Hermann Mensing

Weserabwärts


Tag 1 (Freitag)

Kassel - Hann. Münden

Eh wir den Fluss erreichen, dem wir bis Bremen folgen, müssen wir mit der Regionalbahn zum Knotenpunkt Hamm. Dort, weil sie in Gedanken vielleicht schon in Bremen, noch in ihrem Garten, dem aufziehenden Lebensabend oder sonstwo war, von einem Bahnsteig, dem falschen, auf den anderen, den richtigen. Dort hätten wir noch vor einem Jahr hektisch ein, zwei, drei Zigaretten geraucht, aber das tun wir nicht mehr, und dann kommt der Intercity nach Weimar.

Als wir am Ende des Zuges in den Besenwagen für Radfahrer steigen, geht es im Abteil nebenan hoch her. Eine Reisegruppe aus Gelsenkirchen trinkt sich warm. Ob sie auf dem Weg in die Goethestadt ist, oder noch weiter will, wird im Verlauf der nächsten anderthalb Stunden nicht klar. Klar aber wird, dass vier Frauen und Männer (kräftig, teils tätowiert, Böse Onkelz T-Shirt, nicht halb so laut wie die durch eine Reihe von ihnen getrennt an einem Tisch sitzenden Frauen - Nicole heißt eine, Doren heißt andere, sie ist Polizistin), etwas feiern. Sekt in Dosen, Wodka, Cola, Mischungen aus Plastikbechern. Dazu Cracker, Nüsse und Süßes. Nicole doziert in Lautsprecherstärke über das "Arschficken" und "wie eng das sei". Von den Männern gibt es keine Rückmeldung zu diesem Thema, die Frauen hingegen kreischen, bis aus einem weiteren Abteil jemand um mehr Zurückhaltung und Ruhe bittet.

Einige der Gruppe helfen uns beim Aussteigen in Kassel, wo der Zug zwei, drei Minuten hält, die sie nutzen, um draußen zu rauchen. Man wünscht uns eine gute Reise und findet cool, dass wir für eine Woche so wenig Gepäck haben, wo doch jeder von ihnen einen fast kühlschrankgroßen, stoßgesicherten Rollkoffer mitführt.

Dann sind sie weg. Wir hätten einen Anschlusszug nach Hann. Münden, aber wir nehmen ihn nicht. Stattdessen fahren wir mit dem Rad, denn am Vortag hatte ich von einem Nachbarn erfahren, dass es entlang der Fulda einen idyllischen Radweg nach Hann. Münden gäbe. Also. Wir radeln uns warm.

Vom Bahnhof Wilhelmshöhe rollen wir bergab und stadtein. Radwege gibt es kaum. Wir befahren Bürgersteige. Im Herzen der Stadt trinken wir Cappuccino und fahren am Fridericianum vorbei hinunter in die Fuldaaue. Wie schön das als hässlich verschriene Kassel am Fluss ist. Nach kaum einer Viertelstunde sind wir im Grünen.

Wald. Hügel. Fluss. Buchen. Der Solling.

Die Fulda, von den Einheimischen Fulle genannt, ist braun und fließt eher schwerfällig, erstaunlich breit und immer breiter werdend, bis klar wird, dass sie auf etwa halbem Wege gestaut wird. Unter einer hoch über den Fluss führenden Eisenbahnbrücke picknicken wir. Es gibt eine Bank, aber keinen Mülleimer. Wir sind in Hessen. Das andere Ufer ist Niedersachsen. Hann. Münden empfängt uns mit Schrebergärten, einem geheizten Freibad, und einem Himmelbett im dritten Stock. Die Stadt ist ein Märchenbuch, die Stadt ist Geschichte, in den Seitenstraße häufig trist und verlassen. Das Sterben der Provinz wird uns noch in vielen Städten entlang der Weser begegnen. Am Marktplatz gegenüber des alten Rathauses gießt eine schwarz gekleidete Thailänderin die Blumen vor ihrem Massagesalon. Wir kaufen Kirschen beim Türken und trinken Kaffee beim Italiener. Wir gehen herum. St. Ägidi, eine säkularisierte Kirche, an deren Mauern Doktor Eisenbart begraben liegt, ist ein Café. Flussinseln heißen Werder. Der Weserstein markiert die Vereinigung von zwei etwa gleich breiten Flüssen, der Fulda und der Werra. Das daraus ein doppelt so breiter wird, wie man vermuten könnte, ist falsch. Die Weser macht sich auf den Weg zum Meer, mehr nicht. Wir gehen essen.


