht diesig heute, Wolken segeln zur Ostküste, stauen sich vor den Bergen, ein milder Wind weht, ich habe größere Fischschwärme gesehen, größer als die bisher gesehenen, schlank, die größten vielleicht dreißig Zentimeter lang, mit schwarzen, vom Rückgrat zum Bauch laufenden Streifen, zwei mit Fleischwunden auf dem Rücken, gleich hinterm Kopf.

Vorm Abendessen

Man staunt, was man alles Nicht tun kann. Mit dem Fernglas schauen, ohne schauen, gar nicht schauen, mit geschlossenen Augen schauen, halb schlafen, mal schwimmen, in der Sonne heiß gewordenes Mineralwasser trinken, plötzlich sagen "da kuck mal", dann da schiebt sich ein Schnellboot der Küstenwache ins Bild, sieht bedrohlich aus, schiebt weiße Gischt vor, nimmt Kurs auf den südlichen Teil der Bucht und scheint dort verstrickt in schwer durchschaubare Manöver in Ufernähe, bei dem auch zivile Boote mitmischen. Vielleicht bunkert man Bier für die erneute Fahrt auf hohe See.

Die Sonne ist hinterm Hügel, man hat schon über Steine gesprochen, die man mitnehmen will, will sagen: die ferne Rückreise konkretisiert sich. Mein Stein liegt auf dem Tisch im Zimmer 109 der Pension Vrachos. Morgen ist Freitag. Wenn man wüsste, was Glück ist, es könnte die Gegenwart sein.


Freitag 8. Juli 2005

Vor dem Abendessen

Auf der anderen Seite der Bucht, in der Nähe der Olivenhaine, gibt es einen Strand, an dem man (wenn man will) nackt sein kann. Über den Tag waren etwa sechs Menschen dort. Wir hatten unsere Zeltmuschel für Schatten, Wasser gegen den Durst, ein wenig Obst. Heute war der heißeste Tag bisher. Der Rückweg, etwas mehr als eine halbe Stunde, war schweißtreibend.

Gegen 18 Uhr zogen vom Cap Arilla dichte Wolken über die Bergkuppe, verhüllten sie, zogen weiter in die Bucht, verwehten an den Hängen und waren eine Stunde später schon wieder verschwunden.

Nach dem Abendessen fragt man sich schon einmal, wofür es gut sein soll, zwei Wochen in einem Land zu verbringen, dessen Sprache man nicht kennt und deren Bewohner sich nicht zu schade sind, an jeder Ecke radebrechende Schilder in deutscher Sprache aufzustellen, die, folgt man ihnen, durchweg in der bekannten, mühsam auswendig gelernten Phrase enden, die diesen Aufzeichnungen den Namen gibt.

Wieder auf 109 wundert sich Herr M., dass bisher noch kein Mond gesichtet wurde. Ob er so früh oder eher so spät aufgeht?


Samstag 9. Juli 2005

Vorm Frühstück sollte ich über die völlige Abwesenheit der Tagespolitik und ihrem guten Einfluss auf das Wohlbefinden der Menschen sprechen....

Vorm Frühstück sollte ich über den segensreichen Einfluss der völligen Abwesenheit ...

Vorm Frühstück sollte ich besser gar nicht sprechen.

Vor Mittag

Wir sind mit dem Glasbodenboot südwärts gefahren, haben den Berg, auf dem Makrades und Angelocastro liegen, umrundet, sind durch die Buchten von Paleokastritsas weiter der wild zerklüfteten Küste gefolgt, sind in ein, zwei Höhlen gefahren (Tropfsteine, rote Seesterne), und sind jetzt an einem einsamen Strand, den man Paradise Beach nennt, wo nach uns noch zwei weitere Glasbodenboote gelandet sind. Engländer!

Touristen, ein nicht ernst zu nehmendes Volk, was nicht bedeutet, dass mir die Bucht nicht gefiele, nein, nein, nicht das herrliche Meer, nicht das Schnorcheln und Staunen, nein, aber wir sind Zaungäste, haben hier nichts zu suchen und finden nur selten, meist, wenn wir uns entfernen von anderen, dann.

In den Klippen sollten tausende Seevögel nisten, zwischen den Felsen ebenso viele Fische sein, aber weder die einen noch die anderen sind dort, nun darf man rätseln, warum.

Nach dem Essen

Unter einem Überhang der Steilküste ist ein Grill aufgebaut. Ein hagerer Mann wendet zwischen großen Rosten steckende Hüherbeine über glühender Holzkohle. 5 minutes ready, sagt er, als wir uns nähern. Eine Frau ist auch da, sie hat Salat zubereitet. Der Sand ist glühend heiß.

Er wird serviert. Am Wasser stehen Sonnenschirme, darunter ein Tisch, Kühltonnen mit rotem und weißem Wein, Wasser, Orangensaft, Ouzo. Wir (die Neckermänner) stehen an, jeder erhält gegen Gutschein ein Tablett, darauf eine Hühnerkeule, die der Größe nach von einem Emu stammen könnte, Brot, Salat, ein Stück Wassermelone.

Damit geht es durch den glühenden Sand zurück in den Schatten.

Ein Handy klingelt. Ein Anruf für die Frau, die den Salat herrichtete und die jetzt, da die ersten schon mit dem Essen fertig sind, die Reste in verschiedene Müllbeutel sortiert. Ella, sagt sie, spricht entsetzt, beginnt zu weinen. Eine Freundin ist gestorben, erfährt Frau M.

Wir gehen zurück in unsere schattige Höhle.

