Januar 2011                                       www.hermann-mensing.de          

mensing literatur
 

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zum letzten eintrag


Sa 1.01. 11 14:14


wir standen im wind
der kein starker wind war
eher eine erinnerung an die zukunft
das meer war schwarz vor vergangenheit
lichter am strand
junge leute
die vor der dunkelheit flohen
in rausch und musik

niemanden hatte ich lieber an meiner seite
niemand erfüllte die welt mehr mit sinn
aber wir wussten wie sinnlos das war

wir sanken knöcheltief ein
auf dem weg hinunter zum wasser
es war unser letztes silvester
wenn wir's gewusst hätten
vielleicht hätten wir uns ertränkt

wir saßen im sand
öffneten eine flasche champagner
ließen uns hochleben und ahnten nichts

wie sorglos wir waren
wie klein selbst die größte welt
weil wir liebten
und wie groß wir sie machten
wenn sie uns zu klein war

und später im hotel
mit dicker zigarre im mund
der scharfe witz über utrecht
wie da die gesichter froren
wir lachten die nacht fort
die welt fort
den frost nahmen wir
am morgen auf unsere gesichter

wir warteten darauf
dass das meer zufror
um fortgehen zu können
aber da war das neue jahr vor
du hattest es eilig
und musstest allein gehn
so begann das
und irgendwann endet's mit mir


19:01

wir nehmen einen schwamm
und dann schwamm drüber
sagte der hohe rat
gut sagte sokrates
nahm einen schwamm
und schwamm drüber
er schwamm und schwamm
und schließlich auf hoher see
ließ er alles unter sich
den ärger die einsicht das bessere wissen
er schwamm drüber
am horizont tauchte land auf
als er's erreichte
war es das land
in dem er vorher gelebt hatte
und das er nie hätte verlassen dürfen
aber es war noch nicht zu spät
er drückte den schwamm aus
spülte den dreck fort und die enttäuschungen
nahm den schwamm
und schwamm drüber


Mo 3.01.11 9:46

Sprachlos im neuen Jahr. Ruhe bewahren.

16:37


die haut war dünn
als die glocken vom stuhl fielen
die haare leuchteten
als die heide brannte
in jenem sommer
hatten sich alle versammelt
an den straßen standen wurstbuden
männer erklärten die welt
und techniker taten
als hätten sie alles im griff
bardamen in erleuchteten türen
vergaßen die kundschaft
und die rabatten vorm rathaus
wurden von mäusen durchwühlt
dass löcher hineinfielen
tiefer als tiefste vulkane
so waren alle ergriffen
und sprachen von flucht
aber niemand wusste wohin
und dann kam der rauch
und dann kam das feuer
und dann hörte die welt auf
mit armen um sich zu schlagen
niemand konnte etwas erklären
alle hatten etwas gesehen
nur der der genaues wusste
beschloss zu schweigen
und hing dann noch tage

17:26

Da kann der Meister tanzen soviel er will, der Schmerz geht nicht weg, er hockt hinterm Frühling und springt ihn an. Da kann der Meister sitzen und nichts tun, der Schmerz geht nicht weg, er hockt auf dem Rand der Kaffeetasse und grinst. Da kann der Meister tun, was er will, der Schmerz wird nicht kleiner, eher größer. Da kann der Meister lachen, es stimmt nicht, hinterm Gesicht lauert der Tod und reibt sich die Hände. Da kann der Meister nichts machen, nichts machen kann der Meister, er kann warten und hoffen, dass das Vakuum nicht implodiert, er kann Reden halten und Gedichte schreiben, er kann den Vögeln zuhören, die vor seinem Fenster Lieder singen, das alles nutzt nichts: der Meister ist allein.


Di 4.01.11
11:06


Haben Sie sie oft beleidigt. Wahrscheinlich, sagte der Mann. Man beleidigt sich, wenn man liebt. Wenn man nicht liebt, beleidigt man sich auch. Die Welt ist eine einzige Beleidigung. Aber wir waren mit uns im Reinen. Ich hatte alles gesagt. Sie kannte mich. Ich habe nie etwas verheimlicht. Und Sie? Kannten Sie sie? fragte Herr Janssen. Nein, sagte der Mann. Ich liebe sie. Ich verdanke ihr meine Existenz. Ich wollte sie gar nicht kennen. Mir reichte, dass Sie mir erlaubte, sie zu lieben. Sie hätte jeden haben können, aber sie hat mich genommen. Das reichte mir. Mehr musste ich nicht wissen. Und wenn Sie gestritten haben? fragte Herr Janssen. Dann haben die Lippen gestritten und wollten fort, eine in diese, eine in die andere Richtung und so kam das Lachen zur Welt. Herr Janssen nahm sein schwarzes Notizbuch, öffnete es, nahm einen Stift und sagte: Könnten Sie das noch einmal sagen. Nein, sagte der Mann. Schade, sagte Herr Janssen. Keine Ursache, sagte der Mann. Aber sie könnten etwas anderes notieren, wenn sie wollen. Gern, sagte Herr Janssen. Rauchen verursacht tödlichen Lungenkrebs, sagte der Mann. So, und jetzt möchte ich an die frische Luft.

17:08

der mond
hängt überm nachbarhaus
der mann ist still und langweilt sich
paar mücken treiben teufel aus
jemand stößt an den tisch

die nacht
packt aus was ihn erschreckt
zum ende wird sie hilflos
jemand hat namen ausgeheckt
und fühlt sich ziemlich schamlos

der schlaf
hat viel zu viele viele türen
er hat schon andere verstört
als würde er ihn in die irre führen
und niemand hätte ihn gehört

der tag
danach kommt als geschenk
und fragt nach milchkaffee
jemand hat nachts den mond erhängt
der mann fährt an die see

23:02



Mi 5.01.11 14:20

ich hätte gern eine frau
sagte ich zum verkäufer
sie sollte nicht sprechen
sie sollte nur da sein
damit ich mal zwei tage in ihren armen läge
und heulen könnte
da hätten wir latex und plastik
sagte der verkäufer
jaqueline und marie-annique
die namen gefielen mir nicht
ich ging in ein anderes geschäft
da hießen sie babette und kathrina
doch auch die gefielen mir nicht
so blieb ich allein
und entschloss mich
den nächsten vollmond zu nutzen
schlich mich
zum wolfsgehege im zoo
und sprach mit den wölfen
die meinten
wenn's weiter nichts wäre
mal los dann
und so heulte ich los
die wölfe waren beeindruckt
und boten mir eine stellung im rudel
ich nahm an und bin seitdem sehr glücklich

17:11

Kleiner Happen aus Räuber, Schattengeister und ein Karpfen im Mühlteich

Peter Bogatzki aus dem Hinterhaus wollte dieses Jahr nach Spanien, und Flötekesseldieter prahlte schon seit Wochen damit, dass er im Sommer ganz allein mit dem Flieger zu seiner Tante nach Australien düsen würde.

