Oktober 2011                                        www.hermann-mensing.de          

mensing literatur
 

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Sa 1.10.11 7:35


Alle zehn warten, bis die Arbeit beginnt. Sie tun sie, ohne nachzudenken. Manchmal schlägt einer daneben, aber das macht nichts. Sie tun, was zu tun ist. Sie haben kein Gewissen. Immer war der eine für den anderen da. Immer hatte einer Vorteile, und der andere Nachteile. Vorteile, Nachteile. Nie verrieten sie, was sie dachten. Sie liebten sich nicht, doch sie gehörten zusammen und konnten nicht fort.

Als jemand sich Handschuhe anzog, waren sie froh, denn nun konnten sie in der Dunkelheit ruhen. Pause. Später würde das Spiel von Neuem beginnen. Neue Aufträge, neue Aufträge, vielleicht diesmal nur für den einen, und nicht für die anderen. Die anderen müssten zuschauen, während der Auserwählte sich an einer Nase zu schaffen machte, an einem Ohr, oder an einer Klitoris - zum Beispiel. Die andern hätten gern mitgetan, aber sie durften nicht, und jetzt waren sie neidisch. Doch das Spiel geht weiter, keiner versteht es, trotzdem muss jeder es spielen....

So 2.10.11 8:55

Dazu der Agentenbericht:

Um Himmels Willen , Hermann! Ist das das 13. Kapitel?
Ich habe gerade mal ein Auge auf – oder hast du nur schlecht geträumt?
Ich mache mir Sorgen, weil du Phantasie angeblich nicht kannst und ich befürchte … ok - hast du mir irgendwas zu sagen? Dunkle Vergangenheit? Merkwürdige Hobbies? Erpresst man dich?

Ich konnte den Agenten beruhigen.
Ich erklärte ihm, worum es in dem Text geht.

16:46

Westfälische Scholle


Die Schollen mit Zitronensaft beträufeln, salzen und in Mehl wenden. Das Öl in einer Pfanne heiß werden lassen und die Schollen darin von beiden Seiten goldbraun braten. Die Schollen warm stellen. In Würfel geschnittenen Schinkenspeck im heißen Öl braten und über die Schollen geben.


Mo 3.10.11 11:20

Ich ließ es langsam angehen gestern. Ich hielt hier und dort, und hätte ich ein Handtuch dabei gehabt, ich wäre Schwimmen gegangen. Der Kanal sah verführerisch aus. Ich hätte ihn für mich gehabt. Als ich in der Hohen Wardt Pause machte, Kiefern, Sonne und Waldesruh, sagte ein Radfahrer, der vorüber fuhr und mich am Waldrand so liegen sah, das wäre Lebensfreude pur, mal nichts tun zu müssen. Mein lieber Mann, wenn du wüsstest, dachte ich. Nichtstun ist eine der größten Künste, und ich tat ja nicht nichts, ich hatte schon 25 Kilometer hinter mir und noch 40 vor mir, und das alles nur, um nicht Nichts tun zu müssen.

13:56

Man kann ohne Flugzeug fliegen, ohne Beine laufen, man kann unterm Sofa liegen und sich alles kaufen, kann mit falscher Zunge sprechen, sich beim Ski die Beine brechen, kopflos durch das Leben laufen, oder sich besaufen. Man kann ohne Hose baden, Laster ohne Lasten laden, man kann Schnecken essen oder nicht, ohne Liebe geht das nicht. Ja, die Liebe ist sehr wichtig, ohne Liebe geht nichts richtig, ohne Liebe gibts nicht einen Satz, höchsten den gemeinen Platz. Schiefe Scheite, krumm gebackne Ziegel, halbe Breite, dumm gebogne Dübel, weiche Birnen, schlechtes Essen, ohne Liebe kannst du das vergessen.

22:51

Ich drücke mich ein bisschen vorm 13. Kapitel, lege mich jetzt ins Bett und verdampfe noch ein wenig Nikotin mit meiner elektrischen Zigarette. Ja, so etwas gibt es, ich wollte es auch kaum glauben, sie schmeckt sogar gut, und ich laufe nie mehr Gefahr, das Haus abzufackeln, wobei ich hinzufügen muss, dass ich im Bett nur nach besonderen Ereignissen geraucht habe.


