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Hermann Mensing

Weltreise: Ohne Gewähr

 

New York, 4. Juni 1972: 1:30 Uhr

H.M. c/o Michael Scolnick
5514 Whitty Lane
Brooklyn - New York 11203

Hallo Leute!

So ganz langsam fange ich an zu begreifen, dass ich tatsächlich "on the road" bin, das heißt, weg von zu Hause. Es ist wirklich schwer, alles geht so schnell. Bevor ich mich jedoch in philosophischen Abhandlungen verliere, lasst mich erst einmal kurz zusammenfassen, was in den letzten 48 Stunden so alles über mich gekommen ist.

Mit einer eineinhalbstündigen Verspätung ging es in Frankfurt los (Fluglotsenstreik). Also Abflug 16.30 Uhr. Um euch nicht auch noch zu verwirren, gebrauche ich unsere Zeit.
Ihr wisst, wir sind Amerika 6 Stunden voraus.
Um 22.45 Uhr haben wir in Neufundland eine Zwischenlandung gemacht.
Etwa 30 Minuten später ging es weiter, und um 2.00 Uhr am Sonntagmorgen war ich in New York.
So weit, so gut. Jetzt denkt einmal sechs Stunden zurück, dann habt ihr die New York Time.

Für mich, der ich schon seit 4.00 Uhr früh auf den Beinen war, wäre es jetzt eigentlich Zeit gewesen, ins Bett zu gehen. Aber weit gefehlt, es war ja erst 20:00 Uhr, Samstagabend in New York.

Zoll okay.
Also ans Telefon.

Michaels Eltern - - - nichts. Michaels Freundin - - - nichts. Michaels Schwester - - -
Hallo Hermann, wir haben auf dich gewartet. Wo bist du jetzt? -
Dann war die Verbindung für ein paar Sekunden unterbrochen, weil mir ein riesiger Stein vom Herzen fiel.

Zwei Stunden später saß ich in einem dieser großen amerikanischen Autos, vorne Michaels Eltern, ich auf dem Rücksitz, stets bemüht, nicht während des Sprechens einzuschlafen.

Ich wohne jetzt in Michaels Zimmer, gebrauche seine Stereo Anlage, habe es gut.
Wenn ich aus dem Fenster sehe, glaube ich kaum, dass ich in New York bin. Eine schmale Straße, amerikanische Häuser mit Veranda und Vorgärten, Ahornbäume.
Es ist sehr heiß.
Ich schätze,so um die 25 Grad. Vielleicht gibt es noch ein Gewitter.
Heute werde ich mich ausruhen. Morgen werde ich mir New York ansehen.

Ich glaube, ich habe euch noch nie gesagt, dass ich euch sehr gern mag, selbst, wenn ihr ab und zu spinnt. Ich war aber auch noch nie so weit von zu Hause weg. Rennt durch Gronau und bestellt allen Leuten, dass ich sie liebe. Vergesst I. nicht. Und denkt an euren Sohn, drückt ihm die Daumen. Vielleicht schreibt ihr mir nach New York. Ich denke, ich bleibe etwa eine Woche.

Tschüss ... euer Sohn

 

New York, 8. Juni 1972: 12:30 Uhr

Hallo Familie!

Schließen wir ein gerechtes Abkommen: ich kaufe die Ansichtskarten, ihr zahlt das Porto.
Ich wohne immer noch bei Michaels Eltern. Sie haben mich sehr nett aufgenommen. Tagsüber fahre ich mit dem Bus und der U-Bahn nach New York (Downtown Manhattan - Fahrgeld bekomme ich von Michaels Mutter) und schaue mir die Stadt in Ruhe an. Nachher mache ich eine Bootsfahrt rund um Manhattan (Freiheitsstatue).
Im Moment sitze ich hier oben auf dem Empire State Building. Gewaltig.

Grüßt meine Freunde.
Euer Sohn liebt euch.

H. (hoffentlich habt ihr mir geschrieben)

 

New York, 20. Juni 1972: 1:00 Uhr

Habe ich euch schon vom Internationalen Gästehaus der Columbia Universität erzählt?
Folgendes ist passiert: vor zwei Tagen traf ich dort einen Amerikaner (Dick), der zwei Jahre in England studiert hat und jetzt auf dem Weg nach Hause ist. Er wohnt in Californien.
Heute nun ist sein VW-Bulli aus England angekommen.

Jetzt ... Spannung ... also, um es kurz zu machen: in ein paar Stunden verlassen wir (Dick, Bugh, ein Pole und ich) New York, um irgendwann in zwei Monaten (oder so) in Californien anzukommen. Wir können im Wagen kochen, schlafen (und fahren). Den Sprit teilen wir uns, er ist in dieser Gegend sehr billig.

Na, wie findet ihr das? - Feine Sache, nicht.
Dick ist ein feiner Kerl, Bugh (der Pole) ist ein bisschen hektisch und nervös, aber das kriegen wir hin.
Hoffentlich beruhigt diese Nachricht eure strapazierten Nerven.
Ach ja, ich habe heute so einige überflüssige Sachen als Paket an euch geschickt.
Wird sicher in 4-5 Wochen ankommen.

Ich werde euch auf dem Laufenden halten.
Grüßt alle Leute von mir.
Besondere Grüße an Aunt Änne, Schwester & Co., naja, und ...

Michaels Eltern haben mir zum Abschied 10 Dollar geschenkt.

Tschüss - H.

 

Iowa, 25. Juni 1972

Hallo Familie

Iowa ... auf dem großen Teck.
Ich bin zu faul, nach dem Datum zu forschen.
Wahrscheinlich ist aber Sonntag, daher also der 25. Juni 1972.

Dick hat eine Schreibmaschine, endlich also mal eine Gelegeneheit, ohne große Anstrengung einen Brief auf die Beine zu stellen. Ich gehe jetzt in die vierte Woche, Zeit also, mal einen kurzen Überblick über all das zu geben, was bisher passiert ist.
Zwischenzeitlich werdet ihr meine gesammelten Briefe und Postkarten aus New York ja erhalten haben.
Darüber kann ich euch also nicht mehr viel Neues berichten.
Bis auf eines vielleicht - New York ist Gott sei Dank nicht Amerika.

Und schon bin ich mittendrin.
Am Dienstagmorgen haben wir diese Supermetropole endgültig verlassen; wir sind: Dick, Amerikaner aus Californien, war drei Jahre im Vietnahmkrieg tätig (hm hmmmm), hat dann zwei Jahre in England studiert und kehrt nun zurück nach San Diego, Californien.

Bugh, ein Pole, studiert seit etwa drei Jahren Jura in Amerika, ist übernervös (und hat uns am Freitag in Chicago glücklicherweise verlassen).

Ja, da ist noch jemand.
Kaum anzunehmen, dass ihr ihn schon mal gesehen habt, jedenfalls hat er blondes Haar, etwas unter dem Kinn, von dem er annimmt, es sei ein Bart - ja, und noch etwas, er heißt Hermann.

Nachdem uns am vergangenen Sonntag und Montag die Sturmwarnungen aus Florida aus unserer Lethargie gerissen hatten, beschlossen wir, uns endlich auf den Weg zu machen. Der VW-Bus ist vollgepackt mit allen möglichen und unmöglichen Sachen, wir haben sogar einen kleinen Kühlschrank.

Unsere Richtung war klar: westwärts, immer dem sonnigen Californien entgegen.
Den ersten Staat, den wir durchquerten, konnten wir wegen des unaufhörlich fallenden Regens kaum ausmachen, es muss Pennsylvania gewesen sein. In dieser Gegend leben sehr viele holländische Einwanderer. Städtenamen wir Bloomsburg, Kraansburg etc. sind keine Seltenheit. Die Landschaft erinnert an unsere Mittelgebirgslandschaften, viel Wald, typisch amerikanische Dörfer am Rande. Ihr wisst schon, diese bungalow-artigen Häuser, umgeben von einem gefpflegten Rasen.

Leider sollte der Hurrikan Agnes einen Tag nach unserer Durchreise dort ziemliches Unheil anrichten.

Wir wollten uns Zeit lassen, blieben daher über Nacht an der Grenze zu Ohio. Am nächsten Morgen verschliefen wir hoffnungslos. Bugh, unser Pole, wurde nervös. Er wollte mit uns bis nach Chicago fahren, vielleicht weiter nach Californien. Er ist ein wenig seltsam. Immer muss er irgendetwas tun, immer versuchte er, uns anzutreiben, doch endlich weiterzufahren. Die Art zu reisen, wie wir sie bevorzugen, schien nicht ganz seine Sache.
Am selben Tag durchquerten wir Ohio (nichts Besonderes, sehr viel Industrie) und stoppten in Indiana.
Indiana liegt im mittleren Westen der USA: sehr viele Seen, Sommerhäuser, fast wie in Schweden.  

Dicks Wagen gab seltsame Geräusche von sich, am nächsten Tag stellten wir fest, dass ein Ventil im Zylinder durchgebrannt war. Man kann zwar mit 3 Zylindern fahren, aber besonders ratsam ist das nicht.
Rein in eine Werkstatt.
Reparatur.
Einen Tag Ruhe in Angola/Indiana.

Einen Tag Ruhe - das war zu viel für unseren energiegeladenen Polen. Er packte Unmengen Gepäck zusammen und verließ uns - Richtung Chicago. Endlich Ruhe.
Am nächsten Tag holten wir unseren VW-Bus und weiter gings Richtung Chicago.

Freitagabend kamen wir dort an. Dick und mir gefiel es dort überhaupt nicht, zu viel Gestank, zu viel Lärm. Samstag ging's weiter, wir überquerten den Mississippi (der Rhein ist ein Bach) und kamen bis Iowa.

Jetzt sitze ich hier auf einem Campingplatz und versuche meinen Sonnenbrand zu vergessen.
Seit drei Wochen habe ich kein Wort Deutsch gesprochen, bis auf ein beiläufiges "verfluchte Scheiße."
In Chicago habe ich beschlossen, nicht nach Minneapolis zu fahren.
Ich teile mir mit Dick die Benzinkosten (sehr billig, für 9 Mark können wir unseren Tank füllen).
Anstatt nach Minneapolis zu fahren, geht es weiter westwärts. Morgen wollen wir in Colorado ankommen. Dort ist irgendwann in den nächsten Tagen ein Festival, vielleicht werden wir da sein. Fragt die Leute, dich ich kenne, Colorado muss eine wirklich sehr dufte Gegend sein. Es gibt dort viele kleine Collegestädtchen, also Unmengen Studenten. Außerdem hat Karen (ich habe sie in New York kennengelernt) mir die Adresse einer Freundin gegeben, die eine Farm besitzt. Vielleicht werde ich dort eine Weile bleiben. Ich habe gestern in Minneapolis angerufen, falls Post für mich kommt, wird Sandy sie mir nach Californien nachschicken. Ich gebe euch am Besten gleich Dicks Adresse:

Dick Stewart
424 East 16 th Street
Costamesa/ California
USA 92627

Dort werde ich auf jeden Fall in zwei bis drei Wochen aufkreuzen, vielleicht schon früher.

In den ersten zwei Wochen in New York habe ich mich manchmal verdammt einsam gefühlt, vor allem war alles so neu. Inzwischen geht es mir gut, ich bin voll Optimismus. Obwohl ich noch nicht weiß, ob ich tatsächlich nach Südamerika fahre, denke ich schon, dass ich noch einige Zeit weg sein werde.

Vielleicht (drückt mir die Daumen) entschließt Dick sich, mit mir nach Südamerika zu fahren. Lust hat er schon, er hat sich nur noch nicht entschlossen. Stellt euch das einmal vor. Ein VW-Bus, der die fürchterlichen Schlangen nur noch halb so fürchterlich macht, na ja, alles eben.
Aber ich will nichts vorweg nehmen.
Alles wird sich ergeben, hat es sich ja bisher auch.

Ein Wort zum Sonntag: mein Geld.
Bisher habe ich ... noch nicht einen meiner Reiseschecks anbrechen müssen, das heißt, ich habe pro Woche ca. 60 Mark ausgegeben. Ich hoffe, es geht so weiter.

Amerika ist ein gewaltiges Land. Wir sind jetzt etwa 1.800 Kilometer von New York entfernt und haben etwa ein Drittel unserer Reise nach Californien hinter uns. Stellt euch das einmal vor: von Gronau in Richtung Norden wäre ich dann etwa in Stockholm, in Richtung Süden fast in Rom, westwärts in Schottland und ostwärts irgendwo in Ungarn.
Hier bin ich immer noch in Amerika.

Hier auf dem Land bekommt man einen Eindruck vom amerikanischen Traum, der in den großen Städten ja schon lange ausgeträumt ist. Die Städte sind größtenteils sehr ruhig, sauber. Der Lebensstandard ist der höchste der Welt, warum also nicht hier leben.
Ich möchte es nicht, es ist wohl eine Sache der Gewohnheit.

Sagt mal, sind meine Dias schon bei euch eingetroffen? Ich hatte sie an Agfa geschickt, von dort werden sie dann an euch geschickt. Seht sie euch an und sagt mir, wie sie ausgefallen sind.
Gerade höre ich im Radio, dass der Hurrikan Agnes verdammt viel Unheil angerichtet hat: überflutete Straßen, unterspülte Brücken usw. Glücklicherweise haben ich davon nichts mitbekommen.

In zwei Wochen geht euer Urlaub ja auch los. Ich wünsche euch vor allem gutes Wetter, gute Erholung und so. Macht euch keine Sorgen um mich, ich falle schon auf die Beine. Grüßt alle meine Freunde, sagt ihnen, dass ich ihnen irgendwann schon schreiben werde. Wenn irgendjemand das Bedürfnis hat, mir zu schreiben, gebt ihm meine Adresse in Californien, ich werde schon dort aufkreuzen.

Von Zeit zu Zeit habe ich ein wenig Heimweh, aber das vergeht.
Grüßt euch also, euer Sohn hält die Ohren steif, machts gut. Das war's dann wohl für heute. Grüßt natürlich auch Tante Änne und Schwester und Familie. Nachbarn (besondern meine katholischen Hülsbecks) von mir aus auch.

Alles Liebe H.

 

Bear Lake, 27. Juni 1972

Hallo!

Wir sind in Colorado. 1000 Grüße an alle. Bis bald - H.

 

Albuquerque, 3. Juli 1972

Hallo Leute,

ich will euch kurz schildern, wo ich jetzt bin, wohin es geht und so fort.
Ich war in den Rocky Mountains (in der Nähe von Denver, Colorado), als ich euch anrief. Wir sind dort zwei Tage geblieben und habe uns dann in Richung New Mexiko aufgemacht. Dick hat Verwandte in Albuquerque, die wollte er besuchen. Ich habe auch eine Adresse hier, Klaus H. hat sie mir gegeben. Wir sind also für die nächsten zwei bis drei Tage gut bei Dicks Verwandten untergekommen. Mal wieder regelmäßige Mahlzeiten, eine Dusche usw...

Ich habe den ersten Deutschen auf meiner Reise getroffen. Stellt euch vor, er ist in Gronau geboren, seine Eltern hatten dort ein Geschäft, hat dann eine Weile in Alstätte gewohnt, jetzt lebt er in Berlin.
Verdammt klein, diese Welt.

Er hat mir einige gute Sachen von Mexiko erzählt.
Für 40 Dollar kann man dort in einem Mittelklassehotel einen ganzen Monat leben. Nächste Woche Montag, also heute in einer Woche, werde ich noch einmal versuchen, euch anzurufen. Wenn ihr so gegen 20:00 Uhr eurer Zeit bei Matschke seid, kann nichts schiefgehen.
Wenn ich nicht anrufe, macht euch keine Sorgen, vielleicht ist meine Kreditkarte dann ungültig.

Ich denke, nächste Woche werden wir in Californien sein.

Bis dann, euer Sohn H.

 

Tijuana, 13. Juli 1972

Hallo!