Auf dem Boot

Alle sitzen auf den Plätzen, auf denen sie saßen, als wir kamen.
Frau M.'s Sorge, sie könne zu spät sein, war völlig unbegründet. Der Neckermann kennt seinen Platz.

Wir nähern uns unserer Bucht. Ende der mir sonst eher unangenehmen öffentlichen Notiz, die insbesondere dieser strohdummen, Kaumgummi kauenden jungen Frau mit dem Kirmes-Puppen-Gesicht und der verspiegelten Brille galt.

Ich bin's, der Schriftsteller mit Hut.

Vorm Abendessen

Zum ersten Mal seit unserer Ankunft ist das Wasser der Bucht auch in der Tiefe noch warm. Das liegt am Südwind, der seit ein paar Tagen weht.

Paleokastritsas schien vom Boot hoch am Hang klebend.
Tief darunter felsige kleine Buchten, Hotels, deren Zugang zum Meer über Treppen und Terrassen führte, entsprechend eng war es an diesen Stränden, postkarten-idyllisch, dennoch gefällt es mir besser hier.

Feierten unser 1-wöchiges bei griechischem Kaffee, Baklava, Kadeivi, das eine wie das andere süßes Blätterteiggebäck, letzeres wie aus Fäden gezogen, dazu zwei Campari in der Konditorei Scanham, die so heißt, weil Sophia, die Besitzerin, einmal mit einem norwegischen Fregattenkapitän verheiratet war, mit dem sie einen Sohn hat, der hier bedient, und den sie bewacht, damit bloß keine junge Frau kommt, die ihn ihr nimmt.

Hat das Fehlen der in den steilen Wänden nistenden Seevögel (hier und dort allerdings ein paar Schwalben) mit Überfischung zu tun?

Frau Lätta ist abgereist, eine massige Frau mit freundlich hässlichem Gesicht, dick aufgeworfenen Lippen, Hornbrille, immer in fließenden Kleidern oder flammend orangenem Bikini, am Strand. Ihr Mann: schmal, eher ein wenig devot, knappe Jeans-Shorts, Puma-T-Shirts und Addidas Schlappen. Frau Lätta wegen der beim Frühstück stets mitgeführten, gleichnamigen Margarine.

Auch abgereist der schweizerische Rundfunk, eine stämmige Bergfrau Mitte 20, ein schlanker Mann, der ihrem unaufhörlichen und lauten Redefluss, nach Signalwörtern entschlüsselt offenbar ein Lamento über Stromausfälle, schlechte Duschen etc. pp., nur kurze Einwürfe entgegnen konnte oder durfte. Beide sehr laut, wenngleich zwei Balkone entfernt, manchmal kreischend, sich neckend.

Vorm Abendessen also, nach einer Woche in der Sonne. Schwamm und schnorchelte viel heute dort draußen, bedacht, meinen leichten Sonnenbrand, den ich mir gestern trotz größter Vorsicht bisher zugezogen hatte, nicht zu verschärften.

Um so unglaublicher, dass viele hier ungeschützt in glühend heißer Sonne liegen. Im Wasser vorhin, als unser Boot anlandete, ein massiger, glatzköpfiger Brite. 100 % English stand auf seine Schulter tätowiert. Bin froh, dass der britische Tourist an unserem Ende der Bucht überhaupt nicht, am anderen Ende nur vereinzelt vorkommt.

In der Pension Vrachos wohnen Deutsche, Österreicher und Schweizer.

Abendessen im Blauen Haus, hoch über der Bucht von Arillas. Vorgelagert sind vier Inseln, zwei davon sind bewohnt, stramm nach Westen, also wird gleich die Sonne hinter der letzten untergehen, wie es atemberaubender und kitschiger kaum sein kann.

Ich als Karrikatur meiner selbst, am Nebentisch ein deutsches Paar, auf Korfu lebend, er weit über sechzig mit silbergrauem, zum Pferdeschwanz gebundenen Haar, sie in engster, vorgewaschener Jeans, schwarzem, an der Seite geschnürtem Wams und viel Armreif, gehämmert. Stark geschwinkt. Die Augen mit Kajal nachgezogen. Er spricht von teuren Maschinen und Olivenholz, mit dem er, Künstler, was machen will, wohl mit Glas. Vielleicht beide aus der Villa Sterneri, wohlhabend.

Nach dem Essen

Zum ersten Mal sehe ich den Mond. Eine zunehmende Sichel, in vier, fünf Stunden schon fort, kein Wunder also, dass wir ihn noch nicht gesehen hatten bisher.


Sonntag 10. Juli 2005

Auch abgereist, scheint's jedenfalls vor dem Frühstück, ist Matthias Sammer und seine Freundin. Wir haben nur kurze Sätze gewechselt, ich etwa, dass ich kein hochseetauglicher Schwimmer wäre, als er an mir vorbei hinaus schwamm, aber wir waren uns sympathisch. Seine Freundin und er trugen sehr geschmackvolle Badekleidung, auch das ist eher selten.

Abgereist ebenfalls (oder noch schlafend) die Schmerzensreiche, eine allein reisende Frau, noch jung, Deutsch mit nicht klar zu definierendem Akzent sprechend, selten am Strand, Tagebuch schreibend, zum Frühstück immer an einem Tisch mit der bayrischen Tai-Chi Tänzerin. Beide unterhielten sich gern und lautstark über Bücher, die sie lasen oder gelesen hatten. Eines davon: Warum Männer nie zuhören und Frauen nicht einparken können.

