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Hermann Mensing

Unterwegs von A nach B

 

Ancona

Ein Spediteur hatte mich mit nach Mailand genommen. Dort hatte er mich an einen LKW-Fahrer weitergereicht, der fast bis nach Ancona fuhr. Auf dem Weg hatte der mir haarsträubende Geschichten über die Viper im Allgemeinen und ihr Vorkommen in dieser Gegend im Besonderen erzählt. Fünfzig Kilometer vor Ancona ließ er mich an einer Raststätte aussteigen. Ich versuchte, noch weiter zu kommen, war aber erfolglos. Also entschloss ich mich, die Nacht hinter einer Tankstelle zu verbringen. Ich war zum ersten Mal südlich der Alpen. Ich hörte seltsame Nachtgeräusche. Und als über den Rasen plötzlich ein Skorpion auf mich zukroch, flüchtete ich. Der Tankwart erlaubte mir, in der Werkstatt der Tankstelle zu übernachten. Am Morgen trampte ich weiter und war gegen Mittag am Ziel. Ancona. Eine Burg über einer Bucht, eine Stadt, ein Hafen und die Erkenntnis, dass das Schiff, das mich über Griechenland nach Haifa bringen sollte, erst in drei Tagen fuhr. Es war noch früh im Jahr, Ende Februar, glaube ich, und die erste Nacht am Strand war bitter kalt. Am zweiten Tag lernte ich einen jungen Niederländer kennen, der nicht weit von Ancona eine kleine Hemdenfabrik leitete, die seinem Vater gehörte. Er bot mir an, in seinem Haus zu übernachten. Abends auf dem Dorfplatz sah ich Nachtfalter von der Größe ausgewachsener Amseln um die einzige Straßenlaterne kreisen. Auch das war mir unheimlich. Am nächsten Tag erkundete ich die Hügel ringsum. Als ich ein Rascheln im Unterholz hörte, erstarrte ich. Ich musste sofort an die Erzählungen des LKW Fahrers denken, brach meinen Spaziergang ab und lief schleunigst zurück ins Dorf. Am nächsten Tag schiffte ich mich nach Patras ein.

Berlin

Fremd war mir schon, als ich da auf der Waldbühne saß und dachte, wie sie damals die Bestuhlung zertrümmert hatten wegen der Stones. Wegen mir würde niemand irgendetwas zertrümmern. Obwohl genügend Menschen im weiten Rund saßen. Katholiken, so weit das Auge reichte Katholiken. Außer Rand und Band, denn es war Kirchentag und ich spielte in einer Band, die beim Kirchentag auftrat. Trommelte sozusagen im Namen des Herrn. Arme wurden empor gerissen, Schals hochgehalten, man fasste sich an. Und dann kam dieser Bischof. Kam von links auf die Bühne, hielt eine Rede, segnete womöglich, ich weiß nicht mehr so genau, segnete, sagen wir mal, doch eh er dann abging, kam er direkt auf mich zu. Kam auf mich zu, ergriff meine Hand, schüttelte sie, lächelte freundlich und verschwand von der Bühne. Da saß ich nun. Vom Bischof höchstpersönlich begrüßt. Ich spürte, dass es mit mir aufwärts ging. Erst die Stones, jetzt der Bischof. Ja. Es wurde besser und besser.

Cuzco

Natürlich hatte ich diese Adresse. Schon seit Medellin hatte ich sie. Eine deutsche Jüdin, die nach Peru emigriert war und in Cuzco ein Hotel führte. Ein billiges Hotel. Nicht weit vom zentralen Platz, nicht weit von den berühmten aufeinandergeschichteten Steinen, von denen man sagt, niemand weiß, wie die Inkas das hingekriegt haben. Nicht eine Briefmarke passe zwischen sie.
Wie das Hotel heißt, weiß ich nicht mehr. Das Bolivar? - Ja, ich glaube, so hieß es.
Man geht eine von der Plaza wegführenden steilen, mit Kopfsteinen gepflasterten Gassen hügelan, wendet sich nach links, kommt an ein grünes Hoftor, öffnet es und geht hindurch. Links liegt ein flacher, langgestreckter Schuppen. Rechts das Haus, in dem die Deutsche wohnt, eine große, grauhaarige Frau. Sie spricht einen süddeutschen Akzent. Der Hof ist ungepflastert. In dem Schuppen reihen sich Zimmer aneinander. Möglich, dass es zehn sind, das weiß ich nicht mehr.
Aber ich weiß, dass ich froh war, nach 34stündiger Reise dort anzukommen. Und Hoffnungen hatte. Hoffnungen auf eine Erorberung. Und Pläne. Ich wollte nach Macchu Picchu. Ich würde zu Fuß dorthin gehen, den alten Inka-Pfad nehmen, so viel war klar.
Nur allein wollte ich das nicht tun, und im Augenblick war ich allein.
Von Bruno und John hatte ich mich in Lima getrennt. Die beiden wollten den Amazonas befahren. Ich nicht. Aber das ist nicht die Geschichte, die ich erzählen wollte.
Ich machte eine Erorberung, ja, aber nicht die, die es eigentlich hätte sein sollen. Eine Verlegenheitseroberung, aber das war mir egal. Als sie und ich nach vierzehn Tagen Cuzco verließen, stahl ich eine Bettdecke. Eine aus Lama-Wolle gewebte Decke mit gelb-grauem Grundton. Ich dachte mir nichts weiter dabei, ich steckte sie einfach in meinen Rucksack und ging.
Wir saßen schon im Zug, als ich sah, dass jemand vom Hotel ins Abteil kam. Er kam auf mich zu. Ich wusste, weshalb. Er sprach mit mir. Er machte das ganz ruhig und mir blieb nichts, als meinen Rucksack zu öffnen und ihm die Decke zurück zu geben.
Meine Eroberung (eine Holländerin) und ich fuhren dritter Klasse. Wir saßen also in einem bis zum äußersten besetzten Abteil und wurden vor aller Augen des Diebstahls entlarvt. Nie vorher und nie nachher habe ich mich so geschämt.