Ganz kurz: ich habe ein paar nette Leute getroffen, die mich zu einem mexikanischen Essen eingeladen haben. Sie kommen aus San Francisco. Ich werde dort wahrscheinlich wohnen (in San Francisco).

H.

 

Encinitas, 17. Juli 1972

Tag Familie & Änne,

Euer Sohn hat mal wieder Glück gehabt. Ich hatte euch ja von dem Restaurant in Encinitas erzählt. Nun, ich habe zwar keinen Job dort bekommen, kann aber dort wohnen. Ich bin jetzt fast 7 Wochen unterwegs und habe noch keine Nacht draußen schlafen müssen. Anfang nächster Woche geht es nach San Fancisco, ich will sehen, von dort ein Schiff nach Japan zu bekommen. Vielleicht trampe ich aber erst nach Canada. Südamerika habe ich mir aus dem Kopf geschlagen. Genießt euren Urlaub, ihr hört von mir.

H.

 

San Francisco, 25. Juli 1972

Gestern habe ich mich in Richtung Canada auf die Socken gemacht. Erste Station: San Francisco. Wie immer (fast seit ich unterwegs bin) strahlender Sonnenschein. Eine faszinierende Stadt, dieses San Francisco. Mit einer Zahnradbahn fährt man hier durch die Straßen. Und dann wieder China-Town. Na ja , es gibt zu viel zu sehen hier. Ich denke, dass ich so in ein bis zwei Wochen in Canada sein werde, ich lasse mir da sehr viel Zeit. In der Zwischenzeit werdet ihr aber noch von mir hören.

H.

 

San Francisco, 3. August 1972

Ich feiere heute mein zweimonatiges Bestehen. Zu diesem Anlass habe ich einen der erlesensten Fotografen Amerikas zu mir bitten lassen, um die für die Presse notwendigen public-relations-Fotos schießen zu lassen.
Ihr seht das Ergebnis, ich bin hübsch wie eh und je, eher aber wie je.

Die letzten Tage in San Francisco waren aufregend. Ich habe mir fast die Hacken abgelaufen, um einen Job auf einem Schiff zu bekommen. Bisher sind die Chancen mau. Wie auch immer, es macht mir Spaß, so durch die Gegend zu trudeln. Gestern wäre ich schon fast in Japan gewesen, ich habe mir dann aber überlegt, dass Japan noch warten kann.

Seit ich unterwegs bin, wird mir von Tag zu Tag klarer, dass es nicht die Entfernung ist, die den Erfolg bzw. Misserfolg meiner Reise bestimmen. Ich habe mich entschlossen, dort zu bleiben, wo es mir gut gefällt, Übersetzt heißt das etwa, treffe ich nette Leute in Canada, kann es durchaus sein, dass ich dort für eine Weile hängen bleibe. Wo immer es mir gefällt, werde ich also meine Zelte aufschlagen.

Deshalb wird es eigentlich auch recht schwierig, vorbestimmte Routen einzuhalten.
Hier liegt der Reiz der ganzen Sache.
Ich habe mir zum Beispiel vor ein paar Tagen ausgedacht, nicht durch Russland nach Hause zu fahren. Stattdessen kehre ich von Japan in in die Staaten zurück und bleibe ein bis zwei Monate in Mexiko. Wann ich jedoch nach Japan fliege, ist recht unbestimmt.
Eventuell Ende August.

Mit niemandem möchte ich nach diesen erlebnisreichen zwei Monaten mehr tauschen. Ich finde mehr und mehr zu mir selbst, Resultat meines Entschlusses, allein loszufahren.

Apropos Geld:
noch immer bin ich stolzer Besitzer von ca. 933,45 Dollar, ich hoffe, es geht weiter so.

Für diese Woche wäre es mal wieder geschafft, lasst es euch gut gehen, grüßt mir die Welt, Karin, Bernd. Und das Übliche. Ach ja, behaltet eure Urlaubsstimmung für eine Weile, obwohl es ja mal wieder vorbei ist.

Tschüss H.

Ich denke, meine nächster Brief wird aus Canada kommen, bis dahin wird aber etwas Zeit verstreichen.
Sorgt euch also nicht. Ja, und wundert euch nicht über mein Deutsch.

Ich bin ein Amerikaner.

H.

 

Stinson Beach, 12. August 1972

Hallo Familie!

Heute nur ganz kurz das Neueste in Schlagzeilen.
Am 15. August, also Dienstag nächster Woche, fliegt euer Sohn für einen Monat nach Japan.
Von dort werdet ihr dann schon Näheres erfahren.

In den letzten Tagen haben wir (einige Leute, die ich kennenlernte) uns in Nordkalifornien rumgetrieben, nördlich von San Francisco also. Eine umwerfende Landschaft, Steilküste, Buchten, viele verschlafene Städtchen, die noch nach Wildem Westen riechen.

Das alles aber nur ganz kurz.
Der eigentliche Grund meines Briefes ist folgender: bitte bringt diese zwei Filme (beide Schwarz-Weiß) nach Sander oder Karstadt (Karstadt ist halb so teuer, also besser nach Karstadt), lasst sie entwickeln, und wenn ihr wollt, lasst Kontaktabzüge machen.
Auf ein paar Fotos müsste ich eigentlich drauf sein.

Ja, und wenn ihr mir schreiben wollt, schickt vorläufig (so lange ich in Japan bin - bis zum 12. September) alles an: H. M. 1942 Sutter Street, San Francisco/ California/ USA.

Das war's für heute ... H.

 

Tokio, 16. August 1972

Ein Flug dem Tag entgegen. Abflug in San Francisco am 14. August gegen 15:00 Uhr. Zwischenlandung in Anchorage/Alaska. Dann der Sprung nach Japan. Ankunft Japan 15. August 20:00 Uhr Tokio Zeit. Der Zeitunterschied zwischen Amerika und Japan beträgt 16 Stunden. Das heißt, in den nächsten Tag wird sich mein Organismus mal wieder völlig umstellen.

Im Flugzeug Leute kennengelernt. Pete und Kitsumi. Petes Bruder studiert in Tokio.
Also mal wieder Glück gehabt. Ich wohne irgendwo in einem Vorort von Tokio, heute werden wir wahrscheinlich ein bisschen durch Tokio ziehen. Aber Tokio ist zu groß, außerdem stinkt es hier wie im Ruhrpott.

In den nächsten Tagen geht es aufs Land. Ich habe außerdem noch eine Adresse in Osaka, dorthin werde ich also auch fahren. Trampen soll in Japan ausgezeichnet sein. Die Leute sind sehr freundlich.
Es ist alles wie ein Traum: Japan.
Ich kann es noch gar nicht fassen.

Bis bald, für heute ist es genug

Grüßt alle H.

 

Takamatsu, 20. August 1972

Hallo Familie!

Japan treibt mir den Schweiß auf die Stirn. Temperaturen um 35 Grad, dazu die hohe Luftfeuchtigkeit, es ist wie in der Sauna. Seit drei Tagen bin ich nun unterwegs und ich bin schlichtweg begeistert. Selbst an unmöglichen Auffahrten zur Autobahn ist das Trampen ein Kinderspiel. Es mag daran liegen, dass ich blond bin, keine Schlitzaugen habe, eben andels.

Wie auch immer, ich muss jetzt erst einmal erzählen, was bisher passiert ist: am ersten Tag bin ich gegen Mittag losgetrampt. Am Abend war ich 700 KM von Tokio entfernt. Ein LKW Fahrer gab mir einen Lift und lud mich zu sich ein. Obwohl er keinen Ton Englisch sprach, haben wir uns prächtig verstanden.

Wenn man in Japan eingeladen wird, vergisst man besser, dass man seine Zeche selbst bezahlt. Man ist Gast, also König. Alle Freunde meines LKW Fahrer habe mich gehörig bestaunt, mir Bier eingeschenkt, mir auf die Schulter geklopft, FamilienFotos von mir geschossen und mir dann noch ein Hemd als Gastgeschenk überreicht. Am nächsten Morgen haben sie mir dann eine Fahrkarte gekauft, damit ich zur Autobahn fahren konnte.

Gestern habe ich dann eine zweite Einladung bekommen. Wieder war es ein LKW Fahrer, der mich mit nach Hause genommen hat. Wieder kamen all seine Freunde. Gutes japanisches Essen. Danach sind wir in eines der typischen japanische Badehäuser gegangen. Dort scheint sich gegen Abend die gesamte Nachbarschaft zu treffen. Man seift sich ein, braust, springt in die Riesenwanne und fühlt sich pudelwohl.

Wenn man ein Haus betritt, bleiben die Schuhe draußen. Man sitzt auf der Erde, schlürft seinen Tee, isst mit Stäbchen, was - wenn ich es tue - bei den Japanern große Heiterkeit erregt, weil ich kaum etwas in den Mund kriege.

Zur Schlafenszeit wird der Tisch zusammen geklappt, werden die Matratzen aus dem Schrank geholt und auf den Boden gelegt. Fast alles spielt sich hier auf dem Boden ab. Recht gemütlich.

Meine Fähigkeit, mit den Händen zu sprechen, wächst von Tag zu Tag. Missverständnisse sind nicht zu vermeiden, so glaubt mein letzter Gastgeber, E. wäre meine Frau und ich hätte ein Kind. Ich konnte ihn nicht vom Gegenteil überzeugen und habe es dabei belassen. E. würde sich wundern.

Ich bin so voll von Eindrücken, dass ich es einfach nicht aufs Papier bringen kann.
Um es kurz zu sagen, bisher bin ich begeistert.

Später: Sonntagabend: Heute Nacht werde ich zum ersten Mal in einer Jugendherberge übernachten. Es hatte zu regnen angefangen und ich war todmüde. Stellt euch einen japanischen Garten vor, einen Tempel und ein japanisches Haus. Habt ihr's? - Das ist die Jugendherberge. Hoch über der Stadt, mitten im Wald, gleich nebenan ist ein Tempel.

Tradition und Fortschritt leben in Japan direkt nebeneinander. Kimono neben Minirock, Auto neben Träger usw. Ich weiß nix mehr. Heute Nacht werde ich pennen wie ein Toter.

Gute Nacht Sohn H. (handschriftlich: japanische Zeichen für Men-Sing)

 

Kirishima, 28. August 1972

Hallo Familie!

Die ersten Bilder aus Olympia flimmern über den Bildschirn und inzwischen habe ich Deutschland schon 3 Monate hinter mir gelassen. Durch Zufall habe ich vor ein paar Tagen einen Hamburger getroffen, mit dem ich jetzt durch die Gegend lifte. Trampen in Japan ist absolut!!! Andauernd wird man eingeladen, muss Bier trinken und Freundschaft mimen. Ganz lustig.

Tschüss H.

 

Gifu, 9. September 1972

Hallo Familie (u. Änne und und)

Ich habe eine Briefmarke gehabt, aber sie ist verloren gegangen. Ehrlich, aber Japan ist ziemlich auf meine Geldbörse gegangen. Deshalb, bezahlt mal schön. Mittlerweile bin ich auf dem Wege zurück nach Tokio. Ich habe in Kyoto einen Amerikaner getroffen, der ein Auto hat. Mit ihm werde ich bis nach Tokio fahren.
Etwas zur Karte: Kormoranfischen. Die Fischer haben abgerichtete Kormorane an Leinen, die für sie Fische fangen. Alles sehr romantisch. Mit Laternen und Feuer.

Wenn ich zurück in die Staaten komme, werde ich mich erst mal für 'ne Woche ausruhen. Ich kenne da so ein paar Typen in einem Dorf in der Nähe von San Francisco, die mich gerne aufnehmen. Dort werde ich dann entscheiden, wie es weitergeht.
Erst einmal ausruhen, nach 4 Wochen Tramperei.
Inzwischen werde ich wohl an die 2.500 KM in Japan zurückgelegt haben.
Ist schon so 'ne Sache. Grüßt mir die zivilisierte Welt.

Euer Weltreisender H.

 

Honolulu, 13. September 1972

Wir haben auf Hawai Abschied gefeiert.
Durch Zufall habe ich den Flug hierher bekommen und werden bis zum 17.9. hierbleiben. Dann geht es erst einmal nach San Francisco. Ich bin ganz schön betrunken. Nur so viel: Hawai ist ein Paradies. Strand. Palmen. Sonne. Einfach alles.

Ich fühle mich sauwohl (manchmal habe ich fürchterliches Heimweh)

Grüße an alle

Euer Sohn H.

 

Yosemite, 23. September 1972

Hallo!

Nur ganz kurz. Ich habe mich noch nicht entschieden, ob ich jetzt Geld brauche oder nicht. Erst einmal ein Wochenende in einem Nationalpark. Ihr könnt's ja sehen. Berge (sooooooo hoch) und alles. Und alle mögliche Tiere. Bären. Haustiere. Sonstige. Alles da.

Bis dann H.

 

Stinson Beach, 25. September 1972

Na dann! Hallo Familie + Änne + +

Gerade bin ich von einem Wochenendausflug in den Yosemite Nationalpark zurückgekehrt. Es ist einfach unbeschreiblich. Wirklich unberührte Natur, alle möglichen Biester laufen frei durch die Gegend: Bären, Stechmücken, Adler und so. Wir sind viel gewandert und haben die Bergsonne genossen.

Teufel, wenn ich so einen Blick in meinen Kalender werfe, bleiben mir in diesem Jahr nur noch ein paar Tage. Die werde ich aber genießen. Vielleicht ein paar Worte noch zu Honolulu? - Palmen, Sonne, glasklares Wasser.

Von dem Schweizer, den ich dort getroffen habe, habe ich doch schon erzählt, oder?
Also, Bruno heißt er, ist heute nach Denver/Colorado getrampt, um ein paar Freunde zu besuchen. Gegen Ende der Woche wird er nach San Francisco zurück kehren. Ich bleibe mittlerweile in Stinson Beach und ruhe mich aus. Nächste Woche Montag werden wir dann gemeinsam in Richtung Mexiko ziehen. Bruno hat so bis Mitte Dezember Zeit und fliegt dann zurück. Wie ich die Lage jetzt so überblicken kann, ist das auch so ungefähr mein Termin, an eine Rückreise zu denken (obwohl ich jetzt lieber noch nicht daran denke).

Vor ein paar Tagen habe ich Post von Michael aus New York bekommen. Ihm hat es in Europa so gut gefallen, dass er, sobald er ein bisschen Geld hat, rüberkommen will. Vielleicht ist es ganz interessant für euch, wenn ich euch meine Reiseroute für die nächsten Wochen schildere.

Natürlich immer ohne Gewähr.

Zunächst also einmal Mexiko, gen Süden die Westküste entlang, dann zur Ostküste rüber und wieder hoch Richtung USA. Vielleicht noch in Richtung karibische See, mal sehn. Anfang Dezember/Ende November werde ich Michael dann in Florida treffen, seine Eltern haben dort ein Haus. Dort bleiben wir vielleicht zwei Wochen und machen uns dann auf den Weg nach New York.

Folgendes: Mein Geld.
Wie ich die Lage so überblicke, werde ich wohl doch nicht mehr so ganz hinkommen. Jetzt passt gut auf. Soviel ich weiß, habe ich noch etwa an die 400 DM Steuern zu bekommen (von meinem Job bei Geveler, haben die eigentlich schon die Steuerkarte zurückgeschickt???). Rund sind das also 100 Dollar. Schickt also 100 Dollar an Michaels Adresse in New York. Als Postanweisung oder wie auch immer. Auf jeden Fall so, dass Michael das Geld auch annehmen kann. Ich rufe Michael heute noch an und bitte ihn, mir 100 Dollar hierher zu schicken, das dauert vielleicht zwei Tage. Ich bin sicher, dass er mir das Geld vorstreckt. Somit ist für euch alles einfacher und für mich geht es schneller.