Di 4.10.11 9:22

Punkt 5:25 Uhr waren mir das 13 Kapitel und die darauf folgenden klar wie Kloßbrühe, sie hingen am Horizont, ich hätte sie nur greifen müssen und wäre aller Sorge ledig gewesen, aber wie das so ist, um 5:25 Uhr hält man das erleuchtete Dachfenster des Nachbarn noch für einen besonders tief hängenden Vollmond, eh man sich versieht, ist der Horizont zusammengestürzt und die Kloßbrühe trüb, man steht auf, die Zeitung liegt im Flur, man kocht Kaffee, hockt wie betäubt eine Stunde am Küchentisch und versucht den Horizont zu restaurieren, aber die Bühnenbildner haben alles längst auseinander gebaut und ins Depot geschoben. Also geht man wieder ins Bett und schläft noch ein Stündchen.

19:12

Nach Mittag zeigte sich, dass es stimmt: der Mensch arbeitet auch im Schlaf. Zwar sind die Ergebnisse meist nicht sofort greifbar, lässt man aber Zeit verstreichen und nimmt seine Visionen und Träume als Hinweise, passt plötzlich etwas zusammen, von dem vorher kaum vorstellbar war, dass das möglich gewesen wäre. Das 13. Kapitel hat also begonnen. Nun erst einmal zurücklehnen und nichts überstürzen. Feierabend. Lesen kann ich im Augenblick nicht, das Schreiben reicht, der Tag schlüpft übern Horizont, Black Dub macht Musik, Herr M. dreht sich einen und sagt, gut gemacht, Herr M.


Mi 5.10.11 15:38

Ich brauche Kaffee. Ich will fort, aber ich fahre erst morgen. Was mach ich bis dahin bloß?

Sa 8.10.11 17:58

Herr Mensing war auf der Insel und hat vor Staunen den Mund kaum zugekriegt.


So 9.10.11 11:03

Angefangen hat das Ende der 60iger. Wer da zu Pfingsten auf die Insel fuhr und die Saison eröffnete, gehörte dazu, und wer dazu gehörte, wusste natürlich, dass auf der Insel einiges los war. Auf halbem Weg zwischen Nes und Hollum gab es die Kronkel, eine Scheune, in der damals fast alle angesagten holländischen Bands spielten. Da also hat das angefangen, es ging noch um Mädchen und Rock 'n' Roll, weniger um die Schönheit des Ortes, der deshalb so schön ist, weil er von allen Seiten von Nichts umgeben ist, das ständig sein Aussehen ändert, was für den einen beruhigend, für den anderen unterträglich ist. Deshalb findet man auf dieser Insel nach wie vor wenige Idioten, die sind alle woanders, die würden es nicht ertragen. Habe mich ordentlich durchpusten lassen, war drei- oder viermal nassgeregnet und bald darauf wieder windgetrocknet, das Übliche also, ich wusste, dass es genauso käme und so ist es gekommen.


Mo 10.10.11 8:53


um viertel nach sieben
wurde mein vater unruhig
um halb begann er namen zu erfinden
deine tochter ist eine hure eine rumtreiberin

ging um zwanzig vor ein schlüssel im schloss
half nichts mehr: teppichklopfer hände kochlöffel
schlugen über meiner schwester zusammen
die sich schützte und zur mutter floh
die seinen namen rief

verzweifelt kochte mein vater
liebe und eifersucht in
die tränen meiner schwester
er war warm wird sie sagen
nach seinem tod
wärmer als mutter


Di 11.10.11 9:28

Gerade ist wieder so ein Phase. Viele Menschen greifen auf meine Webseite zu, und dann denke ich, jetzt. Jetzt, endlich bewegt sich die Welt, meine Karriere nimmt Fahrt auf, meine Bücher werden gekauft, ich kann in Rente gehen. Aber natürlich ist das nur eine weitere Täuschung im Kanon täglicher Täuschungen. Ich bin nicht Charlotte Roche, ich schreibe nicht über großbürgerliche Familien und ihre Tragödien, stamme nicht aus der DDR, habe nicht gegen das System gearbeitet, Jude bin ich schon gar nicht, ich bin ein Westfale von der niederländischen Grenze, drei Kilometer westwärts und ich hätte einen niederländischen Pass, so hat es nur zu einer niederländischen Oma gereicht, zu jeder Menge guter Romane und Radioarbeiten, aber keine Sau merkt das. Ich weiß nie, ob ich jetzt froh sein soll darüber oder ob mir der Trubel der Aufmerksamkeit lieber wäre. Ich glaube, mein gegenwärtiger Status erlaubt mir größere Freiheit. Lassen wir's also, wie es ist. Wieso Sie gerade so nachdrückliches Interesse an meiner Webseite haben, müssen Sie selbst wissen, ich weiß es nicht.