Düsseldorf

Ob er gern Zug fahre, fragte man. - O ja, sagte er. - Was er denn tue, die ganze Zeit? - Schauen. - Und heute? Habe er heute etwas gesehen, was für ihn von Interesse gewesen sei? Natürlich. - Natürlich? - Ja. Den Übergang von Agrarland in Industrieland etwa. Überm Land fächerte sich die Sonne über frischer Wintersaat auf, schwarz- und rotbunte Kühe standen auf einer Wiese und kaum war die vorüber, sei ein Förderturm aus der Erde gewachsen, wenig später dann leere, fußballfeldgroße Hallen mit zerschlagenen Fenstern, Gleisgewirr, Birken und Halden im Hintergrund. Er habe Menschen beim Gespräch beobachtet, habe ihre Gesichter gesehen, ihre Zustimmung ohne Worte, ihre Ablehnung, ihre flinken Augen, die nicht immer ertrugen, den anderen anzusehen. All das könne man sehen, wenn man mit dem Zug unterwegs sei, während das Reisen im Auto einem für so etwas keine Zeit lasse. - Und am Ziel? - Sei er zu Fuß zum Kinderspielhaus gelaufen. Ein buntes Haus für Kinder des Viertels. Meist schwarzhaarig, Kinder türkischer Herkunft, indischer Herkunft, Kinder aus Familien ohne Zeit für Kinder, und denen habe er ein Hörspiel vorgespielt. - Erfolgreich? - Ach, das sei schwer zu sagen. Sie wussten ja nicht einmal, was ein Hörspiel ist. Wenngleich sie annahmen, es müsse wohl etwas ohne Bilder sein. Verwundert waren sie, dass er so viele verschiedene Stimmen nachmachen könne.

Esquitla

Am Tag vorher hatten wir die Grenze überquert. Der mexicanische Grenzposten im Norden des Flusstals, der guatemaltekische im Süden. Bei den Mexicanern zogen wir unsere saubersten Sachen an, klatschten unsere Haare dicht an den Kopf und liefen los. Bis zum Talgrund die Blicke der Mexikaner im Nacken, dann die der Guatemalteken von vorn. Oben angekommen warteten wir eine Weile, bis die Zöllner sich mit uns beschäftigten. Sie sind feindlich. Sie hassen uns, weil sie denken, dass wir Amerikaner sind. Erst nachdem sie unsere Pässe gesehen haben, werden sie zugänglicher. Das Land ringsum: Urwald, auf den einmal pro Tag ein Tropengewitter niedergeht. Dennoch kein Regenwald: Hochlandwald, wenig Unterholz, dichtes Blätterdach, gellendes Schreien von Vögeln unbekannter Art. 35 Grad Celsius. Wir nehmen einen Bus in die nächste Stadt. Unterwegs Straßensperren, Militärs mit umgehängten Maschinenpistolen. Es geht gegen die Guerilla, gegen das Volk. Fünf Stunden schaukelt der Bus uns durch das Land. Die, die keine Maschinenpistolen tragen, tragen Macheten. Ist es denn so gefährlich hier? In Equitla mieten wir ein kahles Zimmer mit drei Bettgestellen. Wasser ist im Hof. Geschissen wird in ein Loch. Hinterm Haus geht der Wald los. Weil wir mutige Hippies sind, hängen wir unsere Pentax, Minoltas und Prakticas um und dringen in diese Wildnis vor. Nach etwa dreißig Metern, auf denen wir uns wie Idioten benehmen, kommen wir an einen Bach, in dem Frauen türkisfarbene, rote und blaue Plastikschüsseln spülen.

Faro

Seit Tagen geht mir Faro nicht aus dem Kopf. Der Anflug über was trocken gefallene Watt. Die Ruderer im Priel unter der linken Tragfläche. Die Wärme des Asphalts auf dem Vorplatz des Flughafens. Die jungen Männer, die mit Dreirad-Motorrädern zehn Meter lange Verbände aus Gepäckwagen verschoben. Die Wartenden. Und über allem ihre spürbare Unruhe. Nach mehrstündigem Flug kurz vorm Ziel ermüdet, aber nicht müde genug, um dem Neuen gelassen entgegen zu sehen. Dann und wann kommen zwei, drei Taxen. Schließlich kommt auch eine für uns. Wir steigen ein. Boa noite, sage ich. Wir fahren. Die Straße zwischen Flughafen und Kreisverkehr ist von Hotels und Autovermietungen gesäumt. Staubiges Braun, stachliges Dünengras und Schilf.  Dazwischen und dahinter nur zerzaustes Land. Eine Flussmündung. Boote auf den schlammglänzenden Ufern der Priele, schlafend zur Seite gekippt. Der Kreisverkehr, der entscheidet, wer wohin fährt: etwa ins Land, an die Küste gen Westen, zur spanischen Grenze, oder den kürzesten Weg: in die Stadt. Neubauten links, viel wird gebaut, rotbraune Erde gehäuft, Dattelpalmen, Wäsche auf Balkonen. "lemon tree" im Autoradio. Eine untergehende Sonne. Wir erreichen das Hotel in der Dämmerung. Die Strasse riecht nach Asphalt, es gibt einen Supermercado an der einen und eine Hähnchenbraterei an der anderen Ecke, es wird Nacht und nirgendwo schreien Touristen. Das beruhigt uns.