Zwischenspiel

Ein Fluss zieht Kraftwerke an wie Kuhscheiße Fliegen. Das erste - das AKW Würgassen - steht rechts der Weser kurz hinter Bad Karlshafen,weshalb wir die Route am linken Flussufer wählen. Es ist seit zwanzig Jahren abgeschaltet, wird aber noch lange dort stehen, denn die Zerfallsprozesse dauern und dauern. Das andere AKW ist Grohnde, zwei oder drei Tage später, es ist noch am Netz. Es wirkt monumental mit den sanften Bergen ringsum, fast schön, denn auch Industrie kennt Schönheit. Die drei übrigen Kraftwerke, eines kurz hinter Corvey, eines in der Nähe der Porta Westfalica und eines bei Petershagen waren Kohlekraftwerke, das in der Nähe der Porta Westfalica war stillgelegt. Der Rückbau (immerhin kann man fossile Kraftwerke rückbauen) wird wohl an die zwanzig Jahre dauern, die Politik zahlt, die Stromindustrie reibt sich die Hände.


Tag 2
(Samstag)

Hann. Münden - Bad Karlshafen - Beverungen

Es wird einen Karl gegeben haben, einen Fürsten vielleicht, ich erinnere mich, etwas gelesen zu haben, einen Grafen, einen Aristokraten jedenfalls an der Oberweser, der meinte, Karlshafen gründen zu müssen. Mich verbinden zwei Geschichten mit diesem Ort. Die erste liegt mindestens fünfzehn Jahre zurück. Da nämlich schoben W. und ich in der Nähe von Warburg ein Kanu in die Diemel, zündeten eine sechsblättrigen Joint, und schipperten den Fluss hinab, bis er in die Weser mündet. Er tut das in Karlshafen. Die Weser beschreibt dort einen weiten Bogen, fließt schnell und den Naturgesetzen folgend an der Außenseite der Kurve noch schneller. Es ist früher Nachmittag, dem Sechsblättrigen waren noch zwei Dreiblättrige gefolgt, als es uns von der Diemel in die Weser trieb, wo uns die Strömung ergriff und wir alle Kraft aufwenden mussten, ein Stück flußaufwärts zu fahren.

Die Geschichte der Gegenwart gibt der Gründung der Stadt ein wenig mehr Futter. Die Hugenotten flohen im späten 18. Jhdt. vor Verfolgung, besagter Karl (falls er denn Karl hieß, googeln Sie ruhig) baute eine Stadt für verdiente Soldaten, er baute streng symetrisch, den spätbarocken Regeln folgend, er grub einen Hafen, der gegenwärtig renoviert und wieder als Weserhafen genutzt werden soll, er grub einen Kanal, in der Hoffnung, eine Verbindung zum Rhein schaffen zu können, aber dieses Vorhaben blieb schon ein paar Kilometer westwärts hängen, da besagter Karl starb, und/oder die Finanzmittel ausgingen, jedenfalls gibt es diesen Kanal nicht mehr. Die Hugenotten aber, die dort siedelten, fühlten sich offenbar wohl. Einer fand Salz, was dazu führte, dass Karlshafen heute ein Kurort ist. Es gibt ein Hugenottenmuseum, und gleich nebenan einen Weinkeller, der von einer etwas zu gesprächigen, sehr gut aussehenden Nachfahrin dieser Franzosen geführt wird. Wie so oft bei Weinkennern reicht es ihnen nicht, einen Wein zu verkaufen und dem Kunden zu versichern, dass es sich um einen guten Tropfen und ein hervorragendes Preis-Leisungsverhältnis handeln, nein, das ist ihnen in der Regel zu wenig, sie erklären einem, wieviel Cousins der Winzer hat, dass die Oma über 120 geworden ist und beim GV starb. Wir kauften in Erwartung des baldigen Endes unserer Tagesetappe im acht Kilometer entfernten Beverungen eine Flasche Primitivo, eine Sorte, die im Augenblick steil geht.

Herr K., dem das Hotel gehört und der es in Personalunion mit seiner alten Mutter führt (sie macht die Betten, er überblickt die Buchungen, kassiert, erfüllt Wünsche und serviert das Frühstück), ist ein großer, hagerer Mann mit dunkelblondem, gescheiteltem Haar und sehr freundlich.
Wir stellten uns vor, er habe das Hotel in den späten 60er Jahren gekauft. Das Mobiliar der Zimmer ist hochwertig und von schlichter, klarer Linienführung, modern damals und auf seine Art zeitlos, die weserbergländische Möbelindustrie hatte und hat Rang und Namen. Seither aber zerfällt dort neben den Blumen die Zeit. In den langen Gängen herrscht klösterliche Stille und kaum eine Blume, die nicht den Kopf hängen ließe.

Herr K. saß, als wir kamen, allein im Schankraum. Auch abends, als wir vom Essen heimkehrten, saß er noch dort und schaute Fußball. Wir gingen aufs Zimmer, hörten auf dem Balkon sitzend gequälte, fordernde, böse und schließlich erleichterten Schreie. Kurz danach fuhr ein Autokorso (zwei PKW) hupend durch Beverungen.

Beverungen.