18:18

Ich komme gut voran seit meiner Rückkehr. Wenn ich jedoch versuche, die Dinge zu forcieren, bekomme ich deutliche Signale, einzuhalten. Ich gehe dann weg. So kommt eins zum anderen, und natürlich hoffe ich. Ich hoffe auf einen guten Roman. Ich hoffe, dass er strahlt. Es bleibt noch viel Arbeit, und ich freue mich darauf. So, und jetzt Feierabend mit Fußball. Übrigens, meine Elektrozigarette ist in Reparatur und ich rauche bis auf ein, zwei Sticks am Abend nichts.

22:22

Morgen zwei Lesungen. Abends vorher habe ich nie Lust. Abends vorher will ich nur auf dem Sofa liegen und nirgendwohin müssen, aber natürlich muss ich morgen wohin und ich werde mir größte Mühe geben. Abends vorher aber denke ich gern, es müsste so viel Geld im Haus sein, dass ich nie mehr irgendwohin müssen müsste, aber das wäre bestimmt langweilig. Ich lese ja für mein Leben gern, nur eben der Abend vorher, der Morgen und die Fahrt, die gefallen mir nie.

Mi 12.10.11 17:13

Der war gut, rief eine Lehrerin der anderen zu, mit der ich im Anschluss an die zweite Lesung im Sekretariat auf Geld wartete, der hat sie vorlesen lassen und Szenen mit ihnen gespielt, der war richtig Klasse. Ach danke, sagte ich, denn sie stand im Flur, während ihre Kollegin in der Tür stand. Mich hatte sie nicht gesehen. Zweimal zwei sechste Klassen Gymnasium. Ich hatte sie.

Wenn dort etwas gelehrt wird, ist es Bewusstsein. Der Rest ist wie an anderen Schulen, nur mit weniger Pädagogik. Aber dieses Bewusstsein, in einer vom global agierenden, skrupellosen Kapitalismus ausgebeuteten Welt etwas Besonderes zu sein, das ist immer noch das Besondere am Gymnasium.

Ich war nie auf einem. Ich bin zweiter Bildungsweg, vielleicht steigt mir so etwas deshalb immer noch sofort in die Nase. Früher konnte ich Gymnasiasten auf 10 KM gegen den Wind riechen, und irgendwie ist das heute noch so. Vielleicht hat das mit einem romantischen Rest an Klassenbewusstsein zu tun. Ich bin Arbeiterklasse, und ich rieche sofort, wer das nicht ist. Aber darüber wollte ich eigentlich gar nicht sprechen. Ich wollte nur sagen, dass es mir großen Spaß gemacht hat heute. Und dass man mich weiter empfehlen wird, da bin mir sicher. Und dass ich demnächst wieder dort lesen werde, diesmal für ältere Schüler.


Do 13.10.11 13:59

Betr.: Das kleine Tier

Sehr geehrter Herr Mensing.

Ihre Geschichte um den Marienkäfer und seine zwei Freunde ist für Ohrenbär nicht geeignet. Das liegt vor allem daran, dass die Erzählweise für unser Format zu dialoglastig ist. Zum anderen speist sich die Geschichte vorrangig aus Überlegungen und Reflexionen; unsere Radiogeschichten benötigen dagegen mehr Handlung und einen klaren Spannungsbogen, damit sie über zehn Minuten tragen.

Ja, leckts mi doch am Oarsch...

15:31

....ja, mich aber auch, sagt mein Agent. Warte, ich mach mal Kaffee...
nun - zu dialoglastig. Ich werd mir die Geschichte noch mal ausdrucken. Nicht aufgeben. Nicht wegschmeißen. Die Geschichte ist gut. Ich frage mich nur, wie sie weniger dialoglastig daherkommen würde.