Gent

Ich glaube, das Hotel in Gent war eines der ersten, das wir übers Internet gefunden und gebucht hatten. Wir waren auf dem Weg in die Bretagne, wollten es aber ruhig angehen lassen. Hier schauen und dort. Außerdem spielten an unserem Reisetag die Deutschen gegen die Argentinier, und das wollten unsere Söhne nicht gern verpassen. Unser Zimmer hatte eine seltsame Architektur. Die Toilette war mehr oder weniger integraler Bestandteil eines Durchgangs, man saß eigentlich mitten im Raum, aber da das Abseitige oft sehr belebend wirkt, fanden wir das nicht weiter schlimm.
Wir hatten ein Dach überm Kopf, die Leute im Hotel waren freundlich, das Viertel war wunderschön und man brauchte nur um die Ecke zu gehen, schon war man mitten in der Stadt.
Eine schöne Stadt, dieses Gent.
Belebte Gassen, man konnte mit einem Boot herumfahren, Fritten essen, in kleinen Läden stöbern, es gibt diese Kirche mit weltberühmten Malereien, die, das gebe ich allerdings zu, mich kalt ließen, wie die meisten Kirchen mich kalt lassen, höchstens, dass ich sie als Orte bewundere, in denen der Mensch fühlt, wie klein er vor Gott ist, was aber nichts weiter als ein gemeiner Trick der Herrschenden ist.
Sogar Ski fahren konnte man in Gent, mitten im Sommer. Wir waren mit dem Bus an einen See gefahren, etwas außerhalb. Am Südufer dieses Sees ist ein Berg. Naja, es ist wohl eher ein Hügel, vielleicht eine überwucherte Müllhalde, wer weiß, jedenfalls aber ist sie hoch genug, um mit einem Schlepplift auf die Kuppe zu fahren, um dann auf einer künstliche Abfahrt hinunter zu sausen.
So saßen wir an einem recht kühlen Nachmittag an diesem See und staunten über den Betrieb dort drüben. Abends schauten wir fern. Im Aufenthaltsraum des Hotels saßen eine ganze Menge Leute. Ein paar Belgier mokierten sich über die Spielweise der "rot-duitsers", dieser verdammten Deutschen.
In solchen Fällen wachse ich manchmal über mich hinaus. Ich sagte sinngemäß, dass wir Deutschen nur deshalb so langsam und umständlich spielten, um die Spannung möglichst lang aufrecht zu erhalten. In der Regel schössen wir die Tore erst dann, wenn es nicht mehr anders ginge.
So weit ich mich erinnere, kam es genau so, wie ich gesagt hatte. Das Spiel gegen Argentinien endete möglicherweise untentschieden, wenn nicht gar mit einem Sieg. Was die nörgelnden Belgier mit einem verkniffenen Lächeln akzeptieren mussten.

Hikkaduwa

Habe mir ein kleines Haus gemietet. Es hat nur ein Zimmer. Wohne dort ganz allein. Habe ein Bett, einen Tisch, einen Stuhl, keinen Strom, einen Brunnen, einen Eimer. Wenn ich vom Dorf kommend abends durch den Hohlweg zum Haus gehe, ist es so dunkel, dass ich die Hand kaum vor Augen sehe. Hikkaduwa steckt voller Hippies, die einander belauern und abschätzen. Halte mich, wo immer es geht, fern. Begegnete gestern bei einem längeren Spaziergang über den Bahndamm, der durch einen Sumpf führt, einem Waran. Alles in allem mag er zwei Meter lang gewesen sein. Er blieb stehen, züngelte, ich stand längst wie angewurzelt, dann verschwand er im hohen Schilf. Schwere Gewitter am Nachmittag. Korallengärten vor der Küste, aber man muss vorsichtig sein, die Strömung ist stark, es treibt einen schnell fort. Fliege am 8. April nach Kathmandu.  

Iguazu

Von Embarcation in Argentinien bis hierher bin ich getrampt. Rostbraune Schneisen in der Privinz Missiones mitten durch fetten grünen Dschungel. Auf halbem Weg habe ich an einer Wegkreuzung hinterm Haus einer Tankstelle übernachtet. Handtellergroße Falter taumeln herum. Wenn ich tief durchatme, bin ich verloren und finde nie wieder hinaus aus diesem Wald, der seltsame Geräusche macht. Die letzten Kilometer laufe ich, laufe, bis das Rauschen und Tosen des stürzenden Wassers lauter und lauter wird.
Ich übernachte draußen.
Als ich zum Sonnenuntergang bei den Wasserfällen sitze und hinüberschaue, setzt sich jemand zu mir. Anfang 30, sportlich, sieht aus wie ein Italiener, jedenfalls keine spuren indianischer Herkunft. Sagt "guten abend" und es geht ein lockeres Gespräch los über woher und wohin, und wie so oft, wenn ich sage, dass ich aus Deutschland bin, erfahre ich Merkwürdiges. Diesmal geht es darum, mein großdeutsches Erbe zu rühmen. und irgendwann zieht dieser Mann einen revolver. Damit, sagt er, mache er Kommunisten kalt. Er arbeite für die argentinische Regierung. So eine Art Spezial-Polizei sei er. Sowas wie Gestapo, sagt er und lacht stolz. Er ist ein freundlicher Mann. Ich soll die Pistole ruhig mal halten, sagt er. Und dann hat er auch noch Wein im Rucksack. Weißen, kühlen Wein, den wir gemeinsam trinken. Der Wasserfall rauscht, das Blut pocht in meinen Schläfen, ich proste einem Mörder zu und er mir.

Jerusalem

Ein junger Mann betritt eine moderne Klinik am Rande der Stadt und sagt: Guten Tag, ich möchte Blut spenden. Ich habe gehört, sie zahlen ..... Der junge Mann hat langes, lockiges blondes Haar und blaue Augen. Er sieht ein bisschen abgerissen aus, aber nicht krank oder verwahrlost. Er sagt, er käme aus Deutschland. Aha, sagt man an der Rezeption der Universitätsklinik Jerusalem. Aus Deutschland. Moment. Und dann lassen Sie ihn dort stehen und die Nachricht verbreitet sich schnell. Ein Deutscher will Blut verkaufen. Bitte, wir haben nichts gegen Blutspender. Hauptsache, sie sind gesund. Aber dass es gerade ein Deutscher ist, das finden sie schon ein wenig seltsam. Bitte hier entlang, sagt eine Schwester. Der junge Mann folgt. Sie führt ihn in ein Behandlungszimmer. Er legt sich auf eine Liege. Die Blutabnahme wird vorbereitet. Alle sind freundlich. Der junge Mann auch. Sein Blut fließt. Anschließend serviert man ihm eine Cola, ein kleines Essen und seinen Lohn.