Man hatte den Namen schon einmal gehört. Eine Straße nach Höxter, links und rechts kleine Geschäfte, das Hotel Bremen, in dem wir vorzüglich aßen, ein mit Schiffsmodellen und Kompassen dekorierter Teakholztraum. Im langen Gang zu den Toiletten Fotos von Stars, die hier übernachtet haben. Wir staunten. Ich erinnere mich an Hermann van Veen und Vicky Leandros, Jürgen von der Lippe und Heinz Rudolf Kunze, aber es waren viel mehr und darunter auch noch größere Berühmtheiten, "bekannt aus Funk und Fernsehen", sagte man früher. Erstaunlich, aber dann wieder auch nicht, denn schließlich hatten wir am Ortseingang Plakate gesehen, die auf Konzerte von Scooter und Supertramp hinwiesen. Man staunt. Die Weser fließt schnell, der Abend senkt sich, auf dem Fluss liegt ein Schiff, dort wird lautstark Hochzeit gefeiert. Man braucht Mut, um im Hotel K. in Beverungen zu übernachten, und man sollte nicht allein sein, denn die Suizidrate ist hoch.


Tag 3
(Sonntag)

Beverungen - Höxter - Holzminden - Polle

Die Deutschen hatten Schweden besiegt, wir hatten es gehört und waren spazieren gegangen. Am Fluss saßen vereinsamt muslimische Paare und träumten von freier Liebe, wir turnten auf Fitnessgeräten, zwei adoleszente Mädchen spielten am Ufer, irgendwas schwamm ihnen davon und sie kreischten, wir gingen heim, tranken, die Nacht fiel übers Weserbergland, die Hochzeit auf dem Fahrgastschiff deckte sie mit Beats zu, wir schliefen.

Zum Frühstück saßen vier weitere Gäste im Hotel K., von Herrn K. bedient, wir zahlten, sattelten und fuhren los. Noch ahnten wir nichts. Wie hätten wir auch, denn sonst wäre das Abenteuer Pauschalurlaub. Der Radweg folgte dem Fluss, es nieselte, das Grün überwältigte das Grau des Himmels, der Fluss blieb in Reichweite. In Wehrden fiel der Weg steil ab, Schilder wiesen die Radfahrer an, abzusteigen, am Ende des Weges führte eine Spitzkehre zum Fluss, dort lag eine Gierseilfähre, die nur Fußgänger und Radfahrer transportiert. Am Himmel kreiste eine Gabelweihe. Gleich war mir das Wort eingefallen, wo einem doch manchmal viel selbstverständlichere fehlen. Später fiel mir die viel bekanntere Bezeichnung für diesen Raubvogel ein: Rotmilan. Ich hatte an den Schwarzmilan denken müssen, der wie ein militärischer Schatten lautlos über Carona glitt, damals, vor langer Zeit. Der Fährmann zeigte uns, wie wir die Räder auf sein Boot bringen. Es ist ein knapp 6 Meter langes, einfaches Metallboot mit Bänken links und rechts. Schwarzmilane gäbe es hier auch, sagte der Fährmann und stieß ab. Der Fluss gurgelte um das am Gierseil hängende Boot und trieb es zum anderen Ufer. Von dort war es nicht weit zur Porzellanmanufaktur Fürstenberg, 90 Meter über dem Fluss. Man steigt durch einen Waldweg hinauf, kommt schnaufend an, kann weit ins Land sehen und beschließt, es langsam angehen zu lassen.

Unterhalb rötlicher Sandsteinklippen an dichtem Wald vorbei, häufig mit frei hängenden, armdicken Wurzeln verflochten, Lianen. Wolken am Hang vor uns. In vorauseilendem Gehorsam schlüpfen wir unter unsere Capes, um wenig später festzustellen, dass sich das, was wir erwartet hatten, und was auch aussah, als müsse man es erwarten, in Niesel auflöst.

Höxter liegt links der Weser. Wir überqueren sie auf einer Brücke. Nicht Besonderes an dieser Brücke. Nicht die schönste, nicht die neuste, aber längst nicht so alt wie die uralte Steinbrücke in Hann. Münden. Wir drehen eine Runde um die Altstadt. Nichts reißt uns vom Hocker, es gibt keine Notwendigkeit, mehr zu sehen, also trinken wir Kaffee. Eisdielen haben immer auf, schon seit meiner Jugend haben Eisdielen auf, wenn alle anderen zu haben. Es ist Sonntag, die Stadt ruht, mehr ist von ihr nicht zu erwarten. Wie sich der afrikanische Migrant wohl fühlt, der die Einkaufsstraße herabgeht, Weserrenaissance hin oder her? War es nicht in einem dieser Dörfer und einzelstehenden Häusern des Berglands, wo ein Ehepaar Frauen anlockte, dumme Frauen? Frauen jedenfalls, die diesem Ehepaar auf den Leim gingen, wie man einem Ehepaar auf den Leim gehen kann, dessen höchste Lust heißt, Frauen anzulocken und sie im Keller zu foltern? Und hat in Holzminden ein liebeskranker Mann seine von ihm getrennt lebende Frau nicht hinters Auto gebunden und durch die Stadt geschleift? Oder war es umgekehrt? Egal. Wer hätte dem Weserbergland soviel Bosheit zugetraut.