Also, wiederholen: Geld an Michael, New York.
100 muntere Dollar.
Zur Sicherheit noch einmal Michaels Addresse:
Michael Scolnick, 5514 Whitty Lane, Brooklyn, New York 11203 USA

Soweit ist also alles klar? Klar! Denn man schöne Grüße.

Bis dann H.

 

Mazatlan, 9. Oktober 1972

Hallo!

Nach 48 Stunden mit dem Zug sind wir heute früh völlig geschlaucht hier eingetrudelt. Mittlerweile hat sich ein Engländer zu uns gesellt, also sind wir zu dritt. Bis Mexiko City sind es noch einmal 36 Stunden mit dem Zug. Mal sehn, vielleicht machen wir es noch bis Guatemala, Panama oder so. Es ist heiß. Was soll man schon sagen.

Ich habe viel Spaß.
H.

 

Mazatlan, 10. Oktober 1972

Dieser Brief wird euch sicher nicht so sehr gefallen, aber in den letzten zwei Tagen haben sich für mich völlig neue Perspektiven geöffnet. Wir haben einen Engländer getroffen, der uns ziemlich heiß auf eine neue Reiseroute gemacht hat, die, wenn wir sie auf die Beine bringen, ganz einfach fantastisch ist, dafür aber auch länger dauert.
Das würde also heißen, dass ich bis Weihnachten nicht zu Hause sein kann.
Wenn, sage ich, aber unsere Pläne sind inzwischen schon in ein so akutes Stadium getreten, dass wir schon morgen nach Mexiko City weiterziehen, dort einige Visa besorgen, um dann Richtung Südamerika zu starten.

Bruno, ein Schweizer aus Lugano
Jon, ein Engländer aus Manchester
ja, und ich, natürlich.

Wir haben gestern abend, als uns diese Idee kam, gleich alles durchkalkuliert, finanziell wird es keine Schwierigkeiten geben. Sollte ich wirklich blank sein, kann mir entweder Bruno der John aushelfen.

Übrigens, am letzten Freitag habe ich noch einmal in New York angerufen, das Geld war noch immer nicht da. Ich werde Michael schreiben, dass er, wenn es nicht überkommt, euch benachrichtigt.
Geht mal zur Post, klopft auf den Tisch und verlangt Aufklärung.

Ja, warum also kann ich mit meinem Geld auskommen?


1. die Lebenskosten hier unten sind sehr billig, so zahlen wir für unser Hotel (recht sauber) jeder 3 Mark pro Nacht.
2. wir werden mit Bussen reisen, die sehr, sehr billig sind. So haben wir für die Strecke von Tijuana (mexikanisch-amerikanische Grenze bis Mexiko City für den Zug (1. Klasse, 2. Klasse kann man nicht fahren, ist unmöglich, 25 Dollar bezahlt, für eine Entfernung von etwas mehr als 3000 Kilometern.) 3. ich brauche kein Geld für ein Rückflugticket zurückzulegen, da wir mit dem Schiff zurückkehren.

Mittlerweile seid ihr sicher gespannt, wie wir denn jetzt reisen wollen.

Also, von Mexiko geht es runter nach Lima/Peru.
Von dort quer durch Brasilien an die Ostküste, nach Recife.
Von Recife gehen Frachter nach Dakka/Senegal/Afrika für etwa 50 Dollar.
Wir haben jemanden gesprochen, der das im letzten Jahr gemacht hat.
Dann nach Marokko, Tunesien, Italien, nach Hause.
Die ganze Sache wird etwa (von jetzt an) 5 Monate dauern, das heißt, so Anfang März werde ich zurück sein.

Puuuh, ist das ein Plan!!!
Aber wir werden es schaffen, kein Problem.
Meldet mich also mittlerweile zur Schule an.
Und schreibt mir an folgende Adresse, am Besten per Express:

H. M.
c/o American Express Company
San Jose / Costa Rica

Wir sind dort in etwa 12 Tagen, sollte ich den Brief nicht bekommen, schreibt an:

H. M.
c/o American Express Company
Lima / Peru

Dort sind wir voraussichtlich in 4 - 5 Wochen, so Mitte November.

Tschüss, bis bald, macht euch keine Sorgen, wir sind ein gutes Team.

Grüßt alle Leute, I. und so... H.

 

Chapala, 14. Oktober 1972

Hallo Familie!

Chapala, in den Bergen. Etwa 2000 Kilometer von San Diego entfernt. Dazwischen liegt eine fast zweieinhalbtägige Reise mit dem Zug. Eine Zug mit Kindern, Hühnern, unglaublich viel Gepäck, und wir mittendrin. Das war schon ein Erlebnis. Alles mit viel Temperament, Gerede und Getöse.

Teufel!!!

Inzwischen ist die Landschaft tropisch. Man hat schon eine kleine Ahnung, wie die Dschungel weiter im Süden aussehen werden. Einfach fantastisch. Wir genießen jede Sekunde (wenn man davon absieht, dass man den mexikanischen Mädchen nur nachschauen kann). Und langweilen uns von Zeit zu Zeit.

Und noch immer ist es etwa eine Tagesreise bis Mexiko City. Die letzte große Stadt vor unserem Start in den Süden. Wir reisen mit Bussen, Zügen, vielleicht später auch mit Eseln, wer weiß. All die Geschichten von Südamerika lassen uns kalt. Wir haben inzwischen schon so viele Typen getroffen, die aus Südamerika zurück kehrten und absolut begeistert waren. Wir sind voll Optimismus. Obwohl mir die Entscheidung, Weihnachten irgendwo im Süden zu verbringen, verflucht schwer gefallen ist. Aber ich weiß, dass ihr mich versteht. Schließlich ist dies vielleicht meine letzte Chance, dorthin zu kommen. Natürlich ist es ein Abenteuer. Aber das macht die ganze Sache ja so interessant.

Ihr glaubt nicht, wie viele Typen wir täglich treffen, die auf dem Weg in den Süden sind. Manche haben abenteuerliche Sachen vor, manche habe sogar noch weniger Geld als ich.

Ich weiß noch nicht, wie ich alles finanzieren soll. Aber John und Bruno können mir aushelfen, wenn es mit mir zuende geht. Seht mal auf meiner Steuerkarte nach, wieviel Geld ich im nächsten Jahr zurückbekommen werde und schreibt mir, wieviel es ist. Irgendwann werde ich es brauchen. Und macht euch keine Sorgen.Wir sind ein gutes Team und halten zusammen.

Ich ertappe mich oft dabei, von Südamerika zu träumen. Gutes Wetter, freundliche Menschen. Hier unten sieht man, was wir (die Reichen dieser Welt) angerichtet haben. Unglaubliche Armut, an jeder Ecke begegnet sie uns. Und Mexiko ist erst der Anfang. Besorgt euch mal eine gute Karte, dann könnt ihr unsere Reise verfolgen.

Wir leben in billigen Hotels. Etwa 3 Mark die Nacht. Manchmal laufen Eidechsen an der Wand lang, aber die beißen nicht. Heute habe ich die erste Wasserschlange gesehen: klein, schwarz und ungeheuer schnell. Das war, bevor ich Schwimmen gehen wollte. Danach habe ich mich nicht mehr ins Wasser getraut.

Puuuuhhh!

Ich kann mir kaum vorstellen, dass bei euch inzwischen die kalten Herbstwinde blasen. Ich habe seit 5 Monaten ununterbrochen Sommer. Und was für einen. 30 Grad ist nichts, damit fangen wir früh am Morgen an.

Ich habe Karin einen Brief geschrieben. Vielleicht hat die ein paar Mark für mich übrig. Irgendwann werde ich dann schon was von mir hören lassen.

Wenn sich mein Tonband verkaufen lässt, verkauft es. Aber es muss schon 250 Mark bringen. Nicht weniger. Wenn ich euch noch mal um Geld bitten muss, dann versteht das bitte nicht falsch. Ich leihe es mir und zahle es zurück. Aber bisher habe ich noch genug. Also kein Problem. Um eines muss ich euch aber jetzt schon bitten. Schreibt mir bitte an die Adressen, die ich euch früher oder später geben werde. In Südamerika ist es schon ganz schön, mal was von zu Hause zu hören. Unser Vater hält sich in Briefen immer so dezent zurück. Der kann auch ruhig mal was schreiben ...

Ihr denkt jetzt natürlich, siehste, unser Sohn hat Heimweh. Hat er auch, natürlich, aber gleichzeitig ist diese Reise das Beste, was ich jemals auf die Beine gestellt habe. Und es bleibt sicher nicht meine letzte. Ferne Länder, interessante Menschen, jeden Tag etwas Neues.

Wir sind eine Riesenfamilie. Alle, die unterwegs sind. Wo immer wir uns treffen, tauschen wir Erfahrungen aus, klönen ein bisschen und freuen uns, dass wir das alles erleben können. Und es gibt nur eine Straße nach Südamerika - die Panamericana. Früher oder später werden wir dieselben Typen wiedersehen, Hallo sagen, weiter ziehen, bis zum nächsten Zusammentreffen.

Geld ist nicht die Welt für uns. Wir haben Besseres. Wir haben Freude und Freunde.

Leute, es ist schade, dass ihr nie die Möglichkeit hattet, solche Reisen zu machen. Für euch ist Südamerika irgendwo am Ende der Welt, für mich ist es noch etwa 3 bis 4 Wochen entfernt. Der Amazonas, die Anden, alle das. Wenn alles so klappt, wie wir es uns vorstellen, werden wir auf oder entlang des Amazonas reisen. Fantastisch.

Ich glaube es kaum. Manchmal wache ich am Morgen auf und sehe mich um, um festzustellen, ob ich nicht vielleicht alles geträumt habe. Aber nix. Ich bin hier, so lang ich mir auch in den Hintern kneife.

Ich bin hier und ich genieße es.

Hier ist Mexiko spielt anscheinend jeder ein Instrument. Überall laufen Senores mit Gitarren durch die Gegend, alles singt. Die Menschen hier haben zwar weniger Geld, sie sind dafür aber glücklicher als wir. Sie nehmen alles leicht, alles mit guter Laune.

Wir werden auf unserer Reise sicher viel erleben, und ich freue mich darauf, euch alles berichten zu können, wenn ich zurück bin. Wann? Besser keine Voraussagen, sicher aber zum Studienbeginn im April.

Schreibt mir, wie meine letzten Dias ausgefallen sind; wenn ihr Kontaktabzüge von irgendeinem meiner Schwarz-Weiß-Filme habt, schickt sie mir. Ich kann es kaum erwarten, meine Fotos zu sehen.

Für euch ist es ja eine dufte Sache, ihr könnte anhand meiner Filme gut verfolgen, was ich so alles anstelle.

Na ja, für heute dürfte das genügen. Grüßt euch alle, mir geht's gut. Ja, sagt I., dass ich irgendwann in den nächsten Tagen mal schreiben werde. Es ist einfach zu heiß, um geistige Heldentaten zu vollbringen.

Tschüss H.

 

Puerto Escondido, 25. Oktober 1972

Hallo Familie!

Ihr seht, wie sparsam ich geworden bin. Jetzt gebrauche ich schon altes Briefpapier. Inzwischen ist aber schon wieder so viel geschehen, dass eine Karte ganz einfach nicht genügen würden. Guadalajara, das ist jetzt schon wieder 10 Tage zurück. Mittlerweile waren wir einige Tage in Mexiko City (groß,schmutzig, teuer), sind dann in den Millionärsbadeort Acapulco übergesiedelt, um dann, von der großen Welt endgültig enttäuscht, hier in Puerto Escondido zu landen.

Zu Orientierung: wenn ihr auf der Karte etwa 450 KM südlich von Acapulco einen Ort namens Puerto Escondido findet, dort sind wir. Hier haben wir das gefunden, was wir uns erträumt hatten. Einsamen Strand, Palmen, die Möglichkeit, nach all den Hotels mal wieder ein paar Tage unter freiem Himmel zu schlafen.
Ein Wort: paradiesische Zustände (leider hat's auch hier keine Evas).

Aber der Trip von Acapulco hier herunter war schon etwas außergewöhnlich. Man hatte uns am Bus-Terminal gesagt, wir könnten einen Bus bis Rio Verde nehmen, von dort würde uns dann eine Fähre übersetzen (keine Brücke), am gegenüberliegenden Ufer sei dann der Anschlussbus bereit.

Wir kommen also gegen 20 Uhr gestern Abend in eine völlig unbewohnte Gegend und wundern uns, dass der Bus in einen undefinierbaren Feldweg einbiegt. Großes Gerumpel, der Bus steht. "Endstation", sagt jemand, und uns klappt vor Freude der Kiefer herunter. Wir steigen aus, vorsichtig, man weiß ja nie. Einige Meter vor uns, der besagte Rio Verde, so breit wie die Weser, ganz schöne Strömung. Wir beschließen, dass wir nicht rüberschwimmen wollen. Bruno hat nur den Freischwimmer, das ist zu wenig. Rings um uns hört es sich nach Urwald an. Wir atmen tief durch und bereiten uns auf unsere erste Nacht in denTropen vor (und die Nächte sind heiß hier, sehr heiß). Leider nur von der Temperatur her. Von Ferne sehen wir ein Feuer. Also, Rucksäcke auf und Urwald Marsch. Es stellt sich heraus, dass unser Feuer zu einem Fährhaus gehört.
Fährhaus = Palmhütte, Hängematten, drei Fährleute, die sich die Zeit vertreiben.

Ja, ja, sagen sie, hier ist die Fähre, aber warum heute noch rüberfahren, es gibt drüben so oder so keine Busse mehr. Schlafen wir also beim Fährhaus. Draußen. Eine herrliche Nacht. Sternenklar. Weit und breit Ruhe, so laut, dass man sie schon fast hören kann. Ach ja, bis auf das Kofferradio, das die Fährleute anlassen, damit sie besser wach bleiben können. Aber das war nicht schlimm, die ganze Nacht mexikanische Liebeslieder, etwa 483 von abends 10 bis früh um 6, so viel dass man sich Brote voll Schmalz schmieren könnte. In anderen Worten: ich habe kein Auge zugekniffen.

Die erste Fähre am Morgen hat uns dann übergesetzt. Jetzt wird wir hier. Es ist einmalig. Mensch Leute! Hab ich's gut. Und unsere Truppe ist gut zusammengewachsen, Jon, der Engländer, Bruno, der Schweizer, ja ....

Inzwischen haben wir sichere Informationen, dass eine Reise durch das Amazonagebiet durchaus möglich ist. Manaus, eine Stadt am Amazonas, ich denke, sie ist auf der Karte zu finden. Bis dorthin kommt man mit Bussen und Zügen. Dann wird es auf ein Schiff gehen, den ganzen Amazonas hinunter. Südlich der Mündung liegt dann Recife, von wo wir ein Schiff Richtung Afrika buchen wollen.

Ist das ein Trip, oder ja!!!

Nur mit dem Geld wird es schwierig. Bitte, früher oder später brauche ich etwas. Wenn ich im Frühjahr zurück bin, arbeite ich. Also schreibt mir, wieviel ihr (ohne Probleme, vielleicht kann ich es von Tante Änne leihen) loseisen könnt. Ich will kein Geschenk, ich will ein Darlehen (und wenn ihr es auf meinen Namen aufnehmt).
Schreibt mir an H. Mensing c/o American Express, San Jose, Costa Rica.
Wenn wir so weiter reisen, sind wir in gut zwei oder drei Wochen dort unten.
Von dort werde ich dann mit euch ausmachen, wie ihr mir Geld schicken könnt.
Und wieviel könnt ihr loseisen, fragt Karin, vielleicht leiht sie mir was.

Aber jetzt beiseite mit diesem Kapitel, ihr wisst ja, über Geld redet man nicht ... ich sehe schon usse Tante Änne, kopfschütteltnd, tssst, tsssst, tsssst, in sich hineinbrummend.