Sonntag also, und da Samstag An- und Abreisetag ist, sitzten nun lauter neue Gäste beim Frühstück.

Nach dem Frühstück

Aßen im Blauen Haus, wie gesagt, das einer Deutschen gehört, hörten diesen Nachtvogel rufen, ein einzelner Ton, wie auf einem Holzblasinstrument gespielt, einer Blockflöte etwa, für unsere Ohren sehr tropisch, als Frau M. sich plötzlich umdrehte und das Paar am Nebentisch fragte, ob es wisse, was das für ein Vogel sei.
Ein Kauz, meinte der pferdeschwänzige Mann, und so gab ein Wort das andere und die Vermutung, es handle sich bei den beiden um hier lebende Deutsche, erwies sich als richtig.
Sie leben in besagter Villa Sterneri , ein traumhaftes Haus in den Hang zwischen Oliven gebaut. Er ist ein emiritierter Professor, freier Künstler nennt er sich nun, sie ist Schriftstellerin und freie Künstlerin.
Sie luden uns zu sich ein, wir vereinbarten den Mittwoch, heute früh, als ich schwamm, kam sie zum Strand und rief mir zu, ob es auch Donnerstag ginge, Mittwoch, das habe man gestern vergessen, sei man nicht da.
Gut also. Donnerstag. Wir sind sehr gespannt.

Nach Mittag, schwächelnd, der Ouzos wegen, der großen Hitze wohl auch, noch ohne den leichten Imbiss ist Zeit für einen kleinen Exkurs über die griechische Toilettenschüssel, die nicht, wie bei uns üblich, entweder den freien Fall gewährleistet, oder, wie beim anderen handelsüblichen Modell, eine Zwischenlandung, so dass man das Ergebnis vorm Abspülen noch kurz begutachten kann, sondern mit einer schrägen Ebene ausgestattet ist, so dass es immer zu hässlichen Schleifspuren kommt.

So viel dazu.

Gerade fahren der freie Künster und seine Frau im Landrover vom Hof, die, wie Frau M. vorhin berichtete, für das Gedicht an unserer Zimmertür verantwortlich sind.

Liebe Gästin, lieber Gast!

Hier auf Korfu ist manch' anders
als zu Hause und woanders.

Wir haben tollen Sand
aber am liebsten am Strand.
Darum mögen den Sand in der Tat
weder das Zimmer noch das Bad

Manchmal weht ein heftiger Wind
da danken Türen und Fenster
wenn sie geschlossen sind.

Die Toilettenleitung hier
liebt nicht das Klopapier.
Darum wartet ständig voller Wonne
auf Pampers, Tampons, Klopapiere
gleich neben an die kleine Tonne.

Wir werden die Autoren dieser Zeilen am Donnerstag in ihrer Villa besuchen.
Das Gedicht ist mit Copyrightvermerk versehen und noch ein paar Strophen länger.

Der Gitarrist der Working Worms, meiner Freizeitkapelle, würde es großes Tennis nennen.

Jetzt aber ist Zeit für den Imbiss.

Nach dem Imbiss

Der Tag fließt ohne Zutun.
Sind beide träg, liegen, dämmern, das ist schön!
Heute ist griechischer Sonntag. Die Taverne ist voller Familien aus der Stadt. Schnell sprechende Korfioten, kräftige Männer mit goldenen Halsketten, gern kompakte Frauen mit blond gefärbtem Haar, beeindruckende, dunkle, große Sonnenbrillen, Teenager und Kleinkinder, von Speisen überbordende Tische.

Die kleine Wetterdepression mit drückender Luft scheint verzogen, ein kleiner Wind weht, Stimmen vom Strand, Wellenschlag.

Von unserer Terrasse sehen wir Kommen und Gehen, nennen den Schlawiner und Schladdi, die so und wieder den anders. Erfuhren vom Künstler Prof. Dr. H. und seiner Frau, dass der Winter dieses Jahr länger gedauert habe als üblich, alles sei vierzehn Tage später als normal, auch die Abwesenheit der Mücken sei darauf zurückzuführen.

Ich habe ein Auto gemietet.
Morgen um neun wird es vor der Tür stehen, dann werden wir sehen, was wir damit tun.

Am Abend

In der Taverne Dionysos hoch über der Bucht wird Maschinengewehr-Saganaki angeboten.
In holländischen Imbiss-Buden gibt es Pommes Oorlog.
Oorlog heißt: Krieg.
Bei so fantasievoller Namensgebung verschlägt es einem die Sprache.



Montag 11. Juli 2005

Vor dem Frühstück

Das bestellte Auto kam gestern Abend. Hatte schon zwei, drei Gläser Wein während des Essens getrunken, zudem einen Kumquat Likör, der aus kleinen Bitterorangen gemacht wird und den uns der Kellner der Dionysos Taverne zum Probieren gebracht hatte, sonst wäre ich noch zu einer kleinen Spritztour gestartet. Als führe ich sonst nie.

Ständig werden neue Kunden ein- und alte ausgeflogen. Die neuen Kunden werden nach einem ausgeklügelten System in verschiedene Hotels an verschiedene Orte verbracht. Dort müssen sie sich erholen. Die, die sich erholt haben und ausgeflogen werden, müssen dort, wohin sie geflogen werden, wieder arbeiten, was Kraft kostet und bald erneute Erholung fordert, aber bis dahin gibt es zum Glück immer wieder Wochenenden und Feiertage.