Flötekesseldieter war nicht besonders beliebt und der Klügste war er auch nicht. Er hatte nicht den leisesten Schimmer, wo Australien lag.

Kutte wusste das. Kutte hatte von Opa Heini zu Weihnachten einen beleuchteten Globus bekommen. Seitdem reiste er abends oft um die Welt. Er machte alles Licht aus, knipste den Globus an, drehte ihn und tippte bei geschlossenen Augen mit seinem Finger darauf.

Seltsame Orte hatte er auf diese Art und Weise entdeckt, Orte, die nicht einmal Opa Heini kannte, und der hatte die Welt schließlich gesehen.

Opa Heini hatte im Toten Meer gebadet und dabei Zeitung gelesen. Opa Heini war auf einem Elefanten durch den südindischen Dschungel geritten. Opa Heini hatte das Dach der Welt gesehen und die tiefsten Meere befahren. Am Amazonas hatte er Gummibäume gemolken, in Argentinien hätte eine wild gewordene Rinderherde ihn fast über den Haufen gerannt, und in Australien hatte er nach Edelsteinen gegraben.

Und Schnabeltiere gefangen.

Und Tasmanische Teufel gesehen.

Kutte hatte Flötekesseldieter vom Tasmanischen Teufel erzählt. Allerdings hatte er nicht gesagt, dass der Tasmanische Teufel ein recht harmloses Tier ist. Und so ganz nebenbei hatte er ihm auch noch gesteckt, dass man auf der anderen Seite der Erde mit dem Kopf nach unten hängt.

"Ehrlich?" Flötekesseldieter war bleich geworden.

"Natürlich, Flöte. Ist doch logisch! Wir sind oben, die unten."


Do 6.01.11 14:29


jetzt was reimen was nicht geht
was früh morgens auf den beinen steht
jetzt was stellen was nicht schwillt was niemals die sehnsucht stillt
jetzt was husten was nicht flockt drüber pusten und das bett gerockt

jetzt was haben
und in liebe baden
jetzt nichts sagen nie mehr sprechen schwüre brechen

jetzt ist stille grauenhaft ohne wille keine kraft

eben seh ich's als es übern dachfirst rutscht
dachte nimm und brich es ehe es ins jenseits flutscht

17:26


Wär' es klug, in Wattenscheid zu siegen
oder will ich lieber in Berlin Bananen biegen
reicht es, wenn ich nirgendwo gewinne
wär' es besser, wenn ich in New York von vorn beginne
ist ein kleines Leben hier erstrebenswert
oder wär es klüger, wenn man anderswohin fährt
sollt ich nicht in meinem Alter Segel streichen
statt mit andren früh verprellten Leichen
immer noch den Dichter zu bemühen
wär's nicht schöner, langsam zu verblühen
wär Bescheidenheit nicht besser
liefert mich nicht jeder neue Satz ans Messer
wär's nicht ehrenvoller, still ins Loch zu fahren
statt mit all den andren Narren
jeden Tag aufs Neu den Tanz zu wagen
virtuos in allen unbekannten Lagen
noch 'nen Satz ins All zu schleudern
und mich weiter zu vergeudern?

Hätte wäre tute täte
leckt mich an der Mäte....


Fr 7.01.11 22:40

Der Nordiek ist eine Rutschbahn. Die Gräben sind randvoll. Ich fahre zwanzig. Manche Schneeinseln haben hohe Kanten. Die schieben das Auto aus der Spur. Im Studio ist es gemütlich. Wir reden. Wir trinken Kaffee. Ich habe Kuchen beim Dorfbäcker gekauft. Endlich Tauwetter, hat der Bauer gesagt. Als ich heim fahre, schleift Nebel das Land. Die Dinkel geht übers Ufer. Die Autofahrer fahren zu schnell. Ich weiß nicht, wie sie das nervlich aushalten. Zuhause wartet die Katze. Sie maunzt, weil sie mir Essen abschwatzen will, aber ich weiß, dass sie gegessen hat und roll mich aufs Sofa. Ich lese. Ich höre Erdmöbel und kann mir nicht helfen. Ich finde die CD bieder. Schön und bieder. Wenn ich bedenke, wie gut ich die Band einmal fand.


Sa 8.01.11 9:52

Die Sonne scheint. Der Schnee schmilzt rapide. Nicht, dass schon Frühling wäre, aber es fühlt sich so an.


So 9.01.11 10:34

Gestern brachte mir die Post eine Nachricht aus dem Paradies. Bis dahin dachte ich, es sei eine Erfindung der Christen, um sie bei der Stange zu halten, jetzt bin ich eines Besseren belehrt. Das Paradies liegt im indischen Ozean. Afrika ist nicht weit, das Paradies gehört Frankreich, ich nehme an, man zahlt dort mit Euros. Die, die mir die Nachricht schickte, will nie wieder fort.

Das ist verständlich, ich muss nur aus dem Fenster schauen, dann kann ich die Bilder abgleichen. Dort das azurblaue Meer, die Bougainvilleen, hier die schmutzigen Schneereste, der Müll der Silversternacht, das Grau des Himmels, die lebensfrohen Westfalen, die bis zum Hals eingegraben in ihren Wohlstand vor Beschwerden weder ein noch aus wissen.

Alles soll anders sein und die anderen sollen es sofort tun, aber dass sie selbst Urheber ihrer Misere sind, begreifen sie nicht. Sie wollen Strom, Wärme, sie wollen mit ihren Autos jederzeits überall hinfahren können, sie zucken nicht vor Scham, wenn sie einen Flug buchen, der so billig ist, dass er eigentlich gar nicht stattfinden dürfte, aber ändern sollen es die anderen.

Und wenn diese anderen dann versuchen, die Zukunft zu planen, damit die, von denen sie gewählt sind, weiterhin ihre eitlen Glücksillusionen leben können, ist es auch nicht gut. Dann wollen sie den Parkplatz nicht, weil er die "Umwelt" zerstört, sie wollen nicht, dass man die strahlende Hinterlassenschaft der Stromindustrie in der Erde vergräbt, aber Strom wollen sie, und wenn man sie fragt, wohin denn damit, zucken sie die Achseln und schlagen vor, es woanders zu vergraben.