Kairo

Links und rechts der Straße vom Flughafen stadteinwärts verwehte alle Art Müll. Staub mischte sich mit stinkendem Diesel-Rauch. Der Bus hielt vor einem großen Hotel. Blauhelmsoldaten gingen ein und aus. Wir fragten nach einer Pension. Da lang und dann links, sagte einer. Da lang und dann rechts, ein anderer. Wir fanden eine Pension im vierten Stock eines schlecht verputzten Hauses. Ja, sagte man, man habe Zimmer. bescheidene Unterkünfte. Meine Reisebekannten, ein Paar, verschwand in seinem. Ich ging in meines, verstaute meine Sachen, wusch mich und ging ich in den Aufenthaltsraum. zwei Sofas, ein paar Clubsessel, Männer in Yalabees, die Wasserpfeifen rauchten. Ich nickte. Sie nickten zurück. Ich bestellte tee. Herrlich heißen Pfefferminztee. Die Männer nickten und schickten ein freundliches Lachen. Wo blieben meine Reisebekannten? Ich ging zu ihnen. Wollt ihr nicht kommen? Nein. Sie fänden das hier nicht gut. Ich ging urück in den Aufenthaltsraum. Die Männer winkten mich heran. Sie boten mir an, ihre Wasserpfeife zu rauchen. Sie freuten sich, als ich husten musste. Wir saßen bis tief in die Nacht.

Gestern spät flirrten die Lichter der großen Stadt unter mir. Ich dachte an den Midan al Tahrir, an meine Pension dort, die ich mit Nutten teilte. Ich dachte an die in schwarze Tücher gewickelte Puffmutter, deren Goldzähne herrisch leuchteten. Sie trank gern Tee mit mir und stellte mir ihre Mädchen vor: füllige, schwarzhaarige Frauen, die mich bestaunten wie einen Edelstein und albern waren und freundlich. Daran dachte ich, und daran, wie naiv ich war, dass ich die ersten tage gar nicht bemerkte, wo ich gelandet war, während sich der Nil wie eine nächtliche Schlange unter uns wand und das Flugzeug an Höhe verlor. Wie freundlich man mich behandelte. Ich dachte an die bronzefarbenen Hände dieser Frau und daran, dass der Besitzer der Pension mich vor Polizeispitzeln warnte, die versuchten, Touristen Haschisch zu verkaufen. Und nun bin ich wieder hier. Weitab vor der Stadt habe ich die Nacht in einem Hotel am Flugplatz verbracht, ein trostloser Ort in einer verlotterten Wüste. Gleich fliege ich fort. Fort nach Bombay.

Limassol

Ich glaube, die Insel war noch nicht in einen türkischen und griechisch-zypriotischen Teil gespalten, als ich das Schiff nach Haifa verließ, draußen, auf Rede liegend, in ein Beiboot ausschiffte, das sich schwankend auf die Silhouette der Stadt zubewegte. Im flirrenden Sonnenlicht kam sie mir sehr arabisch vor. Ich glaube, dass ich ein Minarett sah. Mein erstes Minarett. Ich schlenderte durch die Straßen, ich bewunderte das Handwerk, das hier vor aller Augen in kleinen Werkstätten betrieben wurde, und dann sah ich den Baum. Ein Organgenbaum. Mein erster Orangenbaum, voller Früchte. Ich vergewisserte mich, dass keiner mich beobachtete. Dann stieg ich auf eine kleine Mauer, reckte mich und pflückte eine Orange. Steckte sie ein, ging um zwei Ecken, setzte mich in einem kleinen Park auf eine Bank, schälte die Frucht und biss herzhaft hinein. Es war eine Zitrone. Ein sehr saure Zitrone.

Mailand

Als wir den Bahnhof verließen, uns umdrehten und hochschauten, glaubten wir, gleich müsse Mussolini auftauchen und Massen begeisterter italienischer Faschisten würden die breite Straße säumen, die ins Zentrum führte. Architektur der dreißiger Jahre. Wenn ich sie lösen könnte von ihren Erbauern und deren Ideologie, fiele mir vielleicht mehr dazu ein, so blieb zunächst nur der Schreck.
Wir - meine Familie und ich - begannen zu laufen, aber wie es mit Fata Morganen geht, ging es uns auch mit dem Zentrum. Je länger wir liefen desto weiter schien es von uns fort zu rücken. Also stiegen wir hinab in eine U-Bahn-Station, fanden sie fast menschenleer, aber mit Automaten bestückt. Automaten mit italienischer Bedienungsanleitung. Erst nach mehrmaligen Versuchen, Passanten radebrechend dazu zu bringen, uns beim Kauf eines Tickets zu helfen, gelang das auch.
So kamen wir in Zentrum. Duomo, wenn ich mich recht erinnere. Der große, innerstädtische Platz vor dem Mailänder Dom. Straßenbahnen, die direkt aus Fellini-Filmen zu stammen schienen, rumpelten um eine Ecke. Tauben gurrten. Touristen fotografierten sich und andere. Wir hatten uns einen Tag für die große Stadt frei gehalten. Was würden wir also tun? Die Kirche anschauen? Das interessierte die Kinder nicht. Ein wenig bummeln? Nicht wirklich, dann schon lieber McDonalds. Das Meazza-Stadion besuchen? AC und Inter-Mailand? Ja. Gern. Also bestiegen wir eine dieser urtümlichen Straßenbahnen und rumpelten hinaus an die Peripherie der Stadt, vorbei an kleinen, von Platanen bestandenen Plätzen, Bäume, die von der Trockenheit des italienischen Sommers und der Stadtausdünstungen uralt und müde wirkten, weiter und weiter hinaus, vorbei an ausgedehnten Reitställen, die wohl der Armee oder der Polizei zugehörig waren, jedenfalls sahen wir viele Menschen in Uniform. Dann schließlich Endstation und das futuristische Stadion. Ich dachte an den Bahnhof und überlegte, was Menschen in hundert Jahren wohl sagen, wenn sie so ein Bauwerk betrachten.