Auf dem Weg zum Berg Pantokrator, dem Allesbeherrscher, 912 Meter hoch.
Bei Lazaratika: weite Sicht übers Tal bis zur Nordküste, über der sich ein Gewitter zusammenbraut.
Oliven. Zypressen. Die Müllhalde. Das Auto im Forst. Hähne. Hunde. Zykaden.
Jemand sollte kommen und eine Foto-Serie über stehengelassene Autos machen. Sie stehen überall und dienen unterschiedlichsten Zwecken. Gern natürlich als Hühnerstall.

Wir sind heute früh trotz aller Warnungen zunächst nach Sidari gefahren. Es war, wie beschrieben. Eine wilde Ansammlung nachgeahmter englischer Pubs. Strongbow, Kilkenny, Guiness, was immer der britische Trinker braucht, ist dort zu haben. Hotel reiht sich an Hotel, dazwischen verlotterte Brachen, ein Albtraum.
Man sollte Schilder anbringen: weiträumig umfahren.

Frau M. ist ein wenig nervös, der steilen Hänge wegen.
Das Auto fährt sich leicht. Es ist nagelneu, mit gerade einmal 780 KM auf dem Zähler.

Wenig später in Episkepsi.
Männer gehen die Dorfstraße entlang, eine Kirche, am Ortseingang ein Friedhof, ein frisch geschmücktes Grab in strahlendem Weiß, wir parken das Auto, gehen in die Taverne, trinken eine Kaffee, wandern durch die Gassen, treffen eine alte Frau, die freundlich mit uns spricht, wenngleich sie ja weiß, dass wir kein Wort verstehen.

Wir digitalisieren das Dorf.
Meine neue Speicherkarte meldet, sie könne 320 Abbilder speichern.

Von Episkepsi nach Sgourades, dann über Strinilas und Petalia hoch auf den kargen Berg. Wie beruhigend Leitplanken sein können, spüren wir an den ungesicherten Hängen. Ein Glück, dass wir den Plan, mit einem Motorroller hierher zu fahren, zugunsten dieses kleinen Autos aufgegeben haben.

Der Berg fängt den Regen ein. Er prasselt auf unseren Sonnenschirm. Weite, wenn auch diesige Sicht auf die von Gewitterwolken vergangene Nordinsel. Im Osten Albanien, dunkel, im Südwesten, hinter den noch zu überwindenden Bergen, unsere Küsten, im Süden die Stadt Kerkyra.

Der Pantokrator ist eine Geröllhalde. Die Luft ist frisch. Der Tavernen-Wirt hat ein zum Fürchten abweisendes Gesicht. Vielleicht liegt es daran, dass jeder in seiner Heimatsprache bestellt. Vielleicht auch an der Kleidung mancher Frauen. Nicht, dass es schamlos wäre, auch, wenn man es so nennen könnte: in der Regel ist es einfach geschmacklos. Vor allem bei älteren Frauen. Die Männer scheinen da etwas diskreter.

Atemberaubende Fahrt auf durchweg gut fahrbarer, wenngleich schmaler Straße, vorbei an Abgründen, in die man besser nicht schaut.

Es gibt ein Kloster hier oben. Wir zünden Kerzen an. In der Kapelle herrscht tiefe Stille. Fresken unter der halbkreis-gewölbten Decke: die religiöse Verherrlichung der orthodoxen Christen. Bänke links und rechts, dunkles Holz, Stühle in Paaren, Silbergefäße unter der Decke, drei Kronleuchter, die Stirnwand aus gehämmertem Silber, Heilige, Heilige, noch einmal Heilige. Und er, natürlich. Und ich.

Später

Zurück in Agios Georgios. Schwamm im handwarmen Meer, mutterseelenallein, denn auch über die Bucht ist den Tag über eine Gewitterfront gezogen und hat die Sonnenbader vertrieben.

Die Fahrt mit unserem kleinen Auto war vor allem auf kleinen Straßen sehr schön, die Karte, wenn auch nur eine billige Touristenversion, war präzis genug, uns über die Dörfer zu leiten.

Im Dorf Strinilas nahmen wir einen kleinen Imbiss in der Taverne Oasis, die sich im Schatten einer mächtigen, einen kleinen Dorfplatz überschattenden Platane befindet. Hortensien, Hibiskus, ein kräftiger Schäferhund an der Kette, der jeden verbellte, mich jedoch nicht, vielleicht, weil ich mit ihm sprach?

Kauften ein paar Mitbringsel für unsere Söhne, fuhren dann über Sgourades und Spartilla hinunter zum Meer, bogen hinter Agios Mark Richtung Ano Karakania ab, die Ipsos Bucht immer zur Linken, stießen bei Skripero wieder auf die Hautstraße und fuhren heim.

Der gemeine Tourist sagt nicht einmal Kalimera.

Ich hingegen (Tourist) laufe hin und wieder Gefahr, Kalamaris zu sagen, konnte mich jedoch bisher noch immer im letzten Augebblick bremsen.

Abends

Ob Mopsi sich wohl freut?
Nächste Woche Dienstag spiele ich auf der Session im Hot Jazz Club.
So viel zum Charakter der Zeit, wie sie vergeht, welche Fragen sie stellt und welche Antworen sie gibt.


Dienstag 12. Juli 2005

Noch über Herrn M. und die Angst sprechen. Über die Angst in großer Höhe, über die Angst vorm Hinausschwimmen in die Bucht. Über den sadistischen Bademeister Wienecke auch, der ihn fast ersaufen ließ.

Nach dem Frühstück sind wir ins Dorf Makrades gefahren, übern Berg, über den nachts manchmal Scheinwerfer huschen, durch die Olivenhaine in Serpentinen bis zur großen Antenne, dort über eine fruchtbare Hochebene, auf der Wein wächst.