Nur eines: diese Reise ist das Beste, was mir jemals eingefallen ist und ich wäre in der Lage, noch ein paar Jahre durch die Welt zu ziehen. Ich bin jung. Meine Chance, vielleicht die letzte. Versteht das, bitte. Manchmal glaube ich, ich bin ein viel zu guter Sohn. Ich habe viele Leute getroffen, die mit ihren Eltern nur alle 2 Monate korrespondieren. Aber da haben wir es besser, ich mag euch (trotz Vaters Launen, lange Haare, zu laute Musik, trotz Muttis Aufräumtick, keine jungen Mädchen nach 22 Uhr).

Dafür fordere ich dann Verständnis.
Ach ja, und dieses Mal auch ein wenig Geld.
Wie ist mit meinem Tonband? Wieviel Steuern bekomme ich zurück?

Ich schulde euch also mittlerweile 100 Dollar, die ja durch meine Steuern gedeckt sein dürften. Wieviel brauche ich? Setzt euch hin, aber ich denke, 300 Dollar reichen. Fallt nicht gleich auf die Nase, dafür arbeite ich einen Monat auf dem Bau und die Sache ist geritzt. Schreibt mir, ob er Betrag möglich ist (ich werde schon fast rot). Das sind fast 1000 Deutsche Märker. Versucht mal rauszukriegen, ob irgendeine deutsche Bank oder so Verbindungen zu Banken in Lima/Peru hat. Und schreibt es mir nach Costa Rica. Wenn ich dort bin werde ich dann entscheiden, wie wir es am Besten machen. Ich muss mal zu irgendeiner Deutschen Botschaft, auskundschaften....

Kein Wort mehr vom Geld.

Mexiko, in der dritten Woche.
Jetzt kann ich es auch ja erzählen, dass ich gleich am zweiten Tag im Zug von 4 bewaffneten Soldaten verhaftet worden bin. War aber dann doch wohl nur ein Missverständnis. Nach 4 Stunden Bahnfahrt, umringt von grimmig lächelnden Soldaten, war ich wieder frei. Und froh, wusste ich doch nicht einmal ganz genau, worum es ging.

Das war also meine Einführung in mexikanische Sitten und Gebräuche. Seither grüße ich alle Uniformen, die mir über den Weg laufen. Und sei es der Parkwächter, man weiß ja nie. Mexikanische Uniformträger haben für mich immer ein zu ernstes Gesicht, außerdem tragen sie riesige Revolver. Irgendwann hat die mexikanische Polizei sicher die Restbestände an Cowboy Revolvern aus Hollywood aufgekauft. Abenteuerlich sehen sie aus.

Aber die Mexikaner an sich sind vergnügliche Leute. Fast so freundlich wie die Japaner. Sie haben nur einen Fehler, sie halten uns für Dollar-reiche-Amerikaner und versuchen, uns dementsprechend zu bescheißen. Aber ganz ehrlich, amerikanische Touristen sind etwas Besonderes, die würde ich auch bescheißen.

Da hinten stehen unsere Rucksäcke. Jon und Bruno hat der Schlaf übermannt. Ich sitze unter Kokosnusspalmen, stets auf dem Sprung, man weiß ja nie, wann Kokosnüsse reif sind.

Aprospos reif: ich bin so reif, dass ich fast vom Baum falle.
Bin gespannt, ob ihr das versteht, sonst fragt Karin. Kleiner Scherz meinerseits.

Ich war also bei den Palmen, unter denen ich sitze. Ach ja, unsere Nächte in Acapulco. Wie waren die, werdet ihr mit Recht fragen? Also: ein Papagei wohnte gleich nebenan auf einer Palme. Fünf Meter von unserem Fenster entfernt. Oder er wohnte im Käfig. Ist ja auch egal.

Am ersten Morgen in Acapulco, etwa 5 Uhr früh: draußer erhebt sich ein fürchterlicher Lärm, erst glauben wir, alle Hunde seien auf einem Protestmarsch. Dann hört es sich an, als ob Katzen kämpfen, dann Kinder, Vögel. Wir sind stocksauer. Unser Papagei trainiert scheinbar für seinen nächsten Auftritt. Wahnsinn, unsere alte Dora im Stadtpark ist nichts dagegen.

Ein letztes Wort zum Mittwoch, um euch den Rest zu geben:
es ist 30 Grad um 8 Uhr früh.
Also 35-38 Grad um 12 Uhr mittag.
Also auf jeden Fall zu heiß, jetzt noch weiter zu schreiben.

Also, in Liebe Hermann The German (sagt Jon immer) hauptberuflich: Reisender.

Tschüss, bis dann...

 

Oaxaca, 31. Oktober 1972

Eigentlich gibt es nicht sehr viel Neues zu berichten. Oxaca ist unsere letzte Station in Mexiko, von hier sind es noch etwa 700 Kilometer bis Guatemala. Wir haben ein billiges Hotel gefunden und bleiben etwa zwei Tage. Bis zum Wochenende müssen wir aus Mexiko raus sein, unsere Visas laufen ab. Zentralamerika hoffen wir in recht kurzer Zeit zu durchqueren, um dann um Weihnachten oder so in Peru zu sein. Mittlerweile haben wir eine Menge Leute getroffen, die aus Südamerika zurückkehren. Alle waren begeistert. Ich hoffe, bei meiner Ankunft in Costa Rica Post von euch zu haben.

Tschüss H.

 

Malacatan, 3. November 1972

Hallo Familie!

Wenn ich nicht so saumäßig faul wäre, könnte ich euch Romane schreiben. Aber ich habe meine Gründe. Besser: einen einzigen Grund. Die unbeschreibliche Hitze. Früh um 9 Uhr ist es 35 Grad im Schatten, malt euch aus, wie es gegen Mittag aussieht. Fiesta, den ganz Tag nichts als Fiesta.

Heute sind wir in Guatemala angekommen. Nach wiederum ca. 12 stündiger Busfahrt. Unterwegs die üblichen Geschichten. Mit euren Haaren kommt ihr nie nach Guatemala!!! Also, die Vorbereitungen zur Einreise: Eine Schachtel Zigaretten zum Anbieten, unsere letzten sauberen Sachen nach 4 Wochen Mexiko, unser berühmt berüchtigtes Lächeln. Ach ja, fast hätte ich es vergesen: unsere Haare, fein säuberlich zurückgekämmt, damit man auch ja meine Geheimratsecken und somit meine guten Absichten sieht. Das alles zusammengebunden, zu einem mittlerweile auf sieben Zentimeter angewachsenen Pferdeschwanz. Dann unsere Rucksäcke geschultert und mutig auf die Grenzposten zu.

Adé Mexiko, hallo Guatemala.
Hier sieht man mal wieder, wie blödsinnig Grenzen sind.
Mitten im Urwald, hüben und drüben die gleiche Sprache, die gleichen Menschen.
Dann der Aufwand. Stellt euch ruhig einen netten kleinen Urwald vor. Mittendurch führt eine recht gute Straße, die besagte Pan Americana. Zollgebäude schön und eindrucksvoll. Und viel Militär auf beiden Seiten.
Man scheint sich zu lieben in diesen Breitengraden.

Na ja, wir bekommen ohne Schwierigkeiten unsere Stempel in den Ausweis gedrückt, alle sind freundlich. Dann noch kurz das Gepäck, kein Haschisch nicht, nur Pillen gegen Dünnschiss. Durch und drin. Da hinten wartet schon unser 2. Klasse Bus in Richtung Dschungel.

Wir hoppen rein, kommen mit unseren Rucksäcken aber nicht durch die Tür, zum Spaß aller anwesenden Indianer. Und die gibt es hier in vielfältiger Ausführung. Man giggelt in sich hinein und wundert sich, wie es drei Gringos wohl geschafft haben, in diese entlegene Gegend zu kommen. Wir wundern uns mit und die Stimmung erreicht den Höhepunkt.

Links und rechts tauchen Strohhütten auf, wir sehen Kaffee, der in der Sonne röstet, Frauen, die ihre Lasten auf dem Kopf tragen, Männer, die mit gefährlich aussehenden Buschmessern durch die Gegend laufen. Manche tragen gar einen Revolver am Gurt.

Nun ja, andere Länder, andere Sitten.

Mittlerweile nimmt unser Dorf Gestalt an, der Urwald bleibt einen Steinwurf zurück, und siehe da, es gibt gar ein "Hotel". Jeder zahlt 1,50 Mark pro Nacht, wir haben eine Dusche (da hinten links), zwei Betten, die wir zu dritt beschlafen, bewohnen, oder wie immer ihr das nennt.

Ein nettes kleines Dorf, nur einige Kilometer von der mexikanischen Grenze entfernt, mitten im Urwald. Ringsherum ganz schön hohe Berge, ungefähr sooooo hoch.
Jetzt könnt ihr es euch sicher vorstellen, was? -
Was gibt es in so 'nem Urwald alles?
Bananen, Papayas, Avocados, Mangos. Ganz schön fruchtig, sag ich euch.

Ich denke doch, dass man meinem Brief ein gehöriges Maß an Begeisterung entnehmen kann. Und ich bin begeistert. Manchmal fühle ich mich wie Karl May. Ein Schuss, ein Schrei...

Ich kenne mich inzwischen in der spanischen Sprache schon ein wenig aus.
So rufe ich immer wieder sprachloses Erstaunen hervor, wenn ich auf fließend Ausländisch nach Sauerkraut mit Eisbein, Pommes Frites mit Bratwurst, Weiße Bohnen mit Frikadellen oder Kartoffelbrei mit .... frage.

Meistens langt es dann doch nur zum spanischen Nationalgericht, immer sind schwarze Bohnen dabei, die wie Scheiße aussehen, aber nicht so schmecken.

Aprospos, in den letzten Tage habe ich Stunden auf Toiletten verbringen müssen.
Ihr wisst schon, Dünn....
Aber das geht vorbei. Drei vier Pillen, die wirken wie ein Flaschenkork im ...

Ha, das (nein) das wär's.

Vielleicht braucht der Brief von hier ein wenig lang, ich sehe andauernd Brieftauben, da, schon wieder eine. Sah recht müde aus, armes Tier, kam vielleicht aus Deutschland.

Tschüsss euer Sohn H.

Briefe immer noch nach San José, Costa Rica.

 

Leon, 13. November 1972

Hallo Familie,

den letzten Brief von mir habt ihr aus Guatemala bekommen. Wir haben die letzten drei Tage in Nicaragua mit zwei Amerikanern verbracht, die uns eingeladen hatten. Das war genau, was wir brauchten. Morgen früh geht es nach San José, Costa Rica, wie es dann weitergeht, werden wir sehen. Ich hoffe, eueren Brief morgen in San Jose zu bekommen. Haben heute den ersten Nikolaus gesehen. Bei dieser Hitze vergisst man, dass bald Weihnachten ist.

Grüße H.

 

San Jose, 15. November 1972

Hallo Familie,

gestern sind wir hier eingetrudelt. Habe alle eure Briefe erhalten. Selbst Schwesterchen hat mir einen netten Brief geschrieben. Ich will jetzt nicht in die Einzelheiten gehen, aber so weit ich voraussehen kann, werden wir morgen einen Bus nach Panama nehmen, von dort fliegen wir nach Medellin in Kolumbien.

Es wird jetzt langsam ernst. Unsere nächste Adresse lautet also: American Expres Company. Lima Tours S.A. Ocana 160. P.O.Box 4340. Lima/Peru. Genaues werde ich euch in den nächsten Tagen mitteilen, unsere Bank in Lima ist wahrscheinlich die First National City Bank. Wie gesagt, ein Brief folgt in ein oder zwei Tagen.

H.

 

San Jose, 15. November 1972

Hallo Familie!

Meine Karte habt ihr dann wahrscheinlich heute auch bekommen. Jetzt also ein kurzer Lagebericht. Wir sind heute den ganzen Tag damit beschäftig gewesen, herauszufinden, wie wir am Besten nach Panama gelangen, wie es von dort weitergeht und so weiter u.s.w.

Heute Abend um 19:00 Uhr geht unser Bus. 22 Stunden bis nach Panama, etwa 10 Dollar. Morgen gegen Abend werden wir hoffentlich in Panama City sein. In den nächsten Tagen hoffen wir dann, Kolumbien zu erreichen.

Wir leisten im Moment schon wahre Generalstabsarbeit, planen und planen, bis uns die Köpfe rauchen. Aber für Südamerika muss man das schon auf sich nehmen. Wenn unsere Vorwärs-Rückwärts-Kalkulationen einigermaßen stimmen, müssten wir mit dem Geld auskommen, d. h. inklusive der 300 Dollar, die ihr mir leihen wollt.

Zuerst einmal etwas zu Schule. Soweit ich sehen kann, werde ich wahrscheinlich vor Ende März nicht zurück sein, das hieße, den Studienbeginn auf den Herbst 1973 zu verlegen. Ich glaube, das wird das Beste sein. Wenn ich zurückkomme, brauche ich ein wenig Zeit, mich einzugewöhnen. Dann muss ich ja auch noch ein paar Monate irgendwo arbeiten, um euch das Geld zurück zu zahlen, Geld für das Studium zu bekomen und was sonst noch so anliegt.

Wie gesagt, wartet erst noch einmal mit der Anmeldung, bis ich ungefähr abschätzen kann, wann ich zurück bin. Dann das nächste Problem. Die beste Möglichkeit, mir Geld nach Lima zu überweisen, wäre, es an folgende Adresse zu schicken: American Express Company. Lima Tours S.A. Ocana 160 Post Office Box 4340 Lima/Peru.

Ihr geht am Besten zu Deutschen Bank, zahlt 300 Dollar ein und gebt die Anweisung, das Geld in Dollar (also nicht in D-Mark) auszuzahlen, wenn möglich in Traveller Schecks. Der American Expres wird am einfachsten zu erreichen sein, unser Schweizer lässt sich sein Geld auch dorthin überweisen. Also, American Express. Wenn das nicht klappt, aber nur dann, überweist es an First National City Banc Peru. Lima/Peru.

Benachrichtigt mich, wenn ihr an diese Bank überweisen müsst.
Ich denke, es wird das Beste sein, den nächsten Brief nach Lima zu senden, das sind noch gut 5 Wochen von hier.

!!!Hab Dank, Vater, dass du dich auch einmal zu einem Brief aufgerafft hast, ich wusste gar nicht, dass du ein solches Schreibtalent hast. Und dann noch, während du nebenbei den Haushalt besorgen musstest. Stramme Leistung. So nebenbei erfahre ich dann auch noch, dass du dein 40jähriges Betriebsjubiläum gehabt hast. Wenn ich mir so überlege, dass du dir für so einen Haufen Halbidioten den Buckel krumm gearbeitet hast, man sollte diese Armleuchter auf den Mond schießen. Jedenfall meine besten Glückwünsche, altes Haus!!!

Jetzt kommt der vergnügliche Teil des Abends.

Wo also isst man Schildkröteneier, wo schließt man die Augen, wenn man mit gemischten Gefühlen eine lebendige Muschel ausschlüft, wo gibt es Vulkane, die von Zeit zu Zeit Feuer spucken, und wo gibt es Länder, die alle drei Wochen zur Revolution blasen?
Hier. In Central Amerika, sprich: in Guatemala, El Salvador, Hondura, Nicaragua, Costa Rica.

Es ist ein Erlebnis, durch diese Länder zu reisen.
Vor etwa einer Woche, wir waren in El Salvador, beschlossen wir, ein paar Tage irgendwo an der Küste auszuruhen, unsere Bräune mal wieder aufzufrischen, faul zu sein. Wir kramen also unsere Karte heraus, suchen einen kleinen Ort an der Küste und machten uns auf den Weg.