Die Widersprüche am Abgrund sind unüberbrückbar. Das Regieren ist schwer bis unmöglich. Man glaubt niemandem mehr, und wenn man jemandem glaubt, wird er in dem Augenblick unglaubwürdig, in dem er beginnt, in der Legislative mitzuarbeiten.

Es ist ein irrer Tanz. Da niemand auf den Rhythmus achtet, fliegen wir aus den Kurven, dass es links und rechts nur so scheppert. Damit wir sediert bleiben, offeriert uns die Industrie täglich Neuheiten. Wir kaufen sie, um am Tag darauf festzustellen, dass sie schon wieder veraltet sind.

Ich hocke am Küchentisch. Ich hatte Besuch. Die beste Freundin der Frau war hier, um ihren Vater zu besuchen, der seit Monaten krank ist und von einem Spezialisten zum anderen gereicht wird. Keiner weiß so recht, wie man ihn heilen kann und die Pflege lässt zu wünschen übrig. Überfordert, überlastet, abgestumpft. Ich fuhr sie zu einem Krankenhaus in einer Stadt zwanzig Kilometer entfernt. Dort angekommen, begann mein Magen zu rebellieren. Ich kann Krankenhäuser nur noch schwer ertragen, dabei habe ich doch in einem gearbeitet. Habe Tag und Nacht mit dem Tod zu tun gehabt, ohne mit der Wimper zu zucken. Aber seit sie gestorben ist, mache ich weite Bögen. Bete jeden Tag, dass mich der Schlag trifft, wenn es so weit ist.

Ich werde aufräumen gleich. Ich werde mich aufs Sofa setzen und lesen. Vielleicht fahre ich mit dem Rad. Ich nehme hin, dass der Workshop, der für nächste Woche geplant war, nicht stattfindet, weil die beteiligten Schulen sich überfordert sahen, ihn in ihre Abläufe einzupflegen. Ich weiß, warum das so ist. Sie wissen vor lauter organisatorischem Müll nicht wohin. Sie werden mit administrativen Aufgaben von ihrer eigentlichen, ihrer pädagogischen Aufgabe abgehalten. Ich nehme ihnen das nicht übel, aber für mich bedeutet das eine herbe Einbusse, denn ich hatte mit den Einnahmen gerechnet.

So ist also alles beim Alten. Die erste, schwere Attacke des Winter hat über sechs Wochen gedauert, und ob es die letzte war, bezweifle ich. Ich schaue mir die Postkarte aus dem Paradies noch einmal an, ich zucke die Achseln und scheiße drauf. Ich bin hier. Wenn ich das Paradies will, muss es sich hier entfalten, hier, an diesem Küchentisch, an diesem Sonntag, und ich bin derjenige, der dafür verantwortlich ist, ihm den nötigen Raum zu verschaffen. Alles andere ist Gewäsch. Deshalb, alles wird gut. An die Arbeit jetzt, aufräumen, spülen, abführen und was sonst noch zu tun ist.

Wer mehr will als Tagesnotate, klicke hierher.

11:13

Wer möchte, dass ich an seiner Schule, in seiner Bücherei oder sonstwo lese, klicke hier.

12:41

Das vegetarische Gulasch ist gekocht, hab's aber mit ein paar Fleischbällchen kompatibler gemacht für die, die Fleisch als ihr Gemüse betrachten. Das Rezept ist einfach: ein Pfund roter Zwiebel schneiden, zwei drei Knoblauchzehen, alles in Butter andünsten, eine Dose Tomatenmark unterrühren, Tomaten häuten, zerschneiden, dazu, mit Gemüsebrühe aufgießen, zehn Minuten ziehen lassen, Kartoffeln in nicht zu kleine Stücke schneiden, hinein damit und köcheln lassen, bis sie gar sind. Als Zugabe steinhart gekochte Eier oder Fleischbällchen, so wie heute.

16:09

Links ist das Engellädchen. Man kann Heilmeditationen mit seinem Engel buchen. Wie teuer das ist, weiß ich nicht. Es ist ein kleiner Laden. Er hat zu. Am Samstagnachmittag sind die Engel woanders unterwegs. Ich schaue durchs Fenster. Weiße Federn hängen an Fäden von der Decke und kleine Figuren stehen herum. Die Freundin des Neffen brachte so einen Engel mit, als meine Frau krank war. Wir fanden den furchtbar. Wir fanden, dass er eine unzumutbare Einmischung in Sachen war, die sie überhaupt nichts angingen, dabei meinte sie es nur gut.

Rechter Hand ist das Osttor. In der Nähe ist eine Gedenkstätte für die Emmerick. Eine Mystikerin, sagen die Katholiken. Das ist fein ausgedrückt. Normale Menschen würden sagen, eine hysterische Frau mit Wahnvorstellungen. So wahnsinnig, dass sie Wundmale in den Handflächen hatte. Mit solchen Wahnsinnigen wirbt die katholische Kirche. Das muss man sich vorstellen. Da könnte man verrückt werden.

19:49

Den Engel habe ich zerschlagen und weggeworfen, nachdem sie gestorben war.

20:03

Als der deutsche Außenminister heute in Kabul mit Soldaten sprach, begann der Obergefreite Gräfrath plötzlich, leise, aber doch deutlich hörbar: Popoficker Popoficker zu summen. Der Außenminister überhörte es. Ein Vorgesetzter machte sich auf den Weg zum Obergefreiten. Mittlerweile waren aber auch der Hauptgefreite Jenssen, Feldwebel Scholz und der Sanitatsgefreite Gendmann eingefallen. Der Außenminister unterbrach seine Rede, und begann seinerseits zu summen. Fotzenlecker Fotzenlecker. Danach hellte die Stimmung auf und man begann, gemeinsam zu trinken.


Mo 10.01.11 17:20


reim-time treibt den hermann weiter
dunkelheit ergänzt den spaß
beine hoch in stille heiter
trink ein glas

gestern hatt ich regen
heut bin ich spektral beseelt
morgen mach ich weite bögen
nicht verzweifeln weil sie fehlt

gehe schlafen
denke nicht
bleib im hafen
lösch das licht


Di 11.01.11 9:50

Ich weiß nie, ob ich gerade kreativ oder faul bin. Also rette mich ans Ufer der Kreativität, da kann mir keiner. Kommt dennoch jemand und sagt, du bist faul, dem schlage ich fünfunddreißig Jahre Text um die Ohren, singe Lieder verweise auf meine Großtaten. Darum geht es auf dieser Welt.

Säße ich auf einem Berg Geld, säße ich auf Ehre und Ruhm, käme niemand auf den Gedanken, ich wäre faul gewesen, nicht einmal ich selbst. So aber müssen Sie selbst entscheiden, was von einem zu halten ist, der von früh bis spät in einer selbst gewählten Ecke hockt und versucht, auf die Stimmen der Welt zu lauschen, um irgendwann eine Geschichte daraus bauen zu können.