Am Dorfeingang warten alte Frauen und Männer und winken und schreien. Sie wollen, dass wir ihren Wein kaufen, ihren Honig. Das Dorf ist verschachtelt wie viele Dörfer hoch in den Bergen. Wir parken unser Auto auf einem kleinen Platz. Die alte Frauen winken noch immer. Später! Wir gehen die Dorfstraße hinab, wollen beim Dorfkrämer zwei Kaffee trinken, nein, sagt er, Kaffee gäbe es bei ihm nicht, aber die Taverne Colombo sei nur zwei Minuten entfernt, no right, no left, sagt er und weist uns den Weg. Wir folgen und stellen erstaunt fest, dass das Dorf, das im Kern weit fort von der Welt auf dem Berg über unserer Bucht zu sein scheint, Restaurants, Souvenirläden und eine Hauptstraße hat, auf der Engländer in Pulks auf Rollern den wunderschönen Ortskern umfahren, wahrend wir in sanftem Wind unter einer Platane sitzen. 22,6 Grad zeigt ein im unteren Ast angebrachtes Thermometer. Wir trinken Kaffee, Schwalben zwitschern, wobei mir einfällt, dass heute früh eines der Schwalbennester im Durchgang zu unserem Hotelzimmer wieder besetzt war, nachdem letzte Woche plötzlich alle uns daraus mit ihren kleinen hervorgereckten Köpfen beobachtenden Schwalben ausgeflogen waren. Mauseköpfe, sagt Frau M.

Automobile, Kühlagregate, Satellitenschüsseln: dennoch nach wie vor die Abwesenheit von Zeit und Zeitläufen. Das Leben ist die Schule des Sehens. Manches begreift man. Vieles nicht.

Nach der Depression gestern, nach fernem Gewitter und platschendem Regen ist der Himmel heute unendlich blau, der Wind hat gedreht, was wahrscheinlich dazu führt, dass das Wasser in unserer Bucht wieder kälter wird. Vielleicht, sagt Dimitrios, der die Strandliegen vermietet und abends manchmal zum Fischen hinausfährt.

Wir haben gestern den Abstieg zur Zwillingsbucht gewagt, ein steiniger Weg, nicht ganz leicht für Frau M., die ein wenig die steilen Abgründe fürchtet, wie auch ich gestern bei der Abfahrt vom Pantokrator nicht ganz ohne Furcht war. Schon fast unten entdeckte Frau M. eine Möwe, die sich zum Sterben unter einen Busch zurückgezogen hatte. Still saß sie da, Fliegen waren schon vor Ort, aber noch lebte sie.
Mein Vater, der Jäger war, sagte Frau M., hätte einen Stock oder Stein genommen und die Möwe getötet. Wir könnten das nicht. Als wir eine halbe Stunde darauf wieder bergan stiegen, war sie tot.

Bergan ist einfacher als bergab.

Das Telefon, bei meinem ersten Griechenlandaufenthalt nur in Metropolen mit Voranmeldung zu nutzen, ist heute, 30 Jahre später, als Mobiltelefon überall.

In einem der kleinen Altarhäuschen in Makrades (die man häufig an griechischen Straßen und Wegen sieht), befindet sich ein Heiligenbild, ein Feuerzeug, eine Rolle Klopapier, eine brennende Öllampe und eine Flasche Wasser, auch möglich, dass Öl darin ist.
Dass Scheißen mit heiliger Versenkung zu tun hat, war mir schon immer klar.
Wozu aber das Feuerzeug?

Mittag

Unter Angelo Castro, einer phoenizischen Festung. Von Makrades kommend gelangten wir kurz nach Krini in eine Spitzkehre, die den Blick freigab über die Buchten von Paleokastritsas und weit darüber hinaus, ein so atemberaubender Blick, dass ich sofort anhielt und den Wagen mit der Handbremse sicherte.
Die ungesicherte Abrisskante der aus Beton gegossenen Straße schien direkt in diesen Abgrund zu führen.

Frau M. und ich waren uns sofort einig. Ich legte den Rückwärtsgang ein, brachte den Wagen aus der Gefahrenzone, fuhr in einen Feldweg ein paar Meter hinter uns und parkte. Als wir ausstiegen und uns auf den Fußweg zur Festung machten, stellten wir fest, dass nur der Blick so furchterregend war, denn die Abrisskante der Straße endete nicht im Nichts, sondern in einem bewachsenen Hang, der wiederum zwanzig oder dreißig Meter tiefer an der dort nach einer weiteren Spitzkehre verlaufenden Straße endete.

Bestiegen die Burg. Furchterregend. Ein Muss für Menschen mit Höhenängsten.

Nachmittag

Von Angelo Castro fuhren wir hinunter nach Paleokastritsas, gingen zu einem der Strände, eine malerische Bucht, entschieden aber, zurück über den Berg zu unserer Pension zu fahren, dort noch zu schwimmen, ein wenig zu ruhen und zum Abend nach Kerkyra zu fahren.

Sahen auf der Fahrt bei Lakones eine Schlange sich über die Straße winden. Goldbraun und schwarz der Länge nach gestreift, zwischen einem und anderthalb Meter lang: Zack war sie weg in einem an die Straße grenzenden Garten.

Name der Schlange: Astritas.