Irgendwo sagt der Busfahrer plötzlich etwas von "und hier rechts, etwa fünf Kilometer", lässt uns raus und da stehen wir. Mittendrin. Ein staubiger Feldweg weis Richtung Küste. Fünf Kilometer laufen? Bei der Hitze? Mit Rucksack? Aber wir haben Glück. Ein LKW kommt vorbei, nimmt uns mit. Dummerweise hat er Fässer geladen, die einmal Fische enthielten. Wir stehen wie drei römische Gladiatoren bis zum Buach in je einem Fass, unter unseren Füßen ein paar alte Fische. Links und rechts des Weges Strohhütten, Schweine, Hühner, nackte Kinder, Frauen, die ihre Wäsche in irgendeiner Pfütze waschen.
Wir werden ein wenig unruhig, haben wir doch bisher noch keine Coca Cola Reklame ( Zeichen der Zivilisation) ausmachen können. Neben einer Staubwolke verfolgt uns eine Schar johlender Kinder. Selbst den Erwachsenen fällt bei unserem Anblick die Kinnlade herunter.
Dann taucht das erste Coca-Cola Zeichen auf und wir sind beruhigt.

Wir steigen vom LKW und sind in Sekunden von Kindern umringt. So etwas hat man hier noch nicht gesehen. Vor allem vor mir scheinen sie sich ein wenig zu gruseln, blondes Haar, blaue Augen, Bart. Im Triumphzug leiten sie uns zum einzigen Hotel im Ort. Hm - Hotel? Wir öffnen unser Fenst und vier schwarze Gesichter tauchen auf. Dann zehn. Dann höre wir auf zu zählen. Das geht eine Weile so weiter, wir gewöhnen uns daran.

Unser erster Gang durchs Dorf wird zum Karnevalsumzug. Jeder starrt uns an, wie vom Himmel gefallen. Aber die Menschen sind nett, man lädt uns zum Bier ein, redet und redet. Wir sagen, nein, wir sind keine Gringos (Spitz- oder Schimpfnamefür Amerikaner), England, Schweiz, Deutschland. Aber wer weiß schon, wo das ist. Europa, ja, davon hat man gehört.

Wir haben Spaß wie nie. Nach Einbruch der Dunkelheit beginnen wir, die Motten in unserem Zimmer zu erschlagen, die sind fast so groß wie Spatzen. Im Ernst. Das war nur eine Episode. Ähnliches erleben wir Tag für Tag.

Gestern haben wir seit langer Zeit mal wieder ein paar Reisende unseres Schlages getroffen. Sie kommen aus der ganzen Welt. Ihr glaubt nicht, wie viele junge Leute hier so unterwegs sind. Und man trifft sich immer wieder, früher oder später, es gibt ja nur eine Straße Richtung Süden.
Wir haben von zwei Deutschen gehört, die irgendwo in dieser Gegend mit dem Fahrrad unterwegs sind. Vor zwei Jahren haben sie Deutschland verlassen. Da ist unser Abenteuer schon fast kein Abenteuer mehr, eher eine Vergnügungsreise.

Central Amerika, besonders aber Nicaragua und Costa Rica, erinnern landschaftlich sehr an die Schweiz.
Tausend Berge, ab und zu ein See. In Nicaragua gibt es einen See mit Haifischen.
Der einzige in der Welt.

Selbst die Geschäfte hier beginnen so langsam mit der Weihnachtsdekoration. Irre, sie haben Tannenbäume, Schnee, Winterlandschaften. Bei 35 Grad im Schatten. Weihnachten im Schnee ist selbst hier unten attraktiv. Komisch.

Ich habe mir heute ein Paar Schuhe kaufen müssen, meine waren hinüber.
21 DM, sehr gute Wanderschuhe, habe schon dicke Blasen an den Hacken. Aber das wird sich geben, Toi toi toi. Mein Reisepass hat sich inzwischen zu einem kunterbunten Stempel-Sammelsurium verwandelt. Je kleiner das Land, desto größer der Stempel.

Mit unseren Haaren sind wir hier unten sehr vorsichtig. Wann immer wir es mit einer Behörde zu tun haben, binden wir uns den berühmten Mozart-Zopf, den verstecken wir dann unterm Kragen. Man kann diesen Leuten hier nicht so ganz trauen, vielleicht haben sie eine Schere irgendwo, ja, so ist's.

Für heute habe ich die Nase voll. Seid gegrüßt.

PS. Meine Briefe werden aus dieser Gegend wahrscheinlich ein wenig länger unterwegs sein, aber kommt er heute nicht, kommt er morgen.

Tschüss Leute.

Grüßt mir Tante Änne, ab und zu muss ich das mal wieder sagen, alle Briefe an euch sind auch für usse Änne, die gehört ja mit zum Clan. Wenn ihr Kontaktabzüge von meinem Schwarz-Weiß-Filmen habt, schickt mir mal einen. Wenn ihr mir ein Paket Van Nelle oder Drum - Halfzware Shag met vloie. Aber nur, wenn's nicht zu teuer ist.

Also, Sohn bleibt Sohn H.

 

Panama City, 18. November 1972

Hallo!

Nur ganz kurz: in gut zwei Stunden geht unser Flugzeug nach Kolumbien.
Die letzten Tage waren recht hektisch, andauernd zu Botschaften, dann Fahrkarten kaufen, und, und und. Es war ein bisschen zu viel. Aber in Kolumbien werden wir unsere Bräune erst mal wieder auffrischen.

Grüsse H.

 

Medellin, 20. November 1972

Hallo!

Endlich in Südamerika. Wir kommen unserem Ziel immer näher.
In den letzten Tagen haben wir eine ganze Reihe Reisende getroffen, die, wie wir, in Richtung Süden unterwegs sind. Irgendwo in Peru feiern wir nun eine Riesenweihnachtsfete. Das heißt, wenn wir uns wiedersehen. Zu diesem Zweck haben wir ein paar Orte ausgemacht, an denen wir Nachrichten hinterlegen können.

Unser Flug von Panama nach Kolumbien war schon etwas Besonderes. Ich habe ein paar gute Fotos vom Flugzeug aus geschossen. Unter uns Dschungel, Flüsse, Sümpfe. Glücklicherweise keine Notlandung. Hier unten weiß man nie so recht. Ich hoffe, in gut einem Monat in Lima zu sein. Dort entscheide ich dann alles weitere.

Ach ja, bin gesund wie ein Fisch H.

 

Popayan, 26. November 1972

Hallo Familie,

Südamerika hat uns einen herzlichen Empfang bereitet. Seit etwa drei Tagen reisen wir mit Haustieren.
Besser: Tierchen. Noch besser: Bettflöhe. Recht, recht, aber bei den Hotels hier unten bleibt das wohl nicht aus. Aber wir sind ja nicht wehr- und schutzlos, wir kämpfen bis auf den letzten Floh, mit all den Mitteln, die nur den Herstellern helfen. Der Sieg wird letztlich unser sein, wenn wir auch bis dahin zerkratzt sind.

In den letzten Tagen wir wir in einem kleinen Indianerdorf in den Anden (3000 Meter hoch) gewohnt. Dort oben ist es trotz Äquatornähe recht kühl, es herrscht so etwas wie ewiger Herbst.
Es war sehr interessant, die Indios sind einfache, sehr freundliche Menschen.

Im Gegensatz zu den von Spaniern abstammenden Weißen.
Die sind teilweise recht arrogant, vor allem den Indios gegenüber.
Es ist eine Affenschande, die ursprünglichen Besitzer all dieser Länder, die Indianer, sind mehr oder weniger rechtlos, die Kolonialherren, die Spanier, scheißen auf alle.

Wir haben den Indios zugeschaut wie sie weben, wie sie die Felder bestellen, wie sie leben.
Morgen werden wir einen Bus zur kolumbianisch/ecuadorianischen Grenze nehmen, Dienstag oder Mittwoch werden wir dann wohl in Ecuador sein.
Immer näher rücken wir also Lima.

Wenn es euch möglich ist, schickt mir bitte die Kontaktabzüge von meinen bisher entwickelten Schwarz-Weiß-Filmen, falls ihr welche habt. Ich weiß nicht, ob ihr so eine ungefähre Vorstellung von den Ländern habt, durch die wir bisher gezogen sind.
Zur Erleichterung lege ich mal eine kleine Karte bei, von Central-Amerika.
Ich hatte mir diese Lände eigentlich ganz anders vorgestellt. Viel Urwald, keine Straßen, kurz: ziemlich wild. Tatsächlich aber sehen weite Teile Central Amerikas sehr europäisch aus, etwa wie die Schweiz oder Süddeutschland.
Natürlich muss man sich die Palmen wegdenken, die Bananen und die ganzen tropischen Früchte.

Gestern haben wir in einem Indianerdorf einen schweizerischen Missionar getroffen. Er lebt seit 18 Jahren dort oben und war offensichtlich froh, mal wieder Deutsch reden zu können.

Etwas an unserer Reise ist recht beschissen. Wo immer wir hinkommen, hält man uns für Amerikaner (d. h. viel Geld) und versucht uns zu bescheißen. Und man kann hinkommen, wo man will, die Amerikaner waren schon da. Sie haben fast alle ziemlich viel Geld, lassen sich bescheißen und finden es noch romantisch. Es ist zum Kotzen, aber die Amies machen einem ziemlich viel kaputt.

Hoffentlich habt ihr nicht zu große Schwierigkeiten, mir das Geld zu überweisen. Wenn ihr Kredit aufnehmen müsst, ich zahle schon alles zurück, wenn ich wieder in Gronau bin. Macht euch darum keine Sorgen. Für heute - Autsch! Scheißfloh - also, für heute - Autsch! Schon wieder - für - Hiiiiilfe!!! - für heute ....

tschüss H. (ich kämpfe bis zum Umfallen)

 

Quito, 4. Dezember 1972

Hallo Eltern!

Ihr hättet eure wahre Freude, wenn ihr uns drei jetzt sehen könntet.
Unser Mägen sind gefüllt mit all den guten Sachen, die schon seit Monaten nicht mehr auf unserem Speiseplan standen. Ich sitze an einem gemütlichen Kaminfeuer, trockne meinen von einem eineinhalbtägigen Urwaldausflug durchgeweichten Jeans und Schuhe, rauche mein Pfeifchen und fühle mich nach Weihnachten.
Und es ist wie Weihnachten. Seit Samstag werden wir umsorgt wie sonst nur zu Hause.
Wenn das kein Kompliment ist!
Jetzt verlangt ihr natürlich eine Erlärung für all dies, he?

Also: in San Jose (Costa Rica) waren wir für zwei Tage mit einem Typen aus Quito zusammen, der gerade aus den Staaten zurück kam. So nebenbei gab er uns seine Adresse und sagte, wir sollten ihn anrufen, wenn wir in Quito seien. Am Samstag haben wir, nachdem wir hier in aller Frühe ankamen, bei ihm angerufen.
Und siehe da, schon nach einer halben Stunde kamen wir in den Genuss eines königlichen Frühstücks, einer heißen Dusche, all der Annehmlichkeiten eines gepflegten Anwalt-Haushaltes. Und hier sind wir noch immer. Das heißt, wir haben einen Wochenendausflug in den Urwald hinter uns, bei dem wir teilweise bis zu den Knöcheln im Matsch standen. Schlangen haben wir ganz einfach vergesen, wenngleich ich schon zuerst recht vorsichtig war.

Wir haben einen irren Indianerstamm besucht, der noch halbnackt durch den Busch springt. Die Männer tragen einen Hüftschurz, ihre Haare sind rot gefärbt, ihre Oberkörper bemalen sie nach Zebra-Art. Leider habe ich keine Fotos schießen können, mir war es ein wenig zu feucht im Dschungel, um meine Kamera zu schleppen. Außerdem brauchte ich beide Hände, um durchzukommen.

Morgen beginnt hier eine Riesenfiesta, mit Kirmes, Stierkämpfen und allem Drum und Dran.
Am 6. Dezember werden wir dann wahrscheinlich in Richtung peruanische Grenze weiterziehen, unser Visum für Ecuador läuft am 8. Dezember aus. Ihr seht, ich fühle mich im Moment ganz wie zu Hause. Lincolns Mutter ist wie alle Mütter, sie hat einen Heidenspaß, wenn wir uns den Magen vollschlagen und vergisst darüber ihr eigenes Essen.

Hat mich mal wieder an zu Hause erinnert.
Hallo dort oben, wie geht's?

Ja, dort oben.
Vor vier Tagen haben wir den Äquator überquert, d.h., jetzt sind wir auf der unteren Hälfte der Erdkugel.

Quito ist eine wunderschöne Stadt. Sie könnte irgendwo in Spanien oder Südeuropa sein. Tagsüber ist es angenehm warm, gegen Abend wird es dann kühl. Immerhin sind wir hier knappe 3000 Meter hoch, also ganz schön dünne Luft hier oben. Aber ich atme noch.

Ecuador ist Bananenland. Zu jeder Mahlzeit gibt es Bananen, Bananen, Bananen.

Vor ein paar Tagen war ich todkrank von diesen Bananen, die ich ununterbrochen in mich reingeschlungen habe. Es kam mir oben und unten wieder heraus. Schlimm, sage ich euch, ich habe mich gefühlt wie Kacke mit Lehm. Aber jetzt geht's mir wieder gut.

Ach ja, was haben wir heute also verspeist?

Nudelsuppe
Hühnchen, gebraten
Erbsen, Möhren, Blumenkohl
Bananen, gebraten
Kuchen, Kaffee

Nun, wie klingt das? Gut, he?! Ja. Glück muss man haben.
Grüßt mir den Weihnachtsmann, sagt ihm, I'm dreaming of a white christmas.

Bis bald, euer Sohn H.

Wir fühlen uns hier so gut, dass wir schon fast Heimweh bekommen.

Tschüss

Viele Grüße auch an Tante Änne. Nur zur Erinnerung: sie ist auch gemeint.
Also, Änneken, grüß dich. H.

 

Quito, 8. Dezember 1972

Hallo Familie,

ihr habt's erraten. Wir sind noch immer in Quito. Es ist einfach unbeschreiblich. Segundo Mutter hat scheinbar nichts anderes im Kopf, als uns gutes Essen zuzubereiten. Wenn wir gegen 10 Uhr aufstehehn, steht ein Frühstück bereit. Gegen 13 Uhr gibt's Mittagessen, dann haben wir Zeit bis 18 Uhr. Und was für Gerichte wir da täglich aufgetischt bekommen. Sollte ich in den letzten Monaten abgenommen haben, die letzte Woche hat es sicher wieder drauf gebracht.

Eigentlich ist ein solche Leben im Moment recht schlecht für uns. Man gewöhnt sich wieder an all die Annehmlichkeiten, und dann plötzlich hängt man wieder mittendrin.
Montag ist es dann endgültig so weit.
Immerhin ist dann schon der 11. Dezember. Und bis Weihnachten wollen wir irgendwo in Peru ein Haus gemietet haben. Dann wird's Zeit. Wir rechnen mit drei Tagesreisen von hier bis Lima. Mehr oder weniger.

Irgendjemand hat uns gesagt, hier unten sei jetzt auch Winter. Oder Regenzeit.
Ha, ich wünschte, bei uns sähe der Winter auch so aus.

Was haltet ihr von dem Bild, das Jon von mir gemalt hat. Nicht schlecht, nicht?

Ich habe mir den Kopf zerbrochen, wie ich euch zu Weihnachten eine kleine Freude bereiten könnte.
Ganz gute Idee, so ein Bild. Also Leute, hier mein offizieller Weihnachtsgruß. Ein bisschen schweren Herzens, aber früher oder später sehen ich euch ja wieder.

Frohe Weihnachten H.

Betr.: Steuerrückzahlung
Bitte geht zum Rathaus (wenn man reinkommt, erste Tür rechts), besorgt ein Steuerformular, füllt es aus und schickt meine Sachen nach Ahaus.

 

Huancayo, 22. Dezember 1972

Guten Morgen, Familie!

Es gibt einiges zu berichten.
Nach durchzechter Nacht (Anlass: ich habe einen alten Bekannten wieder getroffen) werde ich also mal versuchen, euch das Neueste in Kürze zu schildern.