Gestern etwa verbrachte ich den Morgen damit, mich der wunderbaren Warenwelt zu nähern. Bei strahlendem Sonnenschein hob ich mein Rad aus dem Keller, das dort sechs Wochen gewartet hatte, um endlich wieder mit mir radeln zu können. Tags zuvor hatte ich einen Herrn im Fernsehen gesehen, dessen Ruhm darauf gründet, vor Boxkämpfen let's get ready to rumble zu rufen. Neuerdings ruft er ist geil ist geil, um dann Sonderangebote zu präsentieren.

Da mir meine Digitalkamera durch ein Loch in der Manteltasche abhanden gekommen ist, hatte ich aufgemerkt, als man eine Fuji Finepix250 für 39 Euro feilbot. Meine allererste Digitalkamera war eine Fuji und mit der hatte ich viel Freunde. Also dachte ich, kaufe sie.

Kaufte sie, trug sie nach Hause und stellte fest, dass sie ganz und gar nicht meinen Wünschen entsprach. Hohes Bildrauschen vor allem bei Aufnahmen in der Dunkelheit. Nicht, dass das ungewöhnlich wäre, nein, aber meine verlorene Pentax konnte das viel viel besser, die konnte die Nacht erhellen und seltsam unwirkliche Bilder zaubern.

Also bleibt mir nichts, als gleich wieder loszufahren, um die Kamera umzutauschen.

14:37

Ich entschied mich für eine Panasonic Lumix. Ich tat das wegen des Namens. Angeblich eine gute Kamera. Als ich zahlen wollte, sagte die freundliche Kassiererin, deren Brüste und dicker Pickel auf der linken Wange mir gleich ins Auge gesprungen waren, das macht 199 Euro. Wie, sagte ich, die kostet 89, die ist im Angebot. Außerdem habe ich einen Gutschein für den Kaufpreis der Fuji, 39 Euro hat die gekostet, also zahle ich 50 drauf. Stirnkrausen. Nachfragen. Telefonieren. Der Mitarbeiter am anderen Ende sagte, der Computer sei abgestürzt, dann aber fuhr er wieder hoch und bestätigte meinen Preis. Große Freude kam auf. Ich hatte ein Schnäppchen gemacht, und nichts freut den Konsumenten mehr.


Mi 12.01.11 15:16

decke über ohren ziehen
stille und ein bisschen fliehen

daumen drehen
dies und jenes spekulieren
ruhig ins jenseits sehen
niemals resignieren

aufstehen
das kreuz zerschlagen
unterm himmel stehen
noch mehr träume wagen

wer zuletzt stirbt hat verloren
nur wer lacht hat gute karten
leg mir deine stimme auf die ohren
kann es kaum erwarten

kann mir keine andere denken
wünsche mir sie jedoch sehr
würd mich liebend gern verschenken
das wird schwer


Do 13.01.11 16:05

Herr M. fährt einen Angriff über links, 100 Grundschulen und Stadtbibliotheken sind angeschrieben, seine Fingerkuppen qualmen, nun heißt es, für das Abendessen einkaufen. Die zweite Angriffswelle wird er über das Internet fahren. Undsoweiter, Sie wissen schon. Sich regen bringt Segen. Der frühe Wurm etc. pp.. Soll ich Ihnen etwas sagen: wenn ich nur die Hälfte dessen, was ich verstanden habe, in die Tat umsetzen könnte, dürfte mich dieses Geschäft genauso am Arsch lecken wie der Rest der Welt, aber leider klaffen Theorie und Praxis nach wie vor zu weit auseinander, also bleibt nichts als Heulen und Mittun, statt den Buddha zu spielen unter einem Baum, in irgendeiner Bucht, irgendwo, ganz egal wo, am Besten im Himmel.


Fr 14.01.11 1:07

Herr M. platzt vor Plänen. Gutes Gefühl.

12:17

Jetzt sind auch die letzten Schneereste davon, geblieben ist Granulat, der Himmel verheißt nichts, worauf man sich freuen könnte, aber die Stimmung ist gut. Ich hatte unerwartet Besuch gestern Abend, und da ich allein nicht trinke, war das Anlass, gemeinsam zu trinken, über interessante Dinge zu sprechen und die Nacht heranrauschen zu lassen.

22:07

Ob's der Raki war oder das Kraut, mein Avatar hängt in den Seilen. Und so viel er auch mit seiner neuen Kamera experimentiert, sie kommt nicht an die Leistungen der Pentax heran, die er vorher besaß. Erst mal Dschungelkamp gucken, dann schlafen und morgen vielleicht umtauschen.


Sa 15.01.11 10:15

Wegen eklatanten Wortmangels vorübergehend geschlossen.

17:35

das schiff war groß
auf der theke der bar saßen zwei aras
und begrüßten jeden
mit eifersüchtigem geschrei
sie waren verliebt
sie wollten nicht
dass jemand sie stört
außerdem war ihre sehnsucht zu groß
sie kannten das wasser nicht
das schiff machte ihnen angst
sie wussten nicht was die welle tut
und dass der urwald fort war
beunruhigte sie
zwei tage hinter recife
ließ der weibliche ara den kopf hängen
die besatzung glaubte
aspirin könne heilen
als das schiff den äquator erreichte
war der weibliche ara schon tot
und der männliche verfiel
vor den kapverden sträubte er sich
ein letztes mal
der mann
der dabei war
wusste noch nichts
über schmerz und verlust
erst jahrzehnte später saß auch er
auf der theke einer bar
und musste mit ansehen
wie er seine liebe verlor
seitdem sträubt er die federn
und ruft in die zukunft
die hinter den kapverden anfängt
oder vor norderney
das weiß der mann nicht


So 16.01.11 1:38

Als ich ihre Fotos geladen hatte und den digitalen Bilderrahmen zum ersten Mal anstellte, tat es weh. Ich hatte vorletztes Jahr alle Fotos abgehängt, nur das vom Canale Grande nicht, das hängt überm Schreibtisch und zeigt sie von hinten. Das konnte ich ertragen. Jetzt schaue ich sie mir an wann immer ich will. Die Fotos wechseln, aber ich kann auch Einzelbilder anschauen und zoomen. Manchmal zoome ich mir nur ihre Augen. Manchmal stelle ich sie ab. Jetzt ist sie da. Sie steht vor unserer Ferienwohnung auf Ameland, lacht und ich liebe sie.