Abends in Kerkyra=Corfu Stadt

Die Stadt feiert den frühen Abend mit knallenden Motorrädern, heulenden Ambulanzen, Pferdedroschken, Promenierenden, überfliegenden Flugzeugen voller Touristen. Wir sind in der Eurozone. Alles kostet fast überall gleich viel. Interessant wäre zu wissen, was der Grieche verdient, wieviel Mieter er zahlt uws.

Möglich, dass wir den Höhepunkt unseres Besuches schon hinter uns haben, denn gleich am ersten begrünten Platz, den wir, vom Busbahnhof kommend, wo wir unser Auto geparkt hatten, passierten, stießen wir in einem kleinen Schaufenster auf eine wunderschöne Blusenjacke aus Seide. Webart: Rips. Dazu eine elegante Hose. Pret-a-porter. Ein Name. Ein Hinweisschild auf den Schöpfer. Der Laden lag ein wenig zurück, wir gingen hinein, ein sehr freundlicher Mann mit um den Hals gehängten Maßband gegrüßte uns, wir schauten uns um, ich fragte nach dem Preis einer Jacke, wir einigten uns auf Französisch als Umgangssprache, sein Diplom aus Paris hing aus, sehr schöne Kleidung. Schließlich verabschiedeten wir uns. Schauten uns noch einmal die Bluse im Schaufenster an, kehrten zurück und fragten den Meister nach der Größe. Er bat uns, uns zu setzen, ging zum Schaufenster, maß die Jacke aus, kam zurück und sagte bedauernd, für Madame sei sie zu klein. Wir verabschiedeten uns herzlich voneinander.

Nach dem Essen

Auf einem kleinen Platz. Eine Dattelpalme. Eine Kirche. Skateboardfahrer. Der Himmel voll jagender, zwitschernder Schwalben. In der Mitte des Platzes, umgeben von blühenden Tagetis, eine Säule mit Büste: Jakobus Nichtszuentziffern. Ein zunehmder Mond ist auch da. Menschen essen. Drei, vier Restaurants. Nicht mehr so warm wie bei unserer Ankunft. Ein Wind kühlt.

Auf der Esplanade

Die Volta. Der abendliche Auftrieb. Die Promenade. Das Sehen und Gesehenwerden. Das Gesprächskonzert. Auch hier, trotz aller Schönheit: die Anwesenheit des jeden Augenblick möglichen Todes. Dennoch habe ich bis jetzt überlebt. Schöner Tag, dieser Tag. Das Bummeln mit Frau M. ist ein Genuss. Morgen aber wird NICHTS getan.

Durch die griechisch dunkle Nacht, durch Olivenhaine und Spitzkehren, die weder durch normales noch Fernlicht ausgeleuchtet werden können, heil wieder in der Pension Vrachos.


Mittwoch 13. Juli 2005

Nachmittag

Der griechische Küstenflieger dreht seine Inselrunde mit dumpf dröhnendem Motor. Er kommt jeden Tag um die gleiche Zeit. Ich nehme an, er schaut, ob alles in Ordnung ist. Der Wind hat gedreht. Das Wasser ist wieder kalt. Der Wind heißt Meistro. Vielleicht. So ähnlich jedenfalls.

Nichtstun nach gestern und vorgestern.
Ein dicker Junge schaufelt mit einem gelben Padeln Sand ins Wasser.
Auch schön.

Vorm Abendessen

Am Strand (in der Pension) seit Samstag eine österreichische Familie mit vielen Kindern. Drei Jungen mindestens, auch eine Tochter. Die Jungen sind gern und viel im Wasser. Sie paddeln auf einem Surfbrett herum, entern, fallen herab, schlagen um, prusten, schreien. Am Nachmittag, es herrscht ablandiger Wind, waren zwei von ihnen unterwegs. Sie alberten, fielen vom Brett, gaben nicht acht und schon war das Brett ein paar Meter seewärts davon getrieben. Der Ältere der beiden schwamm ihm nach. Sie waren etwa 100 Meter vom Ufer entfernt. Der Jüngere schwamm aufs Ufer zu, bekam aber bald Probleme. Die Mutter beobachtete erst, dann schien ihr, dass Eingreifen nötig war und schwamm ihm entgegen. Ruhig atmen! rief sie ihm zu. War dann bei ihm. Schwamm an seiner Seite an Land. Kein böses Wort, nur, dass er beim nächsten Mal Flossen tragen solle.

Eine halbe Stunde später waren die Jungen wieder auf dem Brett unterwegs. Der Jüngste diesmal mit Flossen. Sie waren doppelt so weit draußen wie vorher. Der Wind: noch immer ablandig. Die Mutter lag am Strand und las. Nach ihrem Herausschwimmen bei ersten Mal hatte ich sie wegen ihrer Unaufgeregtheit und Ruhe bewundert. Diesmal verstand ich sie nicht. Das Meer ist schließlich kein Pool. Ich war heute früh mit einer zur Kajakform geblasenen Plastikschale ein wenig in der Bucht unterwegs. Mal davon abgesehen, dass diese Kajaks viel zu kurz sind, also bei jedem Paddelschlag dazu neigen, die Richtung zu wechseln, treiben sie auf dem Wasser wie Luftmatratzen, und Wind, das konnte ich deutlich spüren, vertragen sie gar nicht.

Vorm Abendessen. Nach der Dusche.

Als wir gestern von unserer Tour nach Makrades und Paleokastritsas zurückkehrten, standen Dimitrios und sein sein Sohn Babbi, der Gitarre in einer Rockband spielt, an der Hofschranke. Ich stoppte, wollte aussteigen, um die Schranke zu öffnen, aber Dimitrios öffnete. Ich salutierte. Er schlug darauf die Hacken zusammen, zickzackte mit dem rechten Arm umständlich und schließlich zum Salut, ich nickte ernst und fuhr langsam vor, als er AUAAAA schrie und auf einem Bein lachend herum hüpfte.