Okay - du kannst da jetzt nicht drüber nachdenken. Das ist nicht schlimm. Ich vermute, das wirst du in einigen Wochen tun. Mensch, Hermann - hätt so schön sein können. Scheiße. Aber der Kunde wünscht weniger Dialog und Reflektion - genau, liebe Kinder - der Mensch, respektive das Tier sollte nicht miteinander reden und reflektiert wird schon mal garnicht. Wo kommen wir denn da hin, ihr kleinen Scheißer? Brav sollt ihr sein und eine Geschichte hören, die keine Fragen aufwirft. Dann kann man auch viel besser Heia machen und Mutti hat endlich Ruhe.


Fr 14.10.11 13:09

Nun, werden Sie sagen, wer nichts tut, kriegt nichts. Richtig. Deshalb tue ich heute nichts. Ich gucke und sammle, was vom Himmel fällt. Seit gestern abend ist schon einiges zusammen gekommen. Ich notiere es mir, und wenn ich dann wieder etwas tue, für das ich aller Wahrscheinlichkeit dennoch nichts kriege, tue ich es, weil ich es für mich tue. Und da ich es für mich tue, ist es das Beste, was ich tun kann.

Also.
Die Sonne scheint.
Ich mache jetzt eine Tour.


Sa 15.10.11 10:18


der arsch pfeift
und in jericho übt man choräle
der hund beißt sich in seinen schwanz
die demagogen füllen säle
und bitten uns zum tanz
endlich ist wieder krieg
weltweit wird welt zerstört
es wird wie immer: sieg
und niemand hatte zugehört


So 16.10.11 13:06

Wenn ich sie nach Schönheit sortiere, war sie die Schönste. Die Jüngste war sie auch, mit Wurzeln im vorderen Orient, das Weiß in den Augen so weiß, dass es strahlt und das Schwarz der Haare umwerfend. Ich forderte sie zum Tanz. Wir passten hervorragend zueinander. Sie trug gefährlich hohe Absätze, einmal rutschte sie aus, aber ich hatte sie fest. Die mir Vertrauteste war die Steuergehilfin. Mit der rede ich nicht viel, denn wir haben ein gemeinsames Interesse: tanzen, bis der Schweiß fließt. Dann war da noch die Psychologin, die mich auf die elektrische Zigarette gebracht hat. Mit der tanze ich zurückhaltend elegant. Am liebsten aber war mir die Goldschmiedin, die so lachen kann.


Mo 17.10.11 11:49

Wenn Politiker die weltweiten Proteste gegen die Allmacht der Banken begrüßen, steht es noch schlimmer, als ich dachte.

17:24

Möglich, dass ich heute den entscheidenden Punkt des Romans erreicht habe, das erweist sich erst, wenn ich Korrektur lese, wahrscheinlich morgen. Heute abend werde ich Trommeln.


Di 18.10.11 10:07

Wind geht ums Haus, endlich kann ich wieder in Frieden arbeiten. Ich arbeite gern, aber bei Sonne fällt es mir schwerer, bei Sonne will ich hinaus, bei Sonne wird alles fadenscheinig, jetzt aber beginnt die Saison. Bald wird Regen kommen, die Blätter taumeln schon, ich mag den Herbst, ich mummle mich ein, ich koche mir einen Kaffee, mein Rechner brummt, ich bin übern Berg, es wird, wie ich dachte, spätestens Ende des Jahres ist der Roman fertig, dann dürfen sie mich köpfen, vierteilen, sie dürfen machen, was sie wollen, ich habe ihn geschrieben, und das macht mir keiner nach. Danach werde ich alt. Ich werde neunzig oder auch nicht, das ist mir scheißegal, ich suche ich mir eine kleinere, bezahlbare Wohnung, vielleicht werde ich Eremit, ich weiß es nicht, und ich will es nicht wissen.

18:39

Nuckle an meiner E-Zigarette, denke, Mensch Meister M., heute ordentlich was geschafft, pack dich weg, unter die Decke mit dir, morgen ist auch ein Tag, und keiner weiß, ob es dich oder sonst irgendwen dann noch gibt.


Mi 19.10.11 14:35

Ich habe das Spektrum meiner Übersprungshandlungen erweitert und verfolge jetzt Flugbewegungen über Westfalen. Gerade zog ein Jumbo der Cathay Pacific in 9500 Meter Höhe auf dem Weg nach Hong Kong vorbei und eine 737 nach Bukarest. Letztere aus Amsterdam, die erste aus London kommend. In Gegenrichtung eine Boing 777 aus Auckland auf dem Wege nach London. So geht das den ganzen Tag und die Nacht über auch. Ich staune, dann klicke ich weg und arbeite weiter. Was da gerade so brummt, ist ein Jumbo auf dem Weg nach Bangkok.