Zum Kloster Corvey führt eine breite Panzerstraße parallel zum linken Weserufer. Sie verwirrt. Man traut dem Schildern nicht recht, obwohl Kloster Corvey draufsteht. Aber dann sind wir da, fahren in einen großen, von Wirtschaftsgebäuden umringten Hof, drehen eine Runde, fharen zu einem anderen Tor, das auf den Innenhof des daneben liegenden, ebenso, wenn nicht größere Komplex führt, werden aber am Durchfahren gehindert. Das dort stehende Auto, dass mich auf den Gedanken gebraucht hatte, dort durchzufahren, gehört einem Musiker, der am Nachmittag im Kloster spielen wird und gerade sein Equipment auslädt. Also hier geht es für uns nicht rein. Vorn aber stauen sich Touristenbusse. Das Weltkulturerbe. Das ist schon ein mächtiger Name, da kommt man eigentlich nicht drumherum. Aber man denkt: Es ist alt. Es ist Karolingisch. Es gehörte den lebensfrohen Benediktinern. Es ist auch Spätbarock. Hoffmann von Fallersleben war hier Bibliothekar.

Die Wolken werden dichter. Wir kreuzen den Fluss.

Unterhalb der rötlichen Heinser Klippen sagt sie, jetzt ist der Akku leer. Um zu vermeiden, dass meine Gefährtin unleidlich wird, sollten wir nach einer Unterkunft Ausschau halten. Die Weser hatte gerade einen Bogen gemacht. Wir fuhren auf einem Weg entlang einer Straße oberhalb. Bergprüfung. Das nächste Dorf, Heinsen, war schon zu sehen. Es liegt am westlichen Ufer. Eine Pappelreihe führte von der Straße hinunter zum Fluss. Pappelreihen markieren oft Wege. Diese einen sandigen Weg hinab zur Fähre über den Fluß. Am Abzweig wies ein Schild auf eine Ferienwohnung hin. Vermietung auch für einen Tag.

Beim Anleger war eine offene Hütte mit einem Aushang für Fahrzeiten. Von der Decke hing eine Glocke. Drüben war das Café Flair. Ich läutete. Als sich nichts tat, läutete ich noch einmal. Der Fährmann kam aus dem Café, ging hinunter zu seinem Aluminiumboot mit Außenborder und hydraulischer Frontklappe, warf den Motor an und kreuzte den Fluss. Der Motor musste sich anstrengen. Er habe uns schon gehört, sagte der Fährmann, als wir an Bord gingen, aber er habe gerade Kaffee getrunken. Ich wollte nicht drängen, sagte ich.

Er setzt über, wir schieben unsere Räder von Bord und die Böschung hoch bis zur Straße. Ich beschließe, im Café zu fragen, wo die Pension sei. Der Wirt trägt Flip-Flops, ist Mitte Fünfzig, dick überall, fett geradezu, trägt sein dunkelblondes, schütteres Haar gegelt zurückgekämmt und mittig mit eine türkisenen Strähne. Er sagt, unten sei ein Schild, da könne ich das nachlesen. Dass steht, dass es auf der Hauptstraße ist, aber das wusste ich schon. Wir fahren die Hauptstraße rauf und runter. Keine Menschenseele, nur ein paar Schwalben und Kühe auf den Wiesen. Dazu das Café Flair, die Plastikstühle und grellbunten Lampions, die Blumentischdecken aus Kunststoff, die Möbel der Ferienwohnung, der Wirt. Wir wollen hier weg. Das nächste Dorf ist zweieinhalb Kilometer entfernt. Das schaffe ich, sagt sie. Eine halbe Stunde später sitzen wir auf einem Balkon und schauen auf den Fluss. Es regnet. Wolken hüllen die Wipfel ein. Alles macht Sinn. Hier ist es herrlich. Morgen um diese Zeit steht alles auf Messers Schneide.


Zwischenspiel

Links vom Radweg Grasland bis zum Fluss, einen Steinwurf entfernt. Am anderen Ufer ein dicht bewaldeter Höhenzug, davor eine Straße. Der Radweg ist asphaltiert, weit und breit ist niemand. Hinter uns taucht ein 7,5 To. LKW auf. Wir steigen vom Rad, um ihn passieren zu lassen, verwundert, was er hier sucht. Der Fahrer, ein Afrikaner, hält. Moin, sage ich. Moin sagt er, ich habe mich verfahren, wissen Sie, wo es nach Polle geht. Polle ist ein paar Kilometer weseraufwärts auf der anderen Seite, Sie müssen die Fähre nehmen, sage ich. Der Fahrer ist zerknirscht, aber er nimmt es mit Humor. Wenden kann er nicht, er würde sich in der Wiese auf die ein oder andere Art festfahren, er muss also langsam zurück, etwa einen Kilometer, dort ist ein Gasthof und dort endet eine Straße.