Oliven werden nicht vom Baum geschüttelt, sie fallen einfach herab. Werden zu einem Brei gemahlen, das Öl wird ausgepresst, der Rest wird/ wurde früher ans Vieh verfüttert.

Noch immer vorm Abendessen.

Am Horizont ein High-Tech-Vier-Mast-Segler, den ich gern aus der Nähe sehen würde. Sehr groß muss er sein.


Donnerstag 14. Juli 2005

Nach dem Frühstück.

Wie immer war ich längst Schwimmen, für meine Verhältnisse schon recht weit draußen, hin und her und im Kreis.

Jetzt die erschütternde Nachricht: der Nichtraucher M. hat es in anderthalb Wochen wieder zum Raucherhusten gebracht. Das hört auf, wenn ich wieder zuhause bin. Ehrenwort.

Früher Nachmittag.

Wo immer wir hinkommen, Frau M. macht es schön.

Vorm Besuch beim freien Künstler, der, fürchten wir, auch Urheber verschiedener Skulpturen in der Taverne Vrachos ist. Wir sind gespannt und haben uns vorgenommen, jedes Gespräch über Kunst und Literatur zu vermeiden.

Es gibt zwei weltbekannte deutsche Worte, sagt Frau M. Eines ist: Kaputt, das andere Heil Hitler.

Nachts mit Taschenlampe auf dem Balkon.

Der Mond, in der ersten Woche nicht sichtbar, jetzt halb voll hinter Afionas verschwunden. Dimitrios hat bis vor einer halben Stunde die Solaranlage auf dem Nebengebäude repariert und fährt nun gerade nach Hause. Unser Nachmittag in der Villa war entspannt. Interessant auch. Die beiden sind freundlich. Von fern noch Musik. Falls hier gefickt wird, wird leise gefickt, sehr leise, denn die Gebäude sind hellhörig.


Freitag 15. Juli 2005

Vor dem Frühstück.

Es ist windstill. Das Wasser ist eisig. Noch niemand auf der Terrasse, die in dieser zweiten Woche bevölkerter war, als in der ersten. Sicher hängt das mit dem Ferienbeginn hier und da zusammen. Jetzt hört man neben Deutsch und seiner österreichischen- und schweizer Variante auch schon einmal Englisch, Italienisch, Holländisch. Nach wie vor aber gehört die Taverne am Abend fast ausschließlich denen, die hier wohnen. Zwei kinderreiche Familien haben das Bild dieser zweiten Woche geprägt. Die schon besprochene österreichische, und eine norddeutsche, deren prägnanteste Figur eine etwa sechzigjährige große Frau mit blass-blauen Augen ist, eines davon fast hinter einem Schlupflid verschwunden, leichter Basedow.

Nicht unamüsant, wenn man gern klatscht und Geschichten spinnt und voller Vorurteile ist wie wir. Da ist das schwäbische Paar um die Vierzig. Beide tragen gern Tangaslips, was besonders bei ihm albern aussieht: er ist gedrungen, hat einen runden Bauch, kurze Beine, trägt einen kombinierten Schnauz-Kinnbart, goldene Ohrstecker und Kette. Abends ist er gern laut, fast so laut wie das Schweizer Radio.

Während unser Frühstück vorbereitet wird, treten die Jelineks auf den Plan. Sie liebt den mondänen Auftritt in schickem Kleid mit hochgeschnürtem Busen, trägt randlose, rundverspiegelte Sportsonnenbrillen und küsst ihren wenig auffallenden Mann gern, als sähe weit und breit niemand zu.

Frau M. allerdings meint, die tatsächliche Frau Jelinek, die ich seit ihrem erbärmlichen Nichtauftritt bei der Nobelpreisverleidung nun gar nicht mehr ausstehen kann, sähe anders aus als die hier anwesende, die gerade versucht hat, ins Eiswasser zu gehen, es aber dann vorzog, dekorativ am Strand in der Sonne zu sitzen und ihre Schönheit zu präsentieren. Recht hat sie: landkrank macht an diesem Strand und bei diesen Wassertemperaturen fast jeder eine jämmerliche Figur.

Der Schwabe trägt T-Shirts, auf denen Hard-Rock Cafe Corfu steht oder All Wild Boys Greece. Rechts neben uns wohnt ein fränkisches Paar, glaubt man den grauenhaft gerollten R's, die sie sprechen. Er groß, kräftig, dunkelhaarig, sie klein, kompakt, mit dichtem, weit ausladenden Haupthaar, für das, wollte man es bedecken, zwei Hüte bräuchte. Auch neigt sie zum Damenbart. Wie ihr Venushügel bewachsen ist, stelle ich mir gar nicht erst vor.

Vorm zweiten griechischen Kaffee jetzt, den beim Frühstück außer uns niemand bestellt. Dimitrios stellt gerade Liegen und Sonnenschirme auf, die Schwaben gehen herum und fragen, ob jemand nach Kerkyra führe, sie müssten zum Geldautomaten, den er hier leider nicht gibt. Ich schlage vor, er solle sich ein Mountainbike mieten und nach Sidari fahren, das sei gerade mal 11 Kilometer entfernt, es gäbe kaum ernstzunehmende Steigungen, kaum Spitzkehren. Er denkt nach. Fünf Minuter später ruft er: Super Idee!