Do 20.10.11 9:54

Gestern habe ich geackert. Gegen fünfzehn Uhr bin ich raus zu Herrn H. Herr H. ist seit 30 Jahren gegen alles und arbeitslos. Er hat zwei oder drei Kinder, vier Enkel, er lebt im Anbau eines Bauernhofes vor den Baumbergen. Es ist idyllisch dort, er hat einen wunderschönen Garten, er frickelt und bastelt, er gärtnert, er kann alles mögliche, will aber nichts, er ist ein unerträglicher Rechthaber, er hält sich für einen loser und ist auch einer, andererseits hat er so viele Fähigkeiten, dass er überhaupt keiner sein kann, aber das will er nicht glauben, denn seine gesamte Familie hält ihn für einen. Manchmal trinkt er zuviel und wenn er zuviel trinkt, kann er gefährlich werden.

Dort also schlage ich dann und wann auf, wenn ich Landidylle will und ein bisschen Bewunderung, denn so eitel bin ich, ein echtes Arschloch eben, Selbstgezogenes kann ich dort auch verkosten. Dieser Herr H. nun fand, dass ich ein Feigling wäre, kein Mann mehr, ein Weichei, meinte er, traute sich aber nicht, das zu sagen, einer eben, der sich etwas vormache, das Echte mit dem Ersatz verwechsle und sich betrüge, und das alles nur, weil ich jetzt Elektrozigarette rauche. Ich versuchte, ihm zu erklären, dass sein Standpunkt ein ideologischer sei, aber das wollte er nicht begreifen. Mein Sohn M. hat im Hinblick auf Elektrozigaretten ganz ähnliche Ansichten.

Die Sonne scheint. Ich lasse es ruhig angehen. Nachmittags lese ich in einer Buchhandlung im Zentrum. Mal sehn, was bis dahin passiert: Küche putzen zum Beispiel. Bisschen aufräumen. So etwas.

19:13

Mit Rug und Fecht darf ich mich ab sofort Mublikumspagnet nennen. Zu meiner Lesung in der Buchhandlung S. in MS. hatten drei Menschen gefunden. Einer war ein Kind, der andere eine Mutter, der dritte schließlich ein mir namentlich bekannter Metal-Gitarrist, den man den Doc. nennt, ein sehr netter Mensch.

Hallo Mublikumspagnet, rief man mir zu, als ich nach der Vorstellung zum Bus schlenderte, den Bauch voll wütender Winde von der Sinsenluppe, die ich mittags arglos zu mir nahm. Nun, zu Hause, muss ich meinen Arsch nicht länger zusammen kneifen, hier darf ich Mensch sein, wenngleich so ein Publikumsmagnet natürlich immer ein wenig abseits steht bei all dem Trubel um seine Wenigkeit. Das Leben ist dennoch recht schön.
Und die Lesung war eine meiner besseren, kein Zweifel.


Fr 21.10.11 17:45

Die kleine Birke auf unserem Balkon hat tabakfarbene Blätter, es ist kaum zehn Grad, und ich sitze seit heute früh, mein Rechner steht auf dem roten Tisch, Busse fahren in regelmäßigem Abstand vorbei, als erstes habe ich das Kapitel 17 in die digitalen Mülleimer geworfen, schon vorm ersten Kaffee hatte ich das beschlossen, und obwohl es immer ein bisschen weh tut, Text zu vernichten, ist es doch notwenig, um weiter zu kommen. Bis elf habe ich über den Fortgang gebrütet, dann habe ich beschlossen, das bisher Geschriebene zu lesen. 140 Seiten. Es hätte sein können, dass sie mir nicht gefallen, aber das war nicht so. Im Gegenteil. Und jetzt, wo ich mit dem Lesen fertig bin, kann ich getrost Feierabend machen. Ich weiß, wie es weitergeht. Morgen.

23:09

Die unten stehenden Daten gehören zu einem Flugzeug, dass gerade über Münster zog. Ich schlafe bei weit offenem Fenster, ich höre so etwas häufig und ich höre es nicht gern, im Augenblick sitze ich auf dem Sofa, und auch da höre ich es
, obwohl ich es nicht hören will. Ich weiß, es gibt Menschen, die an Flughäfen wohnen, ich nicht, ich wohne in Hörweite der Autobahn A1, aber die ist nur bei Ostwind akkustisch für mich aktiv. Diese überfliegenden Flugzeuge aber füllen den Himmel für drei, vier Minunten. Ich habe die Höhe, ich habe die Position, fehlt eigentlich nur die Boden-Luft-Rakete.