Tag 4 (Montag)

Polle - Bodenwerder - Hameln - Kleinenwieden

Gegen 19 Uhr stand in Kleinenwieden, ein Dorf knapp vor Rinteln, alles auf Messers Schneide und ich hatte es nicht begriffen. Ich war gerade aufs Rad gestiegen. Wir wollten Essen fahren. Das rechte Bein vom Aufsteigen noch in der Luft hatte ein Satz hatte mich benutzt, um vorlaut zu werden. Als ich im Sattel saß, war er auf und davon. Das Dorf war kaum mehr als eine Straße, eine Kirche, ein paar Bauernhöfe, das Dorf lag am Fluss, und wir waren froh, eine Unterkunft gefunden zu haben. Wir waren müde nach sechzig Kilometern. Wir waren euphorisch, weil man nach so einer Tagestour gerne glaubt, das Hotel hätten einem die Götter geschickt, denn in so einem Dorf gibt es normalerweise keine Hotels. Wir fuhren also zum einzigen Restaurant im Dorf, das Ruhetag hatte, aber wegen eines Betriebsausfluges offen war. Wir aßen, wir tranken, ringsum schnatterte der Betriebsausflug, und dann kehrte der Satz plötzlich in ihren Augen zurück und blieb bis zum frühen Mittag des nächsten Tages, des fünften, als ich in Eilsbergen, einer Siedlung ein paar Kilometer hinter Rinteln eine Heißmangel sah, die gleichzeitig Bücher verlieh und Schuhe verkaufte. So etwas hatte ich noch nie gesehen und ich rief es ihr zu. Sie lächelte und der Satz war fort.

Eh sich der fünfte Tag auffaltet, als habe er nur darauf gewartet, sich dem Leben entgegen zu recken, muss der vierte zuende erzählt werden, denn der vorlaute Satz und das Zwischenspiel waren ja nur der Anfang. Es muss in Polle gewesen sein, als ich mich mit der Strecke ein wenig vertraut machte und auf den Namen Grohnde stieß. Grohnde hatte etwas zu bedeuten, das wusste ich sofort, ich wusste nur nicht mehr, was und in welchem Kontext.

Der vierte Tag hatte sonnig begonnen. Von Polle bis nach Bodenwerder war es nicht weit. Wir hatten dort Postkarten gekauft, Münchhausen Postkarten,m in einem von Griechen geführten Café hatten wir Kaffee getrunken und Halva gegessen. Die Stadt schien entvölkert. Hier ist nie etwas los, sagte die Frau aus dem Postkartengeschäft. Münchhausen allein macht sie nicht lebendig. Es begann zu regnen. Aber es regnete nicht lange. Es regnete eigentlich nur, als wir uns die Capés überzogen, danach hörte es sofort auf. Wir fuhren durch dunklen Wald. Dann öffnete sich das Land. Die Berge rückten vom Fluss ab. Am Horizont tauchte ein AKW auf. Groß und auch schön. Sofort war der Kontext zurück. Die Anti-AKW Bewegung. Die 80er. Grohnde.

Die Weser machte bald eine radikale Rechtskurve, dann schien sie wie ein Kanal, der nach Hameln führt, eine mittelgroße Provinzstadt, Puppenstube mit Rattenfängermuseum und Weserrenaissance, mit Japanern, Chinesen und allem, was das Herz begehrt. Viel mehr als herumschauen und einen Kaffee trinken kann man hier nicht, es sei denn, man mag diesen Trubel um den Rattenfänger und die Andenken, die man kaufen kann, aber wir fuhren schnell raus aus der provinziellen Ballungsszone mit einem Aldi am Stadtrand, wo wir Wein für den Abend kauften, der wahrscheinlich mitverantwortlich war für den vorlauten Satz. Langsam, ganz langsam nähern wir uns flacherem Land, aber noch hat die Weser die Porta Westfalica nicht erreicht. Der Zauber der Oberweser verfliegt. Wir justieren uns neu. Es wird warm. Es wird heiß. Vielleicht spielt all das eine Rolle, als mich der Satz am Abend verlässt. Vielleicht hat es aber auch gar nichts damit zu tun. Vielleicht war es eine Nachlässigkeit des Gehirns. Schließlich arbeitet so ein Hirn Tag und Nacht, und vieles, was es dabei produziert, sagt man besser nicht, weil die Welt zu einem Ort voller Tretminen geworden ist, ein Ort, in dem Lügen mehr zählen als Wahrheit und die politische Korrektheit alles unterm Deckel hält, bis der Topf irgendwann explodiert. Wir jedenfalls hatten an diesem Abend den Fluss für uns, hatten ein schönes Zimmer, ein Rehbock und eine Ricke jagten einander am gegenüberliegenden Ufer, und natürlich hatten wir einen verkorksten Abend.