Ich habe den ganzen Abend ferngesehen. Zwischendurch gelesen, E-Mails und Facebook gecheckt. Überlegt, ob mir die Liebesgeschichte der beiden Aras zu Rachmaninow gefällt. Ich hab sie gehört und noch mal gehört und sie g
efällt mir.

Bei Deutschland sucht den Superstar meist gestaunt. Von einem blonden sechzehnjährigen Mädchen mit türkischen Eltern aus Augsburg war ich entzückt. Eine gute Werbung gesehen, aber nicht mitgekriegt, was es war, ich hatte den Ton abgestellt. Dann in den Dschungel. Herr Bach ließ sehr spitze Kommentare los, aber bei Herrn Langhans hatte er Respekt. Der hatte sich nach anfänglichem Zweifel in einen Sarg gelegt, man hatte die übliche Menge Kakerlaken eingefüllt und er lag da und regte sich nicht. Das hätte ich nicht hingekriegt. Ich hätte mich nicht einmal in den Sarg gelegt. Die Schauspielerin mit der tiefen Stimme sagt, sie hätte ihren Psychologen dabei, eine Handpuppe aus einer roten Socke, mit der rede sie. Das gefiel mir. Die blonde Jacob-Schwester, die beim Umkleiden im Hotel kreischte, sie würde ihre Muschi einpacken, finde ich abscheulich. Herrn Carriere traue ich Geschlechtsverkehr mit Indira zu. Zu Frooonck kann ich nichts sagen. Die übrigen Frauen finde ich nicht prickelnd, die Männer blass.

Gleich fahre ich die Systeme herunter und gehe schlafen. Morgen könnte ich erzählen, dass ich Kalle getroffen habe. Ich saß mit meiner Schwester vorm Markt-Café, als er auftauchte. Wir waren drei Jahre beste Freunde. Ich war sechzehn, im ersten Lehrjahr in einer Spedition, er war schon Industriekaufmann und zwei Jahr älter als ich. Wir trafen uns immer an der Post. In den letzten vierzig Jahren haben wir uns drei- vier Mal gesehen. Ich könnte aufschreiben, dass mir ein Freund, der sich mit Holz auskennt, eine gebrauchte Küche angeboten hat. Sie ist um vieles stabiler als meine und kostet nur 100 Euro. Ich könnte erzählen, dass es mich gefreut hat, dass die Bayern untentschieden gespielt haben. Und zum Schluss, dass ich auf dem Heimweg den Berg hinterm Zoo hochgeradelt bin. Am See entlang radeln wäre bequemer, aber ich mag diesen Berg. Wenn ich oben bin, schnaufe ich, dann nehme ich die Abfahrt. Früher hätte ich das ungebremst getan. Heute mache ich sowas nicht mehr. Ich genieße gebremst.


Mo 17.01.11 18:32

vor mittag
zog ein fremder blick
auf dein gesicht
deine hand
zuckte zurück
und da ahnte ich
was geschehen könnte
dann wolltest du eine zigarette
ich holte kaffee
ich schnitt deine nägel
ich fotografierte
und als der junge krankenpfleger
auf der parkbank nebenan fragte
was mit dir sei
sagtest du
fragen sie lieber nicht
und so fragte ich auch nicht
und so ahnte ich weiter
bis das telefon schellte
und mich aus allem riss
was ich kannte

Di 18.01.11 11:27


Wir fangen gleich wieder an. Wir wissen nur noch nicht, womit?


Mi 19.01.11
10:29

wir machten gold
nagelten teufel aufs brett
schrumpften riesen
wir gaben trinkgeld
wir hatten konten
und traten die mühle zu brei
das wasser zu milch
fiel der himmel herab
versüßte er jede furcht
könige hatten keine chance
wir erstritten wunden zum fürchten
niemand setzte auf uns
wir waren nackt
ohne anfang und ende
wir fanden kein mittel mehr
wir konnten trinkgeld geben soviel wir wollten
die mühlen mahlten brennendes blut
vom himmel fiel
angstschweiß aus allen poren
die hoffnung blieb
doch die seile rissen
und hier bin ich
kein engel allein



Do 20.01.11
15:00

Hoffnung steigt auf. Lesungen werden angefragt. Ansonsten: viel Fernsehen. Selbstversuch. Dissen im Dschungelkamp. Sarah wird demontiert. Kay sagt Kluges und kommt Indira näher. Langhans ist gar nicht so ein Idiot, wie ich dachte. Gleich fahre ich zum Flughafen Weeze. Max fliegt nach Stockholm.


Fr 21.01.11
14:36

noch fällt
mit jedem dritten tropfen schnee
noch tropft die nase
da trinkt jemand tee
da sitzt ein vogel unerkannt
und singt von einem anderen land

von einem land
das hier ist nur nicht jetzt
von einem tag
der nicht mit dunkelheit verätzt
von einem morgen
still auf dem balkon
von einem nachmittag im park
mit meinem sohn

von einem wort
das jetzt noch niemand nennt
und einem hauch den jeder kennt


Sa 22.01.11 00:58

Ich kann mich tot saufen. Ich kann fernsehen, bis ich durchdrehe. Ich kann Bücher lesen, bis mir der Kopf platzt. Ich kann zusehen, wie die Jungen älter werden und davon sprechen, dass sie älter werden. Ich sehe die Älteren wegsterben. Ich sterbe auch irgendwann weg. Es ist ein verflixtes Durcheinander, keiner hat's bestellt, aber alle wurden geholt, und ich sitze und wundere mich, dabei hat das nichts zu bedeuten, es macht keinerlei Sinn, selbst wenn sie mir morgen die Bude einrennen, es ist absoluter und völliger Mumpitz. Ich treibe das, bis es nicht mehr geht. Ich habe das schon tausend Mal erlebt, irgendwann wird der Überdruss so groß, dass ich anfange. Das einzige, was mir fehlt, ist ihr Rat.

14:35

Sehr geehrter Herr, Sie haben heute ein Kind an den Kopf geschlagen. Dies verstößt nicht nur gegen Ihre Dienstpflichten, sondern in nicht akzeptabler Art und Weise gegen die Grundsätze der Erziehungsarbeit und die Bildungsziele des Schulträgers und der Schule. Hiermit kündige ich das zwischen uns und Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis entsprechend § 7 Ihres Arbeitsvertrages fristlos. Ich weise ausdrücklich auf den den Daten- und Vertrauensschutz betreffenden Abschnitt des Arbeitsvertrages hin: "Daten und Informationen aus dem familiären und schulischen Bereich der Kinder und Eltern sowie Geschäftsvorgänge des Schulträgers dürfen nicht an unbefugte Dritte weitergegeben werden.