Nottuln

Es war einmal eine Landkommune. Sie lebte in einer umgebauten Garage hinter einer Sandsteinvilla im Dorf N. Trat man hinaus in den kleinen Garten, lag rechterhand das Haus des Pastors. Die Kirche war gegenüber. Die Bewohner der Kommune waren begeisterungsfähige junge Männer und Frauen. Bei dem Versuch, der Scholle durch harte Arbeit nichts abzugewinnen, wurde man älter, bis man plötzlich feststellen musste, dass man der bürgerlichen Existenz zwar zeitweilig den Rücken kehren konnte, aber dennoch immer wieder zu ihr zurückkehrte. Dieses seltsame Phänomen führte manche in tiefe Depression. Der Autor rettete sich durch ausschweifende Fantasie.

Oslo

Wir sind nach Schweden gefahren, um dort unser neues Leben zu testen. Zu diesem Leben gehört seit knapp einem Vierteljahr ein Kind. Wir sind glücklich, aber natürlich schwirrt uns der Kopf. Nichts ist so, wie wir es uns vorgestellt haben, falls wir überhaupt eine Vorstellung hatten. Unser Leben hat sich von Grund auf verändert. Wir haben ein Haus gemietet im Värmland. Wir teilen es mit einem Paar, das ebenfalls seit kurzem ein Kind hat. Wenn dieser gemeinsame Urlaub klappt, wollen wir eine Wohngemeinschaft gründen.
Das Haus liegt an einem Hang. Das nächste Dorf ist fünf Kilometer entfernt, der nächste Hof 500 Meter auf der anderen Seite einer Senke. Der Bauer, der ihn bewirtschaftet, heißt Harü. Es gibt keinen Strom hier, und der Abort ist eine Grube im Wald. Füchse schnüren übern Weg, Kreuzottern winden sich ins dichte Unterholz, nachts ist es so ruhig, dass es einem den Atem raubt.
C. wird später behaupten (und behauptet das heute noch immer) dass sie einmal, als sie nachts nicht bis zum Abort gehen wollten und sich stattdessen in die Wiese am Hang setzte, von einem Elch umgestupst wurde, der sie beschnuppert hatte.
Aber das ist eine andere Geschichte.
Heute wollen C. und ich nach Oslo fahren. Das ist nicht sehr weit. Vielleicht dauert es zwei oder drei Stunden mit dem Auto. Das Besondere an diesem Ausflug ist, dass wir unser Kind zum ersten Mal, seit es zu uns gekommen ist, allein lassen. Allein in der Obhut des anderen Paares.
So etwas macht unruhig.
Nicht, dass wir ihnen nicht trauten, nein, aber als frische Eltern muss man erst begreifen, dass jede Sekunde ohne Kind eigentlich verloren ist. Man fühl sich nicht gut. Das Kind fehlt. Man kämpft ständig mit seiner Unruhe und seinem schlechten Gewissen.
In so einem Zustand also erreichen wir die Stadt.
Gehen herum. Sind verwundert, dass das, was wir zu Hause Nazi-Architektur nennen, auch hier existiert: das Rathaus von Oslo. Erst hier begreifen wir, dass diese Architektur nichts weiter war als eine architektonische Strömung, eine Mode, die unglücklicherweise in die düsterste Epoche unsere Geschichte fiel.
Wir trinken irgendwo einen Kaffee und sind wie erschlagen von den horrenden Preisen.
Wir besuchen das Munch Museum und schauen dem blanken Entsetzen ins Auge.
Und fahren heim. Schnell, denn das Kind wartet doch, oder? -
Nein. Es hat nicht gewartet. Warum auch? Es ging ihm gut. Es war versorgt. Es hatte alles, was es braucht. Junge Eltern neigen dazu, ihre Rolle gewaltig zu überschätzen. Aber auch das ist normal. Alles ist normal. Die absonderlichsten Gewohnheiten, die furchtbarsten Unglücke, das größtmögliche Glück, alles ist so, wie es sein soll. Selbst die Tatsache, dass wir nichts von alldem verstehen, ist normal. Manchmal muss man wegfahren, um zu begreifen. Manchmal muss man etwas aufschreiben, auch, wenn zwischen der Reise und dem Aufschreiben über zwanzig Jahre vergehen. Auch das ist das Normalste der Welt.