Tag 5 (Dienstag)

Kleinenwieden - Rinteln - Vlotho - Porta Westfalica - Minden - Petershagen

Veltheim, ein gottverlassenes Dorf, eine Straße, eine Weserfähre, die nicht mehr existiert oder nur zu bestimmten Tageszeiten fährt, eine Bude im Vorgarten eines Einfamilienhauses, darin selbstgebastelter Tinneff, Kuchen, Kaffee, ein Tisch, eine Bank. Man solle sich bedienen und zahlen, was man glaube, zahlen zu müssen, steht auf einem Schild. Wir setzten uns. Die Fahrt durch und um Rinteln war vergleichsweise mühsam. Der Weg hatte sich von der Weser entfernt, aus dem Urlaubsland war ein Land mit Fabriken und arbeitenden Menschen geworden, überall waren Kiesgruben, ein riesiges Kraftwerk stand monolithisch herum. Wir waren fast beleidigt, weil die Intimität, die sich in den letzten Tag zwischen Fluss und uns entwickelt hatte, fort war, wir vermissten sie, wir wollten ihm wieder nah sein, und wir würden ihm auch wieder nah kommen, auf der Karte war das deutlich auszumachen, aber bishin war es noch ein Stück, daher kam uns die Pause gerade recht. Von Rinteln hatten wir nichts gesehen. Vielleicht ist es eine schöne Stadt, vielleicht ist sie hässlich, wir fanden jedenfalls nichts, was uns drängte, sie anzuschauen.

Wenn man mit dem Rad unterwegs ist, ist das Radfahren der eigentliche Sinn des Unternehmens, Städte, zumal wenn sie etwas größer sind, stören da nur. Ich füllte Kaffee in Tassen. Ich nahm Muffins aus einem Korb. Ich brachte ihr beides. Ich wollte dich nicht verletzen, sagte ich. Mehr war nicht zu sagen. Sie wusste das. Da saßen wir nun. Ein Mann, eine Frau, und eine uralte Geschichte, die man jeden Tag neu erzählen muss, damit sie nicht fad wird. Der Kaffee war trinkbar, die Muffins waren lecker.

Bald tauchte Vlotho am linken Ufer auf, wir fuhren über eine Brücke, wir sahen es uns an, es war ähnlich verlassen wie Bodenwerder. Bundesstraßen kamen ins Bild, eine Autobahn musste unterquert werden, ein Erholungsgebiet mit aus Baggerseen entstandenen Badeparadiesen durchfahren, und dann - endlich - die Porta Westfalica, die man immer von der Autobahn sieht oder vom Zug, wenn man nach Berlin unterwegs ist.

Die Weser verlässt das Bergland und bricht in die Norddeutsche Tiefebene ein. So oder so ähnlich steht es im Reiseführer. Ich machte ein Foto, aber Denkmäler sind schwer zu fotografieren. Wenn man ein Andenken will, ist es besser, eine Ansichtskarte zu kaufen. Schön ist die Porta Westfalica nicht. Bis Minden sind überall Baggerseen und lange Transportbänder entlang des Weges. Erst hinter Minden entspannt es sich wieder. Man hat den Mittellandkanal unterquert, man hat sich gefragt, ob man vom Kanal mittels Schleusen in die Weser kommt und umgekehrt, Sinn würde das machen, aber die Frage wurde nicht beantwortet. Die Weser war jetzt breit und floss kaum, was auf ein Stauwerk bei Petershagen hinwies. Petershagen hatte die Frau, deren Kaffee wir getrunken und deren Muffins wir gegessen hatten, empfohlen, Petershagen wäre schön.

Acht Kilometer also bis Petershagen. Das Land ist flach wie ein Brett. Nach den kühlen Anfangstagen unserer Reise herrscht wieder die Hitze der Vorwoche. Auf dem Fluss jagen Jetskis herum und Boote, die Wasserskifahrer ziehen. Im Dorf stehen menschliche Figuren, die, wenn man sie aus den Augenwinkeln betrachtet, für einen Augenblick Leben vortäuschen. Es giubt bezaubernde Gassen. In einer ist eine ehemalige Synagoge. Wir gehen herum. Vieles ist auch hier verlassen. Beim Bäcker erholen wir uns von der Hitze. Wir hatten eine Jugendherberge gesehen, das Rad Haus (das nicht einladend aussah) und ein Schloßhotel, das wegen des zu erwartenden Preises von vorherein ausschied. Die Jugendherberge lag keinen Steinwurf vom Fluss, eine ehemalige Seemannschule, nagelneu renoviert. Dort hatte man ein Zimmer für uns im zweiten Stock. Es war teurer als die Hotels, in denen wir bisher übernachtet hatten, denn wir hätten Mitglieder werden müssen. All das fassten wir ins Auge, denn es mangelte an Alternativen, der Nachmittag schritt voran, aber als wir das Zimmer sahen, zwei Doppelstockbetten, ein Tisch, vier Stühle, die Ausdünstungen geleimten Holzes, die Normgrößen, das Fehlen jeglicher Atmosphäre oder einer Atmosphäre, die uns ganz und gar nicht gefiel, nahmen wir es nicht. Wir googelten ein Waldhotel an einer Straße zwei Kilometer vorm Dorf. Der Wald lag hinterm Hotel, die Zimmer zur Straße, die Zimmer zum Wald waren teurer. Die Rezeptionistin trug ein Seemannskostüm. Man feiere die Themenwoche Fisch, sagte sie. Wir verzichteten, kehrten ins Dorf zurück und schauten uns das Rad Haus von innen an. Selbstgemachte Kunst an den Wänden, bunte Bettbezüge, ausladende Sofas, Sessel. Alles hätte vom Trödler sein können, so etwas hatten wir noch nicht gesehen, es hatte Stil, das mussten wir neidlos anerkennen. Wir freuen uns, dass Sie sich für die Pension Rad Haus entschieden haben. Es ist uns eine Herzensangelegenheit, Sie während ihres Aufenthaltes zu versorgen, stand auf einem Flyer. Alles war blitzsauber, und unser Zimmer hatte eine Terrasse. Die Terrasse war ein Stückchen Hof neben der Garage mit einem kleinen Gartentisch und zwei Stühlen. Schattig. Ringsum die Hinterhöfe des Dorfes. Wir nahmen es. Da wir Zugang zu einer kleinen Küche hatten, beschlossen wir, einzukaufen. Draußen die Hitze, drinnen die Klimaanlage und all die leckeren Dinge, wir gerieten in einen sinnlosen Kaufrausch und waren schwer beladen, als wir ins Rad Haus zurückkehrten. Wir aßen und hatten am Tag darauf noch zu essen, wir schliefen gut und das Frühstück war nirgendwo besser.