Also: vor zwei Tagen habe ich mich von Bruno und Jon getrennt.
Lima war ausschlaggebend für unsere weiteren Pläne.
Bruno und Jon wollten unbedingt den Amazona hinunter schippern; ich hatte mittlerweile soviel Negatives gehört, dass mir dieser Trip nicht mehr so richtigen Spaß machen wollte. Außerdem wäre es für mich zweimal so teuer, über den Amazona Rio rechtzeitig zu erreichen.
Rechtzeitig heißt, zum Karneval. Karneval in Rio, das hat einen magischen Klang.

Ich habe mich also entschieden, den billigeren Weg zu wählen.

Um euch eine Vorstellung zu geben, von Lima aus geht es runter zum Titicacasee, von dort nach La Paz (Bolivien), dann mit dem Zug quer durch Bolivien nach Asuncion/Paraguay. Von dort aus bin ich mir noch nicht so ganz sicher. Entweder nach Buenos Aires oder aber nach Brasilia/Brasilien.

So gegen Ende Februar werde ich dann in Rio sein.

Meine Finanzierungspläne kommen so gerade hin. An Reisekosten von hier bis nach Rio rechne ich etwa 80 Dollar, Schlafen und Essen ungefähr 100. Bei meiner Ankunft in Rio hoffe ich dann noch etwa 120 Dollar übrig zu haben. Plus Steuer, die ich euch bitte, wie gehabt in Dollar an mich zu überweisen (schnellstens meinen Antrag ausfüllen), dann würde ich Tante Änne bitten, mir ihr Geburtstagsgeschenk auch zu überweisen.

Wenn ich zu Hause bin, kann ich arbeiten, da brauche ich kein Geld. Erkundigt euch mal, wieviel ein Wertbrief per Einschreiben mit Versicherung nach Rio kostet. Eventuell wäre es ganz gut, Dollar in Noten zu schicken. Es ist hier unter fast unmöglich, Dollar an der Bank zu bekommen. Nicht einmal mit Reiseschecks. Oder man zahlt wahnsinnige Gebühren. Auf einen 20 Dollar Reisescheck kommen dann 1 Dollar Gebühren. Könnt ihr euch ausrechnen, was man da so alles verliert. Ach ja, ich habe an das Deutsche Seefahrtsamt geschrieben, um ein Seefahrtsbuch zu bekommen. Sollten irgendwelche Nachrichten kommen, schickt alles nach Rio.

Dann muss ich euch noch etwas erzählen.
Ich habe mich gestern verliebt. Teufel, eine sagenhafte Französin.
Bin heute den ganzen Tag durch die Stadt gerannt, um sie zu sehen.
Scheiße, alle meine Bekannten haben sie gesehen, nur ich nicht.

Ich fühle mich nach so langer Zeit in Begleitung mal wieder ganz gut, so allein.
Wenngleich ich Weihnachten mit ein paar Freunden verbringen werde, denke ich doch, allein weiter zu ziehen. Vielleicht reise ich mit Bob weiter, dem Amerikaner, den ich heute seit Kolumbien zum vierten oder fünften Mal getroffen habe. Es ist wirklich irre, man trifft sich in Kolumbien, geht seine Wege, sieht sich in Ecuador, geht seine Wege, trifft sich in Lima, dann, jetzt, hier.

Richtig.
Lima habe ich vor zwei Tagen verlassen.
Eure Post (falls noch etwas dort ist) wird dann wohl vergammeln.
Bis Huancayo waren es etwa 8 Stunden mit dem Zug (1,10 Dollar), übrigens: der höchste Zug der Welt: oder besser: die höchste Eisenbahnlinie der Welt. Sie reicht bis zu 4000 Meter hinauf, die Luft ist dann recht dünn. Manche Leute benötigen Sauerstoff. Für Herzkranke ist eine solche Reise nichts.

Wenn ihr mir zwischendurch schreiben wollt:
Hermann Mensing c/o Poste Restante - General Delivery - Asuncion/Paraguay.

Hier in Huancayo ist am Sonntag ein berühmter Markt. Da kommen die Indios aus der Umgebung und verkaufen ihre Waren. Und was es da alles gibt, Mensch Meier. Ich habe mir einen absolut irren Ponco gekauft. Es hat zwei Tage gedauert, bis ich den Preis so weit runtergehandelt hatte, wie ich ihn haben wollte. Umgerechnet etwa 25 DM. Irres Ding, absolut irre.

Morgen werden (nä, ist ja schon heute) wir ein paar Ruinen besuchen, anschließend werde ich mich wieder auf die Suche nach meiner französischen Liebe begeben. Hoffentlich habe ich dann mehr Glück. Drückt mir also die Daumen. So zu Weihnachten, nette weibliche Begleitung, wär doch war Feines, oder nicht.

Also, tschüss für heute...

Bis Mitte Januar könnt ihr mir noch nach Paraguay schreiben.
Wichtige Sachen (wie Geld, Seefahrtsbuch) schickt jedoch gleich nach Rio.

Also, tschüssken, frohes neues Jahr, kann man da nur sagen.

H.

Adresse in Rio:

H. Mensing c/o American Express - Brazil Safari Tours - P.O. Box 3094 - ZC-00 - Rio de Janeiro - Brasilien

 

Huancayo, 24. Dezember 1972

Hallo Familie!

Während ich hier sitze und meine Gedanken ordne, werdet ihr bereits in tiefem Schlaf liegen.
Weihnachten. In einer halbe Stunde werden wir mit ein paar Freunden zusammen sitzen, ein bisschen was trinken und anschließend so richtig fein Essen gehen.

Meine Französin, von der ich euch ja schon erzählt habe, ist nicht mehr aufgekreuzt.
Scheiße.

Anstatt so die richtige Weihnachtsstimmung zu bekommen, bin ich damit beschäftigt, meinen Sonnenbrand zu pflegen. In den letzten zwei Tagen haben wir Ausflüge in die Umgebung gemacht, haben uns angeschaut, wie die Indianer auf jahrhundertealten Webstühlen Decken und Ponchos weben, haben mit ihnen gehandelt und gestaunt, wie sie mit primitiven Werkzeugen die duftesten Sachen auf die Beine stellen.

Heute habe ich mir fast die Augen aus dem Kopf fotografiert, es war Markttag und die Indianer aus dem ganzen Umkreis waren da. Ein wirklich farbenprächtiges Bild.

1. Weihnachtstag

Es war nett, gestern Abend. Wir waren alle leicht beschwipst und haben uns recht wohl gefühlt. Weihnachtsstimmung kriegt man hier nicht, alles geht hier seinen gewohnten Lauf. Selbst einige Geschäfte haben heute geöffnet. Heute habe ich mich so richtig ausgeruht, habe in der Sonne gesessen, habe ein wenig gelesen und mich so richtig entspannt.

Aber die Ruhe brauche ich auch. Morgen geht es mit dem Bus weiter in Richtung Cuzco, einer alten Inca-Stadt. Dort verbringe ich Neujahr, dann geht es nach Titicaca, und dann bin ich auch schon fast in Bolivien.

Gerade habe ich ein paar Schweizer getroffen, die mit dem Schiff von Lissabon nach Rio gekommen sind. Sie haben 300 Dollar bezahlt, das allerdings für eine 2 Bett Kabine. Es dauert 8 Tage, also eine ganz nette Fahrt. Ich denke, dass ich für 200 Dollar leicht nach Portugal oder Spanien kommen werde.

Ach ja, sollte irgendetwas vom Seefahrtsamt kommen, schickt alles nach Rio.

Also, weiterhin alles Gute. Ihr hört von mir. Tschüss H.

Grüße an Karin. Ich schreibe ihr in den nächsten Tagen.

 

Cuzco, 29. Dezember 1972

Hallo Familie!

Nach 36 stündiger Busfahrt bin ich gestern hier eingetrudelt.
Cuzco.
Macchu Picchu, alte Inka-Stadt. Stadt der Götter, bequem mit dem Touristenzug zu erreichen.
Ich werde laufen. Sehr wahrscheinlich. Vier Tage quer durch die Berge.
Nach Neujahr geht es los, mit Zelt, Proviant und Schlafsack.
Natürlich nicht allein. Bisher sind wir zu Dritt. Auf den Spuren der Incas. Ich freu mich drauf.

Bis bald - euer Sohn H. - Happy New Year

 

Cuzco, 9. Januar 1973

Hallo Familie!

Wie das klingt: Neunzehnhundertdreiundsiebzig!
Gut reingerutscht?
Ich bin. Recht feucht und recht fröhlich.
Es war wie bei einer Exilgmeinde internationaler Tramper.
Spaß gab es, Wein gab es, ein wenig Haschisch gab es auch. In einem Wort: es war sehr durfte. Ja, und einige nette, französische Mädchen. Ein Frühling in Paris, auf dem Rückweg, ist schon so gut wie sicher.

Aber nun werdet ihr gespannt sein, wie denn unsere Bergwanderung verlaufen ist.
Vorweg, gerade heute sind wir zurückgekehrt, nach 6 Tagen in unberührter Natur, keine Touristen, nichts.

Hört euch also mal an, was man alles mitschleppen muss, wenn man sich entscheidet, 6 Tage der Zivilisation zu entfliehen.

Rückschau 2. Januar 1973:

David, Judy ich ich versuchen, uns auf einen Speiseplan für die nächsten Tage zu einigen.
Nach einigen Diskussionen brechen wir auf, trödeln über den Markt und kehren mit folgendem Proviant zurück: 15 Orangen, 30 Karotten, 5 Dosen Sardinen, 50 Brötchen, Honig, Zucker, Trockenmilch, Haferflocken, 5 Tafeln Schokolade, 30 hartgekochte Eier ... ja, das war's, glaube ich. Zufrieden, so gut eingekauft zu haben, begeben wir uns zur Ruhe.

3. Januar 1973:

Unser Zug verlässt Cuzco am frühen Morgen. Wir müssen dem Schaffner klarlegen, dass er uns am Kilometerstein 88 hinaus lässt. Einige Touristen werfen uns fragende Blicke zu, wieso 88, wenn Macchu Picchu, unser Ziel, bei KM 122 liegt? Eisenbahnentfernung, wohl gemerkt.

Nach dreistündiger Fahrt hält der Zug. Nur für uns. Wir greifen (mit heroischen Lächeln) mutig unsere 20 Kg schweren Rucksäcke und verlassen den Zug. Ein letzter Gruß, auf geht's. Am ersten Tag wandern wir etwa 6 Stunden, schlagen gegen 16:00 Uhr unser Zelt auf, essen ein wenig und legen uns zur Ruhe. Unterwegs haben wir an diesem Tag zwei Indianer und eine Schlange getroffen. Es war ein verhältnismäßig leichter Marsch, wir sind etwa 3800 Meter hoch.

4. Januar 1973:

Es ist Regenzeit in den Bergen, d. h. jede Nacht gießt es. Unser Zelt hat durchgehalten.
Gegen 10:00 Uhr brechen wir auf. Wir sehen keine Menschenseele. Für heute haben wir uns einiges vorgenommen. Ein 5000 Meter hoher Pass ist zu überqueren. Für Stunden stiefeln wir durch dichten, feuchten Urwald. Ab und zu verlieren wir den Pfad, wir sehen aber die Passhöhe vor uns und finden schließlich auch den Pfad wieder.
Eine wilde Kletterei beginnt, einmal rutsche ich aus, stürze, überschlage mich, lande fünf Meter weiter unten, lande aber zum Glück auf dem Rucksack, sammle meine Knochen und weiter geht's.

Gegen 14:00 Uhr erreichen wir die Passhöhe.
5000 Meter, dünne Luft hier oben, aber es lohnt sich. Wir sind umgeben von schneebedeckten Gipfeln. Die Zeit drängt. Spätestens gegen 17:00 Uhr müssen wir einen Platz zum Übernachten ausgemacht haben. Also hinab ins Tal. Weitere drei Stunden vergehen, es beginnt zu regnen, und wir können nur noch mit Mühe und einigermaßen trocken in unser Zelt kriechen.
Ein Feuer ist nicht mehr drin, also keine heiße Schokolade heute Nacht.

5. Januar 1973:

Recht feucht, dies alles. Unser Tal war wohl mehr ein See. Tausend kleine Bäche, wir sind durchgeweicht, eh wir aufbrechen. Ein zweiter Pass liegt vor uns, wir erreichen ihn gegen Mittag, steigen dann wieder hinab ins Tal und schlagen unser Zelt in alten Inca Ruinen auf. Wieder macht uns unser Lagerfeuer Schwierigkeiten. Es ist einfach zu hoch hier oben. Mit Mühe und Not kriegen wir eine heiße Boullionsuppe zustande. Tiefschlaf.

6. Januar 1973:

Heute wollen wir unser Ziel Macchu Picchu erreichen. Nach fünfstündigem Marschen sehen wir es vor uns. Wir verlaufen uns, verlieren zwei Stunden und sind gezwungen, noch einmal zu übernachten. Und Macchu Picchu gleich gegenüber. Bevor wir schlafen gehen, kunden wir noch zwei Pfade aus und entscheiden, welchen wir am nächsten Morgen gehen wollen.

7. Januar 1973:

Nach zweieinhalbstündigem Marsch talwärts müssen wir einsehen, dass wir auf dem Holzweg sind.
David und Judy wollen den richtigen Weg suchen. Ich gehe alleine weiter und erreiche Macchu Picchu auf Umwegen am späten Nachmittag. Müde, schmutzig, aber glücklich. Die anderen beiden sind zurück, mussten dann aber feststellen, dass der ursprüngliche Pfad vom Regen teilweise unterspült war.

Zwei Tage war ich dann noch in Macchu Picchu. Heute bin ich zurückgekommen, habe erst einmal eine heiße Dusche genommen, dann bin ich eine Forelle essen gegangen (etwa 1,50 DM mit Reis, Pommes und Salat). Jetzt fühle ich mich viel besser. Um nicht zu sagen, viel, viel besser...

Na, wie gefällt euch mein kleines Abenteuer?

Euch rieseln sicher die kalten Schauer über den Rücken, he? Aber es war ganz einfach fantastisch. Kann man gar nicht beschreiben. Ihr werde meine Fotos ja bald zu Gesicht bekommen. Ich habe Gefallen an Peru gefunden und werde wohl noch etwa eine Woche hier bleiben, dann geht es nach La Paz, Bolivien.
Oh nein, erst noch ein paar Tage an den Titicacasee, dann Anfang Februar nach Bolivien.

Schreibt mir an folgende Adresse:
American Express Co. Crillon Tours - Avenida Camacho 1223 - La Paz/ Bolivien.

Wie geht es weiter?
Ich liege mit meinem Geld recht gut im Rennen. Hoffe, mit meinen Steuern, Geburtstagsgeschenk von Tante Änne und so werde ich es schon machen. Nach La Paz wahrscheinlich Asuncion/Paraguay. Dann eventuell Buenos Aires, dann rauf nach Rio, von dort mit dem Schiff nach Spanien oder Portugal.
Aber wie gesagt, was Genaues kann ich da noch nicht sagen.
Irgendwann im Frühling, wenn's warm wird, bin ich zurück. Sagen wir mal, so gegen Mai. Vorher aber noch etwas Reisen. Also, schreibt mir nach La Paz, am Besten schnell.

Bis bald - euer Sohn Herman (THE GERMAN)

 

Puno, 17. Januar 1973

Hallo Familie!

Wann sind wir heute früh aufgestanden?
Um vier Uhr? Ach du Scheiße nä!!!
Zu Anfang möchte ich erst einmal eine Erklärung abgeben.

Wer ist wir? Um allen weiteren Übeln aus dem Weg zu gehen (Mangelerscheinungen, wie schlechter Schlaf, Gereiztsein, Haarausfall) habe ich mich entschlossen, die nächsten Wochen in weiblicher Begleitung zu verbringen. So lange es gut geht.
Mieke heißt sie und daraus solltet ihr schon Schlüsse gezogen haben.
Zij is nederlands, hoor.
Wird wohl ganz gut, glaube ich.