17:59

elf endreime zum wochenende


zehrt die dunkelheit am hoden
hülle sie in warmes loden
ist nur regen weit und breit
zieh es aus, das flotte kleid
tobt das wetter in australien
iss am morgen cerealien
ist's am arsch dir viel zu warm
stell dir vor, du wärest arm
sinnlos ist des lebens lauf
deshalb geh hinaus und kauf
hast du keinen mehr zum kuscheln
treib es doch mit miesen muscheln
will dir gar nichts recht gelingen
stürz dich in den rhein bei bingen
fesselt dich das weltgeschehen
musst du in den keller gehen
textet dich die tagesschau
tritt hinaus und ruf helau
hast du dann noch nicht genug
wirft dich unter einen pflug
dort wird es dich scharf ereilen
darfst fortan in erde weilen


Mo 24.01.11 10:26

Nichts macht mir im Augenblick mehr Freude, als mit Menschen über das Dschungelcamp zu sprechen. Zunächst wehren die meisten ab. So etwas schauten sie sich nicht an, behaupten sie, das verstoße gegen die Menschenwürde, sei niveaulos und verabscheuenswürdig.

Dann räumen sie ein, doch schon einmal zugeschaut zu haben. Wenn ich einwerfe, dass die Moderationen von Bach und Zitlow respektlos, intelligent, dumm, witzig und pointiert seien, wenn ich gar behaupte, es handle sich bei diesem Format um eine clevere, zeitgemäßge und tief böse Form des absurden Theaters, das die Gier und den Sensationswahn unserer Gesellschaft an den Pranger stelle, ernte ich auf der Stelle Widerspruch und Unverständnis.

Ich wäre gern Autor bei diesem Format. Und natürlich bin ich gespannt, wie es heute abend weiter geht. In diesem Sinne wünsche ich eine schöne Woche, die für mich um 8:15 in einem Supermarkt voll griesgrämiger Konsumenten begann, mich an eine Kasse führte, die von einer fetten unansehnlichen Frau bedient wurde, die einmal meine Nachbarin war.

Einziger Lichtblick in dieser seit Tagen trüben und grauen Weltgegend war ein Kind, das voller Neugier und Zuversicht die auf dem Transportband liegenden Waren kommentierte, aber nicht einmal seiner Mutter ein Lächeln abringen konnte, eine junge Muslimin mit weiß glänzendem Kopftuch.

So gemein und fies wie die Wirklichkeit kann nicht einmal das Dschungelcamp sein.


11:08

Zugvögel auf dem Weg nach Norden.
Ich weiß nie genau, ob es nun Gänse sind oder Kraniche, tippe aber auf Gänse.
Ist das ein gutes Zeichen?


15:46

Abenteuerliche Navigation durch die Seiten des Landesamtes für Statistik, nach Rückruf schließlich Excel Dateien gefunden, heruntergeladen und festgestellt, dass ich weder WinZIP noch Excel auf dem Rechner habe. Hier und dort geklickt, gefunden, heruntergeladen, und mich eine gute Stunde mit der Excel Datei gestritten, die ich zwar ausdrucken kann, aber nicht in voller Breite. Also musste ich Dinge ausschneiden, und wie das geht, wissen die Götter. Ich habe mir schließlich Daten nach Word kopiert und dort zurechtgebogen. Die Welt ist kompliziert. Und ich wette, dass ich auch Excel anders formatieren kann. Bloß wie?


Die 25.01.11 12:32



Herr M. auf dem Weg nach Macchu Picchu. Wir schreiben das Jahr 1973. Es ist Januar. Der Pass hinter ihm liegt auf etwa 4000 Meter über NN. Als er ihn überquert hat, rutscht er aus, stürzt, überschlägt sich und schlägt drei oder vier Meter tiefer auf. Er hat Glück, landet auf seinem Rucksack und bleibt unverletzt.

16:29

Als ich im Bett lag gestern, wollte der Schlaf nicht kommen und ich dachte, jetzt geht das los, jetzt treibt es mich aus der Kurve. Aber als ich am Morgen erwachte, war alles ganz klar und ich wusste schon beim Kaffee, das es heute losgehen könnte. Und es ist los gegangen. Ich schreibe. Der Roman heißt: Der finnische Sommer.

18:17

Der finnische Sommer geht über in den westfälischen Abend, ich kann das ruhig angehen lassen, ich weiß, worum es gehen wird, was geschieht, werde ich früh genug erfahren, jetzt aber ist Feierabend und der erste Abend seit meiner Demission, an dem nicht nur im Bauch alles rundum richtig ist, sondern auch im Kopf, der ja immer ein wenig sperrig und unzuverlässig ist.

19:28

August 1972, im Flieger von Tokio nach Honolulu.



Mi 26.01.11 17:06

Tücken, Fallstricke, fehlendes Wissen. Es gelingt mir einfach nicht, druckfähige PDF herzustellen. Dabei hatte ich mir das so schön ausgedacht. Da kann nur ein Experte helfen, aber der macht Urlaub auf den Kanaren.

23:35

Der finnische Sommer fand heute nicht statt. Trübes Wetter. Mit dem Rad zum Markt, Mangold gekauft, Bio-Fleisch und ein Hähnchen, Matjes gegessen, weit und breit kein bekanntes Gesicht. Selbst wenn eines da gewesen wäre, was hätte ich erzählen können? Dass ich mit Spannung darauf warte, was als nächstes geschieht? Dass ich einen Roman begonnen habe, von dem ich noch nicht viel mehr als den Titel kenne? Das ist nicht ungewöhnlich. Ich lerne meine Romane immer erst kennen, wenn ich sie schreibe. Was noch? Dass ich allein bin? Das sind andere auch. Dass ich lerne, mit dem Alleinsein umzugehen? Ja, aber wem denn? Also weiter zu Stadtbücherei. Im Café saßen Mütter mit Kindern. Die sitzen da oft und machen Kaffeeklatsch. Die Kinder finden das natürlich langweilig und beginnen, Spiele zu erfinden. Sie verstecken sich in den Kleiderschränken. Dachte, man sollte mal eines einschließen, damit die Mütter begreifen, aber diese Mütter begreifen gar nichts. Anschließend im Café am Markt. Fast nur Frauen, die sich mit Frauen treffen. Frauen meines Alters finde ich dermaßen alt, dass mir graut. Dann fällt mir ein, dass andere das von mir wahrscheinlich auch denken. Eine guckt neugierig, als ich mir den Mantel anziehe. Fand sie meine grüne Kapuze und meinen orangenen Schal schrill? Egal. Ich finde sie gut. Am Abend überlegt, ob ich Salsa tanzen soll. Nein. Keinen Bock, mit Tussen zu tanzen, die Smalltalk wollen. Ich kann das nicht. Zigarette. Noch was lesen. Lese im Augenblick drei Bücher parallel. Hab ich noch nie vorher getan. Funktioniert aber ganz gut.