Zwischenspiel

Vom Wald muss noch die Rede sein, hinter Fürstenberg, der vom Rücken des Berges bis an den Rand des rötlichen Kalksandsteinbruches steht. Er wächst über die Kante hinaus, hält sich in jeder Ritze und findet Wege hinab. Manchmal fällt ein Baum um und verrottet bemoost. Von den Lebenden - Buchen, glaube ich, kann es aber nicht beschwören - hängen oft armdicke graue Lianen.


Tag 6
(Mittwoch) Petershagen - Stolzenau - Nienburg - Drakenburg


Die Sonne scheint. Eichen säumen den schnurgeraden Weg. Lerchen steigen auf. Bäuchlings treibende Wolken tupfen den Himmel. Kiesgruben in der Ebene, eine Glasindustrie gab es oder gibt es vielleicht immer noch. Die Luft ist frisch, aber das wird nicht so bleiben. Wir sind linksseits der Weser. Weserauen. Buchholz, ein weltfernes
Dorf, wo der Fluss fast durch die Hinterhöfe und Gärten fließt. Um die kleine Wehrkirche, fast 1000 Jahre alt, kreist eine kräftige Mittdreißigerin auf ihrem Rasenmäher und flucht über den Müll, den die Menschen fortwerfen. Die Nähe zum Fluss tut gut. Endlich sind wir wieder intim. Die Straßen zwischen Rinteln und Minden hatten uns ein wenig entfremdet. Jetzt können wir wieder den Himmel genießen und die Weite der Landschaft.

Von Stolzenau bleibt kaum mehr als eine Schleuse, und ein träg plätschernder Brunnen im Garten eines Restaurants. Wir trinken Kaffee. Ihr Po tut weh. Der Sitz ihres Fahrrades heize immer so auf. Sie könne heute keine großen Sprünge mehr machen. Macht nichts, sage ich. Es ist nicht mehr weit. Wir kommen durch ein historisches Scheunenviertel bei Schlüsselburg, das die Bauern der Region angelegt haben, um ihre Ernte vor Hochwassern zu schützen. Ringsum Kiefern. Mit einem Blick auf die Karte könnten wir die Lüneburger Heide vorausahnen, die dreißig, vierzig Kilometer entfernt beginnt. Wir nähern uns Nienburg. Auf dem Fluss fahren zwei Motorboote Schlangenlinien. Großväter mit Enkeln am ersten Ferientag. Die Enkel kreischen. Wir fahren ins Dorf. Patrizierhäuser. Ein Polizeimuseum. Ein Wochenmarkt, der gerade abgebaut wird. Wir finden eine Eisdiele und setzen uns. Sie will Salbe und verschwindet in einem DM Markt. Ich schaue Passanten nach. Ein junger Mann kommt aus dem DM Markt. Muskeln. Glatze. Schwarze Kleidung. Im Nacken ein Runen-Tatoo. Frau und Kind laufen neben ihm. Ist das ein Nazi oder einer von der Antifa? Als sie zurückkehrt, ist es nicht bei Salbe geblieben. In Geschäften bleibt es nie bei dem, was sie eigentlich wollte. Ich empfehle ihr ein Eis. Interessiert uns das Polizeimuseum? Nein. Bis Drakenburg sind es 6 Kilometer, also los. An den Pfeilern einer weit vor dem Fluß beginnenden Brücke finden wir FCK Nazis Tags. Wir haben ein Hotel gebucht, werden die Beine hochlegen, essen und trinken. Gegenüber vom Hotel ist eine Staustufe. Um die Gassenecke ist das Gut Drakenburg mit einem Weserrenaissance Bogen und eine lutheranische Kirche, die barocke Pracht entfaltet. Die Wirtin des Hotels ist Jugoslawin. Am frühen Abend ist Fußball, Deutschland verliert und scheider. Mir macht das nichts. Den ansässigen Biertrinkern auch nicht.