Sa 22.10.11 9:19

ein kritisches gedicht zur lage

bei 3punkt3 grad fröstelt die rosette
die vorhaut zieht sich still zurück
wenn sie jetzt eine warme mütze hätte
wär das ihr stilles glück

bei 3punkt4 grad äußert sich schon hoffnung
und aus der dunklen stille ruft das glied
nach schuldenschnitt und nach bewaffnung
und jemand komponiert ein lied

ein lied von unvernunft und gier
von straßenschlacht und langen sitzungsnächten
von fragenzeichen die beim bier
die lang ersehnte lösung brächten

jetzt 3punkt6 grad siehe aufschwunk
die börsen reagiern verzückt
glied und rosette nehmen einen umtrunk
und anleger spielen verrückt

bei 3punkt7 glaubt die welt
sie sei mit heiler haut davongekommen
jemand der noch versprechen hält
wird nie mehr ernst genommen


So 23.10.11 15:01

Ich habe einen Floh. Auch möglich, dass es zwei sind, denn vorgestern in der Wanne sah ich den einen. Er schwamm tot auf dem Wasser. Aha, dachte ich erfreut. Du blöde Sau beißt mich nicht mehr. Jetzt habe ich neue Bisse. Das kann nur bedeuten, dass seine Verwandten noch unterwegs sind. Also habe ich das Bett abgezogen, alle Ritzen gesaugt, gerade wasche ich alles, was nicht niet- und nagelfest ist, und dann woll'n wir mal sehn. Zur Not muss ich mit der chemischen Keule zum Massenmord schreiten.

23:28

es zwickt
und überall ist alles möglich
da ist ein loch
und darin endet täglich
der eine und die andere
denen kein zweifel wert war
ich höre sie und wandere
allein durch diesen nachtmahr
ich gehe morgen sage ich
ich lass mich nähen stich um stich
und habe übermorgen schon
ein neues hemd und guten lohn


Mo 24.10.11 12:16

Der Süchtige hat keine Drogen mehr. Er setzt sich aufs Rad, besucht örtliche Dealer, und wird immer nervöser, als es überall heißt, wir haben Lieferschwierigkeiten. Wie? Was? Sie können einen Süchtigen doch nicht unversorgt lassen. Was soll er denn da machen? Tja, die Händler zucken die Achseln. Morgen vielleicht, sagen sie. Das haben Sie letzte Woche auch schon gesagt, sagt der Süchtige. Ja, sagt der Dealer, aber die haben einen Boom, die kommen mit der Herstellung nicht nach. Soll ich Ihnen mal meine Telefonnummer geben. Dann können Sie mich anrufen. Nein, danke, sagt der Süchtige und fährt zu den kleinen Dealern am Bahnhof, die Iraner, Iraker, die Türken, oder wo immer die herkommen, die haben sicher was in der Schublade. Haben sie aber nicht. Stattdessen versuchen sie einem Leerdepots zu verkaufen, diese Deppen. Scheiße, denkt der Süchtige, was denn nun? Und dann hat er eine Idee. Jeder Süchtige hat Ideen, wenn ihm die Droge ausgeht. Wenn die zentralen Dealer auf dem Trockenen sitzen, denkt er, werde ich mal die Dealer an der Ausfallstraße checken, aber die haben noch nicht einmal von dieser neuen Droge gehört. Bleibt nur noch die Tankstelle vor der Autobahn. Die letzte Hoffnung vorm Kamener Kreuz. Und? Bingo. Die haben noch Drogen. Wunderbar, denkt der Süchtige und kauft auf Vorrat. Der Winter wird lang. Und wer weiß, vielleicht gibt es demnächst Drogenkrieg, dann hat er vorgesorgt und ihm kann keiner.


Mittwoch 26.10.11 9:17

Romanschreiben ist ungesund. Geschriebene Romane von Schriftstellern, die, wie ich, unberühmt sind, tauchen dennoch hin und wieder in erstaunlicher Umgebung auf. So etwa Pop Life im Magazin Rocks 06/11 zwischen Kiss, Led Zeppelin, Allman Brother, Johnny Winter, Genesis .... Was soll ich sagen. Ich bin unberühmt, eitel und muss jetzt weiter schreiben.