Habe ich Jürgen vergessen? Er sieht freundlich aus, manchmal ein wenig ratlos, und ich dachte erst, wir würden vielleicht Sätze wechseln, aber wir haben kein Gespräch zustande gebracht, vielleicht, weil seine zweite Frau (1 Tochter: 19) eine so dumme Schnepfe ist.

Klingt da Wehmut
klopft ein Weh?
Ach wie gut's tut
dass ich hier steh und nicht fern seh.

Naja. Ebenfalls: großes Tennis.

Herr M. war ein kleiner Mann, der gern Hüte grug. Ohne Hut hätte er sich gefürchtet....

Vorm Abendessen, das wir heute mit Ronnith und Günter einnehmen werden. ??? Richtig. Der Professor und seine Frau aus der Villa. Der Professor, schätzen wird, lebt von seiner sicher nicht unbescheidenen Rente, die er aus seiner Lehrtätigkeit (Sport, Deutsch) an der Universität einer Provinzstadt bezieht. Dass er sich Künstler nennt, hat nichts mit Kunst zu tun, der Begriff ist nicht geschützt, jeder darf sich so nennen. Er füllt seine freie Zeit, das träfe seine Tätigkeit eher. Seine Frau hat bei Fischer veröffentlicht. Sie ist in Israel geboren, aber mit zehn Jahren wieder nach Deutschland gekommen, kein Wunder also, dass ihre Themen ernst sind.

Ich wollte aber etwas ganz anderes erzählen.


Vor zwei Tagen war mir zum ersten Mal aufgefallen, dass aus einem Ablaufrohr, dass das Dachende des zweiten Gebäudes unserer Pension etwa unterarmlang überragt, Wasser tropfte, das auf dem Hof schon eine kleine Rinne gewaschen hatte, eh es versicherte. Gestern abend, es war schon dunkel, sah ich, dass Dimitrios auf dem Dach hantierte. Heute früh erzählte er mir, der Warmwassertank, durch Solarzellen beheizt, habe ausgewechselt werden müssen, es hätten ein paar Anschlüsse nicht gestimmt, aber jetzt sei das wieder in Ordnung. Ob das vom Dach tropfende Wasser damit zu tun gehabt habe? Ja, ja, sagte er. Heute früh liegt zerbrochenes Styropor im Hinterhof, die Verpackung verschiedener Materialien, nehme ich an. Liegt da. Und da der Wind im Verlauf des Tages wieder aufgefrischt ist, hat sich das Styropor zum Abend schon ins umgrenzende Gelände verteilt und wird, davon gehe ich aus, in spätestens einer Woche ohne Zutun des Menschen entsorgt sein.

Der Grieche trägt das mit Fassung. Er blickt mit Wehmut auf die selbst im entlegendsten Olivenhain vor sich hin rostenden Autos verschiedener Fabrikate und denkt vielleicht, wie schön früher alles war, als der Grieche in seinem anarchischen Willen zur Freiheit und seinem Stolz noch nicht alles Wild weggeschossen und das Meer leer gefischt hatte.

Nach dem Campari, aber noch immer vorm Essen.
Schon müde.
An die ein oder andere Tür klopfen schon wieder Sorgen.
Bis morgen.


Samstag 16. Juli 2005

Als wäre nie eine Sorge fort gewesen, stehen alle aufgereiht und lächeln mich an. In der Nacht waren sie durch verschiedene Türen eingetreten. Vielleicht liegt es aber gar nicht am Ende der Ferien, sondern nur an den großen Themen, die wir gestern Abend im Schnelldurchgang streiften.

Ich weiß nicht.
Ich bin ein guter Schriftsteller.
Ich bin ein schlechter Schriftsteller.

Die Welt macht Sinn.
Die Welt macht keinen Sinn.

17:35

Die Uhr wieder am linken Handgelenk, die Nachmittagssonne mit Kraft, der 3/4 Mond über den Antennen auf dem Berg nach Makrades, ein vertrottelter Brite mit Erobererhut, der es, im Gegensatz zu seiner Frau, die weit in die Bucht hinaus schwamm, nur einmal kurz seinen britischen Hintern befeuchtete, ansonsten aber mit Umziehen und darauf achtend, dass seine Private Parts unter allen denkbaren Umständen unsichtbar blieben, auf dem Rücken lag und schlief. Als er einmal zu schnarchen begann, riefen seine älteste Tochter, Daddies Girl und seine Frau simultan: You're snoring! Nun bricht man auf. Uns bleibt noch eine knappe Stunde. Reger Flugverkehr. Kommen und Gehen.

20:10

Allein 20 Flüge sind für den Abflug in den nächsten zwei Stunden angekündigt, zwanzig Flugzeuge mit jeweils etwa 200 Passagieren, da kann man sich denken, dass nur das Schweben über den Dingen hilft, denn Wartende gibt es genug, und in vielen Gesichtern wird schon wieder die Erholung verspielt, denn keiner mag glauben, dass es für acht Abfertigungsschalter nur zwei dieser modernen Gepäckdurchleuchter gibt, auf die die Menschen sternförmig zudrängen. Unser Neckermann weiß auch noch nichts Genaues.

21:35

Wie erwartet: der Grieche kann langsam sein. Ruhe bewahren. Sigar.

22:25

Liebe Freunde.

Ich grüße recht herzlich von Bord des Air Berlin Fluges von Corfu nach Münster. Wir sitzen und wie beim Hinflug spielt Norah Jones.

Dein Wille geschehe....

PS. Eine Variation dieses Textex finden Sie hier....

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