Tag 7
(Donnerstag) Drakenburg - Nienburg - Achim

Am Donnerstag fahren wir zurück nach Nienburg. Sie kauft Bahntickets nach Achim und bucht Bremen - Münster für Freitagnachmittag. Ich sitze auf einer Bank vorm Bahnhof, passe auf die Räder auf und spreche ich mit einem Bayern, der bei der großen Unwetterkatastrophe im November 72 hergekommen ist, um zu helfen. Dabei habe er seine Frau kennengelernt. So gehe das eben. Ja, es gefalle ihm, aber Bayern sei doch etwas anderes. Wir fahren ins Schwimmbad. Hier ist alles Wellness mit Geräuschdesign "Brandung", hier toben keine Kinder, hier macht niemand Arschbomben, hier liegen Rentner in Whirlpools. Die Würstchen für den kleinen Hunger schmecken grauenhaft. Als die Thekenkraft mich beim Zurückbringen des Geschirrs fragt, ob es geschmeckt habe, sage ich nein. Sie starrt mich an.

Der Zug bringt uns nach Achim. Ich hatte schon von Achim gehört. Es läge auf einem Höhenrücken, der, ähnlich dem Teutoburger Wald, eine Wetterscheide sei. Aber ich hatte nicht gewusst, dass die Weser Achim zwar streift, dies aber doch in einiger Entfernung tut. Und so irren wir, vom Bahnhof kommend, erst eine Weile herum, fahren mit dem Rad bis hinunter zu den Weserauen, aber die Weser ist nirgendwo zu sehen, höchstens zu ahnen. Dann mühen wir uns wieder bergan, finden in Zentrum der Stadt ein Touristenbüro, buchen dort ein Hotel, schauen ein wenig herum, und machen uns dann auf den Weg. Das Hotel liegt an einer Marina. Die Weser ist gleich da vorn. Das Zimmer ist riesig groß, es hat einen Balkon, und wir haben nichts mehr zu tun. Wir ruhen. Wir trinken einen Schluck Wein. Wir fahren zum Abend durch die Weserauen zum Fluß. Menschen baden, Motorboote fahren stromauf und ab, ein kleiner Jung schwimmt seinem davontreibenden Ball nach, ich hätte schon Lust, zu schwimmer, aber ich trau mich nicht.


Tag 8 (Freitag) Achim - Bremen - Münster

Was weiß ich über Bremen? - Nicht viel, nur, dass ich die letzte Nacht in Bremen in einem Krankenhaus verbrachte. Das war letztes Jahr und die Umstände, die dazu führten, habe ich schon erläutert. Jetzt aber weiß ich schon mehr, denn ich habe es mit dem Fahrrad erreicht, es Meter für Meter erobert. Ich weiß, dass Werder die Bezeichnung für eine Flussinsel ist. Ich weiß auch, dass es ein Strandbad gibt, habe aber nicht ein Mal in der Weser gebadet, sie strömte zu schnell. Ich Achim wäre es möglich gewesen, da hatten mir Einheimische versichert, dass das Schwimmen im Fluss gefahrlos sei, aber da wollte ich nicht, ich hatte schon zwei Gläser Wein getrunken. Ich weiß also nicht, wie das ist. Ich weiß aber, wo die Kunsthalle ist und das Museum für moderne Kunst, ich weiß, wo ich mir den Bart schneiden ließ, und dann nebenan Köstlichkeiten aus der Türkei und dem Nahen Osten aß. Ich weiß, aus welcher Richtung die Flugzeuge anfliegen, ich habe die große Bahnbrücke über den Fluss mit dem Rad unterquert, die A1 ebenso, und ich habe das Autohaus gesehen, das an der Peripherie der Stadt garantiert 3000 bebrauchte Autos anbietet. Vorm Überseemuseum habe ich eine der missgelauntesten Frauen der Stadt gesehen und eine lange Nase gezeigt, was ihren Missmut noch steigerte, für konkurrenzlose 2,50 Euro habe ich mein Rad plus Gepäck sicher in der Radstation aufbewahren können, ich habe schwarz gekleidete Einsatztruppen der Polizei vorm Bahnhof gesehen, die eher nach Gewalt als nach Recht aussahen, ich habe in einem Hauseingang im Schnoor gesessen und Touristen beobachtet, eine aus Russland stammende, aus der Zeit gefallene junge Frau in einem blau-weißen, schulterfreien Kleid mit Puffärmeln, Marinekragen und weitem, kurzen Rock, den Himmel über Bremen habe ich gesehen, und gleich beim Ankommen hat mich Wehmut befallen, denn die Ankunft war der Anfang vom Ende unserer Reise. Jetzt, wo ich ein wenig mehr über die Stadt weiß, freue ich mich darauf, bald noch einmal dorthin zu fahren.