Heute früh haben wir Cusco verlassen, um langsam aber sicher nach La Paz zu kommen.
Zehn Stunden mit dem Zug, an uns zieht eine imposante Berglandschaft vorbei. Schneebedeckte Bergkuppen, das Altiplano, ein Hochplateau, auf denen Herden von Lamas, Alpaca und Vicunas weiden.
Ab und zu ein verlorenes Dorf, eine Bahnstation, auf der Indianer darauf warten, ihre Waren an den Mann zu bringen. Turbulentes Durcheinander im Zug selbst: die Menschen, die hier reisen, schleppen unglaublich viel Gepäck mit sich herum. Und Kinder, immer wieder Kinder, bunt und schmutzig.
Eine solche Fahrt kann unter Umständen anstrengend werden.

Ich bin für heute geschlaucht, werde gleich noch eine Dusche nehmen, um dann erst einmal eine Runde zu schlafen. Es gibt hier so einiges zu sehen. Morgen beginnt unser Programm, erst einmal ein wenig rumschnuppen. Das mit Mieke hat sich allles so zufällig entwickelt. Sie war allein, ich war allein, also....!

Wir haben uns vorgenommen, in Bolivien ein bisschen dem Touristenstrom zu entkommen. Vielleicht geht es für eine Woche in den Urwald, so mit allem Drum und Dran. Aber entscheiden werden wir uns in La Paz.

Anstatt teure Postkarten zu senden, habe ich mich entschlossen, von nun an ganz einfach Prospekte zu zerschnippeln. Die heutigen Schnipsel also sind von Puno am Titicacasee.

Die Tiere auf den Fotos sind Vicunas, von dieser Kamelart haben die Incas die Lamas und Alpacas abgeleitet.

Ich hoffe, dass ich eventuell von Sao Paulo ein Boot bekomme.
Jemand hat mir die Adresse einer deutschen Reederei gegeben, vielleicht lässt sich da etwas machen.
Es ist für mich eigentlich ganz wichtig zu wissen, wieviel Geld ihr mir nach Rio überweisen könnt.
Das heißt, runde 270 DM Steuern.
Aber was will Tante Änne mir noch zu? Versucht mal, das rauszukriegen.
Ich bin dann eher in der Lage, alles einzukalkulieren.
Ich hoffe, dass ich in La Paz Post von euch habe.
Schickt den nächsten Brief an American Express Co. P.O.Box Asuncion/Paraguay.
Dort werde ich so Mitte Februar sein, hoffe ich.

Also, tschüss für heute.
Mir geht's gut (bis auf einen mittleren Dünnschiss, den ich mir mal wieder eingehandelt habe, aber der ist in zwei Tagen wieder weg.)

Tschüss Leute.

Ich freu mich drauf, euch bald wiederzusehen.

Grüsse an meine Schwester H.

 

La Paz, 26. Januar 1973

Hallo Familie!

Wie geht's, wie steht's?
Erwartungsvoll bin ich heute früh zum American Express marschiert, siehe da, mal wieder ein Brief aus der kalten Heimat. Eigentlich hatte ich erwartet, von meiner Schwester auch mal wieder was zu hören.
Na ja. Vorab: vielen Dank.

Mir scheint, ihr seid endlich doch noch auf den Trichter gekommen, vernünftig Urlaub zu machen. Bis Juni bin ich ja zurück, dann werde ich schon in der Lage sein, meine Schulden zurück zu zahlen.

Die letze Woche haben Mieke und ich in einem Dorf auf der bolivianischen Seite des Titicacasees verbracht. Keine Touristen, blauer See und Sonnenschein. So ungefähr. Und billig ist es in Bolivien. In einer Woche habe ich für Verpflegung, Unterkunft und Fahrt von Copacabana nach La Paz 10 Dollar ausgegeben. Da klopfe ich mir doch mal wieder selbst auf die Schulter.

Ich befürchte, dass meine Nase bis zu meiner Rückkehr entweder verkrüppelt oder ganz abgefallen sein wird. Ein Sonnenbrand jagt den nächsten, keine Creme hilft. Aber was soll's, ich denke an den deutschen Winter und klopfe mir vergnügt auf die Schenkel.

Wir haben uns noch nicht so recht entschlossen, wie es nun von La Paz weitergehen soll. Karneval in Rio ist Anfang März, den würde ich schon ganz gern sehen. Vorher vielleicht noch ein Dschungeltrip hier in Bolivien, dann Richtung Asuncion.

Die nächsten Tage verbringen wir mit Sicherheit in La Paz.
Mal wieder große Stadt riechen, Informationen einholen, rumschlendern und so.

Mittlerweile weiß ich von einem Schiff, das für ca. 300 Dollar am 10. März von Rio nach Genua/Italien geht. Wenn alle Stricke reißen, d.h., wenn nichts billigeres aufzutreiben ist, werde ich wohl damit zurückkehren. Aber die Trümpfe in der Hinterhand sind ja noch nicht ausgespielt.
In Rio werde ich weitersehen.

Euer Brief klang ein wenig sauer.
Schnappe ich nicht, ich habe doch schon immer gesagt, dass ich ungefähr ein Jahr wegbleiben wollte.
Geld?!
Ich denke, ich komme hin.

Meine Gegenbilanz. Habe jetzt noch: 260 Dollar.

In Brasilien ca. noch 150 Dollar.
                      Plus 140 Dollar   (Steuern und so)
                             290 Dollar
 Kamera (Minimum)  150 Dollar
       
                     440 Dollar

Wie gesagt, Brasilien zahlt gute Preise für Kameras.
Erzählt niemandem, dass ich meine Kamera verkaufe. Schließlich habe ich meine Reisegepäckversicherung ja nicht umsonst abgeschlosen. Also: Top Secret. Meine Kamera wird mir in Rio de Janeiro geklaut.
Harmlos flöten jetzt, damit keiner etwas merkt.

Später am Nachmittag:

La Paz ist eine wirklich dufte Stadt. Tausend kleine Märkte.
Habe Folgendes herausgefunden:

Italmar Rio de Janeiro ab 10.03. 1973 an 19.03.1973 Lissabon für 275 Dollar
Ibarra   Rio de Janeiro ab 16.03. 1973 an 25.03.1973 Lissabon für 235 Dollar

Das sind die neuesten Nachrichten. Offiziel. Ich hoffe, dass sich in Rio noch mehr ergibt.

Tschüss für heute H.

Schickt mein Geld an folgende Adresse:

Hermann Mensing
c/o American Express Brazil Safari & Tours
P.O. Box 3094 - ZC - 00
Edificio Central Ave. Rio Branco 156 s/3132
Rio de Janeiro / Brasilien

Ach ja, gestern habe ich ein Paket mit Filmen an euch geschickt. Sobald es ankommt, lasst es mich wissen.

 

Cochabamba, 2. Februar 1973

Guten Morgen, Familie!

Dort hinter den Bergen, bei den ... , na, ihr wisst schon, wie es weitergeht.
Jetzt hatte ich mir vorgenommen, statt Postkarten Bild aus Prospekten auszuschneiden, nur gibt es hier keine Prospekte. Wie soll ich euch Cochabamba also beschreiben?

Etwa: nach drei Monaten in den Bergen (3500 - 4000 Meter hoch) geht es nun rapide bergab. Das heißt: nach drei Monaten beschwerlichen Laufens in dünner Luft, was noch mehr .... nach drei Monaten extremen Klimas, bei Sonnenschein teuflisch warm, dann oft nachmittags heftige Regenschauer, ganz oben manchmal Hagel, nachts recht kühl...

Nun, so sehr Flachland ist das hier auch noch nicht (2400 Meter), aber es macht sich.
Von Cochabamba sagt man, es habe das angenehmste Klima in Bolivien. Es ist jetzt 10 Uhr früh und vergleichbar mit einem wunderbaren Sommermorgen bei uns. Etwa, wenn es in der Nacht geregnet hat und man die Luft riechen kann. Mild und sauber.
Mein poetisches Talent macht es mir da wieder recht schwer, euch alles vor Augen führen zu können.

In vier Wochen ist Karneval, in vier Wochen habe ich Geburtstag, in vier Wochen werde ich in Rio sein.
Morgen geht es von hier nach Santa Cruz, im Südosten Boliviens. Dort gibt es Dschungel in Hülle und Fülle, wir hoffen, ein paar dufte Ausflüge machen zu können. Von Santa Cruz geht es dann nach Corumba/Brasilien, von dort mit dem Boot den Paraguay-Fluss hinunter nach Asuncion, der Hauptstadt Paraguays.

Ich bin recht optimistisch, was mein Geld anbelangt. Und ein wenig aufgeregt auch. Europa liegt jetzt schon so nah. Wenn ich erst einmal in Rio bin, ist es nicht mehr weit bis Lissabon.

Mal sehn, wenn ich dort noch genügend Geld habe, sehe ich mir Portugal und Spanien an.

Aber...

Ich schätze, dass Rio der große Treffpunkt aller Reisenden sein wird, die ich bisher getroffen habe. All die alten Gesichter werden dort wieder auftauchen, ich hoffe, wir bekommen dort viel Spaß. 8 Monate bin ich jetzt unterwegs, so viel habe ich gesehen. Ohne Zweifel die besten Monate meines Lebens. Einmalig.
Ich hoffe, dass meine Filme gut angekommen sind, hat mich 2 Dollar gekostet, sie zu verschicken. Aber was soll's, im Moment haben wir's ja noch.

Für heute wär's das mal wieder.
Grüsst mir meine Schwester ganz lieb von mir. Und Aunt Änne. Und und und alle Leute

Tschüss, euer Sohn H.

 

Santa Cruz, 7. Feburar 1973

Hallo!

Ich bin mit dem Datum ein wenig durcheinander gekommen. Miese Karte, aber Besseres war nicht aufzutreiben. Nur ganz kurz. Heute vier Stunden gekämpft, um eine Fahrkarte nach Argentinien zu ergattern. Morgen früh geht es los. 18 Stunden Zugfahrt. Am Wochenende hoffen wir in Asuncion zu sein. Nächste Adresse ist Rio. Ich habe jemanden aus Rio getroffen, bei dem ich wohnen kann. Alles klar. Die Heimat kommt immer näher.

Tschüss H.

 

Asuncion, 12 Februar 1973

Guten Abend Leute,

es geschah an einem Donnerstagmorgen. Mieke und ich hatten beschlossen, uns nach Asuncion aufzumachen. 24 Stunden bis nach Argentinien, so hatte man uns versichert. Von Argentinien schien es nur noch ein Katzensprung zu sein, vielleicht noch einmal 24 Stunden?

Wir hätten es einfach besser wissen müssen ... also, Freitag, wie versprochen, kam wir gegen 8 Uhr morgens in Argentinien an. Nächstes Ziel war Formosa. Ja, Züge führen schon, sagte man uns. Um genau zu sein: Güterzüge. Mit zwei angehängten Personenwaggons. Drei Dollar schienen nicht viel, zumindest nicht für 24 weitere Stunden und runde 800 Kilometer.

Also, Freitagabend ging's los. Das heißt, sollte es losgehen.
Der Zug fuhr etwa drei Stunden in die Nacht hnein und blieb stehen. Von nun an sollte er mehr stehen als fahren. Aber wir nahmen es leicht. Zumindest ich. Anstatt mich mit all den Reisenden in ein schmales Abteil zu drängen, hatte ich mir einen Postwaggon ausgesucht, der wohl zur Zierde an den Zug gehängt worden war. Dort war ich allein, hatte eine Holzpritsche und an jeder Seite des Waggons so eine Art Veranda.
Nein, niemand habe etwas dagegen, wenn ich dort mein vorläufiges Domizil errichten würde, hatte man mir gesagt.

Als ich am Samstagmorgen erwachte, hatte man sich offensichtlich entschlossen, weiterzufahren.
Ich saß auf meiner Veranda, fröhlich pfeifend und die Landschaft genießend. Gegen Abend, nachdem wir etwa effektive 150 KM zurückgelegt hatten, wurde mir bewusst, dass die angekündigten 24 Stunden ja rechtmäßig schon vorüber waren.

Ja, ja, sagte man mit Schulterzucken.
Mehr konnte ich nicht verstehen. Aber ich wusste genug und richtete meinen Waggon für eine weitere Nacht ein. Eigentlich war es mir ganz recht, jede Nacht im Zug erspart Hotelkosten.
Währenddessen schmorte Mieke in ihrem überfüllten Abteil und wunderte sich.

Der Sonntag kam, und jemand wagte zu behaupten, am Sonntagabend würden wir dann wohl ankommen. Lautes Gelächter. Selbst der Schaffner glaubte nicht mehr daran. Aber wenn Sonntagnacht nicht die Lokomotive kaputt gegangen wäre...

Nun, Montagfrüh um vier Uhr waren wir in Formosa.
Fast hätte ich es verschlafen, fast.
Gegen Mittag haben wir dann noch schnell einen Bus nach Asuncion erwischt.

Hier bin ich, euren Brief vom 8.2. habe ich gerade bekommen, und den vom 27.1.
Offizielle Stellungnahme (erst mal was Kaltes, es ist einfach zu heiß): urrrrrp, blubb, glubbber, bölllllk!!!

Ihr könnt euch natürlich denken, dass eure Idee, mir noch 350 Dollar zu leihen, mich entzückt.

Ich sagte:LEIHEN.

Ich möchte nicht, dass ihr euch für mich krumm legt.
Mir graut nur ein wenig vor dem Berg, den ich da abzuarbeiten habe, wenn ich zurück komme.
Noch mal ganz kurz zu meiner Kamerageschichte: Absolut kein Problem, wenn ich sie erst einmal verkauft habe, bekomme ich von der Polizei ein offizielles Stück Papier, das mir bescheinigt, dass meine Kamera gestohlen worden ist. Beweise mir da jemand das Gegenteil. Lasst euch da nur keine grauen Haare drüber wachsen. Aber ich werde sehen, jetzt bin ich ja reich. Und wie reich.

Also taktisch unklug war es schon, mir so viel Geld zu schicken.
Jetzt kann es gut sein, dass ich erst so gegen Ende April oder Mai zurück bin.
Was soll's. Gegend Ende März ist es an der Zeit, meine Bewerbung nach Düsseldorf zu schicken.

Sieh dir die Unterlagen noch einmal genau durch, Mutti, und schreibe mir nach Rio, was ich alles zurecht gelegt habe. So weit ich weiß, müsste da ein Brief an die zentrale Erfassungsstelle oder Ähnliches in Düsseldorf dabei sein. Der muss erst raus, dann erhaltet ihr ein Formular, das ausgefüllt eingesandt werden muss.
Am Besten setzt du dich mal mit I. in Verbindung, die hilft sicher, wenn's kritisch wird. Wenn ich zurück bin, hoffe ich, entweder einen Job bei der Post oder bei Geveler zu kriegen. Aber das läuft schon. Drei Monate arbeiten und ich bin aus dem Schneider.

23:00 Uhr und noch immer nicht müde.
Ich habe mir nach all den guten Nachrichten heute erst einmal einen gemütlichen Abend bereitet. Oder besser: wir. Dann habe ich mein Programm für die nächsten Tage zusammen gestellt. Noch ein paar Tage in Asuncion, dann mit dem Zug Richtung Süden, wieder nach Argentinien, dann ein Stückchen Argentinien, um dann bei den Iguazu Wasserfällen nach Brasilien einzureisen.
Ich habe mir den Kopf zerbrochen, ob ich noch nach Buenos Aires will, aber der Karneval in Rio reizt mich doch mehr. Am 6. März beginnen dort die drei tollen Tagen, oder wie immer sie hier unten heißen.

Bemerkung am Rande: in Argentinien und Paraguay kann man unheimlich billig und gut Fleisch essen. Ein riesiges, saftiges Beafsteak für umgerechnet 1,50 DM - hmmmm.