Do 27.01.11
14:52

Die Sonne scheint. Gestern Absprache für Lesungen nördlich des Teutoburger Waldes, heute vier am Niederrhein. Mit einem Auge schiele ich auf Ibiza. Ende März könnte ich für 60 Euro hin- und zurück fliegen. Das juckt.

19:57

damit das klar ist
sagte der mann
alle kicherten
bekamen rote köpfe
und versuchten
außer reichweite zu gelangen
aber sie hatten den mann unterschätzt
der mann hatte lösungen
vielleicht ist der mann gott
dachten die fluchtbereiten
aber der mann hatte nur nachgedacht
eine ganze nacht hatte er sich gegeben
und jetzt handelte er
er machte die affen zu affen
liebende stellte er ins museum
er beköstigte die trauernden
erklärte die toten für tot
vergab den jungen die arroganz
den alten den schwachsinn
und alle mittelalten machte er fruchtbar
also doch dachten alle
doch gott dieser mann
aber dann sahen sie
dass der mann
sich einen stecker aus dem bauchnabel zog
oder vielleicht sah das auch nur so aus
jedenfalls friemelte er da was rum
worauf sein gesicht stufig heller und heller
sein haar lichter und lichter
und sein rest nahezu durchscheinend wurde
so dass alle sich anschauten
und dachten
das kann ja was werden
das jahr
das kann ja was werden
doch dann war der mann fort
und sie dachten
besser wäre jetzt anzufangen


Fr 28.01.11
15:04

das bett
schaukelte auf see
piraten und ich
mit der hacke am bug
und dem brüllen im mund
vor uns ein sofa
wir enterten
und erschlugen
eheleute vorm flachbildschirm
katzenliebhaber
wellensittichvoyeure
liebster schatz rufer
machsdochvonhinten lügner
lehman geschädigte
und alle die glaubten
gott existiert
und bluthunde
in vorgärten scheißen lassen
junge frauen mit silicion
und abwrackprämiennutznießer
es flossen blut wein und tränen
danach war die luft rein
unser bett wurde neu bezogen
der kreiselkompass spielte verrückt
wir kollidierten mit buckelwalen
die sagten da vorne links
und dann geradeaus
tötet den papst und zieht alle stöpsel
dann fällt die welt trocken
und dann soll sie mal sehen


18:11

Ich muss heute keine Rücksicht auf Fleischesser nehmen. Ich war auf dem Markt und habe Pastinakken gekauft. Ich dachte, ich mach mir ein Pesto draus. Kochte die Pastinakken mit zwei scharfen Chillischoten, pfefferte, salzte, pürierte zwei Tomaten, würzte, setzte Spaghetti auf, pürierte die Pastinakken, fügte die Tomaten hinzu, würzte mit Kurkuma, Salz, später noch mit ein wenig Curry und Rosenpaprika, die Nudeln al dente, ich goss ab, fügte dem Pesto ein wenig Sahne zu, verrührte, servierte und aß. Pastinakken sind süßlich, ich hatte nie vorher welche gegessen. Zu den Nudeln passten sie, als äße ich Bolognese. Selbst erfunden, schmackhaft und schnell zubereitet. Ich werde es ins Repertoire übernehmen.


Sa 28.01.11
19:04


kommst du zum frühstück
fragte die frau am morgen jenes tages
ich bin so durcheinander
kein wunder
sagte der mann
nach den tabletten
die sie dir gestern gegeben haben
gib mir noch eine halbe stunde
ich muss noch spülen staubsaugen
den müll wegbringen und dann mach ich mich auf den weg
er pflückte unterwegs Blumen
denn es war ja die schönste zeit
der schreck hatte sich die schönste zeit des jahres ausgesucht
ein hohn denkt der mann
aber so ist das nun mal mit dem schreck
er ist überall
und er kennt nur die eine Zeit
seine zeit
wenn die kommt
gnade dir gott


So 30.01.11
10:59

Der Specht hämmerte und ich dachte, der muss ein gut abgefedertes Hirn haben. Einer fragte, hat er überhaupt eines. Klar, sagte ich, natürlich. Wir lachten, ich und sie, ein Paar meines Alters, alte Freunde, die gemeinsam in die Zielgerade gehen, während ich das Solo laufe, und mir mit jedem Tag klarer werde, dass es kaum Chancen gibt, daran etwas zu ändern. Es müsste schon ein erneuter Urknall stattfinden, aber dem steht Erfahrung entgegen. Also nicht weiter daran denken, lieber darauf hoffen, dass das Unterbewusstsein im Augenblick an Lösungen für den Finnischen Sommer arbeitet.

Vorgestern abend spuckte es zwischen Werbung und Rauswurf von Jay, diesem falschen Khan, diesem Ekelpakt mit Dreitagebart, einen überraschenden Vorschlag aus, den ich in Ermangelung eines Kugelschreibers in mein Handy diktierte, das ja lauter so Dinge kann, mir den Wecker ersetzt, den MP3 Player, den Terminplaner und was weiß ich, ich könnte Internet, wenn ich wollte, aber das will ich gar nicht. Ich will nur, dass mein Unterbewusstsein in Ruhe arbeiten kann, mehr nicht, während ich zu gleichen Zeit eher den Eindruck eines sich langweilenden, nach Perspektiven Ausschau haltenden älter werdenden Menschen mache, der gerade überlegt, ob er nun hinaus soll, um Tabak zu kaufen, oder ob er lieber weiter auf dem Sofa klebt und dieses seltsame Buch liest, das er gestern zu lesen begonnen hat, Der verirrte Messias von Peter Henisch. Er hat noch nicht entschieden, ich habe noch nicht entschieden.

Gestern war es so schön, gestern schien die Sonne, es war kalt auf dem Rad, aber nicht zu kalt, die Stadt und der Markt waren voller Menschen, heute hängt der Himmel wie Blei und der Frost kriecht herum und die einzigen, die unterwegs sind, sind Kirchgänger, aber die bleiben auch nicht lang an der Luft, die haben Gottes Segen und sehen zu, dass sie in ihre Wohnzimmer zurückkehren können, wo immer der eine für den anderen da ist, damit der Schmerz über die Einsamkeit nicht zu groß wird, und wenn es dann trotzdem so ist, haben sie immer jemanden, den sie beschuldigen können.