Do 27.10.11 10:10

Man könnte die Salseros auch ADHS Patienten nennen. Aber das ist eine andere Geschichte. Heute verweise ich auf meinen Eintrag vom 23.10. dieses Jahres, den ich nun mit - Sie wissen schon - mit Musik von Arto Lindsay unterlegt und zugebrummt habe. Viel Vergnügen

14:27

Es hat bis heute gedauert, eh ich die Grundfurcht vor Ärzten, die mich seit dem Tod meiner Frau angesprungen hatte, überwinden konnte, jetzt ist sie fort, am 2. November unterziehe ich mich einer Generaluntersuchung, so, wie ich das früher jedes Jahr einmal getan habe und seitdem nicht hatte tun können. Das fühlt sich gut an.


Fr 28.10.11 11:25

Beim letzten Roman für Erwachsene spielte mein Herz verrückt. Ich ging zum Kardiologen, ich ließ mich testen, durchleuchten, belasten, ich äußerte meinen Verdacht, und es zeigte sich, dass ich gesund war. Psychische Belastungsstörung nennt man so etwas, ein Roman zerrt eben doch an den Nerven.

Bei dem Roman, den ich im Augenblick schreibe, spielt mein Magen verrückt. Ich werde damit leben müssen. Es wird noch eine Weile so gehen, vor Ende des Jahres bin ich bestimmt nicht fertig, aber da nun die Großen der europäischen Politik einen Schuldenschnitt vereinbart haben, habe ich mit mir einen Nervenschnitt verabredet.

Seit ich mich gestern zu einer Generaluntersuchung entschlossen habe, geht es mir schon viel besser. Es ist noch immer dieses Grundsummen in meinem Körper, eine Anspannung, die mich fordert und treibt, aber sie macht mir keine Angst mehr. Ich weiß jetzt, wie ich sie einzuschätzen habe, die kurze hypochondrische Stimmung, in der ich mich in den letzten Tagen befand, hat sich verflüchtigt, sie entspricht und entspach nie meinem Naturell. Ich habe wieder etwas gelernt. Statt tagelang an Texten herum zu fuhrwerken, vernichte ich sie nun einfach, ich verwahre sie nicht in der Hinterhand, und das wirkt befreiend. Heute werde ich mich zerstreuen. Gestern abend erzählte mir der Neffe von einer Bionik-Ausstellung im Naturkundemuseum, das klang höchst interessant, dahin fahre ich jetzt. Also.

18:03

Der Kofferfisch



Das nach ihm gebaute Auto


So 30.10.11 14:50


als nadja das schlagzeug zerschlug
das dem orchester abhanden gekommen
am see stand
kam es dass felle barsten
und aus dem himmel eine tomate fiel
die vorgab
eine sonne zu sein

nadja gab nichts auf geschwätz
aber da sie einen neuen kopf brauchte
einigte sie sich mit der tomate

seitdem drehen sich männer die hälse wund
das panikorchester ruft an
weil es ein go go girl braucht
so ein schönes wie nadja

aber nadja
hat einen bahnhof gekauft
und verschenkt stunden mit hilbig
dem großen trinker
man verzehrt
morgennebel und trübsinn
zwischendurch toasts
deren eltern verreist sind

in der nacht stellt sie hilbig
auf eine weiche
und sagt weiche nicht
worauf hilbig die arme ausbreitet
und mit stahlzähnen knirscht
er friert fest
bis der morgen wieder zu nebel kommt
und der tag nur dummheiten zeugt
also zieht nadja zwei trümpfe aus ihrem bh
und hilbig taut auf


16:40

Herr Mensing ist sehr zufrieden mit sich. Er hat heute dem Neffen beim Umzug geholfen, und das war ein schönes Ereignis. Der Menschen wegen, die außer ihm mitgemacht haben. Sehr zufrieden auch, weil ihm Nadja und Hilbig gefällt. Diese Seitensprünge tun mir sehr gut, bei all der Arbeit, die ich gerade wälze. Sie entspannen mich ein wenig.


Mo 31.10.11 10:28

Es ist herrlich heute. Werde bügeln und dann gehe ich hinaus in die Wälder, Bären schießen. Der Roman soll warten. Der läuft mir nicht weg.



 

 

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