Wenn ich es mir so überlege, ich lebe eigentlich wie ein König. Hotels, Duschen, Restaurants. Alles da. Ach Leute, ihr habt keine Ahnung, wie viele Leute hier unten allein durch die Gegend trippen. Selbst Mädchen. So mutig braucht man da nun auch wieder nicht zu sein.

Dufte, dass meine Filmen angekommen sind. Das sind die Filme von Mexiko bis hierher. Ich denke, sie geben euch einen guten Überblick über die Dinge, die ich gesehen habe.

Also, Geld nach Rio, Post nach Rio, ich demnächst auch nach Rio. Buenas Noches, gute Nacht, daag, tot ziens.

Grüsse an Änne, ich schreib ihr morgen oder so.
Ja, von I. habe ich ewig nichts gehört.
Geh mal bei Wirtz vorbei und sag Chris Pörtner guten Tag

Tschüss H.

 

Iguazu, 18. Februar 1973

Hallo Familie!

Ich verkrieche mich ins letzte Loch, um der unbarmherzigen Sonne zu entgehen. Die letzte zwei Nächte habe ich in unmittelbarer Nähe der Wasserfälle auf einem Campingplatz verbracht. Auf der Karte links beginn schon Brasilien (ich bin auf der argentinischen Seite), es ist von hier also nur n och ein Sprung. Seit ein paar Tagen bin ich wieder allein. Der Karneval in Rio beginnt am 3. März und dauert bis zum 6ten. Gute zwei Wochen noch und ich bin in Rio. Von dort aus werde ich mal weitersehen. Es ist ganz einfach nicht auszuhalten, zu warm, Leute, zu warm.

H.

 

Sao Paulo, 21. Februar 1973

Hallo Familie!

Seit vier Tagen werde ich heute abend zum ersten Mal wieder in einem richtigen Bett schlafen. Tief und fest, hoffe ich. Was ihr da auf der Karte seht, ist nicht etwa New York - nein - Sao Paulo. 8 Millionen Stadt - südamerikanisches New York. Noch 300 KM bis Rio. Ha!!! Ich kommen dem Ziel immer näher.

Grüsse -
Hoem Hermann Herman Höhn Höhmen Hey Man
Sohn auf Weltreise

Verrückte Stadt

 

Parati, 24. Februar 1973

Hallo Familie!

Erster Teil:

Samstagnachmittag, ich habe mich vor der brütenden Hitze in mein kühles Zimmer geflüchtet.
Mein Weg von den Wasserfällen hierher war ein bisschen mit Schwierigkeiten gepflastert. Durch meine guten Erfahrungen beim Trampen in Argentinien ermuntert, hatte ich mir vorgenommen, von Foz du Iguazu nach Sao Paulo zu liften.

Alles sah recht einfach aus, ausgezeichnete Straße, Verkehr, man hätte glauben können, man sei in Europa.
Nach etwa drei Stunden unter glühender Sonne (ich war kurz vorm Aufgeben) bekam ich einen Lift etwa 150 Kilometer weiter. Es war Spätnachmittag und ich hatte Glück. Ein VW Bus hielt nach etwa einer halben Stunde, brach aber dann nach 5 Kilometern zusammen.

Maschinenschaden, und hier stehe ich, mitten zwischen zwei Städtchen, Autos genug, aber die Straße ist zu gut. Sie rasen an mir vorbei und sind ganz einfach zu bequem, den Fuß vom Gaspedal zu nehmen. Noch drei Stunden, bis es dunkel wird - nichts - am nächsten Morgen - vier Stunden - nichts. Ich scheiße drauf, fünf Kilometer zurück zur nächsten Stadt. Ich bin's leid und will einen Bus nehmen.

Meine Finanzen sind ein wenig schwach, also beschließe ich, ein paar Schecks einzulösen. Ich laufe von einer Bank zur anderen, bis ich endlich die Banco de Brazil gefunen habe, die angeblich American Express Schecks einlöst. Scheiße geschissen, nein, hier geht das nicht (Redeschwall in Portugiesisch) da stehe ich, verstehe Bahnhof, habe keinen Pfennig Geld mehr, um eine Busfahrkarte kaufen zu können.

Letztlich findet sich dann doch jemand, der vorgibt, Englisch zu sprechen. Ich sage, "vorgibt", denn letzten Endes hilft mir mein Spanisch aus der Misere. Die Adresse eines Reisebüros, das Schecks einlöst, hilft mir weiter. Es ist Dienstagmittag, und ich schnappe noch gerade einen Bus nach Sao Paulo.
Siebzehn Stunden, und obwohl ich lange Busfahrten mittlerweile gewöhnt bin, schlafen kann ich doch nie.

Gegen sieben Uhr früh kamen wir in Sao Paulo an.
Ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten. Brasilien ist saumäßig teuer und ich bezahle für ein mieses Hotel 2 Dollar. Sao Paulo, ich breche fast zusammen. 8 Millionen Menschen, Wolkenkratzer, Hektik. Das alles setzt mir gehörig zu und ich beschließe, schon am Donnerstag weiterzufahren.

Und hier bin ich - Parati - eine Stadt aus der Colonisationszeit - 400 Jahre alt, unveränderter Stadtkern, klein, so klein, dass ich mich langweile. Aber besser Langeweile, als diesen 8 Millionen Rummel von Sao Paulo ausstehen zu müssen. Strom gibt es hier nur zu bestimmten Zeiten, und das, obgleich es von hier bis nach Rio nur noch 250 KM sind. Aber es ist halt ein wenig schwer zu erreichen. Dazwischen liegen recht unzugängliche Berge, Urwald und miese Straßen. Aber gerade diese Straßen haben dieses Dorf vor allzugroßem Rummel bewahrt.

Es sind jetzt wohl 9 Monate, die ich unterwegs bin, und wie schnell ist die Zeit vergangen.
Sollte sich in den nächsten Tagen jemand melden, der die erste Alimentszahlung verlangt - man weiß ja nie - 9 Monate sind 9 Monate - und dann die Abschiedsorgien - wie gesagt, ihr habt vor vier Monaten zum letzten Mal von mir gehört, kurz bevor ich auf einen Dschungeltrip gegangen bin. Mich haben die Wölfe gefressen ...

Aber Spaß beiseite.
Am 27. Februar werde ich gen Rio reisen, um gerade rechtzeitig zum Karneval zu sein.
Ich schätze, dort eine Menge alter Bekannter wiederzusehen. Alle Leute, die ich in Südamerika in den letzten drei Monaten getroffen habe, wollten zum Karneval in Rio sein. Dort werde ich dann ordentlich Karneval und Geburtstag feiern.
Meine Kalkulationen haben übrigens voll hingehausen.
Ich habe jetzt noch genau 160 Dollar, in Rio also noch runde 140.

So kurz vor meiner Rückreise muss ich eigentlich mal richtig "Dankeschön" sagen.
Ihr habt verdammt an mich gedacht und ich werde euch das nicht vergessen.
Ich würde sagen, ihr seid "ganz dufte Typen", falls ihr euch darunter etwas vorstellen könnt.

Ich verstehe eure Sorge, dass aus mir vielleicht nichts werden wird, aber glaubt mir, ich habe so viel erlebt und gelernt auf dieser Reise, dass diese Sorge eigentlich gegenstandslos ist. Was immer ich werde, ich weiß, dass ich Dinge getan habe, die mich befriedigten. Da kommt es auf den Rest nicht mehr so sehr an.

Ich lese immer mit Bedauern, was in Karins Ehe so alles schief läuft.
Wieviel besser habe ich es da!
Mir stehen die Haare zu berge, wenn ich an die mir zugedachte Kaufmannskarriere denke.
In Gedanken sehe ich all die netten jungen Männer vor mir, die IHRE Karriere machen, die IHRE Autos fahren und IHRE Kinderwagen schieben.

Nichts für mich, oder "noch nichts für mich?"

Ich weiß es ganz ehrlich gesagt nicht. Aber kommt Zeit, kommt Rat.

 

Rio de Janeiro, 27. Februar 1973

Zweiter Teil:

Gestern abend bin ich in Rio eingetrudelt und habe mich mühevoll zu der Adresse einer Engländerin durchgeschlagen, die ich in Bolivien getroffen hatte. Sie hatte mir damals in Aussicht gestellt, dass ich bei ihr wohnen könnte. Bis 23:00 Uhr saß ich vor ihrer Haustür, dann tauchte sie endlich auf.
"Hallo Hermann, nett dich zu sehen. Du, ich habe schon Pläne für Karneval geschmiedet, ich kenne da ein paar Leute, die wissen, wo man hingehen kann, kommst du mit?"

Päng! Ein Riesenstein fiel mir vom Herzen. Hieß das doch mit anderen Worten, na klar doch, du kannst bei mir wohnen. Hermann hat sich also mal wieder voll ins Nest gesetzt. Und ihr Apartment, Leute, absolute Spitze: Man sieht die Bucht, den Zuckerhut von Rio, ganz einfach ideal. Und ich habe völlige Freiheit, kann tun und lassen, was mir gefällt.
Heute abend werde ich kochen, wir werden uns einen Martini trinken und uns so richtig wohl fühlen.

Einen Scheck (hurrah) habe ich bekommen. Allerdings hatte ich einige Schwierigkeiten beim Einlösen. Irgendein Dussel der Deutschen Bank hat den Scheck auf American Expres ausgestellt, nicht, wie beim letzten Mal American Express - Hermann Mensing. Das heißt, es ist mir nicht möglich Traveller Schecks zu kaufen, irgendwelche Devisenbestimungen sprechen dagegen.

Ich musste mir die 350 Dollar wohl oder übel in brasilianischer Währung auszahlen lassen. Aber irgendwie hoffe ich doch, nach Bezahlen meines Ticket die restlichen Cuzeiros umwechseln zu können. Heute früh bin ich rumgerannt wie ein Idiot. Ein Reisebüro nach dem anderen, alle Schiffe nach Europa sind ausgebucht.

Mir ging es schon ganz mies, aber jetzt hat sich doch noch alles geklärt.
Mein Schiff (griechisch) verlässt Rio am 15. März, fährt nach Santos (Hafen von Sao Paulo), dann nördlich nach Salvador -Bahio, dann nach Recife, von dort nach Lissabon.

Ich werde also Folgendes machen. Bis etwa 8. März hoffe ich, in Rio bleiben zu klönnen. Dann fahre ich mit dem Bus nach Salvador, sehe mir die Stadt an und nehme von dort aus das Schiff. Ich rechne, dass es von dort so am 18.03. oder so losgeht. Aber das erfahre ich in zwei Stunden.

Alles ist also geritzt und ab morgen werde ich Zeit haben, Rio zu genießen.
Überall werden hier schon Karnevaldekorationen aufgebaut, und es scheint ein Riesenspektakel zu werden. Momentan sitze ich in einem Straßencafé im Zentrum Rios, die Sonne scheint, wie sollte es anders sein, und fühle mich pudelwohl. Die Mädchen, die hier so an mir vorbei flanieren, rauben mir die letzten Sinne. Ich wünschte, bei uns wäre es immer so warm. Man kann sich hier ganz einfach nicht viel anziehen, sonst schwitzt man sich tot. Also nicht nur hübsche Beine ... aber das wird euch ja gar nicht so sehr interessieren.

Nachmittag: nach all der Rennerei kann ich mich jetzt ein wenig ausruhen.
Ich habe mein Ticket gekauft.
Ab Rio de Janeiro 15. März - an Lissabon 26. März.

Ich werde also doch wohl von Rio abfahren.
Bis dahin bleibt noch etwas Zeit, sofort nach dem Karneval werde ich wahrscheinlich nach Salvador fahren, vielleicht sitzt auch noch Brasilia in der Zeit. Wie gesagt, das entscheidet sich aber noch alles. So langfristige Vorhersagen kann ich noch nicht machen.

Erst einmal ausruhen, das will ich jetzt.
Wenn ihr Lust und Laune habt, schreibt noch mal nach Rio.

Meine nächste Adresse wäre:
Hermann Mensing
c/o American Express
Star Travel Service
Avenida Sindonio Pais 4 A
P.O. Box 2662
Lisssabon / Portugal

28.Februar 1973:
Habe gerade mein Ticket abgeholt. Alles klar.
AB 15.3. Rio
AN 26.3. Lissabon

 

Sevilla, 29. März 1973

Sie will ja. Hallo! Pläne können sich ändern.

Kurzfristig haben Bob und ich beschlossen, vor unserem Trip nach Nordafrika doch noch ein wenig mehr von Spanien zu sehen, zumal wir noch nicht wissen, wie wir gen Norden ziehen werden. Heute sind wir nach Sevilla getrampt. Bob ist weiter nach Lissabon, um unsere Post zu holen.

Ich treffe ihn dann Mitte nächster Woche in Faro, an der Südküste Portugals. Von dort werden wir zurück nach Sevilla fahren (etwa Freitag nächster Woche), dann nach Cordoba, Malaga, Granada.
Wenn es etwas Wichtiges zu berichten gibt, schreib an Correo Central Poste Restante Algeciras/Spanien.
Hier unten blühen die Bäume, zu meiner Überraschung hängen saftige Orangen an den dazugehörigen Bäumen.
Es ist so gut, nach all dem Sommer mal wieder einen Frühling zu haben. Strahlende Sonne.


1000 Grüsse Sohn H.

Ach ja, schickt meine Bewerbungen los. Schule.
Ich habe an die Post geschrieben, wegen eines Job. Fragt mal nach. 1. Juni fange ich an (oder so).

 

Monte Gordo/Portugal 31. März 1973

Hola!

Es ist an der Zeit, euch einmal echte Frühlingsgrüße zu senden.
Ich habe die letzten Tage am Strand in Monte Gordo/Portugal verbracht.
Es ist einfach zu dufte hier unten, um schon an die Rückkehr zu denken. Ja, und außerdem habe ich mich über beide Ohren verliebt. In dieses Land, in die Menschen, in die blühenden Bäume. Von nun an werde ich alle mehr oder weniger dem Zufall überlassen, d.h., weitere Pläne werden nicht geschmiedet.
Eines weiß ich jedoch sicher: so lange dieses strahlende Frühlingswetter hier anhält, werde ich noch in der Sonne liegen und träumen. Irgendwann im April werde ich dann auch wohl nach Marokko ziehen. Aber mal sehn. Vorerst einmal alles Gute.

HERMANN THE GERMAN

 

Nerja, 16. April1973

Holla!

Inzwischen haben wir unser Hauptquartier an die Costa del Sol verlegt.
Ganz nett, aber wohl zu viele Touristen. Nachher geht es nach Granada, von Granada nach Barcelona und dann geht auch bald das Geld aus. Also erwartet mich so in zwei Wochen. Ja, also, fröhliche Ostereier

H.

PS. Bob und ich leben ein herrschaftliches Leben

 

Tagebuch 17. April 1973

Es geht unerbittlich dem Ende entgegen. Mit den letzten mir noch verbliebenen Dollar habe ich ein Bahnticket nach Genua erstanden, von dort geht es Richtung Brenner, Innsbruck, München.
Ein seltsames Gefühl, so plötzlich mit Riesenschritten heimatlichen Gefielden zuzusteuern. Aber nicht nur seltsam. Auch gut. Ohne große Voraussagen zu treffen, könnte ich bis Sonntag in Gronau sein. Das heißt, wenn. Auf jeden Fall hoffe ich dem halsbrecherischen Osterverkehr auf Deutschlands Autobahnen zu entgehen.

19. April 1973

Vom strahlenden Tessiner Frühling in den tiefsten Winter. Der Gotthardt Pass ist hoch verschneit, wir frieren uns die Füße ab. Halten unsere Stimmung hoch. Es rückt immer näher. Zug nach Zürich. Vielleicht Zug nach Basel. Also morgen früh an der Autobahn.

 

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