Es ist nicht schön, allein, aber die Vorstellung, das Alleinsein wieder mit jemandem zu teilen, das, was ich gerade gelernt habe und noch lerne, wieder aufzugeben für die komplizierten Verwicklungen der Zweisamkeit, ist auch nicht verlockend. Die Sehnsucht zu teilen ist groß, aber ich glaube, ich lasse besser die Finger von Frauen. Die letzten, die ich kennengelernt habe, waren
noch verrückter als ich. Eine auf Krawall gebürstete Hundebesitzerin, die andere eine von der Biologie ferngesteuerte Hormonsirene, die behauptet, ich wäre ihr bester Freund, um im nächsten Augenblick in Deckung gehen, ohne auch nur eine Erklärung abzugeben.

Zack unter die Decke jetzt und den Messias lesen.

14:30

Ich weiß nicht genau, warum Wilhelm und ich per Du sind. Ich habe nur eine vage Erinnerung, dass er vor Jahren einmal angetrunken die Straße herab kam und womöglich habe ich ihm geholfen, die letzten Meter nach Hause zu schaffen, jedenfalls grüßt er mich, wann immer wir uns sehen, hebt kurz den Arm und sagt "Hermann" und ich sage "Wilhem". Wir sprechen nicht, wir sind stumm miteinander auf Du. Von meinem Schreibtisch aus schaue ich auf sein Reihenhaus. Seit Jahren baut er eine Veranda, aber so recht kommt er damit nicht voran. Er hat auffallend viel Kaminholz an den schon existierenden Seitenwände dieser Veranda gestapelt, ein Vorrat für Jahre, scheint mir, und hin und wieder hisst er die schwarz-rot-goldene Flagge. Er ist einen Kopf kleiner als ich, breitschultrig, er hat eine attraktive Frau, die einen Kopf größer als er ist, er ist Rentner, aber ich habe keine Ahnung, was für einen Beruf er hatte. Ich stelle mir immer vor, er war bei der Bahn, aber das ist nur eine fixe Idee. Früher hatte er einen Dackel, ein giftiges Vieh, das unsere Kinder verbellte, wenn sie im Garten spielten. Er scheint isoliert, die Straße, in der er wohnt, ist eine sehr in sich abgeschlossene kurze Sackgasse, in der lauter Eigenbrödler wohnen. Gerade kam er mir entgegen, er macht einen Spaziergang mit seiner Frau, während ich mich wieder in meinen Sessel setze und lese, wie es dem Messias in Israel geht.


Mo 31.01.11
9:49

Ich bin am Boden. Ich will und ich kann nicht mehr. Ich wusste nicht, dass es so schlimm um mich steht. Aber dann haben sie es mir erklärt. Herr M., haben sie gesagt, Sie haben sich zwei Wochen von niederen Instinkten leiten lassen. Zwei Wochen haben Sie sich Abend für Abend mehr oder weniger köstlich über Menschen amüsiert, die um ihre Existenz kämpfen, während Sie auf dem Sofa lagen. Das ist nicht zu akzeptieren. Sie sind Schriftsteller, ein Mann des Wortes demnach, wir von Spiegel TV prangern das an, wir erklären Ihnen ausdrücklich, dass ein Format wie das angesprochene weit unter ihrem Niveau liegt, falls Sie denn eines haben.

Ich gebe zu, ich schäme mich. Aber dann, eben, nach dem dritten Espresso, fiel mir eine passende Antwort ein.

Mathias Beltz:

Erst wenn alle gemein und niederträchtig über die Schwächen aller anderen herziehen, wenn alle wegen ihres Geschlechts, ihrer Abstammung, ihrer Rasse, ihrer Sprache, Heimat und Herkunft, ihres Glaubens, der religiösen und politischen Anschauungen und natürlich auch der körperlichen Gebrechen ausgelacht werden und keiner und keine ausgespart bleibt und wenn alle mitmachen - dann ist endlich Ruhe und Frieden. Und dann geht die Party erst los, dann wird nicht mehr gejammert und gejault, sondern gelebt und gestorben und gefeiert - da ist der Teufel los, und selbst die Götter schauen noch mal vorbei bei dieser Revolution, die keine revolutionären Beamten und Henker mehr braucht.

12:02

Der Rumäne sitzt vorm Supermarkt und spielt Akkordeon. Er lächelt, grüßt, was mich fast verpflichtet, ihm wieder etwas zu geben, aber ich will nur Brötchen kaufen, ich will noch nicht gut sein, also meide ich ihn auf dem Weg nach draußen und gehe geradeaus, statt links abzubiegen. Am Rinnstein der Verkehrsinsel liegen im Abstand von drei Metern zwei einander zugehörige blaue Damenslipper. Sicher gibt es eine Geschichte dahinter, die wahrscheinlichste wird Achtlosigkeit sein, denkbar ist aber auch anderes. Habe aber von keiner Tragödie, keinem dramatischen Beziehungsdrama in der Nachbarschaft gehört oder gelesen und gehe daher von Umweltverschmutzung aus, die, finde ich, bestraft gehört. Speichelproben nehmen, abgleichen, Täter ermittelt, 150 Euro und eine Woche Sozialdienst.

Später beim Aldi steht eine bis auf einen schmalen Sehschlitz Verschleierte mit Kinderwagen hinter mir. Ich versuchte mir vorzustellen, was für ein Leben das ist, unter so einer Tarnung. Soziale Interaktion ist unmöglich, jeder schreckt zusammen, ich traute mich nicht einmal zu grüßen, aber gut, es geht mich nichts an, das ist ihre Entscheidung oder die ihres Mannes.

Ihr Kind sah aus wie alle Kinder, dick eingemummelt, aber nicht ganzkörperverschleiert. Und wenn das Kind dann in die Schule kommt, und wenn dann Elternabende sind, und Feste, was dann? Wie soll Integration da funktionieren? Mir graut vor dem, was ich dahinter vermute. Mit Allah hat das nichts zu tun hat, höchstens mit einem paranoiden Geschlechterverständnis mancher muslimischer Männer. Die müssen noch viel lernen, diese Männer.

14:36

der mann stolpert über geräusche
er greift im schneegriesel stille vom himmel
geht über wiese und feld
langsam und nicht bei sich
der mann
hat den mundschutz verloren
seine frau ist nicht mehr bei ihm
und so teilt er nicht wo er teilen will
verfängt sich
ruft geister
und verdaut jedes wort schleppend
ergreift es
hört man ihn rufen
bringt es zu tisch und zu ohren
wenn es bleiben soll
soll es gehen
wenn es geht soll es sein
nur belästigt mich nicht
gebt mir die zeit nicht das geld
schenkt mir die welt nicht den zins
was soll ich damit







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