Parati

Auf halbem Weg zwischen Sao Paolo und Rio de Janeiro. Ich weiß noch, dass der Bus von der Küstenstrasse nach Rio scharf rechts abbog und dann ging es hinab durch feuchtwarmen Wald Richtung Meer. Parati war nicht groß. Parati war ein Dorf. Es lag da in der Sonne. Es gleißte. Einen Arkadengang gab es, eine Kirche mit Glocken in durchbrochenen Türmen, kolonial aufgeräumt, nicht indianisch arm. Ein Strand gleich beim Marktplatz? Ja, so weit ich weiß, ja. Kein Schatten. Ein Zimmer in einer Pension mit dunkel gebeizten Möbeln, ein herrschaftliches Bett, fast Familienanschluss. Was ich hier tue? Ich bin auf dem Heimweg. Seit fast einem Jahr laufe ich vor mir davon und suche den Heimweg. Jetzt, wo ich näher und näher komme, wo ich so viel gesehen habe, dass ich nichts mehr aufnehmen kann, jetzt wird mir unwohl. Ich werde bald wieder da sein, wo ich gestartet bin. Mutter. Vater. Tante. Schwester. Und gleich am ersten Abend wird meine Ehe besiegelt. Meine Kinder werden gezeugt. Der Rest meines Lebens entschieden. Ich werde keine Zeit haben, nachzudenken. Ich werde die Treppe zur "Lila Eule" hinunter steigen, werde die Tür öffnen und hineingehen, und da wird sie vor mir stehen. Als hätte sie gewartet. Ich kannte sie vorher. Ja, es war nicht so, dass ich nicht gewusst hätte, wer sie ist. Aber an diesem Abend beschlossen wir unsere Zukunft.
Im abgedunkelten Zimmer meiner Pension in Parati male ich mir das alles nicht aus. Ich bin einsam und müde. Ich will nicht mehr reisen. Ich will zurück in die Stadt an der Grenze. Ich fühle mich zu ihr gezogen, aber weiß auch, dass es kaum einen Tag dauern wird, bis ich wieder fort will. Immer will ich fort. Nie will ich bleiben. Hier in Parati, wo es am Strand nicht einen schattigen Ort gibt, hier in Parati, wo sie mich anstarren wie einen Geist, hier in Parati stelle ich mir vor, dass meine Plantagen im Hinterland reichen Profit machen und ich, von schwarzen Sklaven mit Palmwedeln umfächelt, auf meiner Veranda liege und in die Hände klatschend Limonenlimonade verlange. Limonenlimonade. Und dann verschwindet die Sonne und die Nacht schlägt auf wie ein vom Himmel gefallener Schreck und die Tiere schreien und winseln um ein bisschen Licht vom Mond.
Ich sitze auf meiner Veranda, allein seit fast einem Jahr, und vermag mir nichts vorzustellen. Weder sehe ich mein Leben vor- noch das hinter mir. Ich habe keine Vision. Nichts fesselt mich. Gar nichts könnte es mir recht machen. Ich sitze nur und langweile mich. Hier bin ich, hier, rufe ich und von den Türmen der knochenweiß gebleichten Kirche rufen die Glocken die Zeit hinaus aufs Meer und ich fürchte mich fürchte mich fürchte. Noch ein paar Tage, und ich werde ich Rio Geburtstag feiern.

Quito

Wir überquerten den Äquator und fuhren in die Hauptstadt, nach Quito.
In Central-Amerika waren wir mit einem jungen Ecuadorianer gereist, Lincoln, Sohn einer angesehenen Familie, der Vater war Anwalt und engagierte sich für die Landprobleme der Ureinwohner.
Er war selbst Indianer.
Sollten wir nach Quito kommen, hatte Lincoln gesagt, müssten wir ihn besuchen.
Und das taten wir.
Wurden aufgenommen wie Familienmitglieder.
Lincolns Mutter kannte Rezepte gegen die Diarrhoe. Sie kochte mir köstliche Suppen mit Bananen, morgens, mittags, abends, wann immer ich wollte.
So kam es, dass ich nach ein paar Tagen wieder obenauf war.
Lincoln Bruder studierte bei Stockhausen Kompositition.
Das Erstaunlichste, was ich von Quito erinnere, war ein Brief meiner Eltern, der in nur einem Tag aus dem fernen Deutschland bis hierher gereist war. Wie das zustanden gekommen ist, wusste ich mir damals und auch heute noch kaum zu erklären, aber es war so: ein Brief meiner Mutter, am Vortag geschrieben.
Er traf mich mit Wucht, fachte mein Heimweh an, aber dann war es auch schon wieder vorüber.

Rom

Wie wir da rumirren zwischen den Stelzen einer Hochstraße, Absperrungen einer Baustelle und Wegweisern, die hierhin und dorthin zeigen. Vielleicht schlafen wir noch. Vielleicht haben wir in der S-Bahn-Station nicht aufgepasst. Es ist feuchtkalt und menschenleer. Vier Uhr. Eine Viertelstunde später haben wir den Shuttle Bus gefunden. Als wir einsteigen, blickt der Fahrer müde von seiner Zeitung hoch, faltet sie, startet den Motor und fährt los. Grau ist die vorherrschende Farbe. Das Terminal leuchtet rot-weiß. Corporate identity nennt man das. Es gibt schon Kaffee. Beim Check-In sagt eine Angestellte zu ihrer Kollegin, R. hat sich krank gemeldet, deshalb bin ich hier, ich kann mir aber was besseres vorstellen. Haben Sie nur eine Tasche? Ich nicke. Und ich wette, die ist gar nicht krank. Ich säße gern am Fenster. Ja, das geht. Gate 93. Danke. Noch etwa zwei Stunden. Fliegen geht schnell. Die An- und Abreise zum Flughafen und das Drumrum sind quälend. Wenn ich heute sterbe, will ich hocherhobenen Hauptes sterben. Gut angezogen bin ich sowieso. Ich will mich den Römern zeigen. Bestes irisches Leinen. - Und ab. Neben uns sitzt einer, der in aggressivem Rasierwasser gebadet hat, eine jämmerliche Figur mit Doppelkinn und Hundeblick, ein rheinischer Witzbold, der mir allerdings eines voraus hat: er schläft gleich nach dem Start tief und fest. Zum Glück sabbert er nicht. Ich klebe am Fenster. Keine Sekunde würde ich ertragen mit dem Gedanken ans Sterben, wenn ich nicht wenigstens sehen könnte, wohin ich stürzte. In ein watteweiches Meer, das mit jeder Minute leuchtender wird, bis die aufgehende Sonne seinen Rand in gleißendes Licht taucht. - Rom. Fiumuncino. Kurz nach neun. Wir verlassen das Terminal. Ich trage meinen Mantel überm Arm. Ein Bus bringt uns zum Hotel. Unterwegs machen wir doofe Witze. Sprechen Italienisch. Hängen allem ein I an. Sagen: Salati. Grabi. Palmi. Omi. Wir lachen uns schlapp. - Via Veneto. Die spanische Treppe. Rom zu unseren Füssen. Der Vatikan. Wir ersteigen die Kuppel. Piazza Navona. Das Pantheon. Der Trevi-Brunen. Wir sind kaum im Hotel, als wir es schon wieder verlassen, um die Stadt laufend zu erobern. Bon giorno. Si. Tutti va bene. Die Preise für Capuccino variieren. Im Café El Grecco kostet er 10.000 Lire, in einer Bar abseits 1.500. Japan ist komplett angereist. Hat sich mit hochmodernem Gerät ausgestattet, trägt Gucci-Tüten, Versace- Einkaufstaschen, ist oft sehr jung und falls weiblich ausgesprochen süß. So handlich. Wir lassen flanieren und schauen uns die Augen wund. Nein. Wir träumen nicht. Wir sind in Rom. Und wir beginnen zu begreifen, dass das Leben schön ist, wenn der Mensch schon am 15. März gegen zehn in einem Straßencafé sitzen kann, ohne zu frieren. -

Im Campo di Fiori. Wir trinken Campari, beobachten einen Lampenmacher in seiner Werkstatt gegenüber, ein mittelgroßer, leicht verfetteter Mann Mitte 60 schlurft über die kleine Piazza de Vicco, wir sind müde nach langem Fußmarsch, aber hier ist ein guter Platz zum Ausruhen, das Viertel scheint klein und vertraut, der Lampenmacher verlässt seine Werkstatt und kommt auf einen Expresso in die Bar, der halbfette Mann mit rotem Pullover scheint betrunken, verloren, oder beides, ein Polizist fährt vor und wartet. Wir spekulieren, dass er seinen Chef abholen muss, dessen Geliebte hier irgendwo wohnt. Nun muss er pünktlich um sechs zu Hause sein. Dann taucht ein Mops auf. Mit Frauchen. Die beiden nähern sich einem schwarzen Müllsack an der Ecke. Schon mehrere Hunde hatten ihn markiert. Der Mops riecht daran, dreht sich um seine Achse, legt noch eine halbe Drehung nach, stemmt seine Hinterbeine gegen den schwarzen Sack, markiert im Handstand und folgt Frauchen.

Am Nachmittag waren wir aus Trastevere kommend auf den M. Gianicolo gestiegen, wo ein Reiterstandbild an Garibaldi erinnert und man über die Stadt sehen kann. Ein kleines Karussell dreht sich, Kinder können auf Ponies reiten, es gibt Eis und Cola. Wenn man in Richtung Vatikan absteigt, kommt man einer Baumruine vorbei. Wir hätten sie nicht beachtet, hätte da nicht ein Mann Fotos gemacht, den ich für Deutsch hielt und so fragte ich: Und was sehen wir hier? - Hier hat Tasso sein Werk vollendet,  antwortete er, unter diesem Baum. - Tasso??? - Goethe, sagte Chris, die viel klüger ist als ich. Goethe hat ein Stück über ihn geschrieben. Ach ja? Ja. Torquato Tasso: italienischer Dichter, Kollege in Diensten verschiedener hoher Herren, ehe er sich selbst der Häresie bezichtigt, von der Inquisition verurteilt wird, in einem Irrenhaus landet, frei kommt und schließlich in Rom stirbt.  

San José

In Managua hatten wir uns Visa für Kolumbien, Equador und Peru besorgt, jeder Konsularbeamte hatte uns Auskünfte gegeben, die denen seines Vorgängers zuwider liefen, deshalb waren wir froh, als wir in den Bus nach San José stiegen. Nur weg hier. Im Bus vor mir: Jenny und Malory. Jenny rothaarig, dick und süss, Malory schlank, mit dunklem, langen Haar. Irinnen. Ich fand Malory gut. Es regnete in Strömen, als wir San José erreichten. Bruno machte sich auf die Suche nach einem Hotel, Jon checkte den American Express, ich bewachte unser Gepäck in einem Café. Wir hatten Nikoläuse gesehen, Nikoläuse und Weihnachtsschickschnack mit Watteschnee bei 35 Grad. Strange das. Abends im Hotel brüteten wir über ausgebreitete Landkarten. Ein Trio ist eine komplizierte Angelegenheit, seit John zu uns gestoßen war, hatten sich die Gewichte verschoben. Ich war nun der Dritte im Bunde. In Lima würden wir uns trennen. Hier aber stritten wir noch und vertrugen uns wieder. Jenny und Malory wohnten ein Stockwerk höher. Ich hatte Malory vorhin getroffen und gefragt, ob ich sie nachher noch sehen könne? Ja, hatte sie gesagt und mir die Zimmernummer genannt. Während John und Bruno noch stritten, beschloss ich, zu ihr hochzugehen. Erster Stock, Zimmer 9. Die Jungs machten doofe Witze, als ich ging, aber sie waren nur neidisch. Ich klopfte an Malorys Tür, und als jemand leise herein rief, trat ich ein. Es war dunkel im Zimmer. Ich setzte mich auf einen Hocker. Malory lag im Bett. Jedenfalls dachte ich, dass es Malory ist, aber als ich mich an das Dunkel gewöhnt hatte, sah ich Jennys rote Haare. Ich überlegte und beschloss, es mit der Wahrheit zu zu versuchen. "Would you mind, if I'd hop into your bed?" fragte ich. "Not at all", sagte Jenny.

Thekkady

Am Morgen gehe ich durch den Wald. Affen folgen mir in den Kronen der Bäume. Am See ist ein Gästehaus der Regierung. Von dort fahren Boote ins Reservat. Zu siebt haben wir eine lodge gemietet, ein Bungalow, umgeben von einem tiefen breiten Graben, der uns die Tiger vom Hals halten soll. Dort wollen wir die nächsten Tage verbringen. K.K. Raghavan, ein Wildhüter, begleitet uns. Er ist ein guter Geist, der auch kocht und tut, was wir wollen. Unser Sklave, aber keiner von uns nennt das so. Schließlich sind wir  Vertreter der Love and Peace Generation. Ein verkiffter Haufen, der sich in den indischen Busch verkrümelt, und hofft, nicht von Tigern gefressen zu werden. Aber sehen würden wir schon gern so ein Biest.

Ueberlingen

Nicht schlecht, dass ich dran gedacht hatte, kleine Gräben ums Zelt zu ziehen. Während die anderen in pitschnassen Schlafsäcken lagen, hatten wir es fein trocken. Aber so schnell das Gewitter überm See aufgezogen war, war es auch wieder fort. Die Sonne kehrte zurück. Wir tranken Lambrusco in den aufziehenden Abend. Einer trank viel zu viel. Übermütig stürzte er sich in den See und blieb mit dem Gesicht nach unten zwischen Seerosen liegen. Wir retteten ihn.

Varanasi

Die Nacht auf dem Dach des Hotels geschlafen. Erholsam im Vergleich zu den Nächten vorher, in denen ich mich mit feuchten Laken zugedeckt hatte, um Abkühlung zu finden. Stand mit dem ersten Licht auf und lief durch die schmalen Gassen hinunter zum Ganges. Auf den Ghats brannten schon Feuer. Saddhus meditierten im Schneidersitz. Geier hockten auf den Dachbrüstungen der höchsten Häuser und warteten. Unzählige Menschen bereiteten sich auf den steilen Treppen am Flussufer auf das Heilige Bad vor. Heute um 18 Uhr verlasse ich Varanasi mit dem Nachtzug nach Agra. Morgen früh werde ich den Taj Mahal besichtigen und anschließend weiter nach New Dehli reisen. Am 9. Mai fliege ich über Moskau nach Frankfurt.

Waikiki

Ich hatte mir in Kyoto einen Kimono gekauft; den trug ich, als ich in Honolulu das Flugzeug verließ. Die amerikanischen Zöllner filzten mich bis auf den letzten Saum. Meinen ersten Abend verbrachte ich mit diesem beiden Amerikanern, die mit an Bord meines von Tokio kommenden Fliegers waren und mich auf ihrem Balkon schlafen ließen. In der Hotelbar tranken wir Cocktails. Randvoll das Glas mit zerstoßenem Eis, wer weiß was für einer Sorte Alkohol, frischer Ananas, entsprechendem Saft und Südsee. Am Tag darauf mietete ich mir ein Surfbrett. Nach mehr als zwei Stunden Kampf mit dem Brett erwischte ich plötzlich und unerwartet eine Welle perfekt . Auf dem Brett knieend schäumte ich dem Strand entgegen, ohne allerdings in der Lage zu sein, die Fahrtrichtung wechseln zu können. Ich endete in einer Gruppe Badender.

Xanten

Ich stand in der Mitte des Amphitheaters. Meine Frau und meine Kinder saßen auf den Rängen und hörten zu, wie ich einen Text aus einem Kinderbuch vorlas. Ich tat das, um zu demonstrieren, wie gut die Akustik in diesen alten römischen Theatern funktioniert.
In den grünen Niederungen des Weidelandes vor der Anlage war ein trocken gefallener Altarm des Rheins. Nicht weit dahinter: der heutige Fluss.

Yokohama

Ich habe geschludert. Aus meinen Aufzeichnungen geht nicht eindeutig hervor, wann ich Tokio verließ. Wahrscheinlich am 18. August .... Ich fuhr per Anhalter Richtung Yokohama. Der Fahrer meines Wagens vermittelte mich an einer Raststätte an den Fahrer eines anderen Wagens. Wo ich dann aber die Nacht verbrachte, weiß ich nicht mehr. Möglicherweise in Yokohama. Sicher hingegen weiß ich, dass der Fahrer des Wagens, der mich mitgenommen hatte, abends mit mir in eine Bar ging, die Snack Pepe hieß. In dieser Bar arbeiteten drei, vier junge Japanerinnen. Ich war auf der Stelle Mittelpunkt aller Gespräche. Eine meiner Tagebuchseiten ist voller Herzen und japanischer Schriftzeichen. Ich habe nie herausgefunden, was sie bedeuten. Seltsam ist, dass man mir an diesem Abend ein weißes Oberhemd schenkte.
Den folgenden Tag kann ich rekonstruieren. Ein Lkw-Fahrer nahm mich mit auf die Insel Shikoku. Wir werden von Kobe übergesetzt haben. Der Fahrer bot mir Nachtquartier. Spät abends gingen wir in ein japanisches Badehaus. Das Wasser in den Entspannungsbecken war so heiß, dass ich mich kaum hineingleiten lassen konnte. Am nächsten Morgen wurde ich gegen fünf Uhr geweckt. Es war Sonntag und ich konnte mir nicht vorstellen, was man um diese Zeit tun könnte. Wir fuhren in eine Bowlinghalle. Sie hatte vierzig Bahnen.

Zürich

Vom strahlenden Tessiner Frühling in tiefsten Winter. Der Gotthardt-Pass ist verschneit, wir frieren in südamerikanischen Sandalen. Gleich mit dem Zug nach Zürich. Vielleicht von dort weiter nach Basel. Morgen früh an der Autobahn, mit ein wenig Glück bin ich dann abends wieder zu Hause.

Die Nacht in einer Telefonzelle der B-Ebene verbracht. Verfroren und unausgeschlafen. Meine Reise ist vorüber. Andere Reisen beginnen. Anderen Reisenden wünsche ich alles Gute. Man wird sie vermissen. Man wird vielleicht froh sein. Man beweint sie oder auch nicht. Meine reise jedenfalls endet hier. Wie die reisen der anderen ausgehen, steht in den Sternen.

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